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ERICH METZOLDT

Liebe oder daß)

M sah am Kreuze ^esu Cbrift,

Oer aller liebe Vater ist

Und noch ln Kreuz» und Codesnot
Den feinden feine liebe bot.

Cs sprach zu mir sein mild Sestcht:
nun finde: liebe! — Hasse nicht!

sch aber Hab' mich abgemandt,

Nahm hier die feder in die Hand

Und schreibe her: sch hasse, Herr!
Kus tiefster Seele hass' ich, Herr!

Und blick' dir doch klar ins Sestcht:
Mein haß weicht deiner liebe nicht!

weil dieser haß, Herr sesn Christ,

Oie frncht der höchsten liebe ist.

Mein Vaterland in tiefer Not:
haß allen feinden bis in den Cod!

will Vesper

Die Mine in der ThetnsemündunA

Von Franz Adam Bcycrlcin

Ganz ordnungsmäßig war es bis zuletzt her-
gegangen. Als das Deck schon rechtschaffen schief
lag, drei Hurra auf Kaiser und Deutschland, dann
sprang jeder über Bord, wo er gerade mar,
schwamm los, was das Zeug hielt, und kurz
darauf sank die „Königin Luise" jäh in die Tiefe.
Manch einer wurde in den Strudel hineingerissen
und fand ertrinkend in der Themsemündung den
Tod fürs Vaterland, nicht weniger ehrenvoll als
auf den Schlachtfeldern im Westen und Osten.

Auf dem Rücken schwimmend sah der Minen-
obermatrose der Reserve Krause — Friedrich Wil-
helm, aus Berlin -— mitleidig zu, wie der Bäder-
dampfer sich zur Seite neigte. „Schade um det
scheene Schiffken!" brummte er. Jawohl, schade,
jammerschade war es um die „Königin Luise",
damit hatte er recht, aber „schön" war sie längst
nicht mehr gewesen. Krause selber, der noch
Pfingsten eine Skatklubfahrt auf ihr nach Helgo-
land unternonimen hatte, war erstaunt gewesen,
als er sie wieder erblickte. „Machen, Luiseken!
Wat hast du dir vaändert!" hatte er angesichts
des kahlen grauen Rumpfes, der von dem köst-
lichen weißen Schiff mit seinen hohen Deckbauten
übriggeblieben war, ausgerufen. Und immer wie-
der hatte er den Kopf geschüttelt: „Wie 'ne Pleite
auf'n Kurfürstendamm!"

Die Beiboote der englischen Zerstörer fischten
die treibenden Matrosen auf. Auch Krause
schwamm auf eines zu, und just wie er hilfsbereit
an Bord gehißt wurde, hoben sie auf der andern
Seite einen Mann vom „Amphion" herein. „Kiek!"
sagte Krause, als er neben den triefenden Eng-
länder auf die Planken zu fallen kam, „quitt
sin wa!"

Tags darauf saß die ganze überlebende Mann-
schaft der „Königin Luise" tu der Kasematte eines
aufgelassenen Forts bei Gravesend beisammen.
Es ging ein wenig eng her in dem Raum, aber
besser als zehn Faden unternt Wasserspiegel bei
Fischen wtd Austern war es jedenfalls. Draußen
schleuderte eine Wache hin inid wieder tinb ließ
es sich im Sonnenschein behagen, drinnen —
warum auch nicht? — freute nian sich gleicher-
weise des schönen Tageslichts. Mit der harten
Tatsache der Gefangenschaft war man freilich
noch nicht atisgesöhnt und selbst die kräftigsten

DIEWACNTAM-RHEIM

Flüche verhalfen nicht dazu, aber schließlich konnte
man auch nicht mit dem Kopf durch die Wand.
Also beschied man sich und wäre noch weiter ge-
wesen im Sichbescheiden, wenn es nicht an Tabak
gemangelt hätte.

Krause spähte durch die vergitterte Luke itach
dem Posten. „Der Mann sieht janz vaständig
aus," sagte er. „Er hat so ne vatrauenaweckende
rote Näse." Und er rief: „He, Sie! Oentleivan!
Oller Dussel! Zawoll, Sie, Mister!"

Die Wache schob sich breit vors Fenster. Da
fuhr Krause liebenswürdig fort: „Have you not
tobacco? Hier is ooch money."

Der Engländer griente — nicht unfreundlich,
wie Krause erfreut feststellte, — griff umständlich
in die weite Tasche und holte ein Paket un-
zweifelhaft echten Priemtabaks hervor. Er legte
es schweigend ins Fenster, das Geld aber lehnte
er durch eine Gebärde ab.

„Zotte doch!" staunte Krause. „Wat is 'n
eenzelner Engländer for'n noblichter Kerl, un sin
doch im Dutzend so ne aufjelegte Schwefelbande!"

„Thank you, mylord!“ sprach er noch und
nahin die willkontmene Gabe in Empfang.

Der Posten aber brummte: „Holt' din Mul,
Kerl!"

„Nanu! ?" verwunderte sich Krause. Aber der
andere hatte sich schon abgewandt. — —

Als der Tabak — peinlich gerecht — verteilt
wurde, nahm ein Einziger nicht davon. Proll
hieß er und war schon auf der „Königin Luise"
still und abseits geblieben. Krause wußte Bescheid
über ihn wie über alles. „Dem kenn ick!" sagte
er. „Det is 'n janz Roter, 'n Anarchist! Na ja,
so'n bißken rotjestreift warn wa alle, jetz is det
erst die richtige Mischung jeworden — schwarz-
weißrot —, aber der?I Bon dem aleben wa
noch wat!"

Zn der Tat war Karl Proll, ein Monteur in
den Siemensschen Werkstätten, ein so glühender
wie überzeugter Anhänger der sozialistischen Lehren
gewesen. Der Krieg aber hatte das ganze hoch-
gemute Gebäude der Weltverbrüderung, das er
sich in seinen Traumen aufgebaut hatte, mit einem
Ruck Zusammenstürzen lassen. Die Tatsachett
mußten es in seine Ohren schreien, damit er es

glaubte: Frankreich,. das Land der Demokratie,
der Freiheit, aus dem Gefühl gekränkter Eitelkeit
heraus verbrüdert mit dem blutigen Zaren, und
eicht genug damit, England, das gefestete Vor-
bild eines politisch erzogenen freien Volkes, aus
elendem, kleinlichem Geschäftsneid heraus Arni in
Arm mit dem greuelbeladenen Despotismus! Wo
war nun noch Vernunft und Sinn im Völker-
leben? Wem konnte die Hut der Menschheils-
kultur noch anvertraut werden?

Sein Kopf war _ wirr, und es geschah ihm zu
Dank, daß er in diesen Tagen des Zweifels der
eigenen Selbstbestimmung enthoben und als eilt
Einzelglied in ein zweckvolles großes Getriebe
eingefügt wurde. Gehorsam bestieg er den Zug
nach Cuxhaven und während der langen Fahrt
durch das aufgeregte Land, in dem allenthalben
ein heiliger Zorn siedete, gelangte er zur Klarheit:
Frankreich und England wareit die Verräter an
der Menschheit, die Kleines über Großes setzten,
Deutschland allein wahrte die ewigen Güter der
Kultur. Und in dieser Erkenntnis schloß er, fast
um dieselbe Stunde, in der im Reichstag die
sozialdemokratische Partei mit der wundervollen
Tat der Selbstübcrwiitdung sich unvergänglichen
Ruhm erwarb, seinen kleinen Sonderfrieden mit
den alten Gegnern. Boit Stund' an glaubte er
zu wissen, worum es sich handelte in diesem Krieg,
und tat seine Pflicht nach dem Maße seines
Wissens. Er feuerte deit letzten Schuß aus deni
Schnellfeuergeschütz ab, das er selbst mit auf dem
Vorderdeck der „Königin Luise" aufgestellt hatte,
und war der letzten einer, der vom sinkenden
Schiff ins Meer sprang.

Letzt, in der Kasematte, drückte ihn die Last
der Gefangenschaft schwer darnieder, und er ver-
mochte nicht in den leichteren Ton einzustimmcn,
den die Kameraden alsbald sich zurückgewonnen
hatten. Finster brütete er vor sich hin und ver-
fluchte sich, daß er im Kampfe für Recht tinb
Freiheit fortan beiseitestehen sollte.

Als der Tag sich neigte, betrat unvermutet ein
englischer Flottenoffizier den Raum und richtete
an die Gefangenen in leidlichem Deutsch eine An-
sprache. Man wisse, sagte er, daß die „Königin
Litise" nicht bloß Streuminen gelegt habe, sondern
auch fest verankerte Minen, und er fragte gerade-
heraus, ob einer der Matrosen erbötig sei, gegen
ein gutes Stück Geld die Stellen dieser festen
Minen anzugeben. Der Mann solle dann in
einem Zerstörer hinausfahren vor die Themse-
mündung, tuid für jede Mine solle er 100 oder
200 Pfund — darauf komme es nicht an —
bar nusgezahlt erhalten.

„Wieville?" fragte Krause.

„200 Pfund, mein Zunge," sagte der Eng-
länder, „das feittb viertausend Marks."

„Pö! Wat ick mir dafor koofe!"

Die Gefangenen lachten zustimmend. Da trat
plötzlich Karl Proll hervor und erklärte laut:
„Zch tu's, Herr!"

Der Offizier stutzte einen Augenblick, dann
versetzte er nachlässig: „Well, kömmen Sie!",
hieß Pro» vorangehen und verließ die Kasematte.

Die Zurückbleibenden schwiegen. Nach einer
Weile aber spuckte Krause aus und sagte: „Schwein-
hund!" Und aber nach einer Weile: „Wer üba
den Dreckbatzem noch ein Wort valiert, den hau
ick in die Fresse! Vastandcn?!" — — —

Pro» wurde in ein Auto gesetzt und zur
Kommandantur gebracht. Dort nahm man ihn
scharf ins Verhör: er solle sich nicht einbilden,
sagte man ihm, englische Floüenoffiziere hinters
Licht führen zu können, und er mußte genau er-
klären, wieso er sich zutraue, den Platz der Mine
wieder herauszusinden.

Proll hielt gelassen allen prüfenden Blickelt
stand und gab klare, erschöpfende Auskunft auf
alle Fragelt. Bei Nacht, aber bei nur wenig
diesigem Wetter sei die „Königin Luise" das selten
befahrene Barrow Deep hereingekommen, der ehe-
malige Steuermann eines Hüller Kohlendampfers,
der das Fahrwasser bei Tag und bei Nacht,

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Register
Erich Metzoldt: Die Wacht am Rhein
Will Vesper: Liebe oder Haß?
Franz Adam Beyerlein: Die Mine in der Themsemündung
 
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