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„Arkadi 2lntonitsch," rief sie, „man holt
dich ab, dich und alle — es gibt Krieg!"

Arkadi Antonitfch verstand zunächst nichts
und sperrte nur seinen Mund aus. Da packte
ihn einer der Gendarmen an der Schulter und
rüttelte ihn. „Vorwärts! Pack dich! Wir
haben keine Zeit!"

Katja aber hängt sich an ihren Mann, heulte
und schrie: „Euer Wohlgeboren, lasset ihn mir!
Wovon sollen wir leben? Es sind fünf Kinder
da, Euer Wohlgeboren! Wir sind ganz arm!
Wer soll uns ernähren? Euer Wohlgeboren,
ich flehe Sie an!"

Der zweite Gendarm riß sie weg. „Dummes
Weib! Haben wir dir nicht gesagt, daß es Krieg
gibt und daß alle fort müssen? Was heulst du?
Für dich und die Deinen sorgt der Zar! Fort
jetzt, scher' dich von der Stelle!" —

Arkadi Antonitfch meinte noch immer, alles
sei nur ein Traum. Wieso sollte plötzlich Krieg
sein? Und mit wem? Er lächelte blöde, sah
den Gendarmen demütig in die Augen und duckte
sich gehorsam. Kein Wort der Abwehr kam über
seine Lippen. — Die beiden Gendarmen gaben
ihm einen Stoß. „Marsch!" hieß es kurz und
bündig. Und Arkadi Antonitsch trottete ergebungs-
voll in ihrer Mitte.

Katja lief weinend hinter ihnen drein, dem
Dorfe zu.

* * *

Arkadi Antonitfch kam erst völlig zur Besin-
nung, als er in der nächstgelegenen Gouvernement-
stadt mit einer großen Anzahl anderer Zusammen-
getriebener in einen Eisenbahnwaggon gestopft
wurde. Die Kameraden, unter die er kam, be-
fanden sich in einer ähnlichen Verfassung wie er
selbst: wie geprügelte Hunde saßen sie mit stumpfen,
brütenden Gesichtern da und wußten nicht, wie
ihnen geschah.

Wie eine Bombe war zwischen sie, die ahnungs-
los gewesen waren, der Ausruf: „Krieg!" ge-
worfen worden, jener Ausruf, an den man sogleich
den brutalen Befehl gehängt hatte: „Ihr müßt
fort! Fort von Feld, Hütte, Weib und Kind!
Ihr müßt kämpfen! Gegen den Feind des Zaren!"

Wer aber war dieser Feind?

Es gab welche unter ihnen, die den Krieg
gegen die Japaner mitgemacht hatten, und die
sagten: „Gegen die Gelben!" Andere wider-
sprachen dem und riefen: „Nein, gegen die

Türken!" Dritte wollten wieder wissen, daß es
gegen die Engländer gehe, und nur ein einziger,
ein Jude, der verschüchtert in einer Ecke hockte,
warf mit blasser Stimme seine Meinung da-
zwischen: „Wir kämpfen gegen die Deutschen!"

Das begriff mm freilich keiner und alles fragte:
„Gegen die Deutschen? Warum?" — „Warum?"
schrie ein Angetrunkener, der bisher scheinbar ge-
schlafen hatte. „Ich weiß es! Die Juden sind
schuld! Sie haben die Deutschen gegen uns auf-
gehetzt, um den Zaren zu vernichten! Die Hunde,
die Juden!" — Darauf schwieg alles und dachte
nach. Itnb der verschüchterte Jude in seiner Ecke
kroch noch mehr in sich zusammen.

Arkadi Antonitsch aber dachte: Gegen die
Deutschen also! Er war ein Mensch, der sehr
dumm tat, der im Innersten aber nicht ohne eine
gewisse Pfiffigkeit war. Die Deutschen stellte er
sich alle als reiche und mächtige Herren vor, von
denen ein jeder fein Gut, sein Vieh und seine
Knechte halte. Gegen sie zu kämpfen, war wohl
nicht leicht. Freilich tat man es, solange man
dazu gezwungen wurde, cs zu tun. Man schoß,
und wenn man auch nur in die Luft schoß. Aber
. . . wenn die Gelegenheit sich bot .. . wenn man
dicht an den Feind herankam . . . wenn der
Feind über einen hereinbrach . . . diese großen,
mächtigen Deutschen . . . dann warf man einfach
das Gewehr fort, hob die Hände und bat: „Herr,
euer Diener! Wir sind friedliche Leute! Wir er-
geben uns! Habt Gnade!"

Mit diesem Gedanken, den er ganz allein für
sich behielt, von dem er aber wußte, daß ihn auch
die anderen hatten, beruhigte sich Arkadi Auto-

A. Schönmann

Waffen. Das Tierische in ihnen war plötzlich
mit aller Macht hervorgcbrochen. Jetzt duckte es
sich zum Sprunge. Die Spannung einer entsetz-
lichen wollüstigen Grausamkeit war in ihnen.

Wie von ungefähr kam Arkadi Antonitsch
die Erinnerung an sein Weib und an seine
Kinder. Eine wehe Sehnsucht packte ihn.
Aber er ertränkte sie sogleich in einer großen
Woge von Wut. Die Deutschen! Wo waren
sie? Waren sie nicht an allem schuld? Man
mußte sie mit dem Kolben erschlagen! Alle!

Matronen im Nhnensaai

Einsamer (inD wie setzt als se:

Ans grüben nur verstaubte Schilder
Anb längst vergilbte Rhnenbllber,

Doch übcrwälligt uns kein Weh.

Am Abenbgold bas schlanke Schlot!

Beginnt vor Freude auf,uleuchlen,

Well klirrend unsre Enkel scheuchten
Dom Aansaltar der Feinde Trost.

Der Wald rauscht oft in unfern Traum
So wie ein heiliger Heimalscgen.

Jur Zierde neuer Aelbenbegen
Bewahrt sein Grün ein seder Baum.

Arthur Silberslell

nitsch. Er war im Grunde ein Kind und hatte
keine Ahnung von den Schrecknissen des Krieges.
Von den wilden Reden des Angetrunkenen wandte
er sich ab. Er zog das blecherne Heiligenbildchen
hinter seinem Hemd hervor, schlug das Kreuz und
fing an zu beten.

ii« * *

Arkadi Antonitsch kam zu seiner Kompagnie
und erhielt Uniform, Munition und Waffen. Der
Hauptmann, ein bärtiger Mann mit einem ewig
roten Gesicht und den verglasten Augen eines
Trinkers, sagte zu seinen Leuten: „Höret, in
einigen Tagen sind wir in Deutschland. Dort
sind wir die Herren! Alles, was uns in den Weg
kommt, schlagen wir tot! Was wir finden, das
ist unser!"

In endlos langer Fahrt brachte sie die Eisen-
bahn von Ort zu Ort. Darauf marschierten sie
zwei Tage. Und dann hieß es plötzlich: die Grenze!
Über die Leute war ein sonderbares neues Gefühl
gekommen. Sie sahen ganze Horden von Kosaken,
deren Augen vor Mord- und Raublust glühten.
Sie hörten auch ihre Reden. Die Kosaken er-
zählten von dem Feinde als von Tieren, die mit
Stumpf und Stiel auszurotten seien. In ihren
Erzählungen wütete ein aufreizendes heiseres
Lachen. Sie hatten Höfe angezündet, Frauen,
Kinder und Greise getötet und von den Vorge-
fundenen Sachen sich genommen, was ihnen be-
liebte. Roch war ungeheuer viel da. Die russischen
Brüder gingen einem Feste entgegen!

Die Soldaten bekamen Branntwein, und auch
Arkadi Antonitsch trank. Daluit kam nicht nur in
seinen Körper, sondern auch in seine Seele ein
wohliges Glühen, das gleichsam nur darauf war-
tete, in einen hellen Brand umzuschlagen. Eine
primitive Tierheit kroch aus allen diesen Menschen,
die bisher gedrückte und friedliche Bauern gewesen
waren, hervor. Es war, als hätten sie Blut ge-
rochen, und als dürsteten sie jetzt danach, es auch
zu sehen. Die Reden ihres Hauptmanns wurden
immer zügelloser und wilder. Und die Soldaten
hingen jetzt mit funkelnden Augen an seinem
Munde.

Und dann hieß es plötzlich wieder: „Vorwärts
marsch!" Man war jenseits der Grenze. Es
ging an Gehöften vorbei, von denen nur noch
die Mauern standen, es ging durch tote Dörfer,
die noch rauchten. Wo aber waren die Menschen?
Die Äugen der Soldaten wurden gierig, ihre
Finger umfaßte» mit krampfhaftem Druck die

Und an einem Morgen pfiffen die ersten Kugeln
aus einem Dorfe zu den Russen herüber. Der
rechte Nebenmann von Arkadi Antonitsch griff
sich an die Brust und sank lautlos zusammen.
„Heilige Muttergottes!" dachte Arkadi Antonitsch
und spürte, wie ein heißer Schreck seine Ge-
därme zerwühlte.

Es war ein ganz kleines vorgeschobenes
Häuflein deutscher Soldaten, das sich vor der
Übermacht der Russen schießend aus dem Dorfe
zurückzog. Die Russen kommandierten: „Sturm!"
Und nach kaum einer Viertelstunde hatten sie
unter einer ungeheuren zwecklosen Munitions-
verschwendung das Dorf besetzt, während die
Deutschen längst verschwunden waren.

Ein wahrer Taumel bemächtigte sich der Russen.
Der Hauptmann, unter dem Arkadi Antonitsch
stand, schrie: „Die Hunde haben auf uns ge-
schossen! Lauft, packt sie und macht sie nieder!
Schont keinen! Vorwärts, Brüder! Macht, daß
keiner länger von ihnen lebt!" Undalle, an die
die Worte gerichtet waren, stoben auseinander,
drangen in die Häuser, in die Scheunen, in die
Keller, trieben die entsetzten Frauen, die schreien-
den Kinder, die bleichen Männer auf die Straße
und drangen mit dem Gewehrkolben und mit
dem Bajonett auf sie ein. Nach wenigen Minuten
war die Straße voller Toter. Aus manchen
Häusern kamen noch verzweifelte Hilferufe »an
Frauen. Dann war es still.

Arkadi Antonitsch stand in der armseligen
Stube eines ostpreußischen Landarbeiters und
starrte mit verglasten Augen auf sein Bajonett.
Es war rot von Blut. Und auch der Fußboden
war von Blut gerötet. In einer Lache aber lag
die Leiche eines alten Mannes, Und neben ihr
die eines etwa achtjährigen Mädchens.

„War ich cs, der das getan hat?" fragte sich
Arkadi Antonitsch und zitterte heftig. „Und
warum habe ich es getan? Warum? Es war
doch nur ein Kind! Es hatte so entsetzte Augen,
wie ein Hühnchen, das man tötet! . . . Ach nein,
ich war cs nicht, der es getan hat! Der Haupt-
mann war es! ... Wir sind arme Menschen!
Man hat uns von daheim fortgenommen, treibt
uns vorwärts, und wir wissen nicht, was wir
tun! Was will man von uns? Wer sind die
Deutschen? Wer ist der Zar? Wir wissen es
nicht! Wir sind friedliebende Leute!"

Und indem er plötzlich das Gewehr wegwarf,
brach er in Schluchzen aus, zog das Heiligen-
bildchen hervor und küßte es inbrünstig.

Schneller, als die Russen es sich hatten träumen
lassen, kamen die Deutschen wieder und säuberten
das Dorf.

Und noch am Abende des gleichen Tages stand
Arkadi Antonitsch an der Mauer jenes Hauses,
in dem er sich verkrochen und in dem man ihn
gefangengenommen hatte, und wurde erschossen.

Der Offizier, der die Exekution geführt hatte,
sagte im Tiefsten empört und in aufrichtigem Ekel:
„So ein Bursche! Man findet ihn bei den Leichen
und er gibt zitternd zu, daß er cs gewesen sei,
der beit Mann und das Kind erstochen hat! Zu-
gleich schlägt er Kreuze, winselt um Gnade und
schwört, daß er ein friedliebender Mann sei, der
noch nie eine Fliege getötet habe! Wer kennt sich
bei diesem Gesindel aus! Schade um das gute
deutsche Pulver, das sie kosten!" -

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Index
Anton Schönmann: Vignette
Arthur Silbergleit: Matronen im Ahnensaal
 
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