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Die Welt erschien ihm zerspaltet und zerklüftet,
die Dinge bewegungslos in ihrer Bewegung,
raumlos in ihrem Raum, in welche eine Schöp-
fcrhand sie gebannt hatte. Zutiefst schmerzte ihn
inmitten der schärfsten Erkenntnis das Gewoge von
Nebel und Dunst, das ihn mit immer neuen
Wellen umflutete.

Eine magische Gewalt zog ihn jetzt von Ange-
lina fort und hin zu seiner Geistcrnachbarin der
linken Hand, zu Hedwig, um ihr von seiner
Leidenschaft erzählen zu dürfen,

„Ich glaube nicht, gnädige Frau," antwortete
er auf eine Frage, die man an ihn gestellt haben
mutzte, „daß zu meiner Zeit noch irgend einem
Manne die Gnade zuteil geworden ist, van einer
Frau wahrhaft geliebt z» werden. Müßte ich
es glauben, gnädige Frau, ein Teil von meinem
Selbst ginge dahin. Ich stehe vereinzelt da auf
einem fest gefügten Turm inmitten eines trüge-
rischen, irreleuchtenden Meeres, Die Männer,
gnädige Frau, erliegen den ungeheuersten Ent-
täuschungen, wie wir alle an diesem Abend durch
den Duft der Lilien deni ungeheuersten Betrug
erliegen müssen, — Denken Sie, gnädige Frau,"
unterbrach sich Czentorski kindlich und ganz voll
eines überraschten Glückes, „mit wieviel Frauen
habe ich j„ Beziehung treten dürfen, eine von
ihnen hat sich um meinetwillen getötet und dennoch
ist mir erst in diesen Tagen die Gnade einer
wahrhaft großen Leidenschaft zuteil geworden."

Czentorski sah, als er diese Worte sprach,
wie Gnston Flinsberg unversehens aufgestanden,
doch gleich wieder auf seinen Stuhl^ zurückgefallen
war, die Gesichtszüge des Kunsthändlers zeigten
ihm die Angespanntheit eines Mannes, dem im
nächsten Augenblick ein Geheimnis offenbart wird,
um dessen Deutung er sich ein Jahrzehnt hindurch
bemüht hat,

Angelina Flinsberg beachtete jedoch ihren
Mann mit keinem Blick, sondern beugte das
brillantengeschmückte Haupt mit dem kastanien-
braune» Haar über der Tafel vor und setzte, in
jubelnder Erregtheit, laut das Gespräch mit Czen-
torskis Nachbarin fort,

„Ja, denken Sie, gnädige Frau, und ich bin
cs, die ihm diese Leidenschaft zu-
wenden durfte. Ich habe so viele
Liebhaber gehabt, gnädige Frau, die
gefürchtctsten der ganzen Stadt waren
darunter, und ich habe sie alle auch
wahrhaft geliebt, wie nur eine Ehe-
brecherin lieben kann. Aber in diesen
Tagen erst hat Gott mir gezeigt, datz
alles nur eine Vorbereitung war, in
welcher er mich als bewährt gefunden
haben muß, — denn, denken Sie,
gnädige Frau, Gott hat mich zu einer
wahrhaft großen Leidenschaft berufen."

Czentorski, der im Glück über An-
gelinas Worte die Welt vergessen hatte,
wollte sein mit Champagner gefülltes
Glas ergreifen, aber Angelina senkte
ganz schnell ihre Lippen auf seine
Hand und küßte sie mit religiöser
Hingebung, Czentorski fühlte, wie
er beim Anblick ihres demütig hin-
gestreckten Nackens erbleichte; erblei-
chend verabsäumte er es zu trinken,

Gaflon Flinsberg hielt die Hand
an das Ohr und lauschte, ob cs An-
gelina gefallen würde, Weiteres zu
vffenbaren. Doch Angelina war ver-
stummt und richtete die blicklosen
Augen, hingerissen von deni eigenen
Bekenntnis, auf ein dunkelgoldenes
altholländisches Meistergemälde an
der gegenüberstehenden Wand. Mit
der Herrin des Hauses verharrte die
blaffe und verstörte Geisterschar der
geladenen Gäste in einem tiefen
Schweigen, währenddem die Natur
m Gnston Flinsberg ihre Verwand-
lungen vorbereitete.' Er sank lang-
em und ruckweis bei jedem Atem-

zug, den er tat, in sich zusammen, sein Haupt
nahm einen greisenhaften Umfang und Ausdruck
an, die Gesichtshaut wurde rot gefleckt und das
Fleisch seiner Wangen hing wie die Maultasche
eines bösen Tieres herab. Geistesleer begann er
sich in einem Spiel mit Brotkrumen zu verlieren,
bis er in der Erleuchtung eines frischen Gedankens
seinen Trost gefunden hatte. Noch schien er einer
zögernden Ueberlegung Raum zu geben, doch el-
iminierte er sich selbst durch Kopfnicken, ergriff
sein Messer, schlug damit an sein Rotweinglas
und erhob sich zu gleicher Zeit von seinem Stuhl,

Czentorski empfand mit einer Peinlichkeit
ohnegleichen, wie Angelina und er jetzt mit dem
genierten Ausdruck eines Brautpaares, welches
man zu feiern im Begriff ist, geradeaus vor sich
hinblickten,

„Meine Herrschaften!" rief Gaston Flinsberg
und klatschte in die Hände, wie um seiner Rede
Gehör zu verschaffen, „meine Herrschaften, ich
bitte um ein Minutchen Geduld zu einer Art
Damentoast! Eingeladen habe ich Sie nämlich
heute, um mit Ihnen meine Frau Angelina Flins-
berg, geschiedene Baronin Koi, geborene Hirsch-
stein, und mit ihr zugleich das ganze weibliche
Geschlecht zu feiern, Sehen Sie, dort sitzt sie auf
ihren, Stuhl, — eine herrliche Frau, meine Frau
mit ihrem braunen Haar und ihrer weißen Haut,
aber das wissen Sie ja alle, daß sie ein Tizian
ist und große Klasse repräsentiert."

Gaston Flinsberg faltete die zitternden Hände
nervös über dem Bauch, Seine Augen schweiften
unstät im Zimmer umher, ohne sie ein einziges
Mal an Angelinas Gestalt haften zu lassen,

„Meine Herrschaften, da habe ich gestern so
ein Tclephongesprüch belauscht. Was soll ich
Ihnen sagen, die Mädchen verbinden einen in
Gott weiß was für Schicksalsmächte hinein,
-Mein Süßer, ich küsse Deine Kniee? hat eine
Stimme gesprochen. Es werden nicht meine Knice
gewesen sein, nieine Herrschaften, hochverehrte
Gäste, ich bin ein einfacher alter Mann und meine
Kniee zittern vom vielen Stehen... ich begreife
auch gar nichts von der Liebe und der wahrhaft
großen Leidenschaft, Bon Bildern begreife ich

Immun rc nost

Gel» S', Frau Haushubcr, beut bat 's scho a Saukältn." —

wie kann denn i dös wissen? Sö scbn do, daß
echte Skunkspclz tragen I"

und inet Me>

was, — das heißt unter uns gesagt, ich habe
einen Riecher für die Bilder, — ein prophetisches
Gemüt Hab' ich und das war immer die Stärke
meines Volks! Die Klaffe wittre ich, meine Herr-
schaften, die Qualität, — mit der Nase zieh
ich's hoch, wo was gegeben ist, — s o —"
Gaston Flinsberg zog die Luft durch die Nase
ein, — „wie gesagt, von Kniee» verstehe ich
nur, wenn sic auf der Leinwand gegeben sind . , ,
aber was wollte ich denn sagen? ... ich wollte
doch..."

Gaston Flinsberg blickte sich suchend im Zim-
mer uni,

„Ja, meine Damen und meine Herren," fuhr
Gaston Flinsberg in seiner Tischrede fort, „ich
will Ihnen ein Geheimnis verraten! Lachen Sie
mich nicht aus, ich bin unberufen noch nicht me-
schugge..."

Gaston Flinsberg bückte sich hastig nach der
Serviette, die ihm während seiner Rede herabge-
glitten war und schlang sie mit solcher Heftigkeit
um seinen Hals, daß Czentorski glaubte, er sei
im Begriff, sich mit ihr zu erwürgen, Czentorski
hatte vor einigen Tagen auf dem Büfett eines
Restaurants den mit einer Serviette höchst lächer-
lich und grausig aufgeputzten Kopf eines Ebers
gesehen, an dessen stiere, einander zugekehrte Glas-
augen ihn jetzt die Augen des Kunsthändlers ge-
mahnten.

„Meine Herrschaften," rief Gnston Flinsberg,
„die große Neuigkeit, die ich Ihnen mitteilen werde,
ist folgende, Man kann eine Frau nicht kaufen.
Die Frau, meine Damen und Herren, ist das
unkäuflichste Wesen auf der Welt, Geben Sie
Millionen, geben Sie Milliarden, Sic können nichts
damit machen! Erreichen können Sie, daß die
Frau zu Ihnen ins Haus zieht, Ihre Automobile
und Pferde benutzt, vielleicht, wenn Sie Glück
haben, Ihre eigenen Kinder gebiert. Die Seele,
meine Damen und Herren, schwingt sich ungebun-
den in die Sphären der höchst eigenwilligen und
selbstgewählten Zuneigungen, Die Frau unserer Zeit
ist die größte und einzigste Idealist!» in unserer
Zeit! Sie ist die Verwalterin des Anstandes, der
Treue und der Tapferkeit — ja, meine Herren,
die Frau unserer Zeit ist tapfer bis zur
Verwegenheit, ein Spaß ist ihr der
Tod, den wir Männer alle so mit
Zagen und Gebet fürchten. Meine
Damen und Herren, meine Frau An-
gelina Flinsberg hat den Mann ihrer
Leidenschaft, ihrer Treue und Tapfer-
keit gefunden in dem Herrn Ober-
leutnant Grafen Casimir Adam Czen-
torski, das haben wir ja vorhin alle
aus ihrem eigenen Munde gehört.
Sie, die seit Jahren, — aus Per-
zweiflung — Betrug geübt hat, ist
tapfer geworden bis znr Selbsthin-
gabe. Da sitzt sie unter Ihnen, meine
Herrschaften , , . im Vertrauen ge-
sagt, meine Frau ist eine große Hure
gewesen, aber meine Frau war nicht
mit Geld und guten Worten zu kaufen,
sondern nur mit Liebe und Männlich-
keit, Prosit, Czentorski, Hab' die Ehre,
Herr Graf!"

Czentorski erhob sich bei den letzten
Worten des Redners entrüstet von
seinem Stuhl und stieß ihn lärmend
zu Boden, Es war, als habe ein
Krieger an fein Schwert geschlagen.
Ohne sich zu bedenken, nahm er sein
Glas und schleuderte es Gaston Flins-
berg ins Gesicht,

„Schuft!" schrie er außer sich, „du
bespeist deine Frau vor deinen Gästen!"

Doch jetzt spürte er Angelinas besänf-
tigenden Arm auf seinen Schultern, und
beide verharrten stehend an der Tafel.

Gaston Flinsberg blutete. Der Die-
ner eilte herbei, riß seinem Herren
die Serviette vom Hals und band sie
ihm über die Stirn.

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Richard Rost: Immun
 
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