Eine Kriegs-Episode
Bon Emil Lucka
Am dritten September, an einem son-
nigen Bormittag, hat sich's zugetragen, daß
fünf schwere bayrische Kürassiere, ein Ge-
freiter voran, das waldige Bogesental von
Stoßweiler hinauf gegen die Grenze geritten
sind, um ein bißchen nach Franzosen oder
anderem schlechten Volk, das an dem Ort
nichts zu suchen hat, Ausschau zu halten.
Weil ihnen die Zeit lang wird, fangen sie
an zu jodeln und zu juchezen, aber die Pferde
spitzen plötzlich die Ohren und der Gefreite
Zagenteufel schreit:
„Maul halten!"
Richtig kommt ein Zug Franzosen den
Weg daher, vielleicht sechzig oder siebzig
Leute, jeder sein Gewehr über der Schulter.
„Drauf!" schreit der bayrische General
und zieht sein breites Schlachtschwert, hinter
ihm das Heer. Und sie stimmen ein solches
Kampfgeschrei an, daß die Franzosen glau-
ben, die ganze deutsche Armee war schon
da, und werfen ihre Gewehre ins Gras.
Der Leutnant, der sie anführt, ein feines
Bürschel ohne Bart, tritt vor den Jagen-
teufet und bietet ihm mit einer guten Ver-
beugung seinen Degen an, den der Iagen-
teufel nimmt. Und weil er nicht weiß, was
er damit anfangen soll, stößt er ihn in einen
alten Baum hinein, daß das Federmesser gleich
abbricht. Dann brüllt er die Franzosen au:
„Vorwärts!" — und sie gehen ganz folg-
sam ihren Weg weiter, aber ohne Gewehre
und von fünf bayrischen schweren Reitern
flankiert und hinter einem Gefreiten her, an-
statt, wie bisher, hinter einem Leutnant. Und
sie schänien sich, weil sie geglaubt haben, cs
wäre die ganze deutsche Armee, nicht nur
sechs Mann.
Boni Tal herauf schlägt's gerade zwölf
Uhr, wie sie einem Wirtshaus nah kommen,
das sonst für Touristen und Fuhrleute be-
stimmt ist, jetzt aber verlassen steht. Der
Zagenteufel sieht das Wirtshaus schon von
weitem und muß sich das Bier vorstellen,
das dort vielleicht im Keller liegt. Und weil
ein braver Soldat dieselben Gedanken haben
soll wie sein Feldherr, denken alle fünfe mehr
ans Wirtshaus als an die Franzosen, die
zwischen ihnen her laufen. Auch das Pferd
voni Zagenteufel hat das Wirtshaus schon
bemerkt, und so geht der ganze Zug, er weiß
selber nicht wie, immer mehr nach rechts,
bis er vor der Türe halt macht.
Der Wirt und die Wirtin und ein paar
Kinder und andere Leute stehen da und
schauen mit großen Augen, wie sechs bayrische
Reiter sechzig oder siebzig Franzosen daher-
führen, und schreien: Hurra! —, denn sie sind
gut deutsch — und der Wirt sagt gleich, die Herren
Soldaten sollten hereinkommen und zu bezahlen
brauchten sie nichts.
Aber die armen Schlucker müßten auch was
kriegen! meint der Zagenteufel. Und richtig wird
den Franzosen zu essen und zu trinken heraus-
gebracht, während die Bayern vom Pferd steigen
und mit viel Freude ins gute Ziminer geführt
werden. Der Wirt schlägt gleich ei» Faß Bier
an und die Wirtin stellt sich zum Herd. Weil
aber ein Bayer nicht vom Bier weggeht, bis
das Faß leer ist, so dauert die Mittagsrast drei
Col. Max (München)
Requiem
Air denken eurer, deren junge 5lut
Sieb rauschend an die große Zeit gegeben —
tllillionen lfände, die sich segnend heben:
Es blühe Ruhm und Sieg aus eurer 6lut!
Air denken eurer, die ihr schweigt und ruht —
Millionen Hände, die euch Rranje weben,
Millionen Herzen, die in Dank erbeben:
Es wuchsen Ruhm und Sieg aus eurem Blut . . .
Doch ihr, die ihr den Rrm ins Leere dehnet,
geweihte leid auch ihr; das schwere Los
Hel euch vor allen zu: ihr lebt und lehnet.
Air kahnden nicht nach einem Aort, das tröste,
5iir euren Schmerz - er flamme rein und groß:
Denn jene find Erlöser und Erlöste. . .
Hans Rrai Isbeitn er
Stunden, die Franzosen müssen derweilen auch
nicht hungern.
Und wie die Bayrischen endlich herauskom-
men, sind ihre Pferde schon mit roten Hosen
besetzt und die sechs Gewehre und die sechs
Säbel auch schon vergeben — die hat einer un-
bemerkt aus der Stube getragen. Der junge
Leutnant sitzt hoch auf dem Pferd vom Zagen-
teufel und kommandiert stramm, so daß sich die
fünf Reiter mit ihrem Gefreiteir keine» andern
Rat wissen, als zu Fuß zwischen den gut berittenen
Franzosen denselben Weg zurückzugehen, den sie
am Bormittag gekommen sind.
Die Bayern jodeln jetzt nicht mehr und
bedenken, daß sie da ein übles Stück voll-
bracht haben, und trauen sich nicht, ihren
Pferden ins Aug zu schauen; aber die Fran-
zosen sind umso lustiger. Zhre Gewehre
liegen richtig noch am selben Platz, jeder
findet seines und der Leutnant sucht den
Strunk von seinem Säbel zusammen; so
müssen die Bayern nach Frankreich ziehen,
anstatt die Franzosen nach Deutschland.
Gegen Abend kommen alle in ein franzö-
sisches Dorf. Kinder, Weiber und Männer
laufen zusammen und schauen sich jubelnd
die gefangene Armee an. Und die Franzosen
stolzieren einher, jeder wie ein Marschall, der
Leutnant mit dem zerbrochenen Säbel aber
wie Napoleon selber. Feierlich werden sie
zum Diner geladen. Der Lcutnairt, der weiß,
was sich schickt, sagt gleich auf die Ansprache
des Bürgermeisters:
„Unsere Feinde haben uns ein De-
jeuner serviert, wir wollen ihnen das Diner
nidzt schuldig bleiben!"
Und der Herr Maire ist rot vor Stolz,
daß er das siegreiche Heer mit seinen Ge-
fangenen bewirten darf, eine große Tafel
wird auf der Wiese gerichtet für die Fran-
zosen, die Bayern aber bekommen im Ge-
meindestübel, das vergitterte Fenster hat, ein
Diner mit feinem Wein vorgesetzt.
„Der Wein ist nicht schlecht!" schmun-
zeln die Gefangenen und begießen ihr trau-
riges Los.
Der Zagenteufel hat aber schon das
Eiserne Kreuz auf seiner Brust gesehen, und
so wurmt ihn, daß sich das Antlitz der wetter-
wendischen Kriegsgöttin schnöde von ihm ab-
gekehrt hat. Er geht — doch nicht bevor die
Flaschen leer sind — auf Kundschaft aus.
Eigentlich sollte die Tür versperrt sein, aber
die Kellnerin hat sie versehentlich offen ge-
lassen. Das erste, was dem Zagenteufel ins
Aug sticht, sind die sechs bayrischen Rösser,
die gut gefuttert haben und ihn mit Wiehern
begrüßen; nicht weit davon vorm Wirtshaus
tanzen die Soldaten mit den Dorfmädel».
Da geht der Zagenteufel um seine Mann-
schaft, sie schleichen zur Gewehr-Pyramide,
die ganz im Dunkeln steht, werfen die Gewehre
in den Brunnen außer ihre eigenen, die zu
unterst liegen, schnallen sich die breiten Säbel
um, sitzen auf und fahren mit „Hurra!"
in den Dudelsacktanz hinein.
Der Leutnant ist gleich da und springt
auf einen Tisch, die Soldaten laufen nach
ihren Gewehren, kommen aber wieder leer
zurück, und der Leutnant überreicht seinen
halben Degen dem Zagenteufel, der ihn die-
sesmal zwischen seinen Hände» bis auf den
Griff abbricht.
Dann marschieren alle den Weg zurück, den
sie heut schon zweimal gegangen sind, hinterdrein
Kinder und Weiber. Und das bayrische Heer jodelt
wieder wie am Vormittag und singt: „Muß i
denn, muß i demr zum Städtle hinaus!" —
und die Franzosen fangen an mitzusingen, weil
sie viel Wein getrunken haben und die Worte doch
nicht verstehen. Bei der Grenze müsse» die Mädel
Abschied nehmen, weinen auch eilt bissel dazu und
hoffen aufs Wiedersehen; und der Zagenteufel
mit seiner Patrouille führt hoch zu Roß (das
gefährliche Wirtshaus bleibt diesesmal rechts lie-
gen) seine Gefangenen ins deutsche Quartier
hinein.
1284
Bon Emil Lucka
Am dritten September, an einem son-
nigen Bormittag, hat sich's zugetragen, daß
fünf schwere bayrische Kürassiere, ein Ge-
freiter voran, das waldige Bogesental von
Stoßweiler hinauf gegen die Grenze geritten
sind, um ein bißchen nach Franzosen oder
anderem schlechten Volk, das an dem Ort
nichts zu suchen hat, Ausschau zu halten.
Weil ihnen die Zeit lang wird, fangen sie
an zu jodeln und zu juchezen, aber die Pferde
spitzen plötzlich die Ohren und der Gefreite
Zagenteufel schreit:
„Maul halten!"
Richtig kommt ein Zug Franzosen den
Weg daher, vielleicht sechzig oder siebzig
Leute, jeder sein Gewehr über der Schulter.
„Drauf!" schreit der bayrische General
und zieht sein breites Schlachtschwert, hinter
ihm das Heer. Und sie stimmen ein solches
Kampfgeschrei an, daß die Franzosen glau-
ben, die ganze deutsche Armee war schon
da, und werfen ihre Gewehre ins Gras.
Der Leutnant, der sie anführt, ein feines
Bürschel ohne Bart, tritt vor den Jagen-
teufet und bietet ihm mit einer guten Ver-
beugung seinen Degen an, den der Iagen-
teufel nimmt. Und weil er nicht weiß, was
er damit anfangen soll, stößt er ihn in einen
alten Baum hinein, daß das Federmesser gleich
abbricht. Dann brüllt er die Franzosen au:
„Vorwärts!" — und sie gehen ganz folg-
sam ihren Weg weiter, aber ohne Gewehre
und von fünf bayrischen schweren Reitern
flankiert und hinter einem Gefreiten her, an-
statt, wie bisher, hinter einem Leutnant. Und
sie schänien sich, weil sie geglaubt haben, cs
wäre die ganze deutsche Armee, nicht nur
sechs Mann.
Boni Tal herauf schlägt's gerade zwölf
Uhr, wie sie einem Wirtshaus nah kommen,
das sonst für Touristen und Fuhrleute be-
stimmt ist, jetzt aber verlassen steht. Der
Zagenteufel sieht das Wirtshaus schon von
weitem und muß sich das Bier vorstellen,
das dort vielleicht im Keller liegt. Und weil
ein braver Soldat dieselben Gedanken haben
soll wie sein Feldherr, denken alle fünfe mehr
ans Wirtshaus als an die Franzosen, die
zwischen ihnen her laufen. Auch das Pferd
voni Zagenteufel hat das Wirtshaus schon
bemerkt, und so geht der ganze Zug, er weiß
selber nicht wie, immer mehr nach rechts,
bis er vor der Türe halt macht.
Der Wirt und die Wirtin und ein paar
Kinder und andere Leute stehen da und
schauen mit großen Augen, wie sechs bayrische
Reiter sechzig oder siebzig Franzosen daher-
führen, und schreien: Hurra! —, denn sie sind
gut deutsch — und der Wirt sagt gleich, die Herren
Soldaten sollten hereinkommen und zu bezahlen
brauchten sie nichts.
Aber die armen Schlucker müßten auch was
kriegen! meint der Zagenteufel. Und richtig wird
den Franzosen zu essen und zu trinken heraus-
gebracht, während die Bayern vom Pferd steigen
und mit viel Freude ins gute Ziminer geführt
werden. Der Wirt schlägt gleich ei» Faß Bier
an und die Wirtin stellt sich zum Herd. Weil
aber ein Bayer nicht vom Bier weggeht, bis
das Faß leer ist, so dauert die Mittagsrast drei
Col. Max (München)
Requiem
Air denken eurer, deren junge 5lut
Sieb rauschend an die große Zeit gegeben —
tllillionen lfände, die sich segnend heben:
Es blühe Ruhm und Sieg aus eurer 6lut!
Air denken eurer, die ihr schweigt und ruht —
Millionen Hände, die euch Rranje weben,
Millionen Herzen, die in Dank erbeben:
Es wuchsen Ruhm und Sieg aus eurem Blut . . .
Doch ihr, die ihr den Rrm ins Leere dehnet,
geweihte leid auch ihr; das schwere Los
Hel euch vor allen zu: ihr lebt und lehnet.
Air kahnden nicht nach einem Aort, das tröste,
5iir euren Schmerz - er flamme rein und groß:
Denn jene find Erlöser und Erlöste. . .
Hans Rrai Isbeitn er
Stunden, die Franzosen müssen derweilen auch
nicht hungern.
Und wie die Bayrischen endlich herauskom-
men, sind ihre Pferde schon mit roten Hosen
besetzt und die sechs Gewehre und die sechs
Säbel auch schon vergeben — die hat einer un-
bemerkt aus der Stube getragen. Der junge
Leutnant sitzt hoch auf dem Pferd vom Zagen-
teufel und kommandiert stramm, so daß sich die
fünf Reiter mit ihrem Gefreiteir keine» andern
Rat wissen, als zu Fuß zwischen den gut berittenen
Franzosen denselben Weg zurückzugehen, den sie
am Bormittag gekommen sind.
Die Bayern jodeln jetzt nicht mehr und
bedenken, daß sie da ein übles Stück voll-
bracht haben, und trauen sich nicht, ihren
Pferden ins Aug zu schauen; aber die Fran-
zosen sind umso lustiger. Zhre Gewehre
liegen richtig noch am selben Platz, jeder
findet seines und der Leutnant sucht den
Strunk von seinem Säbel zusammen; so
müssen die Bayern nach Frankreich ziehen,
anstatt die Franzosen nach Deutschland.
Gegen Abend kommen alle in ein franzö-
sisches Dorf. Kinder, Weiber und Männer
laufen zusammen und schauen sich jubelnd
die gefangene Armee an. Und die Franzosen
stolzieren einher, jeder wie ein Marschall, der
Leutnant mit dem zerbrochenen Säbel aber
wie Napoleon selber. Feierlich werden sie
zum Diner geladen. Der Lcutnairt, der weiß,
was sich schickt, sagt gleich auf die Ansprache
des Bürgermeisters:
„Unsere Feinde haben uns ein De-
jeuner serviert, wir wollen ihnen das Diner
nidzt schuldig bleiben!"
Und der Herr Maire ist rot vor Stolz,
daß er das siegreiche Heer mit seinen Ge-
fangenen bewirten darf, eine große Tafel
wird auf der Wiese gerichtet für die Fran-
zosen, die Bayern aber bekommen im Ge-
meindestübel, das vergitterte Fenster hat, ein
Diner mit feinem Wein vorgesetzt.
„Der Wein ist nicht schlecht!" schmun-
zeln die Gefangenen und begießen ihr trau-
riges Los.
Der Zagenteufel hat aber schon das
Eiserne Kreuz auf seiner Brust gesehen, und
so wurmt ihn, daß sich das Antlitz der wetter-
wendischen Kriegsgöttin schnöde von ihm ab-
gekehrt hat. Er geht — doch nicht bevor die
Flaschen leer sind — auf Kundschaft aus.
Eigentlich sollte die Tür versperrt sein, aber
die Kellnerin hat sie versehentlich offen ge-
lassen. Das erste, was dem Zagenteufel ins
Aug sticht, sind die sechs bayrischen Rösser,
die gut gefuttert haben und ihn mit Wiehern
begrüßen; nicht weit davon vorm Wirtshaus
tanzen die Soldaten mit den Dorfmädel».
Da geht der Zagenteufel um seine Mann-
schaft, sie schleichen zur Gewehr-Pyramide,
die ganz im Dunkeln steht, werfen die Gewehre
in den Brunnen außer ihre eigenen, die zu
unterst liegen, schnallen sich die breiten Säbel
um, sitzen auf und fahren mit „Hurra!"
in den Dudelsacktanz hinein.
Der Leutnant ist gleich da und springt
auf einen Tisch, die Soldaten laufen nach
ihren Gewehren, kommen aber wieder leer
zurück, und der Leutnant überreicht seinen
halben Degen dem Zagenteufel, der ihn die-
sesmal zwischen seinen Hände» bis auf den
Griff abbricht.
Dann marschieren alle den Weg zurück, den
sie heut schon zweimal gegangen sind, hinterdrein
Kinder und Weiber. Und das bayrische Heer jodelt
wieder wie am Vormittag und singt: „Muß i
denn, muß i demr zum Städtle hinaus!" —
und die Franzosen fangen an mitzusingen, weil
sie viel Wein getrunken haben und die Worte doch
nicht verstehen. Bei der Grenze müsse» die Mädel
Abschied nehmen, weinen auch eilt bissel dazu und
hoffen aufs Wiedersehen; und der Zagenteufel
mit seiner Patrouille führt hoch zu Roß (das
gefährliche Wirtshaus bleibt diesesmal rechts lie-
gen) seine Gefangenen ins deutsche Quartier
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