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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 19.1914, Band 1 (Nr. 1-26)

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https://doi.org/10.11588/diglit.4387#0477
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Das alte Lied

Ich weiß ein altes Wiegenlied,

Das hört' ich oft als junger Bub',

Wenn ich, von Spiel und Springen müd,
Das Haupt in Mittlers Schoß vergrub.

Sie sang es leis, als sang' im Baum
Ein schlummertrnnknes Vögelein;

Die Worte die verstand ich kaum,

Mich wiegte nur die Weise ein.

Die Weise war so still und zart.

Wie schnell mein kleines Herz auch lief,
Sie machte, daß es ruhig ward
lind ganz erfüllt von ihr entschlief.

Nu» such' ich immer immerzu
Des alten Liedes Melodie,

Das wieder sang mein Herz zur Nuh . . .
Und find es nie-Und find es nie...

A. I>e Nora

Der lupp und der Gulden

Voll Will). C. Stuccflen

Der Vagabunde Supp Ing nui Wegrand im
Grase und ließ einen wehmütigen Singsang er-
tönen: „Es schlief ein Mädchen bei einem Graf

— bis an den frühen Morgen." Sein Magen,
der alle Ursache hatte, über geringe Beschäftigung zl>
Klagen, brummelte eine unwirsche ^Begleitung da-
zu. „Sei still, Brummsack eigensinniger!" schiilipfte
der Supp, „brauchst mich auch nicht immer dran er-
innern, daß ...!" Danli besann er sich auf etwas,
raufte pfiffigen Gesichts einige Fäuste voll Gras
aus, machte daraus ein Polster zurecht, sodann
wälzte er seineli dürren Leib herum, daß er bäuch-
lings auf das Polster zu liegen Kam — und
Brmniiisack schwieg.

Der Supp lachte sich eins.

Plötzlich aber riß er feine Augen, die braun-
gelb und langrund wie Vogeleier in Faltennestern
lagen, weit auf, und tat einen Hellem Schrei. „O
liebes HergottssaKermentele! Da hat wer ein
Gulden herzaubert!"

So war's. Der Gulden lag zwischen einem
Vergißmeinnicht und einem Regenwurm und
guckte gleichgültig drein. Anders der Supp. Der
hatte das Maul offen wie ein Tennentor, und
seine Augenbrauen zog er erstaunt bis unter den
struppigen Haarschopf hinauf. Aber bald klappte
er das Maul wieder zu, kniff die Äuglein höhnisch
zusammen, und wandte sich ab; nicht ohne zuvor
dem blanken Ding die Zunge herausgestreckt zu
haben.

„Hä!" griente er erbittert, „hähü — meinst,
ich werd' Dich aufheben? Ha — hat Dich ja
doch nur so ein Baucrnschliffel hergespuckt!"

Zornmütig nahm er sich vor, nimmer hinzu-
schauen. Tat's aber doch gleich wieder. „Hm —
seit wann aber spucken die Bauernschliffel fürstliche
Wappen!" meinte er weiter. Und seufzte tief.
„Also ist's Hexerei! Und wenn ich jetzt hingreif',
dann ist's weg! Ach ja — dann ist's — wchtt

- weg!" Voll ernster Betrübnis wandte er sich
abermals ab.

Zu spintisieren hörte er jedoch nicht auf.
„Vielleicht kann nian ihn fangen. Hab' schon
Frösch' und Spitznrüus' mit der Hand erwischt!
Und die sind doch auch flink mie's Donnerwetter!
Hm . . .?" Er stand auf, tat ganz sonder Harm,
als wolle er Weggehen und schlug einen Bogen
und sprang den Gulden an wie die Katz' die
Maus.

„So — haben tu ich Dich!" stellte er fest,
wagte aber dabei die Hand kaum aufzumachen.
Ganz scheu lugte er zwischen den Fingern durch

Eine Stunde lang trottete der Supp dahin,
dann fiel er in Anfechtung, weil die Zanken-
wirtschaft so nah an der Straße lag. Der
Zankenwirt war ein gar großmächtiger Spöt-
ter, aber sein Most war sträflich gut. Darum
strebte der Supp eilfertig vorbei.

„Wo 'naus?" hielt der Wirt ihn fest.

„Grad' naus!" der Supp.

„Sch Hab' frischen Most!"

Supp krallte die Faust hart um seinen
Anton.

„Acht Kreuzer der Schoppen!"

Es war arg, bitter arg. Aber er blieb
fest. „Bin pressiert!"

„Aha! Willst nicht oder — kannst nicht?"
lachte der Zanken.

„Himmelherrgott!" schrie der Supp in-
wendig, „jetzt sauf' ich zwölf Schoppen und
hau' dann dem Flegel mein' Anton an den
Kopf!"

lind der Zanken: „Sososo — hat der
Kerl richtig kein Geld in der Tasch'!"

„Pah)" niachte der wütende Wanderer.

Und wieder der Zanken: „Wenn Du mir
ein' ganzen Gulden zeigen kannst, dann hast
zwei Schoppen mnsonst!"

Eiahci! Der Anton klirrte lustig auf den
Tisch. Aber zwei Schoppen später schlum-
merte er wieder im Futterzipfel, und der
Zankenwirt schickte hinter dem Supp neunund-
neunzig Flüche drein.

ABEND

Rieh. Langner (.München)

und schlug langsam die Faust auf; der Gulden
blieb ruhig liegen und erglänzte in einem weißen,
feinen, matten Schein. Und noch traute der Supp
ihm nicht, er prolnerte, ob er sich biegen lasse,
er biß darauf, er ließ iljn — mit vieler Vorsicht,
damit der Silberling nicht enthüpfe — zu Boden
fallen, um seinen Klang zu hören. Der Klang
war gut und rein, Supp griff den Gulden schnell
wieder auf und schickte einen närrischen Sauchzer
in die Höhe. Er hatte noch niemals einen Gul-
den besessen.

Lippes, der Knotenstock, war der erste, der
die Mordsneuigkeit erfahren mußte. „Lippes,"
berichtete der Supp ernsthaft, „paß auf, was ich
Dir sag'! Wir sind reiche Leut' geworden —
wir haben einen Gulden!" Und nun guckte er
den wieder an. „Wie heißt Du denn, Blanker?"
Der Gulden sagte nichts, und der allerdurchlauch-
tigste Kopf, der drauf geprägt war, sagte erst recht
nichts. Weshalb sich der Supp, wenn auch wider-
willig, dazu beguenien mußte, die Snschrift zu
lesen, und das war ihm ein saures Geschäft.

„Car . . . Carolus . . . ?" murnielte er, und
dann fuhr er unzufrieden fort: „Hm, das scheint
mir eine geistliche Sprach zu sein! Also: Caro-
lus Au—Angustus I. D. Rex . .." (Eine Lnch-
fanfare dazwischen.) „S du mein Blankerle, soll
ich niir's Maul verrenken um dich?" Die Frage
verneinte der Supp selber mit einem trutzigen
Kopfschütteln. „Weißt was, Blanker — ich werd'
dich Anton heißen! Und jetzt beziehst Quartier
in meinem. Sack und bist mein Freund! Gilt's!"
^tuf Biedermannsart streckte er die offene Rechte
aus, legte mit der Linken den Anton drein, schloß
dann die Hand und schüttelte sie mit ernstwürdigem
Gebahren. Derweil fuhr seine Linke als Quar-
tiermacher in die Rocktasche und kam gleich mit
drei Fingern unten wieder heraus.

„Oha!" schrie der Supp erschreckt, „das geht
nicht! Der Sack hat ein Loch! Und der Hosen-
sack hat zweie! Und verwünscht sei der andere
Hosensack — er hat dreie! Anton, ich sage dir,
es ist ein Elend! Anton, ich muß dich in einen
Zipfel von meinem Rockfutter einbinden!" Da
Anton nichts dagegen einwendete, geschah es so;
und der Supp schulterte Lippes, den Knotenstock,
und zog singend fürbaß.

Nimmt doch so ein Grobian von Wind dem

Supp den lieben alten Hut und wirst ihn in den

Neckar! Ein Hut muß wieder her! Armer An-
ton. lind der Supp dackelt ins Stüdtle und schimpft
heillos auf die Kappenmacher. Steht eine Stunde
vor der Ladentür und redet dem Anton zu.
„Siehst', Anton, fast glaub' ich's selber nicht!
Aber Du wirst doch nicht zugeben wollen, daß ich
mit bloßem Kopf 'rumgeh'? Blankerle, Du..."

Eins — zwei — drei springt ihm der Anton
aus den Fingern und rollt die Straße hinunter.
Der Supp rennt wie ein Spitzbub hinterher und
erwischt ihn am Rand vom Stadtbach, wo sich
der Anton friedsam neben einen Haufen schlecht-
riechcnden Strandguts hingelegt hat. Zu oberst
auf dem Haufen lag schon ein angeschwemmter
Felbel — das war Supp's lieber alter H>it. Der
Neckar wollte ihn fcheint's nicht behalten.

Feder bekanr einen Kuß, Anton einen und
der Felbel auch einen; der Supp war in seiner
Freude nicht heikel, lind bannt nicht der Kappen-
macher ganz um die ihm zugedachte Kundschaft
komme, ging der Supp, um sich bei ihm ein
Mittagessen zu fechten. Er leckte den Löffel sauber
ab, sagteein: Bergclt's Gott! — und begab sich
weiter.

Sin Haberfeld schaffte das Bärbele.

»Heiß, gelt?" meinte der Supp mit Freund-
lichkeit.

„S merk's selber!" wehrte das Bärbele seine
Teilnahme ab.

„Hm, hast Dir's ja leicht gemacht!" fuhr der
andere fort, und heftete feine Blicke unverrückbar
dorthin, wo das Brusttüchle fehlte.

„S brauch' mein Sach' nit z'verstecken!"

„Gewiß nicht!"

„Des Brusttüchle, des wo i möcht', kost' ein'
Gulden. Und den Gulden, den wo i möcht, den
hau i nit!"

„Fm Haberfeld, im Haberfeld — da ist's am
schönsten auf der Welt!" sang der Supp.

„Aber nit zum Arbeiten!" bekundete das
Bärbele.

„Sch Hab' ja nicht vom Arbeiten gesungen!"
verwahrte er sich.

„So —?“

„Mariele!"

„3 heiß' Bärbele, nit Mariele!"

„Macht nichts! Sch küss' ein Bärbele grad
so gern!"

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Register
A. De Nora: Das alte Lied
Richard Langner: Abend
Wilhelm C. Stuecklen: Der Jupp und der Gulden
 
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