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Glyzinen

In Mittagsglut und fließendem Licht
Wehn die Glyzinen,

Ein blühender Bach,

Hoch über Mauer, Altan und Dach.
Unter ihnen liege ich dicht;

Ihr duftiges AVehn streift mein

Gesicht

In den zierlich geflügelten Trauben
8eh ich die taumelnden Bienen,

Kleiner Falter verliebtes Gewimmel.
Selig wühlend den Honig rauben.

Und durch das luftig schwebende Bild
Dunkler quillt

Und mit tieferem Blau der Himmel.

In dem flimmernden flutenden Schein
Lösen sich mir die schweren Glieder.
Schweb ich aufwärts ? Sink ich nieder.
In ein fließend Blau hinein?

Die geschlossnen Augen schauen
Noch wie tief durch einen blauen
Dunklen Strom. Im Ohre rauscht sein

Ton.

Lächeln fühl ich noch den Mund,
Und entschlummert sink ich schon
Tief in Schlafes dunkelblauen Grund.

Will Vesper (Florenz)

-Akermenschen

„Was Halten Sie eigentlich von tjerrn p. ?"
„Na, wissen Sie, er ist jedenfalls ein ganz
tüchtiger Kerl, der weiß, was er will. Er setzt
auch seinen Willen bestimmt durch, aber ich
glaube, daß, wenn es sein Egoismus von ihm
fordern würde, er den weg über Leichen ginge."

„Wie denken Sie denn über Fräulein T. P"
„Das ist ein ganz liebes Mädchen, sie ist ernst,
gebildet, sie kennt das Leben, hat auch ideale Inter-
essen, man kann sich wirklich gut mit ihr unter-
halten, aber sie ist ziemlich nervös, und manch-
mal etwas zu impulsiv, ihr fehlt die bestimmte
Richtung, heute schwärmt sie hierfür, morgen da-
für."

„Und wie steht's mit Uerrn A.P"

„K. ist ein netter Kerl; er spricht wirklich, wie
er denkt, er ist fleißig und nimmt das Leben ernst,
er geht den modernen, zweifelhaften Vergnügungen
aus dem Wege. Er strebt nach höherem, wahrem
Glück, aber ihm fehlt die feine Bildung, man
merkt, daß seine Erziehung nicht in feinen, zarten
Bänden lag, er hat so etwas Spießbürgerliches
an sich."

Gibt's denn überhaupt Menschen ohne „aber"?

Jon. SavclHbei'gU

Sie war eine spanische Tänzerin, die in einem
BarietS in Rom auftrat. Große Plakate zeigten
ihr Bild, wie sie fast unbekleidet sich in ägyp-
tische geometrische Formen zerbrach. Ich saß ans
der Terrasse von St. Prisen, als sie eintrat.
Es ist noch das alte Haus auf deni Aventin,
in dem sich die Fremden von jeher so gern eine
italienische Frittata backen ließen.

Aber die Neuzeit hat ihm eine Terrasse vor-
gebaut, auf der sie nun ihren Tee nehmen und
hinüberschauen nach dem Aventin, und hinaus in
die CaMpagna, zu den weißen Marmorheiligen,
die am Horizont den Lateran andeuten, zur Ce-
cilia Metella und zu den Albaner Bergen.

Die Aprikosen blühten noch. Große Zweige
von ihnen standen auf der breiten Glasveranda,
denn draußen in, Freien war cs kühl. Sie kam
mit ihrem Impresario, einem gewöhnlich aus-
sehendem Manne, und irgend einem Römer aus
den goldenen Kreisen, der wohl ihrem Reiz ver-
fallen war.

Alle Fremden halten hinübergesehen nach
Rom, nach dem sie sich gesehnt hatten, sie wußten
nicht wie lange; und alle wandten jetzt den Kopf ihr
zu. Ihre Kleider umschlossen sie so eng, daß sich
ihre langen Beine abzeichneten, die ein jeder von
den Plakaten her kannte. Ihr großer SOluff mit
dem langen Spitzengeriesel war dicht an ihre
flache Brust gepreßt. Schwerer Schmuck zog ihre
Arme fast hernieder.

Sie blieb einen Augenblick vor den Aprikose»
stehen und wagte es, ihr kaltes, geschminktes Ge-
sicht in seiner Plakettenschönheit an die Frühlings-
blumen zu drücken. Jeder sah die kühn gezeich-
nete Linie ihrer Augenbrauen und ihren sinnlichen
Mund, den das aufgelegte Rot künstlich ver-
breiterte. Ihre stunipfen Augen, die schön und
unbewußt waren wie die eines Tieres, blickten
geradeaus.

Sie blieb einen Atemlaug so stehen, und alle,
die täglich zu stillen Göttern gingen und erhabene
Schönheit anbeteten, schienen in diesem Augenblick
sie anzubeten. Ihre schwarzen Haare schienen
nur da zu sein, um den kleinen Hut zu halten,
der eine Sensation war, stärker als die abnehni-
bareu Perücken auf den Köpfen der marmornen
römischen Kaiserinnen.

Als sie sich setzte, sah ich ihre Hände.
Große schöne Hände mit gepflegten Nägeln
und guten Bewegungen, Hände, die Stil
hatten, aber Hände ohne Seele. Kalte Hände,
die nichts von Sehnsucht wußten, nichts von
zarten Liebkosungen.

Sie bestellte sich ei» Stück weißes trok-
kenes Brot und schlug sich selbst ein rohes
Ei. Jede ihrer Bewegungen zeugte von der
ungeheuren Disziplin eines Körpers, an deni
alles zielbewusste Kraft geworden ist. So
lange sie in ihrer animalischen Schönheit auf
der Terrasse blieb, hatten, die da saßen, Rom
vergessen, und den Palatin, und den Kirchhof
zu ihren Füßen. Und kein Auge suchte mehr
die Ceeilia Metella und St. Balbina, denn
plötzlicl, war das vor sie getreten, was bei
allen Völkern und zu allen Zeiten ein Idol
war, eine Macht und zugleich ein Grauen, und
was doch für keinen Ort der Welt passender war
als für Rom, wo die robuste Schönheit der
Gladiatoren ein Volk rasen geniacht hatte.

Die kkeine Tragödie

Von Josefa Metz

Für ernste Naturbetrachter kam der kleine See
nicht in Frage, sie gingen an ihm vorbei zur
Tagesordnung — den Höhen — über. Nahmen
ihn hin, wie den Schmetterling, der die sommer-
liche Stinunung idyllischer machte, die Blume am
Weg, die einen guten Farbfleck gab, oder wie
den Vogelruf, der die Stille des Waldes ver-
tiefte. Für die vielen Genügsamen aber, denen
die Natur nur Staffage für sich selbst bedeutete,
war er unentbehrlich: ein Präsentierbrett, das
ihre kleinen Talente und körperlichen Begabungen
gefällig darbot.

An seinen Längsseiten zogen sich Linden hin,
die eben in Blüte standen. An den Schmalseiten
lagen Wiesen, bunt gesprenkelt von Glocken-
blumen, Arnika und Margariten, überschleiert
vom Labkraut und durchschnitten von den rost-
roten Klingen des Sauerampfers. Sie leiteten
zu den Bergen hinüber, an denen Kiefern empor-
ftiegen, die sie umdrängten, um plötzlich, wie
niedergleitendes Gewand, den nackten Leib der
Höhe frei zu geben.

Auf dem Wiesenland erhob sich das Hotel.

Nein, es erhob sich nicht, es war hingestellt,
stand da, wie die winzigen Nachbildungen aus
Holz und Papier auf den Vertikos kleiner Schnei-
derinnen.

Die Zimmerpreise richteten sich nach der Aus-
sicht: der Blick auf Schneegipfel war kostbarer
als der auf die bürgerliche Talseite, die bildhafte
Einsamkeit mit ihren sanft getönten Farben stand
höher im Wert als die Kleinmalerei des täg-
lichen Lebens. Häuschen, die sich um die Kirche
drängten, deren weißer Turm hochgereckt war
wie der Zeigefinger eines braven Schulkindes,
kleine Gärten, bunt von altniodifchen Blumen,
Glaskugeln und Wüsche schachtelten sich inein-
ander wie ein Geduldspiel, und alles sah aus,
als würde es abends in das Spielfach gestellt.

Das Hotelpersonal war der Aussicht ent-
sprechend : gefrorene Kellner, voll eisiger Unnah-
barkeit, die nur am Abreisetag der Gäste ei»
wenig auftauten, ländliche Hausknechte, wohl-
wollend und gelassen, elegante Kellnerinnen und
einfache Zimmermädel.

Die Gäste in Volkstracht zeigten Gesichter,
von denen man ablas: „Ich bin so gut wie echt,
aber ich pflege meine Nägel. Ich habe Nietzsche
gelesen und lebe mit Goethe. Ich interessiere mich
sogar für Swedenborg. Tatsache! Außerdem, habe
ich beinah einmal im Tennis-Turnier gesiegt, es
war nur Schikane, daß ... Du siehst in mir

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Register
Agnes Harder: Die Tänzerin
Will Vesper: Glyzinen
Cäcilie Schmidt-Goy: Exoten
Josef Savelsbergh: Abermenschen
Josefa Metz: Die kleine Tragödie
 
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