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Bon Margarete Zündorff

Der Professor ging von Staffelei
zu Staffelei, besah durch scharfgeschlif-
fene Brillengläser prüfend die Arbeiten,
schob die Brille auf die Stirn hinauf und
schaute in die Ferne nach der sanft-
geschwungenen Hügelkette, die übersät
mit weißschimmernden Landhäusern,
bunten Blütengärten und durchsichtigen
Birkenwüldchen den Horizont begrenzte.

Der Professor prüfte, verglich, runzelte
die Brauen und sagte immer wieder:

„Nehmen Sie den Contur etwas hin-
ein" und sein langer, plattgedrückter
Daumen zeichnete die beanstandete Um-
rißlinie vor jeder Leinwand in die Luft.

Der alte Herr sah nicht den lachen-
den Frühling an den Hängen, nicht
das Blau des Himmels und das lichte
Weiß der Wolkenzüge, er sah nur den
individuell verzeichneten Contur. Der
Contur war sein „Dollpunkt."

Brummend und stöhnend kam er
an die letzte Staffelei, vor der ein junger
Braunkopf sich mühte. Dem sah er
eine Weile zu, beschaute kopfschiittelnd
die sprühende Herrlichkeit der vergnüg-
lich-bunten Tüpfelei, zog mit dem
Daumen einen unsichtbaren Contur in
die Frühlingsluft und ging unter allen
Zeichen lebhafter Mißbilligung davon.

„Windhund!" schalt er, als er
zurückblickend sah, daß der Braunkopf,
anstatt die ausschweifende Umrißlinie
auf ein gefälliges Maß zu verringern,
mit blinzelnden Augen die Straße hinab
einer Staubwolke entgegenspähte, die
zuerst ganz klein, an jeder Biegung der
sanft ansteigenden Straße höher auf-
wirbelnd wuchs und wuchs und schließ-
lich leise dann immer lauter zu tönen
begann. Soldaten kamen. Ihre schwe-
ren Füße stampften den rissigen Lehm-
boden, daß es dröhnte, von gelbem,
sonnendurchleuchtetem Staub umhüllt,
feldmarschmäßig bepackt marschierten sie
singend vorüber. Der junge Offizier,
der den Zug führte, sang mit strahlen-
dem Gesicht, den Kopf im Takt des
Liedes wiegend, besondere Stellen durch
gleichzeitiges Heben beider Schultern
gleichsam unterstreichend.

Breitbeinig dastehend, mit Pinsel f
und Palette taktierend stimmte der
Braunkopf in das Lied der Soldateska
ein, und als er sie nicht mehr hören
konnte, sang er es leise für sich zu Ende.

Dann stand er eine Weile sinnend und in die
Ferne schauend, wie der eigenen verklungenen
Stimme nachhorchend.

Der Professor, die Uhr in der Hand haltend,
rief ihn an: „Dalli, Dalli, eine halbe Stunde
haben wir noch Licht!" Da blinzelte er wieder
die Berge an, mischte Farben und tüpfelte weiter.
Der Professor trat hinter ihn, warf einen Blick
auf die Leinwand, zuckte die Achseln und ging
zu den andern. Der Braunkopf drehte ihm den
Rücken und schaute die Straße hinunter, auf der
die Soldaten verschwunden waren. Ein paar
hübsche Mädchen kamen, einander an den Händen
haltend, vorüber. Er winkte ihnen zu, sie wand-
ten sich kichernd ab und gingen schneller. Ent-
täuscht sah er ihnen nach. Ein junger Bursche
bot Aurikelsträuße an; er kaufte eines, betrachtete
es eines Weile und legte es seufzend auf das
Brett der Staffelei. Und wieder spähte er bei-
nahe sehnsüchtig die Straße hinab, auf der nun
langsam eine schlanke, junge Frau geschritten kam.
Die trug ein leuchtend gelbes Kleid und einen
fliederfarbenen Hut; in der schmalen Hand hielt



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F. Slaeger

Schlaf

Die bronzene Schale zittert in den Händen
Der Nymphe, die den flüchtigen Bronnen trägt,

Da Nachtroind ihn verscheucht und an den Wänden
Des grauen Turms zu blassem Staub zerschlägt.

Ward eine Seele so emporgehoben,

Ward eine Seele so zur Nacht zerschellt? —

Die Wolken stehn, die Sterne find verstehen
Und einsam roandert die verlorene Welt.

Reiffchroere Blätter auf dem Wege triefen,

Wo midi der Pfeil vom goldenen Bogen traf -
Die Freundin meiner Nächte schiäst den tiefen,

Den ewigen Schlaf.

Victor Hardung


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JM

sie einen großen, bunten Frühlingsstrauß. Der
Braunkopf stutzte, seine Augen strahlten auf,
lächelnd sah er ihr entgegen. „Das ist ja der
Frühling!" dachte er. „Der leibhaftige Frühling
kommt zu mir die Straße herauf!" Bewundernd
strahlte er sie an, als sie langsam vorüberschritt.
Sie errötete, ihre goldbraunen Augen leuchteten
auf, sie verhielt den Schritt ein wenig. Ganz
versunken, von einem leichten, seligen Schwindel-
gefühl befallen schaute er ihr nach. „Sie hat
goldene Augen!" dachte er. „Der Frühling hat
goldene Augen!"

Der Professor tippte ihm auf die Schulter
und sagten „Wir gehen jetzt; das Licht ist fort."

O, wie konnte einer sagen: „Das £id)t ist
fort!" War es nicht eben erst vorübergeleuchtet?
Lag sein Schein nicht noch auf allen Hängen,
machte ihre Farben fröhlicher, ihre Schatten wär-
mer? Durchsonnte es nicht die Wolken des
Himmels und den Staub der Straße? In, und
brannte es nicht wie ein feiner, süßer Schmerz
im eigenen jungen Herzen, das Licht aus zwei
strahlenden, goldbraunen Frauenaugen! Wie

konnte einer sagen: „Das Licht ist
fort!"

Mit verwirrter Miene nahm der
Braunkopf hastig sein Bild weg, schob
die Staffelei zusammen, kratzte die Pa-
lette ab, wischte Pinsel aus, verstaute
alles im Rucksack, nahm sein Bild und
das Aurikelsträußchen und folgte den
Andern.

Schneller nnd schneller ging er, über-
holte sie, hörte den Professor sagen:
„Ja, der Contur, der ist ein Verräter!
Man muß sich zügeln lernen." Da be-
gann er zu laufen.

Plötzlich blieb er stehn, ein jähes
Glücksgefühl durchrieselte ihn, hinter
einem nahen Gartentor verschwand
etwas Gelbes, Leuchtendes zwischen
bunten und lichtbelaubten, grünen Bü-
schen, verschwand, leuchtete wieder auf.
Ganz benommen stand er da. Dann fiel
ihm fein Aurikelsträußchen ein; er hob
es empor, holte aus, warf es in weitem
Bogen in den Garten, und duckte sich
dann schnell zur Seite. Die Aurikeln
fielen dicht vor der gelben Dame auf
den weißen Kiesweg. Die Dame er-
schrak, blickte suchend umher, bückte
sich und hob die Blumen auf. Nach-
dem sie einige Schritte gegangen war,
wandte sie sich nochmals, ein wenig
zögernd, um und hob den kleinen
Strauß grüßend gegen das Gartentor.
Als sie verschwunden war, sprang der
Braunkopf mit hellem Iubelruf empor
und fing wieder zu laufen an, lief, lief bis
er fein Herz im ganzen Körper klopfen
fühlte und der gelbe Staub wie Myri-
aden winziger Sonnen vor seinen Augen
kreiste und sie brannte, und immer dachte
er: „Frühling! O, Frühling! Ich habe
eine liebe Frau gesehn, ich habe eine
wunderliebe Frau gesehn!"

Das Opfer

Großes wollen, wenn die ftraft

entschwand.

Dingeopscrt in dev Fron der Pflichten;
Müde wandern nach dem dunklen Land,
Ties im derzeit brennendes verzichten:

Das ist mancher Seele scheues Leid.
Märchen werden wach in alten Tagen..
Ging ein König nicht im Bettlerkleid?
werkeltag hat ihn ans Kreuz geschlagen.

Karl Berner

Veni creator . .

Bon Felix Grafe

Im Jahre 738 um die Mittagsstunde eines
Kühlen Septembertags machte sich James Ensor,
der auf einer unbewohnten Hütte des lombar-
dischen Gebirgs dem heißen Sommer zugesehn,
auf die Wanderung ins Tal des Averno. Sein
Gewerbe war Brücken zu bauen und Künstliche
Brunnen zu graben; so gedachte er, da seines
Standes wenige nach der wohl fruchtbaren doch
von politischem Hader böser Art erfüllten Ebene
reisten, seine Dienste dem Herzog von Siena an-
zutragen, als welcher, weitschauend wie wenig
Fürsten seiner Zeit, dem unzähnibaren Sumpf-
sieber des Landes durch ein neues Systema der
Kanalisation auf den Leib zu rücken im Sinne
hatte. Zudem durfte Ensor um dieses eher auf
Gunst des Herzogs rechnen, als er von einem
quasi frommen wenn nicht krankhaften Geiste
besessen für seine Arbeit nicht gemünzten Lohn
in Anspruch nahm. So ihm Gewand und Speise

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Register
Karl Berner: Das Opfer
Victor Hardung: Schlaf
Felix Grafe: Veni creator
Ferdinand Staeger: Illustrationen zum Text "Schlaf"
Margarete Zündorff: Frühling
 
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