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WACHT

ANGELO JANK (MÜNCHEN)

Dies gefiel ihm schon weit besser. Vielleicht
auch nur, weil er stets eine ungemeine Freude
an lustig prasselndem, leuchtendem Feuer hat?
Wer kann je restlos nachempfinden, was in solch
werdender Kinderseele vorgeht?

Aber er schien sich doch mit den toten Menschen
im Feuer zu beschäftigen. Denn nach kurzer
Überlegung fragte er: „Und was wird mit der
Asche?"

„Die legt man meist in eigens dafür herge-
stellte Gefäße, Urnen genannt, und diese stellt
man in Steinhallen oder man tut sie wohl auch
in die Erde."

„Und was wird dann aus den toten Menschen?"

„Ja, der ist doch dann Asche, ist tot, ganz tot."

„Ja, ja, ich weiß, aber was wird dann mit
ihm?"

„In, mein Junge, wenn der Mensch tot ist,
dann ist alles, alles aus. Er wird in die Erde
gelegt und verfault oder er wird verbrannt und
zu Asche, die auch in die Erde kommt."

„Und dann" — er gibt sich nicht zufrieden.
Doch mit dem Wort ,verfault' scheine ich ein
neues Tönen in ihm angeschlagen zu haben. Ich
hatte ihm erzählt, daß die Blätter in, Wald

fallen, verfaulen, zu Erde werden und so helfen,
daß die Erde gut wird und kräftig, auf daß
wieder neue und immer neue Blätter und Bäume
wachsen können.

„Und dann," sagt er nach langem Nachdenken,
das ich bei ihm nie störe — „und dann wird
er zum Blatt?"

Fragend sehen mich seine großen, klaren Augen
an. Ich habe nun nicht den Akut zu antworten,
aus Furcht, etwas in ihm zu zerstören, das das
tiefste religiöse Gefühl in ihm aufbaut. Ich frage
nun nur meinerseits: „Und dann —"

„Dann" — feine Augen leuchten — „dann wächst
er zum Baum hoch, und wächst — ganz, ganz
hoch — bis zu den Wolken —"

Nun habe ich keine Antwort mehr zu geben,
und er hat keine Frage mehr.

Und mit meinem inneren Auge sehe ich die
Welt voller hoher, himmelragender Bäume, deren
Gipfel sich in den Walken wiegen, deren Keim
gelegt wurde, als eines Menschen verschüttetes
Wollen und Sehnen zu Asche und in die Erde
gesenkt wurde —. Weil eines Kindes zartes Herz
es so wollte.

d5tn £raum von den dSöttctn

von Hermann Hesse

Wieder ging ich allein und hilflos und sah
es überall dunkel und gestaltlos werden, und
suchte und lief, um zu finden, wohin alle Hellig-
keit entflohen sei. Da stand ein neues Gebäude,
dessen Fenster strahlten, und über den Türen
brannte taghelles Licht, und ich ging durch ein
Tor hinein und kam in einen erleuchteten Saal.
Biele Menschen hatten sich hier versammelt und
saßen schweigend und voll Aufmerksamkeit, denn
sie waren gekommen, um bei den Priestern der
Wissenschaft Trost und Licht zu suchen.

Auf einem erhöhten Boden vor dem Volke
stand ein Priester der Wissenschaft, ein schwarz
gekleideter, stiller Mann mit klugen, ermüdeten
Augen, und er sprach mit einer klaren, milden,
bezwingend ruhigen Stimme zu den vielen Zu-
hörern. Bor ihm aber standen auf helle» Tafeln
viele Abbilder von Göttern, und er trat soeben
vor den Gott des Krieges und erzählte, wie einst
in älteren Zeiten dieser Gott entstanden sei, aus
den Bedürfnissen und Wünschen jener Menschen,

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Angelo Jank: Wacht
Hermann Hesse: Ein Traum von den Göttern
 
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