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Diesen Gedankengang unterbrach
ein Knabe, der um die Ecke kam. Der
Knabe stutzte, und nun vollzog sich alles
genau so, wie wir es aus dem Kino her
kennen. Der Knabe sah zum Fenster
hinauf, Herr Dexl nickte: Nimm's nur,
dös is was gut's! Der Knabe nahm
die Zigarette, besah sie und rauchte.

Da trat die Komplikation in Ge-
stalt des Vaters dieses Knaben ein.

Es war der Zimmermann Balthasar
Fischer, der früher einmal im Hintcr-
hnuse des Herrn Dexl vier Stiegen
hoch gewohnt halte und seither eine
lebhafte Abneigung gegen den Rentier
empfand.

Herr Balthasar Fischer sah seiner-
seits ans die Zigarrette, dann hob er
die Augen zu deni offenen Fenster und
senkte sie wieder in das Antlitz seines
Knaben.

„Wirfst glei den Dreck weg!"

Herr Dexl blieb ungerührt und
schaute mit offenbar geheucheltem In-
teresse einem Sperling zu, der auf
der Dachrinne des gegenüberliegenden
Hauses seine Federn ordnete. Der
Zimmermann wurde deutlicher:

„Und Überhaupts brauchst dir nix
schenken z' lassen, Bazi, elendiger!"

Herr Dexl war nach wie vor mit
dem Sperling beschäftigt.

„Und Überhaupts von Leut, die —
wo — Zigaretten rauchen!"

Das war in, Ton der tiefsten Ver-
achtung vorgetragen. Und das Schlimme
war, der Borwurf traf,

Herr Dexl hatte bisher selber der Überzeu-
gung gehuldigt, das; Leute, die Zigaretten rauch-
ten, kaum in den anständigen Bürgerkreisen zu
finden sein könnten. Er hatte ja auch zu dieser
Form des Tabakgenusses nur in einer sozusagen
schwachen Stunde gegriffen. Aber sich diese kleine
Schwäche auf offener Straße Vorhalten zu lassen,
das ging zu weit!

3m allgemeinen konnte der Rentner Dexl im
Wortgefecht wohl seinen Mann stehen, aber hier
lagen die Dinge doch so, daß seine Stellung von
vornherein erschüttert war. Er war eben gewisser-
maßen auf einer Tat ertappt, die er, wenn er
ganz ehrlich sein wollte, selber nicht verteidigen
konnte. Die Zigarette gehörte nun einmal nicht
zu einer Person seines Standes, und darin wür-
den alle Nachbarn und Freunde dem Zimmer-
mann Recht geben. So tat er das, was man
in solchen Fällen meistens zu tun pflegt, er suchte
eine Dummheit durch die andere auszugleichen.
Er verleugnete alle angestammten Grundsätze und
verteidigte noch, was nicht zu verteidigen war,
„Wenns 3hr Euch vielleicht keine Zigaretten
net leisten könnte! — Nachher hältst fei dei Fotzen,
vastehst!"

Und um eine Nuance echter fügte er im Tone
tiefen Vorwurfs hinzu:

„Anständige Leut hier zu beschimpfen — —
dös ist a Unverschämtheit!"

Damit hatte das Häkeln regelrecht begonnen,
und der Zimmermann konnte kaum seine Freude
verbergen, als er nun höhnte:

„Anständige Leut! die, wo Zigaretten rau-
chen, wie die Menscher!"

Wieder dieser infame Vorwurf! Herr Dexl
begann zu kochen,

„Dös ist a Unverschämtheit!"

„Und solchene Zigaretten, wie die Menscher!"
echote es von unten herauf.

Das war zu uiel. Herrn Dexls Hals schwoll
bedenklich an, und sein rotes Gesicht ließ die Ge-
fahr eines Schlaganfalls bedrohlich naherücken.
Er bog sich noch weiter aus dem Fenster hinaus
und zum dritten Male ließ er seine Keule auf
den Gegner niederschmettern, indem er das Wort
„Unverschämtheit" noch einmal, so laut es ihm
das Schweinerne erlaubte, hinabbrüllte,

3n biefent Augenblick erschien der Schutzmann




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A. Schmidhammer

I^ofbräubaus

VDas hast denn da für an Goden, Schlcpplingcvl?"
Dös >s das neue ,Ehrenzeichen füe's große BicrhcrzU"

i.^och ein Bund!

Oer du dieses liesest,

Neuer Freund meiner Seele,

Wenn du das nächste Mal niesest,
Denke mein!

Ist cs mir auch nicht vergönnt,

Dir, wenn du nost,

Zuzurufen ei» männliches Prost!

— Tät es ja gern, wenn ich könnt' —-
Macht nichts! — Uebe den Niesbrauch!

Als tiefen Grundsinn aber fühle diesen:
Können wir Zwei, nach allem,

was wir sahen,

Die Welt auch nun und »immerdar

bejahen,

Wir können sie doch beniesen.

Und das macht leicht und das gibt Trost,
Drum dennoch Prost!

Carl Meißner

WArxrrgrrt

Von Alexander Castell

Nr, 44 des dritten Reviers, Xaver Hinterstoißer
mit Namen, auf der Bildfläche, Sein geübtes
Auge erkannte sofort die Situation, und man
merkte ihm an, als er an die Gruppe herantrat, daß
er bereits in: wesentlichen informiert war. Etwaige
Lücken wurden bald durch die heftige Wechsel-
rede der Herren Dexl und Fischer ausgefüllt.

Aber so sehr auch Herr Dexl schrie, und so
sehr er auch Rentner und Hausbesitzer war, wie
sich die Dinge offensichtlich dem Auge des Gesetzes
darstellten, lag hier die größere Schuld im Hoch-
parterre, Dementsprechend äußerte sich auch Herr
Xaver Hinterstoißer, während seine behandschuhte
Rechte einen Bleistift aus dem umfangreichen
Notizbuch klaubte, in welches der Tatbestand ein-
getragen werden sollte,

„3a, was müssen S' denn auch dem Buben
eine Zigaretten geben, Herr Dexl?"

Alois Dexl benierkte das Kritische der Si-
tuation :

„3a, jetz hör'n S' doch n mal: Die Zigaretten,
dös i n feine Zigaretten, die — die — Hab i
geraricht, i hab's geraucht, vastehn S'?"

Der Schutzmann lächelte ungläubig:

„Sie? Naa, naa, Herr Dexl, wo werden
Sie denn a Zigaretten rauchen, Herr Dexl?
Wie kommt den» der Bub zu die Zigaretten?"

3etzt mischte sich auch der Vater Zimmermann
wieder ein. Er reckte sich bedrohlich zum Fenster
hinauf:

„3a wollen denn Sie vielleicht sagen, daß der
Bub die Zigaretten gestohlen hat?"

Hier erkannte nun Herrn Dexls geübtes
Auge eine Schwäche des Gegners, Hier schien
er verwundbar.

„3a, mei liaber Mann, wenn Sie dös stehlen
heißen — — i Hab dem Buben keine Ziga-
retten net geben."

Der Pfeil traf! '

„Also g'stohlen, mein Bub g'stohlen! Xaver,
jetzt gehst her, jetzt schreibst du den seinen Herrn
da auf!"

3a, da half nichts mehr, die Lawine war im
Rollen, Der Schutzmann Xaver Hinterstoißer
nahm eine militärische Haltung an. Er leckte
seinen Bleistift und eröffnete im vollen Bewußt-
sein der Tragweite seines Tuns den ersten Akt
der Tragödie mit der amtlichen Frage:

„Herr Dexl, wie heißen Sie?"

Margot saß seit einer Viertelstunde
allein in der großen, dunkelblauen Li-
mousine, die in einer Seitenstraße des
Boulevard Haußmann stand, und wartete auf
Mama. Es ging gegen fünf Ahr abends und
war schon dämmerig. Wenn Margot den Kopf
wandte, sah sie in den Torbogen, aus dem fort-
während Leute aus und ein gingen. Da waren
junge Mädchen mit großen Schachteln unter dem
Arni, Damen, dicht in Pelze gehüllt, ernste Herren
mit glänzenden Seidenhüten, Es mußten wirklich
viele Geschäfte in diesem Hause vor sich gehn,
daß sich so zahlreiche Menschen in solcher Hast
bewegten.

Zur Linken vom Toreingang war der Laden
einer Modistin, zur Rechten der eines Antiquars,
an der ganzen Fassade des Hauses aber glänzten
Affichen in schwarzen und goldenen Buchstaben,
Margot hatte Zeit, sich das alles anzusehn, auch
in den Hauseingang zu schauen, der in einen
weiten Hof mündete, an den, wie es den Anschein
hatte, neue und hohe Häuser stießeit.

Nach jener Richtung verschwand Mama jedes-
mal, wen» sie, wie sie sagte, zur Schneiderin ging.
Das dauerte manchmal eine Stunde, manchmal
auch länger, währenddessen Margot ruhig und
gelassen, die Füße in Decken gewickelt, die kleinen
Hände in einem großen Muff vergraben, im
Wagen saß. Sie langweilte sich manchmal und
hätte während dieser Zeit oft gerne citi Gespräch
mit dem Chauffeur angefangen, der neben dem
Automobil auf und ab ging und zuweilen auf das
Trottoir stampfte, um die Kälte aus den Füßen
zu bringen.

Margot hatte auch schoti gebeten, daß das
Fräulein mitkommen dürfte, aber Mama hatte
immer nein gesagt. Schließlich war das auch
verständlich. Denn, wenti Mama im Haustor
verschwunden war, kam nach ein paar Minuten
Monsieur Robert. Er mar Papas bester Freund
und holte ihn oft abends in den Klub ab, Mon-
sieur Robert war aber viel jünger als Papa und
sehr elegant. Er trug immer Handschuhe aus
mattgelbem Leder und Lackschuhe mit einem
Stoffeinsatz von derselben Farbe, Margot sprach
oft mit dem Fräulein darüber, wie chick Monsieur
Robert angezogen sei, Atn schönsten aber war
er unstreitig abends im Frack, Wenn er danit
im Salon Maura gegenübersaß, und ein Bein
über das andere gelegt hatte, mußte Margot
immer nach feinen Fußknöcheln sehn, die so
schmal waren und fast nackt wirkten durch die

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Register
Arpad Schmidhammer: Hofbräuhaus
Alexander Castell (auch: Castel): Margot
Karl Meißner: Noch ein Bund!
 
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