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Das Gift und der Soldat

Skizze von L. Andre»

Be! der Ankunft eines Berwundetentransportes
stach der blessierte Infanterist Josef Obertinipfler
in unbegreiflicher Weise eine Dame vom Bahn-
Hof-Labcdiensl nieder, die ihm beim Verlassen des
Zuges in liebenswürdigster Weise eine Erfrischung
dargeboten hatte. Da er auf dem Wege ins
Inquisitenspital seinen Verwundungen erlag, konnte
er über die Motive seiner völlig rätselhaften Hand-
lung nicht mehr ausgcforscht werden.

Ende Juli 1914 teilte der Bankbeamte Emil
Braun seinen in der Sommerfrische weilende»
Eltern mit, das; er bedauerlicherweise seinen Urlaub
nicht werde bei ihnen verbringen können, da man
infolge der politischen Lage von einer bevorste-
henden teilweise» Mobilisierung spreche und er
daher kaum dafür stehe, die Hauptstadt zu ver-
lassen, um vielleicht am nächsten Tage schon zu-
rückberufen zu werden.

Es mich gesagt werden, daß diese Mitteilung
bei den Eltern und Fräulein Stella, der Schwester,
nur teilweise,» Glauben begegnete und vielmehr
den Zweifel aufkommen ließ, ob nicht vielmehr
eine reizvolle Dame ihre Hände hier im Spiel
habe. Allerdings war Emil schon zweimal in den
letzten Jahren an die Grenze geschickt worden, das
letztemal insoferne mit einem Resultat für das
Vaterland, als einige Monate später der Herr
Braun die Alimentationsklnge einer Schankwirls-
tochter aus Kolomea erhielt, was zu recht stür-
mischen Auseinandersetzungen zwischen dem Vater
und dem noch minderjährigen Sohne führte.
Fräulein Stella lachte sehr und, da sie ein
soziales Mädchen war, fertigte sie alsbald ein
Kinderhäubchen an, das sie mit rosa Bändchen
durchzog und dem Bruder überreichte, der, es muß
leider gesagt werden, undankbar genug war, das
reizende Geschenk wütend ins Feuer zu werfen.
So sah die Familie Braun auch diesmal keinen
gewichtigen Grund, ihre Villegiatur aufzugeben.
Daß die Börse flau und ' selbst Fettschweine lust-
los waren, wie Herr Braun bei jedesmaliger Lek-
türe der Zeitung seufzend konstatierte, war ja
leider nichts Neues mehr.

Doch als Fräulein Stella eines Tages herunter-
kam, hing in der Halle die Mobilisierungsordre
und sämtliche Tennispartner waren über Nacht
verschwunden. Man kann sage», es war ein
verdorbener Sommer. Ein-, zweimal fuhr man
noch in die nahe Kreisstadt und sah dort die
Offiziere, so geschäftig hin und her eilen, als
wüßten sie nicht mehr, daß sie vor wenigen Tagen
mit einem getanzt hatten, was nicht nett von
ihnen war. Noch saß mau vergnügt in der
Konditorei, doch einige Tage später wurde der
Zivilverkehr eingestellt, alles ergriff die Flucht
und auch die Familie Braun hätte es getan,
wenn nicht ein Ischiasanfall der Mama sie ge-
zwungen hätte, noch einige Zeit auszuharren.

Das Bahnpersonal war natürlich auch ein-
gerückt und an seine Stelle kamen zwei Soldaten
zur Bewachung der Station. Der eine hieß Josef
Obertinipfler und war ein großer, blonder, stiller
Bursch, ein Holzhacker aus dem Lavanttal. Der
andere hieß Ignaz Riedinger und kommt, da er
klein war und schlechte Zähne halte, weder für
Fräulein Stella noch für diese Geschichte über-
haupt in Betracht.

Fräulein Stella war, wir sagten es schon,
ein soziales Mädchen. Sie bewies das, wenn

F. STAEGER

Posten

Ich stehe vor dem Feind auf Wacht.
Der erste Reif fällt diese Nacht.

Der löscht an meiner Liebsten Hans
Wohl manche schöne Blume ans. —

Die blanke Waffe fest zur Hand
Späh ich hinaus ins dunkle Land.

Dort liegen Blumen kalt und tot;
Die blühten früh noch frisch und rot.

Der scharfe Frost, der sie geknickt,

Er hat auch mir ins Aug geblickt.

Mein Leben liegt in deiner Hand,
Mein Vaterland.

Franz Langheinrich

sie an Bluinentagcn verkaufte und sie verkaufte
immer an Blumentagen. Dann hielt sie sich,
ungleich ihren Freundinnen, nicht an elegante
Passanten, sondern sie ruhte nicht, bis sie deni
Briefträger, dem Tramwayschaffner, ja selbst dem
Bettler an der Ecke den letzten Nickel abgeknöpft
hatte. Sie belohnte ihn dafür mit einem Augen-
aufschlag und nannte das gern ihren Kontakt
mit dem Volk.

Fräulein Stella trug eines Tages einen Brief
zum Bahnpostkasten, und bei dieser Gelegenheit
sah sie den blonden Infanteristen Josef Ober-
timpfler in seiner neuen Felduniform auf einer
Bank sitzen. Eine Viertelstunde später war sie
wieder da, beschenkte ihn mit Schokolade und
Zigaretten und saß auf der Bank neben ihm.
Dein Soldaten schmeckte weder Schokolade noch
Zigaretten. Er mochte auch nicht, daß Fräulein

Stella neben ihm saß. Er war ein dumpfer
Bursch, gewohnt, den ganzen Tag allein in den
Bergen zu sein, kannte nichts vom Leben, als
was ihm feine drei Militärjahre gezeigt hatten
und das war nicht viel, weil er nicht viel faßte,
und hatte nun noch die Erlebnisse der letzten
Tage in seinem Hirn zu verarbeiten. Er dachte
an die Pferde, die man assentiert hatte, an die
Feldfrucht, die auf den Ackern liegen bleiben
mußte, an die Frauen, die es allein nicht schaffen
konnten, die mit Kindern und hilflosen Alten
zurückblieben und weinten. In seinem Heimats-
dorf war überhaupt kein Mannsbild mehr. Er
begriff das alles nicht recht. Doch langsam,
während er hier auf die kleine Station acht gab,
die kein Mensch bedrohte, dämmerte es ihm auf,
daß cs etwas Ungeheures sein mußte, das alles
so aus der hergebrachten und von Gott gewollten
Ordnung riß, irgend etwas, das für sein armes
Gehirn zu groß war, doch dem man sich unter-
werfen mußte, weil es eine eiserne Notwendig-
keit war.

Fräulein Stella kam nun jeden Augenblick.
Wenn er Streckendienst hatte, durfte er nicht
reden, doch wenn er auf der Station war, spürte
sie das regelmäßig aus und saß bei ihm. Sie
sagte: „Ist das nicht hübsch, so ein bißchen Krieg?"
und „was machen Sie denn den ganzen Tag in
Ihren Wäldern?" und „ist es nicht nett, daß wir
so zusammensitzen und plaudern?" Sie hatte weiße
Schuhe an mit schwarzen Lackkappen, die beäng-
stigend wippten. Der Soldat haßte sie. Er hätte
nicht sagen können warum. Doch wenn sie kam,
fühlte er, daß etwas ungeheuer Großes, das da
war, geringer wurde. Er war nur ein armer,
historisch ungebildeter Mensch und wußte daher
nicht, daß es sogar Kaiserinnen gegeben hatte,
für die ihre „petlts guerre" nur eine kleine
Privatunterhaltung gewesen war. Fräulein Stella
war nicht hübsch, doch da sie den dringenden
Wunsch hatte, es zu sein, gelang es ihr beinahe.
Der Ignaz Riedinger, der gut beobachtete, sagte
einmal etwas sehr Anstößiges über sie, das sich
nicht gut wiedergeben läßt, das aber ungefähr der
Behauptung glcichkam, daß Fräulein Stella gut
daran täte, sich bald einen Gemahl zu suchen.
Da der Riedinger ein ganz gemeiner Mensch war,
der das Wort Flirt nicht einmal kannte, muß
man ihm das schon verzeihen.

Eines Tages wurde der Bahnverkehr für
kurze Zeit wieder eröffnet und damit entschwand
auch die Familie Braun. Fräulein Stella kam
in einein grünen Reiseschleier, lächelte den In-
fanteristen mit gepflegten, nur an ganz wenigen
Stellen plombierten Zähnen an und sagte: „Näch-
stes Jahr besuche ich Sie im Lavanttal."

„Nächstes Jahr," dachte Josef Obertinipfler
zornig, „wer lebt noch nächstes Jahr!" Der Zug
pfiff, deni Soldaten tat etwas weh und doch fühlte
er, daß die Luft mit einem Mal wieder rein war,
die Berge hoch und klar und alles Starke wieder da.

Am gleichen Abend wurden die Soldaten in
die Kreisstadt zurückberufen, Veteranen versahen
nun den Stationsdienst. Seltsame Dinge folgte»,
Ansprachen, Einwaggonierungen unter Gesang und
Jubel an den Haltestellen, Tagemärsche durch end-
lose Sandstrecken imd nächtliche Wacht am Lager-
feuer. Dem Infanteristen Josef Obertinipfler ging
dies alles zu rasch, weil er nur ein dumpfer Bauer
und vom vielen Alleinsein etwas schwach im Kopfe
war. Doch dies fühlte er schon, daß hier das
Große ganz in der Nähe war, daß man anders-
wo nur aus der Entfernung spürte, Laß es hier
einer riesigen Sache galt, für die man sich mit
Leben und Blut hinwerfen mußte . . . Irgend

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Register
Franz Langheinrich: Posten
Ferdinand Staeger: Illustration zum Text "Posten"
L. Andro: Das Gift und der Soldat
 
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