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ihr Gatte wissen. . . Und gleich tauchte ein an-
derer Gedanke auf: „oder ihr Liebhaber" ...
Der dritte Gedanke, der mir kam, hatte schon
ausgesprochenen Chantage-Charakter: „EinMann,
der von diesem Muttermal Kenntnis haben wird,
hält seine Besitzerin in der Gewalt"... Gleich da-
mals schon nahm dieser Gedanke bestimmte Formen
an, und ich beschloß in Erfahrung zu bringen, wer
die Eltern des kleinen Mädchens seien, ob es —
einmal erwachsen — reich werden werde. Ich
hatte höllische Geduld . . . Mein Ziel lag zwölf,
fünfzehn Fahre vor mir, aber ich konnte warten."

„Das ist nichts weniger als schön von Ihnen,"
bemerkte ich moralisierend.

„Natürlich, das sehe ich ja heute auch selbst
ein. Damals aber hielt die Idee dieser Chantage
mich in ihren Krallen. Noch am selben Abend
hatte ich herausbekommen, wer die Eltern des
Mädchens seien — und die Resultate meiner Nach-
forschungen waren glänzend: es hatte sich heraus-
gestellt, daß die Kleine die einzige Tochter des
Grafen K. war, eines bekannten vielfachen Millio-
närs und Großgrundbesitzers. Es lohnte sich also
schon zu warten."

„Wie endete denn diese Geschichte?" fragte
ich interessiert und ungeduldig.

„So endete sie.... Ich wartete vierzehn
Jahre . . . Meine Geschäfte gingen immer schlech-
ter, — sie interessierten mich doch zu wenig! Ich
mußte oft genug hungern, aber ich ließ mich da-
durch nicht beirren, sah ich doch ein sattes, behag-
liches, ja glänzendes Leben vor nur. Die junge
Comtesse K. ließ ich nicht aus dem Auge, wußte
was sie trieb, wie sie sich entwickelte, wann und
woran sie krank war, (ihr Tod hätte mich ja
ruiniert) ... Ich erfuhr auch von ihrer Ver-
mählung mit dem eleganten Lebemann, Baron
van Cook, einem glänzenden hübschen Kavalier.
Zu dieser Ehe hatte augenscheinlich eine leiden-
schaftliche Liebe geführt und das war Wasser auf
meine Mühle. Das gab mir die ausgezeichnete
Möglichkeit, ihr Daumenschrauben anzulegen.
Haha!"

„Das ist widerwärtig!" entgegnete ich ihm mit
einer Grimasse.

„Natürlich! Empö-
rend, abscheulich! Hören
Sie nur, was weiter kam.

Das Muttermal der Ba-
ronin wurde meine Ma-
nie, meine Verrücktheit,
selbst im Schlafe noch
träumte ich davon. Mit-
unter kam mir sogar der
schreckliche Gedanke: viel-
leicht ist das Muttermal
verschwunden? Behalten
Sie aber im Auge, junger
Mann, daß Muttermale
nicht verschwinden > Also
schön. In der verflossenen
Mache. . . ja. Es war
gerade in der verflossenen
Woche — da konnte ich
nicht mehr länger warten!

Der Boden für meine
Chantage war saatreif
und zögern wäre dumm
gewesen. , Vergessen Sie
nicht, daß ich vierzehn
Jahre gewartet hatte
Huhu'. Ich fuhr z„r
Baronin, nachdeni ich vor-
her »i Erfahrung gebracht
hatte, wann sie ganz allein
sei. Sie empfing mich ver-
ständnislos.

.Sie wünschen?'

-Gnädige Frau/ sagte
ich. .Baronin! Ich weiß,

50 000 Rubel werden
Sie nicht ruinieren . ..

Geben Sie sie mir. Wenn
Sie sich weigern, werde
ich 100 000 fordern/

„Na, aber!" sagte ich, deni Erzähler kopf-
schüttelnd ins Wort fallend.

„Unterbrechen Sie inich nicht! Sie zuckte na-
türlich mit den Achseln:

.Wofür soll ich Ihnen denn diese Summe
geben? Sie sind wohl verrückt?'

.Sie werden sie mir geben, wenn ich Ihnen
niitteile, daß sonst morgen Ihr Herr Gemahl von
Ihrem Muttermal auf der linken Hüfte über dem
Knie erfahren kann. Von solchen Dingen, Ba-
ronin, wissen nur die Gatten und-die Lieb-

haber/

Wissen Sic, wie ich mir in meinen Träumen
das hierauf Folgende ausgemalt hatte? Sie
würde erbleichen, das Gesicht mit den Händen be-
decken und leise, bebend fragen:

.Das ist Chantage?‘

,3a, wollte ich antworten, das ist Chantage.
Jeder erwirbt sich sein Geld, wie es ihm am be-
quemsten dünkt/

In Wirklichkeit aber geschah dieses: als ich
ihr mit Enthüllung ihres Geheimnisses drohte,
riß sie die Augen weit auf, ließ sich auf die Otto-
mane fallen »nd lachte, lachte, wie ich niemals im
Leben habe herzlich lachen hören. . . Sie schüt-
telte sich, krümmte sich, hustete, stöhnte und lachte
so laut, daß ich schon zu fürchten begann, sie
könnte das ganze Haus alarmieren. Ich wartete
eine Weile, dann fragte ich:

.Was ist Ihre Antwort, Baronin?'

Sic sah mich wieder an, warf den Kopf auf
die Kissen der Ottomane zurück »nd wand sich
wieder in einem fürchterlichen, unerträglichen Lach-
anfall.

.Alles ist verloren, dachte ich. Sie hat keinen
Schreck bekomme»!‘

Jetzt blieb mir wenigstens noch die Rache!
Ich drehte mich um und ging gerades Wegs zu
ihrem Gatten, dem schneidigen Baron."

„Das ist widerwärtig!" wiederholte ich außer mir.

„Ich bestreite das nicht: es ist schlimmer als
widerwärtig. Aber hören Sie. Iä, komme zum
Baron.

.Womit kan» ich dienen?' Er sitzt schwei-
gend da.

Poesie und Prosa

der Laube Dä.nmevdunkel - Sitzt die königliche Frau

„ s war

Ort empfände!"

, cbe koi andere Sitzgclcgeheit frei un ich stab ä Bedirfnis nach e schtille

.Ich komme in einer Angelegenheit, die Ihre
Frau betrifft/

Der Baron neigt den Kopf und wird auf-
merksam.

Mir wurde etwas unheimlich zu Mute. Hol's
der Teufel! dachte ich. Ich sag s ihm mit einemmal.

.Mir ist das wallnußgroße Muttermal auf
der linken Hüfte über dem Knie bekannt. Wie
stellen Sie sich zu dieser Kenntnis?'

Der Baron krümmte sich, als hätte er eine
Zitrone verschluckt und knurrte.

,Ach, dieses Muttermal. Es hängt mir nach-
gerade zum Halse heraus.! Alle meine Freunde
öden mich damit an. . . Fad. dumm, snnu/anr.
Lassen Sie das, lieber Mann. Lohnt es sich,
darüber ein Wort zu verlieren? Rauchen Sie?'"

Der Erzähler verstummte und ließ den Kops
herabsinken.

„Und was war das Ende von der Geschichte?"

„Eine Zigarre! Für vierzehn Jahre Erwar-
tung, Ruhelosigkeit und Angst — eine Zigarre!
Sagen Sie freundlichst, lohnt es sich danach, sich
mit Chantage zu beschäftigen?!"

Ich erhob mich, dankte für die mitgeteilte
Geschichte und wollte gehen.

„Hören Sie," hielt er mich unschlüssig zurück.
„Zum Teufel mit der ganzen Chantage, nicht
wahr? Hm . . . Haben Sie nicht irgend eine
Arbeit für mich: Abschriften, Korrekturen oder
eine Comptoirstelle, so mit dreißig Rubel Monats-
gehalt . . .?"

(Deutsch von Ldgar Mesching, Petersburg)

Leobächlung

£5 ftand ein Mann am Siegestor,

Der an ein Weil) fein Herr verlor.

Zchaul sich nach ihr die klugen aus,

ln Händen einen Dlumenllrauh.

Zwar ift dies nichts Befunderes.

'Ich aber — ich bewunder’ es.

Gricb llliibsam

Liebe Jugend!

In einer Garnison be-
sichtigt der Brigadekom-
mandeur den Unterricht.
Leutnant X. tat über
verhalten ans Posten ab-
zufragen. Nach einiger
Zeit sagt der General:
„Ich bin mit Ihrer In-
struktion einverstanden,
aber nun möchte ich selbst
inal ein paar Fragen an
die Leute richten." „Sage
einmal," wendet er sich
an eilten biederen Polen,
„wasDu tust, mein Sohn,
wenn Du nachts auf Po-
sten stehst und ich komme,
in Zivilkleidung und sage
.Laß mich doch 'rein, ich
geb Dir auch 2 Mark/"

Der Pole: „Därrf ich
„ich näminen, 6err Ge-
neral." General: „Na
ja, mein Sohn, so sagst
Du, wenn ich hier in
Uniform vor Dir stehe.
Aber nun denk' mah ich
wärDeinLandsmann und
in Zivil, mit derselben
Bitte, was sagtest Du dann
wohl?" Pole (nacheiner
Pause): „lvärrd ich bald
abgelöst, nachher kannst
mir gäbbenl"

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Erich Mühsam: Beobachtung
AS: Poesie und Prosa
 
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