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Lachen und weinen

Skizze aus dem Kongo von Jürgen Iürgensen

Larsen war von sechs Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags mar-
schiert, als er auf einem kleinen, luftigen Platz im Walde Halt machte.
Es war seine Absicht gewesen Hunger und Durst bis ein Uhr zu
unterdrücken. Aber der Ort lockte ihn. Ein Sonnenstreif fiel durch
das Dunkel herab, und er lieh das Auge an ihn, in die Höhe klettern.
Das Loch dort oben in deni Blütterdach war kreisrund, ein kleines
Luftloch empor zum Licht für den, der sich hier unten auf dein Grunde
des Urwalds bewegte. Man fühlte sich freier auf dem hohen Terrain
als in den feuchten Niederungen, durch die man am Vormittag mar-
schiert war. Der Unterwald war hier dünn, man konnte zwischen
den Stämmen durchblicken wie in einem europäischen Walde. Außer-
dem standen dort einige kleine Halbdächer, die von übernachtenden
Jägern aufgestellt worden waren: und es lag ein wenig unverzeyrtcs
Brennholz von den Feuerstätten da.

„Wie weit ist es noch?" fragte er.

„Der halbe Weg," wurde von vorne geantwortet.

Larsen warf einen Blick zur Trägerkolonne zurück, die sich, Paar
aus Paar, nnschloß. Dort brachten die Leute die Küchenkiste. Das
gab den Ausschlag.

„Wir essen," sagte er.

Der Bog konunandierte die Träger, und sie trugen Küchengerät,
Feldtisch und Stuhl herbei. Larsen nahm Platz und zündete eine
Zigarette an. Die Soldaten und die Träger setzten sich unter die
Halbdächer. Der Koch scharrte Brennholz zusammen und fing an
Feuer zum Kaffee zu machen.

„Bier?" fragte der Bog, als der Tisch gedeckt war.

Larsen sah ihn barsch abweisend an. Er hatte in seiner Station
vor einigen Wochen 24 Flaschen Hamburger Bier erhalten und war
sehr sparsam mit ihnen gewesen. Bier Monate hatten sie gebraucht,
bis sie vom untern Flusse dorthin gelangt waren. Aber die Abende
waren ja lang, und einige Flaschen waren an den Tagen draufge-
gangen, die er mit Dermal, seinem Nachfolger, zusannnen war. Und
zwei hatte er ihm als Andenken hinterlassen. Fetzt war er sechs Tage
lang marschiert, und in dieser Zeit war er der Versuchung zweimal
erlegen. Er selbst gab sich Mühe zu vergessen, daß Bier im Kasten
war, und daß er 24 Monate kein Bier gehabt hatte. Aber der Bog
erinnerte ihn täglich.

Larsen antwortete nicht. Die Frage war auch nicht leicht zu
beantworten. Denn es gibt viele wilde Freuden in dieser Welt, aber
ein Glas kühles Bier zum Frühstück im Urwald, wenn der Körper
nach sechsstündigem Marsch heiß ist wie ein Hochofen, ist nicht die
geringste.

Schon hatte der Bog die Flasche aus deni Kasten gezogen, und
er lüftete das Strohgehäuse. Larsen las die Etikette und sah im
Geiste das Bier im Glase schäumen, sah, wie sich außen Tan ansetztc.

Wie soll ich heut die Versuchung überwinden? dachte er. Ich
habe nur norl> zwei Flascheir Bier. Und sechs Stunden Marsch voir
hier, in der Station Bali wohnt mein Freund Banderbergh, der nur
eine Flasche aus diesem Kasten bekommen hat, die er selber vor
sechs Wochen stahl, als der Kasten seine Station passierte. Und heut
ist Heiligabend, und wir wollen zusammen Weihnachten feiern. Wollen
die beiden Flaschen miteinander trinken. Das Weihnachtsbier ist's!

Er fühlte die ungeheure Hitze in seinem Körper und die Wüsten-
trockenheit im Halse. Der Wille löste sich auf. Doch plötzlich nahm
er sich zusammen.

„Weg damit!" sagte er zu dem Bog.

Und um seines Entschlusses ganz sicher zu sein, fügte er hinzu:

„Du Biest!"

Mit breitem Grinsen schob der Bog die Flasche in ihr Stroh-
futteral zurück und versenkte sie in, Kasten.

Larsen sank nach dieser Anspannung ein wenig zusammen und
starrte melancholisch zwischen die Bäuine.

„Wasser!" kommandierte er.

Der Bog brachte die Wasserflasche. Das linderte.

Nach einer halben Stunde waren sie wieder unterwegs.

Larsen hatte fast zwei Jahre hindurch als einziger Weißer in
einer Station an der Nordgrenze gesessen.

Er hatte sich fürchterlich gelangweilt, natürlich ausgenommen die
Perioden, wo von Norde» her die Geiüchte geweht kamen, daß die
Derwische heranrückten. Da vergaß man sich zu langweilen, da mar
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