Weit außen um die dunklen Reiterinassen da drüben war nur noch der
Ausweg. Aber auch hier war der Weg schon versperrt. Kaum tausend Schritt
in einer langen, grauen Linie kamen vielleicht hundert deutsche Infanteristen, das
Gewehr schußfertig im Arme, die Anhöhe heran.
Deutlich konnte Reginald Bartlett sie durch das Glas erkennen. Sie
stolperten durch das Feld wie eine Schützenkette, mit jenen aufgeregten Ge-
sichtern, die das Lebendigwerden des Wildes erwarten.
Wenn er mit seinen abgesessenen Dragonern dort in jene kleine Mulde
hinabstieg, konnte er sie wie die kleinen Kaninchen in die Schüsse seiner Leute
laufen lassen.
Dann würden sie sich überstürzen, schreien, fluchen, zuckende, unbekannte
Bewegungen machen, und der Weg war frei.
Welch ein Unsinn, daß er jetzt erneut Widerwillen und Trauer in sich
fühlte und einsam und verlassen war, wie da Ladi> Marion sich ihrem Bruder
zuwandte, der drüben mit offenen Gedärmen in, Graben lag. Welch ein Un-
sinn, daß ihn jetzt diese Trauer wieder überkonimen sollte — aber nicht dieser
stechende Schmerz sollte folgen, nicht der —
Eine ihm selbst unbekannte Stimme schrie aus ihm den Befehl zum Auf-
sitzen — ein wildes, überhitztes, »ach Besinnungslosigkeit begehrendes Bor-
wärtsstreben beseelte ihn und die ganze Mannschaft, die nun in rasender Karriere,
eng zusannnengefaßt, dahinsprengte.
Erst hörte er nur sein Blut rauschen und die Sättel knarren, als aber
die Dragoner ihr „hurree — hurrce —" ertönen ließen, da sah er schon wieder
alles weit von sich und die spukende Angst — es ist ein Unsinn — es ist ein Unsinn
— war wieder da — —
Und ohne daß sie den Schlag hörten, überstürzten sich Mann und Pferd
— schrieen — fluchten — zuckten in unbekannten Bewegungen, und während
Reginald Bnrtletts Pferd zurückwich, hörte er einen seiner Leute in fürchterlicher
Wut fluchen und vernahm jetzt auch die schrecklichen, maschinellen Explosionen
des Maschinengewehrs, das die Deutschen aufgestellt haben mußten.
Droben an den, Kieferstamm, wo ihn sein Pferd abwarf, hörte er noch
dies unerbittliche, gleichmäßige rr tack—rr tack —tack —tack —tack — rrtack —
tack — tack — tack — tack — tack — wie knarrende Kammräder, die ineinander laufen.
Es war aus nüt ihm, — er war unzweifelhaft niehrfach getroffen —
aus beiden Seiten quoll das Blut.
Er richtete sich auf, lehnte sich an die zerborstene Rinde der Kiefer und
gewahrte, wo er war.
Neben ihm lag das geschossene Reh von heute Morgen, mit eingefallenen
Lichtern und der Zunge aus dem Geüse, und in, hohen Gras ringsum summten
still die Insekten. Eine bewegliche Fliege nnt grün schillernden, Leibe saß auf
seiner Hand.
Er hätte gerne eine Zigarette geraucht, aber die Kräfte langten nicht mehr,
und so sah er mit seinen großen Augen, die so merkwürdig lange auf den
Gegenständen verweilten, auf den armselige» Kadaver des getöteten Tieres.
Bald lag er auch so da — aber das war nicht das, was ihn bewegte.
Dies schreckliche Fluchen des Soldaten, das er eben vernonimen, führte
ihn zu jener Stunde zurück, da ihn die Kriegsdepesche erreichte. Er fühlte den
Widerwillen wieder, die Trauer der Einsamkeit und die Abweisung Ladp Marions,
da sie seinem sehnsüchtigen Blick nicht folgen wollte. Ob er heute so gehandelt
hätte, wenn das damals sich nicht ereignet hätte, und war»», war er damals
so gewesen?
Er sann in die Dunkelheiten seines Lebens hinein. Irgendwo hatte ihn
die Kraft verlassen, wohl hatte er in Gewohnheiten und Gebräuchen geruht, aber
irgendwo hatten sie nicht ausgcreicht — —
Da vernahm er aus rauhen Kehlen drüben, wo die Deutschen gestanden,
ein Lied singen, und der Gedanke kan, ihm zum erstenmal, daß dort der Sieg
über die Truppen seines Landes erkäinpft worden war, und wiewohl er sich
sagte, es ist ein Unsinn, — kan, ihm doch die Angst, ob irgendwo England
die Kraft verlassen hätte, und ob irgendwo seine Gewohnheiten und Gebräuche
nicht ansreichen würden — zu siegen.
Er sann i» diese Dunkelheiten hinaus und starb mit schwerer Trauer belastet.
Ein Hund von einem belgischen Leichenfledderer raubte ihn aus.
krabbügel bei ClMeau Sallns
Schon: bis die ersten Zähne glücklich kamen;
Dann bis das große Einmaleins gedieh;
Und späterhin die Schrecklichen auf „p,t";
Dazwischen Masern, Hiebe, Römerdramen.
Und dann Paitdckten, Mädels und Examen;
Ja, und mitunter eine Seele, die
Sich suchend folterte und rang uird schrie . . .
Qual, Qtial tind Qtial mit immer neuem Namen.
Und alles: Nöte, Blust unb Überschwang,
Sehnsucht und Traum und schmerzliches Begreifen,
Es mußte sein, um diesen Tag zu reifen,
welchem nichts mehr als ein Wiesenhang
Ein hcrbstbesonnter war, lind Wut und Wille,
Und rote Nacht, und damr die große Stille . . .
Hans Lraitsstelmev
DIE BAYRISCHEN LEIBER BEI BADON
ylL^
PAUL RIETH (MÜNCHEN)
Ausweg. Aber auch hier war der Weg schon versperrt. Kaum tausend Schritt
in einer langen, grauen Linie kamen vielleicht hundert deutsche Infanteristen, das
Gewehr schußfertig im Arme, die Anhöhe heran.
Deutlich konnte Reginald Bartlett sie durch das Glas erkennen. Sie
stolperten durch das Feld wie eine Schützenkette, mit jenen aufgeregten Ge-
sichtern, die das Lebendigwerden des Wildes erwarten.
Wenn er mit seinen abgesessenen Dragonern dort in jene kleine Mulde
hinabstieg, konnte er sie wie die kleinen Kaninchen in die Schüsse seiner Leute
laufen lassen.
Dann würden sie sich überstürzen, schreien, fluchen, zuckende, unbekannte
Bewegungen machen, und der Weg war frei.
Welch ein Unsinn, daß er jetzt erneut Widerwillen und Trauer in sich
fühlte und einsam und verlassen war, wie da Ladi> Marion sich ihrem Bruder
zuwandte, der drüben mit offenen Gedärmen in, Graben lag. Welch ein Un-
sinn, daß ihn jetzt diese Trauer wieder überkonimen sollte — aber nicht dieser
stechende Schmerz sollte folgen, nicht der —
Eine ihm selbst unbekannte Stimme schrie aus ihm den Befehl zum Auf-
sitzen — ein wildes, überhitztes, »ach Besinnungslosigkeit begehrendes Bor-
wärtsstreben beseelte ihn und die ganze Mannschaft, die nun in rasender Karriere,
eng zusannnengefaßt, dahinsprengte.
Erst hörte er nur sein Blut rauschen und die Sättel knarren, als aber
die Dragoner ihr „hurree — hurrce —" ertönen ließen, da sah er schon wieder
alles weit von sich und die spukende Angst — es ist ein Unsinn — es ist ein Unsinn
— war wieder da — —
Und ohne daß sie den Schlag hörten, überstürzten sich Mann und Pferd
— schrieen — fluchten — zuckten in unbekannten Bewegungen, und während
Reginald Bnrtletts Pferd zurückwich, hörte er einen seiner Leute in fürchterlicher
Wut fluchen und vernahm jetzt auch die schrecklichen, maschinellen Explosionen
des Maschinengewehrs, das die Deutschen aufgestellt haben mußten.
Droben an den, Kieferstamm, wo ihn sein Pferd abwarf, hörte er noch
dies unerbittliche, gleichmäßige rr tack—rr tack —tack —tack —tack — rrtack —
tack — tack — tack — tack — tack — wie knarrende Kammräder, die ineinander laufen.
Es war aus nüt ihm, — er war unzweifelhaft niehrfach getroffen —
aus beiden Seiten quoll das Blut.
Er richtete sich auf, lehnte sich an die zerborstene Rinde der Kiefer und
gewahrte, wo er war.
Neben ihm lag das geschossene Reh von heute Morgen, mit eingefallenen
Lichtern und der Zunge aus dem Geüse, und in, hohen Gras ringsum summten
still die Insekten. Eine bewegliche Fliege nnt grün schillernden, Leibe saß auf
seiner Hand.
Er hätte gerne eine Zigarette geraucht, aber die Kräfte langten nicht mehr,
und so sah er mit seinen großen Augen, die so merkwürdig lange auf den
Gegenständen verweilten, auf den armselige» Kadaver des getöteten Tieres.
Bald lag er auch so da — aber das war nicht das, was ihn bewegte.
Dies schreckliche Fluchen des Soldaten, das er eben vernonimen, führte
ihn zu jener Stunde zurück, da ihn die Kriegsdepesche erreichte. Er fühlte den
Widerwillen wieder, die Trauer der Einsamkeit und die Abweisung Ladp Marions,
da sie seinem sehnsüchtigen Blick nicht folgen wollte. Ob er heute so gehandelt
hätte, wenn das damals sich nicht ereignet hätte, und war»», war er damals
so gewesen?
Er sann in die Dunkelheiten seines Lebens hinein. Irgendwo hatte ihn
die Kraft verlassen, wohl hatte er in Gewohnheiten und Gebräuchen geruht, aber
irgendwo hatten sie nicht ausgcreicht — —
Da vernahm er aus rauhen Kehlen drüben, wo die Deutschen gestanden,
ein Lied singen, und der Gedanke kan, ihm zum erstenmal, daß dort der Sieg
über die Truppen seines Landes erkäinpft worden war, und wiewohl er sich
sagte, es ist ein Unsinn, — kan, ihm doch die Angst, ob irgendwo England
die Kraft verlassen hätte, und ob irgendwo seine Gewohnheiten und Gebräuche
nicht ansreichen würden — zu siegen.
Er sann i» diese Dunkelheiten hinaus und starb mit schwerer Trauer belastet.
Ein Hund von einem belgischen Leichenfledderer raubte ihn aus.
krabbügel bei ClMeau Sallns
Schon: bis die ersten Zähne glücklich kamen;
Dann bis das große Einmaleins gedieh;
Und späterhin die Schrecklichen auf „p,t";
Dazwischen Masern, Hiebe, Römerdramen.
Und dann Paitdckten, Mädels und Examen;
Ja, und mitunter eine Seele, die
Sich suchend folterte und rang uird schrie . . .
Qual, Qtial tind Qtial mit immer neuem Namen.
Und alles: Nöte, Blust unb Überschwang,
Sehnsucht und Traum und schmerzliches Begreifen,
Es mußte sein, um diesen Tag zu reifen,
welchem nichts mehr als ein Wiesenhang
Ein hcrbstbesonnter war, lind Wut und Wille,
Und rote Nacht, und damr die große Stille . . .
Hans Lraitsstelmev
DIE BAYRISCHEN LEIBER BEI BADON
ylL^
PAUL RIETH (MÜNCHEN)