YSER BEI NIEUPORT
A. DOPOSCHEG-SCHWABENAU
Kaxrische durch Mieu
Im Anhängwagen der Straßenbahn war das.
Wir standen auf der vorderen Plattform: ich
und der ewige Raunzer. Unser Wagen kam nur
langsam voran. Kriegsverkehr war; der knebelte
die altgewohnte Straßenhast; willig litt jeder Da-
bleiber solch geringes Übel. Der neben mir aber,
Raunzer von Vorfahr her, sah nicht ein, weshalb
er „eine ganze Viertelstunde" einbüßen solle. Er
erhob mich zu seinem Leidensgenossen und blies
in mein friedliches Gemüt den Qualm seines
Zornes. Immerhin mit dem Erfolg, daß er für
seinen lauten Arger eine stille Entrüstung über
mein Nichtanteilnehmen eintauschte. Ein gut Teil
zufriedener, nämlich mit sich, wandte er mir ver-
achtend den Rücken und sah fortan zum entgegen-
gesetzten Fenster hinaus. Er gab nun Ruh. So-
gar als gleich wieder unsre Fahrt stockte und
die Wagen in langer Reihe sich stauten. Es
war das am Stadtgürtel und an einem Knoten
von Inner- und Borbezirk.
Der Raunzer guckte, sehr in Anspruch ge-
nommen, zu seiner Halbtür hinaus, den wirrenden
Fahrdamm entlang, dorthin, wo die Störung
sein mußte. Ich, auf meiner Seite, konnte nichts
Besondres sehen. Zum verwundern war nur:
wie mucksstille der Raunzer blieb! Den Ober-
körper schief hinausgebeugt, stierte er nach vorne,
wo die Straßen sich kreuzten und irgend ein
Unfall den Betrieb verlegte. Nicht ein Murren
gab er von sich: und ich klagte mich an: vorhin
herzlos gewesen zu fein; hätte er jetzt wieder
geraunzt, sicher würde ich ihn getröstet haben.
Als die Fahrt endlich flott vonstatten ging
und durch eine Allee dem Borort entgegen, da
sprach nnch mein Raunzer nochmals an. Er
nickte und zwinkerte lustig — und fragend rief
er aus:
„Woas — — de Bayrischen san stramm
vorüber!" —
Hatte der biedere Halunke mich nicht gerufen ..
Hatte bayrische Soldaten marschieren gesehen ...
und sich boshaft still verhalten, damit ich nicht
aufmerksam würde. Halte sich gerächt — und
höhnte jetzt:
„Gengan S' — — Sö hab'n de Bayrischen
net g'segn l?"
Rot anlaufen spürte ich meinen Kopf. ,Nicht
totschlagen!‘ ermahnte ich mich, verschluckte meinen
Grimm und flüchtete . . . war in einem Satz vom
Wagen auf die Straße und dort einer gerade
zurück in die Stadt fahrenden Elektrischen nach,
sprang auf und war schnell dort, wo die Bayern
vorllbergezogen sein mußten . .. Pom Westbahn-
hof her.. . Zum Ostbahnhof hin. Gewiß, dies
mußte der Weg sein. — Bom Westen kommen
sie, ziehen durch Wien und fahren gen Osten! —
Und wenn sie Wien durchqueren, vom einen
Bahnhof zuni andern, dann nmß jeder, dem die
Verbündeten begegnen, ein Stück mit — das
Stückchen guter Weg durch unsre Stadt die
Kameraden begleiten.
Also rannte ich den Bayern nach, holte den
Trupp ein und drängte mich in die mitmar-
schierende Menge. Neben mir hielt ein liebes
Wiener Müderl tapfer Schritt. Ich bot der
Kleinen den Arm, und sie nahm an, mit einer
Wärnie — den Bayern zugedacht!
Einträchtig marschierten wir und schrien Hoch
und Heil! — wenn vorne die Bayrischen aufs
neue begeisterte Zurufe bekamen.
Arthur Lemberg
*
Äh, tadellos I
Herr Leutnant mit Deinem Monokel,
Ich habe Dich manchmal verlacht.
Dein Sümmchen, so scharf wie ein Gockel,
Hat mich zum Schmunzeln gebracht.
Wie warst Du im Flirten verwegen,
Warst überall, wo „was los",
Und schnarrtest blasiert-überlegen:
„Ah, tadellos!"
Jetzt liegst Du, für mich zu bluten,
Dort draußen in Kälte und Not
Und teilst mit dem letzten Rekruten
Das letzte Stücklein Brot.
Stehst für uns all' auf der Wache,
Ist keine Gefahr Dir zu groß!
Herr Leutnant, wie steht Deutschlands Sache?
„Ah, tadellos!"
Und kehrst nach enipfangener Weihe
Als Sieger Du heimalwärts,
Dann will ich Dich bitten: „Verzeihe
Mir manchen vorlauten Scherz!
Ich konnte als Zivilist ja
Nicht ahnen, wie sehr Du famos,
Nun aber weih ich's: Du bist ja
Ah, tadellos!"
Karlclieu
Die Felöpoftfcarte
Bon Fritz Müller
Es war einmal ein Hochwald in Schweden.
Der war tausend Jahre lang guter Dinge. Wäre
auch ein Kunststück gewesen, das nicht zu sein,
wenn einen sommersüber die Sonne mit Iubel-
gold durchwebte, wenn in einem Vögel sangen,
und wenn einem wintersüber eine prächtig-weiße
weiche Decke niütterlich sorgsam über den herbst-
schläfrigen Leib gezogen wurde: „Schlaf, Kindlein,
schlaf ..." Und wenn einem nach der Nacht an
einem Frühlingsmorgen wieder unversehens das
lenzgrüne Kleid über den Kopf geworfeir wird:
„Steh auf, Kindlein, rausche wieder durch den
Tag und sei vergnügt!"
Jaja, da konnte man freilich guter Dinge sein.
Gar, wenn man wußte, daß man niemals
sterben würde. Daß man immer wuchs rmd
wuchs und nienials müde wurde, seines Lebens
froh zu sein.
Bis eines Tages eiir Rabe auf den: höchsten
Tannenwipfel saß und krächzte:
„Wald, du frohgemuter, auch deine Zeit ist
jetzt gekommen."
„Laß gut sein, Rabe, meine Zeit ist immer
da," rauschte der Wald.
„Du wirst mich schon verstehen, wenn sie jetzt
mit Sägen kommen, dich zu fällen, in die Hafen-
stadt zu schleifen, übers Meer zu spülen, dich in
Zellulose zu zerreiben —"
„Was ist das, Zellulose, Rabe?"
„Der Grundstoff fürs Papier."
„Was ist Papier, Rabe?"
„Ei, du bist ja wie ein neugebornes Kind,
daß du das nicht einmal weißt."
„Erzähle, Rabe, erzähle!"
„Papier ist das, worauf die Menschen schreiben
oder drucken —"
„Was ist schreiben oder drucken, Rabe?"
„Sei still, du wirst es schon erfahren, wenn
sie dich zerschrieben haben, armer Wald!"
„Warum bin ich dann arm?"
„Weil du dann kein Wald mehr bist, weil
nichts mehr Echtes an dir sein wird, nichts mehr,
das da wächst und wächst, durch das die Sonne
webt. Nichts mehr, wo,über es braust, nichts
mehr, darüber eine prächtig-weiße weiche Decke
hingelegt wird, wenn es Schlafenszeit >st —"
„Rab', hör' auf, hör' auf, und sag' mir: kann
das dann niemals wieder konnnen, wenn ich
zerschrieben und zerdrückt bin?"
„Nein, das kann niemals wieder kommen,
es sei denn, daß —"
Aber da schnitt schon einer Säge Kreischen
unten an den Stämmen des Rnbes Rede mitten
%
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A. DOPOSCHEG-SCHWABENAU
Kaxrische durch Mieu
Im Anhängwagen der Straßenbahn war das.
Wir standen auf der vorderen Plattform: ich
und der ewige Raunzer. Unser Wagen kam nur
langsam voran. Kriegsverkehr war; der knebelte
die altgewohnte Straßenhast; willig litt jeder Da-
bleiber solch geringes Übel. Der neben mir aber,
Raunzer von Vorfahr her, sah nicht ein, weshalb
er „eine ganze Viertelstunde" einbüßen solle. Er
erhob mich zu seinem Leidensgenossen und blies
in mein friedliches Gemüt den Qualm seines
Zornes. Immerhin mit dem Erfolg, daß er für
seinen lauten Arger eine stille Entrüstung über
mein Nichtanteilnehmen eintauschte. Ein gut Teil
zufriedener, nämlich mit sich, wandte er mir ver-
achtend den Rücken und sah fortan zum entgegen-
gesetzten Fenster hinaus. Er gab nun Ruh. So-
gar als gleich wieder unsre Fahrt stockte und
die Wagen in langer Reihe sich stauten. Es
war das am Stadtgürtel und an einem Knoten
von Inner- und Borbezirk.
Der Raunzer guckte, sehr in Anspruch ge-
nommen, zu seiner Halbtür hinaus, den wirrenden
Fahrdamm entlang, dorthin, wo die Störung
sein mußte. Ich, auf meiner Seite, konnte nichts
Besondres sehen. Zum verwundern war nur:
wie mucksstille der Raunzer blieb! Den Ober-
körper schief hinausgebeugt, stierte er nach vorne,
wo die Straßen sich kreuzten und irgend ein
Unfall den Betrieb verlegte. Nicht ein Murren
gab er von sich: und ich klagte mich an: vorhin
herzlos gewesen zu fein; hätte er jetzt wieder
geraunzt, sicher würde ich ihn getröstet haben.
Als die Fahrt endlich flott vonstatten ging
und durch eine Allee dem Borort entgegen, da
sprach nnch mein Raunzer nochmals an. Er
nickte und zwinkerte lustig — und fragend rief
er aus:
„Woas — — de Bayrischen san stramm
vorüber!" —
Hatte der biedere Halunke mich nicht gerufen ..
Hatte bayrische Soldaten marschieren gesehen ...
und sich boshaft still verhalten, damit ich nicht
aufmerksam würde. Halte sich gerächt — und
höhnte jetzt:
„Gengan S' — — Sö hab'n de Bayrischen
net g'segn l?"
Rot anlaufen spürte ich meinen Kopf. ,Nicht
totschlagen!‘ ermahnte ich mich, verschluckte meinen
Grimm und flüchtete . . . war in einem Satz vom
Wagen auf die Straße und dort einer gerade
zurück in die Stadt fahrenden Elektrischen nach,
sprang auf und war schnell dort, wo die Bayern
vorllbergezogen sein mußten . .. Pom Westbahn-
hof her.. . Zum Ostbahnhof hin. Gewiß, dies
mußte der Weg sein. — Bom Westen kommen
sie, ziehen durch Wien und fahren gen Osten! —
Und wenn sie Wien durchqueren, vom einen
Bahnhof zuni andern, dann nmß jeder, dem die
Verbündeten begegnen, ein Stück mit — das
Stückchen guter Weg durch unsre Stadt die
Kameraden begleiten.
Also rannte ich den Bayern nach, holte den
Trupp ein und drängte mich in die mitmar-
schierende Menge. Neben mir hielt ein liebes
Wiener Müderl tapfer Schritt. Ich bot der
Kleinen den Arm, und sie nahm an, mit einer
Wärnie — den Bayern zugedacht!
Einträchtig marschierten wir und schrien Hoch
und Heil! — wenn vorne die Bayrischen aufs
neue begeisterte Zurufe bekamen.
Arthur Lemberg
*
Äh, tadellos I
Herr Leutnant mit Deinem Monokel,
Ich habe Dich manchmal verlacht.
Dein Sümmchen, so scharf wie ein Gockel,
Hat mich zum Schmunzeln gebracht.
Wie warst Du im Flirten verwegen,
Warst überall, wo „was los",
Und schnarrtest blasiert-überlegen:
„Ah, tadellos!"
Jetzt liegst Du, für mich zu bluten,
Dort draußen in Kälte und Not
Und teilst mit dem letzten Rekruten
Das letzte Stücklein Brot.
Stehst für uns all' auf der Wache,
Ist keine Gefahr Dir zu groß!
Herr Leutnant, wie steht Deutschlands Sache?
„Ah, tadellos!"
Und kehrst nach enipfangener Weihe
Als Sieger Du heimalwärts,
Dann will ich Dich bitten: „Verzeihe
Mir manchen vorlauten Scherz!
Ich konnte als Zivilist ja
Nicht ahnen, wie sehr Du famos,
Nun aber weih ich's: Du bist ja
Ah, tadellos!"
Karlclieu
Die Felöpoftfcarte
Bon Fritz Müller
Es war einmal ein Hochwald in Schweden.
Der war tausend Jahre lang guter Dinge. Wäre
auch ein Kunststück gewesen, das nicht zu sein,
wenn einen sommersüber die Sonne mit Iubel-
gold durchwebte, wenn in einem Vögel sangen,
und wenn einem wintersüber eine prächtig-weiße
weiche Decke niütterlich sorgsam über den herbst-
schläfrigen Leib gezogen wurde: „Schlaf, Kindlein,
schlaf ..." Und wenn einem nach der Nacht an
einem Frühlingsmorgen wieder unversehens das
lenzgrüne Kleid über den Kopf geworfeir wird:
„Steh auf, Kindlein, rausche wieder durch den
Tag und sei vergnügt!"
Jaja, da konnte man freilich guter Dinge sein.
Gar, wenn man wußte, daß man niemals
sterben würde. Daß man immer wuchs rmd
wuchs und nienials müde wurde, seines Lebens
froh zu sein.
Bis eines Tages eiir Rabe auf den: höchsten
Tannenwipfel saß und krächzte:
„Wald, du frohgemuter, auch deine Zeit ist
jetzt gekommen."
„Laß gut sein, Rabe, meine Zeit ist immer
da," rauschte der Wald.
„Du wirst mich schon verstehen, wenn sie jetzt
mit Sägen kommen, dich zu fällen, in die Hafen-
stadt zu schleifen, übers Meer zu spülen, dich in
Zellulose zu zerreiben —"
„Was ist das, Zellulose, Rabe?"
„Der Grundstoff fürs Papier."
„Was ist Papier, Rabe?"
„Ei, du bist ja wie ein neugebornes Kind,
daß du das nicht einmal weißt."
„Erzähle, Rabe, erzähle!"
„Papier ist das, worauf die Menschen schreiben
oder drucken —"
„Was ist schreiben oder drucken, Rabe?"
„Sei still, du wirst es schon erfahren, wenn
sie dich zerschrieben haben, armer Wald!"
„Warum bin ich dann arm?"
„Weil du dann kein Wald mehr bist, weil
nichts mehr Echtes an dir sein wird, nichts mehr,
das da wächst und wächst, durch das die Sonne
webt. Nichts mehr, wo,über es braust, nichts
mehr, darüber eine prächtig-weiße weiche Decke
hingelegt wird, wenn es Schlafenszeit >st —"
„Rab', hör' auf, hör' auf, und sag' mir: kann
das dann niemals wieder konnnen, wenn ich
zerschrieben und zerdrückt bin?"
„Nein, das kann niemals wieder kommen,
es sei denn, daß —"
Aber da schnitt schon einer Säge Kreischen
unten an den Stämmen des Rnbes Rede mitten
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