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Die tote Herrin

Sem müder Schritt verklang. Das Gitter
schließt mich ein.

Ifitb wieder kommt die Nacht und findet

mich allein.

Wie totenstill das Hans im öden

Garten steht,

Seitdem die Frau nicht mehr durch

seine Türen geht!

Ich kannte ihren Gang, den Duft

von ihrem Kleid

Und ihrer Stimme Klang, rief sie mich

noch so weit.

Wie war ihr Blick so froh, und ihre

Hand so gut.

Die leicht und liebevoll ans meinem

Kopf geruht.

Nicht einen Bissen Brot brach diese

Menschenhand,

Davon nicht auch zu mir ein gutes

Stück sich fand.

Ein Morgen aber kam, da sah ich sie

nicht mehr.

Kehrt sie denn nie einmal zu ihrem

Hunde her?

Mich und den blassen Mann, das stille

Hans im Tal,

Vergaß sie uns denn ganz und unsrer

Sehnsucht Qual?

sr-rriz Langbeinricb

Havelfahrten

Havelfahrten: wenn die aufgescheuchten
Wilden Enten perlend übers Wasser streife»,
Seen mit Wald und Himmel überfließen!

All dies weitverzweigte Leuchten
Schließen bunt durchwachsene Wiesen
Mit Streifen junger Birken ein.

Vielfachen Duft schlürf' ich wie Wein —

Und spürst tu, wie die Früchte ringsum reifen?

Dörfer dann, wie finstere Riesen
Vor dem Sonnenuntergang,

Tore, die den Horizont verschließen,

Dome, die sich in de» Himmel recken.

Und der Weg dahin so lang
Durch Windungen, die sich im Schilf verstecken
ltnb plötzlich strömend in den Himmel gehn ...
Kannst du mich noch verstehn?

Stille, die ich mit jedem Wort vermehre,
Himmel und Erde sind vermengt
Ohne Ausgang, ohne Ende,

Und dein Wort, das zu mir drängt.

Fällt, wie in einen Brunnen, ins Leere.

Wir fahren einen geisterhaften Weg
Durch mondbeglänzte Spiegelwände —

Ist das nicht unser Haus? Ein Licht? Der Steg!

Renö Schickelc

Segielh

Der Engel

Eine Legende von Willy Aath

Der himmlische Oberspielleiter hatte sich tief
in die neu angekommenen Streitschriften der
Gottesgelahrten versenkt, als Oberpsörtner Petrus
nieldete: „Eine Dame ans Europa! Eine Un-
verstorbene!"

Die Störung war recht peinlich: nun würde
es wieder stundenlange Arbeit kosten, um die
Fäden dieser Streitfragegedanken wieder zu er-
fassen. Der himmlische Oberspielleiter jedoch in
seiner unendlichen Güte unterdrückte sogar den
Seufzer, der sich ihm entringen wollte, und sprach
nur schlicht: „Ich lasse bitten."

Eine anmutige Frau, noch ziemlich jung bei
Jahren, trat rasch ein und machte einen hastigen
Hosknix. Sie war mit feinsten, Geschmack in
Tranerkleidung gehüllt; der kleine schwarze Wit-
wenhut mit den, weißen Rändchen stand ihr gut
zun, blonden Haar. Und der himmlische Ober-
spielleiter erkannte durch den verweinten Unmut
ihres Angesichts hindurch, daß ihre Züge bei
mehreren, Seelenfrieden die eines lieblichen Ge-
schöpfes sein konnten. Auch was sie herführte,
ersah er sogleich.

„Ich will mich —" begann sie furchtlos.

Mit erbarniendem Lächeln nickte der Ober-
spielleiter. Und sprach: „Durch restlos gläubige
Versenkung in die Alleinwichtigkeit Ihres Daseins
haben Sie die niederen Daseinsgesetze überwunden
und unverstorben sich an die Pforten des Himmels
verseht. Und Sie begehren einen neuen Gatten.
Nicht so, gute Frau?"

„Ich will nicht sagen: nein," erwiderte sic mit
Zögern. „Aber die Hauptsache ist nur, daß es
diesmal der Richtige sei! Mit dem andern —
ich will ihn, gewiß nichts Unrechtes nach sagen —
aber auszuhalten war's nicht mit ihm! Bon
seinen sonstigen Fehlern ganz abgesehen, aber
diese spöttische Lehrhaftigkeit, wenn er seinen
schäbigen Geiz als notwendige Sparsamkeit er-
klärte, seinen brutale» Eigensinn als männliche
Festigkeit, seine Uneleganz als vernünftige Ein-
fachheit, seinen —"

„Schon gut," meinte der himmlische Oberspiei-
leiter milde.

„Ich will nicht unhöflich werden," entgeg-
nete sie lebhaft; „aber ich dachte doch, daß man
sich hier ausreden könnte!"

„Streiten wir nicht, gute Frau," versetzte
der Himmlische. „Sie tragen doch schließlich
Trauer um ihn!"

„Ach Gott, deswegen — was will man
denn anders machen!" sprach sie.

Wieder lächelte der himmlische Obcrspiel-
leiter erbarmungsvoll. „Das war der erste
Satz, den Sie nicht mit ,Ich willl anfingen.
Nehnien wir das als freundliches Zeichen.
Sie wünschen also den richtigen (Saiten? Ja,
glauben Sie denn, daß der überhaupt auf
Erden zu finden sein wird?"

„Das ist s ja!" rief sie, und Tränen ohn-
mächtiger Wut stürzten ihr wie Perlenbüchlein
über die rosigen Wange». „O diese Männer!"

„Und Sie, meine Tochter, Sie sind also,
wofern ich Sie recht verstehe, ein Engel?"

Die Dame aus Europa stutzte einen Augen-
blick. „Ich will nicht untersuchen," sprach sie,
„ob heimlicher Spott dabei war; ich antworte
nur, ehrlich wie ich immer bin: allerdings bin
ich ein Engel, vorausgesetzt, daß ich richtig
behandelt werde. Jawohl!"

Der himmlische Oberspielleiter aber erklärte
gütevoll: „Nun, dann liegt der Fall ja ver-
hältnismäßig einfach: zu einen, Weib-Engel
gehört halt ein Engel-Mann. — Petrus!"

Schon stand er da, der graubärtige Alte
mit der leuchtenden Glatze und dem gewal-
tigen Schlüsselbund. „Zu Befehl," sagte er in
seinen, tiefen Baß.

„Gehen Sie doch mal eben rüber in den
Engelbau, Saal 1 a, und rufen Freiwillige auf
für eine Ehe-Mission nach Europa. Bon denen
suchen Sie dann den Edelsten aus und bitten
ihn hierher!"

Schon war Petrus verschwunden, und der
himmlische Oberspielleiter erläuterte: „So viel,
wie die Herrschaften vielfach meinen, mische ich
mich nämlich doch nicht in die Angelegenheiten
da unten. Am liebsten arbeite ich mit Frei-
willigen."

„Ich will ja garnichts Unmögliches verlangen,"
bemerkte die Dame ans Europa. „Wenns nur
ein normaler Enge! ist, bequem und mit guter
Kinderstube!"

Schon war Petrus mit den, ausgesuchten
Engel zur Stelle. Der strahlte nur so vor eitel
Schönheit und Güte, also daß auch die Augen
der jungen „„verstorbenen Witwe ausstrahlten.

„Engel-Mann," sprach nun der himmlische
Oberspielleiter. „Ich rede nicht zu, ich warne
vielmehr. Eine Vergnügungsreise wird es kaum
werden. Sagen Sie mir, weshalb Sie sich ge-
meldet haben?"

Der Engel verneigte sich tief und sprach mit
edlen, Anstand: „Bon den gewesenen Menschen,
die uns hier oben im Licht begegnen, vernahm
ich, daß da unten viel Dunkel ist und eitel Kamps.
Mich treibt es, zu helfen — so weit meine be-
scheidene Kraft cs vermag. Von einer Mission
hörte ich. Gutes wirken will ich, Verschlungenes
lösen, Dunkel erhellen, Unfrieden in Frieden
wandeln und — uni es mit einem Wort z»
sagen — will gern mich opfern."

„Ein Altruist," sprach die Dame, da sie noch
vom Neuen der Erscheinung gefesselt war. , Wie
schön er spricht! Ein Idealist — Feminist si'cher-

„Vielleicht auch ein Optimist," ergänzte der
himmlische Oberspielleiter. „Je nun, ich kann den
Drang nicht tadeln. — So ziehen Sie denn hinab
in Frieden, mein Sohn! Ihnen aber, gute Frau,
empfehle ich an, wohl zu bedenken, daß ich ein
zweites Mal in Ihren Angelegenheiten keines-
falls zu sprechen wäre, und daß ich Besseres

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Register
Paul Segieth: Vignette
Willy Rath: Der Engel
René Schickele: Havelfahrten
Franz Langheinrich: Die tote Herrin
 
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