fjerr Schmidt, Miss vawson und
der Spanier
Eine lustige Erzählung aus der ersten Kriegszeit
Bon Richard Ricß (München)
Zwei Monate waren es, daß Otto Schmidt,
William Smiths einziger Sprößling, den
Sprung über die große Pfütze gemacht hatte
und in das väterliche Geschäft in New-Pork
eingetreten war, als jäh die Nachricht von dem
europäischen Riesenkriege in das friedliche
Komptoir blitzte und alles, was dort deutsch
empfand, in heillose Aufregung versetzte.
„Sofort pack' ich meine sieben Zwetschgen
zusammen," sagte Otto begeistert. „Ich niuß
zu meinem Regimente! Gib mir Deinen p. p.
Segen und fünfhundert Dollars."
Der Alte wurde ein wenig stutzig, aber er
konnte natürlich nicht nein sagen. Im stillen
empfand er sogar ein Leises an Befriedigung:
Gut so . . . gut so . . . Jetzt wird vielleicht
etwas abgetragen von der alten Schuld ....
Und während Otto den Panama auf den
Scheitel drückte und den Lift aus dem 21. Stock-
werk in das vierzehnte hinabbeorderle, flogen
die Gedanken des Vaters, von den plötzlich
aufgescheuchten Erinnerungen geleitet, in die
süddeutsche Residenzstadt, in der vor einund-
zwanzig Jahren ein Herr Wilhelm Schmidt,
der Prokurist eines großen Exportgeschäfts
war und .... aber das waren ja alte, längst
vergessene Dinge! Die alte Schuld.
Otto rüstete die Abreise. Der Vater, in allen
Dingen der Praxis erfahren, hegte zwar nianchen
Zweifel an der Möglichkeit einer erfolgreichen
Heimkehr, „die feindlichen Kreuzer würden schon
dafür sorgen, daß Kaiser Wilhelms Sergeanten,
die das Schicksal gerade in Amerika hielt, nicht
wieder in die alte Heimat zurückkämen ..." Aber
Otto war nicht umsonst zwei Monate in New-
Pork gewesen. Der schlanke, hübsche junge Mann,
selber lustig und an kecken Einfällen reich, hatte
in seiner Freude an abenteuerlichen Dingen gern
die Bekanntschaft jener Kreise gesucht, in denen
sich die Detektivgeschichten abzuspielen pflegen.
So kannte er auch die Hinterstube James Billys,
des Zigarrenhändlers. Die war nun das Ziel
seines ersten Weges. Er fand den alten Gauner
allein hinter deni Ladentisch und sagte, nachdem
er zur Begrüßung einen Mundvoll Tabakschleim
über den Kleinen hinweggespieen hatte: „Billy,
alter Verbrecher, willst du zwanzig Dollars ver-
dienen?" — „Wenn es auf ehrliche Weise ge-
schehen kann, so soll mich meine Urgroßmutter
in: Grabe verfluchen, wenn ich's nicht tät."
Es war eine ehrliche Sache. Und als Otto
Schmidt eine Stunde später zu seinem Vater
zurückkehrte, hatte er außer einem Passagierschein
des holländischen Schnelldampfers „Rosendaal"
den ausführlichen Reisepaß eines Herrn Anton
Vennli, Fabrikantensohn aus St. Gallen, in der
Tasche. Der Vater meinte: „Wenn nur man
alles gut geht" und gab ihm Segen, Abschieds-
kuß und fünf Hundertdollarnotcn. All die Papiere
aber, die den Reisenden als Herrn Otto Schmidt,
Kaufmann und Unteroffizier der Reserve aus-
wiesen, wurden zu eiitem artigen Päcklein ver-
schnürt, das man versiegelte und in die Weste
des neugebackenen schweren Fabrikantensohns
einnähte.
Andern Tags stach die „Rosendaal" in See,
niit dem Ziele: Amsterdam! —-Es war
ein herrlicher Augusttag, als sich Otto Schmidt
zum ersten Male zu einem kleinen Spaziergange
über das Promenadedeck des Dampfers entschloß.
Mit sich selbst zufrieden blickte er in das Wasser
hinab, über das die Sonne unzählige Glitzerchen,
winzigen Elfen gleich, tanzen ließ. An den beiden
ersten Tagen der Reise hatte sich sein Leben
zwischen Speisesaal, Rauchzimmer und seiner
kleinen Kabine abgespielt. Hier hatte er sich in
WINKERSIGNALE ant. SCHÖNMANN
einer eigenartigen Beschäftigung gefallen: vor sich
den Reisepaß Anton Bennlis, bedeckte er ein
großes Blatt Papieres mit Buchstaben: Anton
Vennli . . . Anton Vennli ... Er verglich. Nein,
was für raffinierte Schnörkel und Schlingen dieser
Anton Vennli in seiner Handschrift hatte! Uner-
müdlich wurde weiter geübt. Bald brachte er
das A ganz gut heraus. Er setzte eine Kolonne
von A's neben einander; dann das große V ...
Nach mehrtägigen Mühen lag ihm die Unterschrift
Anton Bennlis geläufig in der Hand. Nun sollte
einer kommen und sagen, er sei der Unteroffizier
Schmidt von den Stuttgarter Grenadieren! Hei,
welche Sicherheit fühlte er nun in sich! Der ganze
große Feldzug schien ihm plötzlich ein Kinderspiel.
Wenn er nur doch schon dabei wäre!
Der Deckoffizier begegnete ihm: „Wann werden
wir in Amsterdant sein?" fragte er auf Englisch.
„Wer weiß," gab der andere zurück, „jetzt, wo
auch England am Kriege beteiligt ist, kann man
nichts versprechen. Wenn uns ein Engländer ztl
Gesicht bekommt, werden wir unfehlbar einer
peinlichen Untersuchung unterzogen. Die Herr-
schaften sind scharf hinter den Dampfern' her.
Die Deutschen wollen alle zurück, um sich fürs
Vaterland erschießen zu lassen, und das neiden
ihnen eben ihre Herren Feinde." —
„Ich danke, guten Morgen." Otto Schmidt
ging weiter. Er fühlte sich sehr behaglich. Die
ganze Situation befriedigte ihn, denn die Span-
nung dieser Tage tat seiner Abenteuerfreude wohl.
Es tat ihm jetzt sogar fast leid, daß er sich zur
Erhöhung des Reizes nicht den Paß des Mister
Archibald O'Brien gekauft hatte. Er sprach fließend
englisch. Miß Dawso» hatte ihn heute erst beim
Lunch gefragt, ob er nicht ein Engländer sei.
Richtig, Miß Dawson! Wäre es nicht gut, den
Umgang mit ihr ein wenig zu forcieren?! Schmidt-
Bennli lächelte: die alte Scharteke! Spindeldürr
— und — brr! kneifertragend! Dieses knochige,
faltige Gesicht mit den glanzlosen Augen! Komisch,
daß ihr anderer Nachbar so darauf aus war,
mit ihr zu flirten! Sonst sind doch die Spanier,
wie es heißt, nur regeren Temperamenten ge-
wogen.
Otto Schmidt war jedenfalls sehr liebens-
würdig, als er der trefflichen Miß Dawson beim
Diner begegnete. Ihn lockte der Wettbewerb nüt
deni eifrigen Spanier und dann: wenn es wirk-
lich zu einem peinlichen Verhöre vor einem
englischen Inquisitor käme — der Vertraute
einer Miß Dawson hatte bessere Aussicht,
seinen Schwindel durchzusetzen, als ein Eigen-
brödler, der schon als solcher Verdacht erregt.
Er zog also die Miß eifrig in die Unterhal-
tung. Und auch sie war sehr liebenswürdig.
Denn sie war erneut von der Fertigkeit ent-
zückt, niit der er das Englische sprach. Die
unbeholfene Ausdrucksweise des Spaniers be-
leidigte sie geradezu. Denn sie fand es unfein
und ungebildet, daß jematid nicht fließend
englisch spräche. „Wenn nimi Sie sprechen
hört, unsere Sprak, glaubt man, Sie sind
ein enxliskmsn. Certainly . .."
Otto verbeugte sich. Die Unterhaltung ging
natürlich auch vom Kriege. „England wird
gewinnen," sagte die Miß. „Und es ist gut.
Denn ich habe nur englische Papiere.
40000 Pfund Sterling," fügte sie mit viel-
sagendem Lächeln hinzu.
„Sie werden gewinnen an Prozenten viel,
viel. Denn wir werden nehmen den Deutschen
das ganze Geschäft. O, es wird ein schöner
und nützlicher Krieg!"
Der Spanier wollte etwas entgegnen. Aber
er verkniff es sich, als er sah, daß Otto der
Miß beistininite und brumnite nur etwas in
seinen schwarzen Bart, der ihm martialisch
um die Lippen baumelte. Dann trank er,
was er recht häufig tat.
Als man nach Tisch gemeinsam auf Deck
spazieren ging, ward cs offenbar, daß der
Spanier seines Zeichens ein Zirkuskünstler
sei, und so unterhielt er denn die kleine Gesell-
schaft mit Kunststücken mancher Art. Er konnte
die Beine zu einer geraden Linie spreizen und
die Anne verdrehen, daß sie die Bewegung einer
Spirale vortäuschten. Als er schließlich dazu über-
ging, seinen Augapfel in der Augenhöhle ver-
schwinden zu lassen, fand sich Miß Dawson in
angenehmer Weise angegruselt und sagte lachend:
Er möge sich nicht so anstrengen. Der Spanier
aber versicherte ihr, in seinem Vaterlande wisse
man eine schöne Frau zu schätzen und märe für
sie zu allem fähig. Da sagte die Miß, wenn
dem so sei, dann möchte er doch mit nach Eng-
land kommen und ihr zu Liebe ins britische Heer
eintreten. „Wir sind kein Kriegsvolk," sagte sie,
„und lassen andere für uns Kümpfen. Aber wir
zahlen gut."
Der Spanier meinte, er habe dringende Ge-
schäfte in Holland, aber er werde vielleicht auf
Miß Dawsons Angebot zurückkommen. Man
merkte, daß ihn die Wendung, die das Gespräch
genommen hatte, unbehaglich stinrmte. Er suchte
auch bald einen Vorwand, um sich zu empfehlen.
Die anderen beiden ergingen sich noch ein
wenig auf Deck. Die Miß schwärmte von
der wunderbaren Meeresnacht und fragte dann
seufzend, ob auch Otto alles für sie tun würde.
Er solle mitkommen, sie habe die besten Be-
ziehungen und er werde sich sehr Wohlbehagen
in der britischen Armee.
Otto lächelte und sagte: „Mich treibt ein wich-
tiger und bedeutsamer Auftrag nach Hause. Aber
ich schwöre Ihnen, schönste Miß, daß ich nach
England hinüber kommen werde, sobald es mir
irgend möglich ist. Nach nichts Anderem sehne ich
mich. Und viele, viele meiner Landsleute auch."
Die Miß war begeistert: „Sie sind ein edles
Mensch! — Aber, was ist das für ein Auftrag,
der Sie von ein so schönes Ziel abhält? Ver-
trauen Sie sich mich an . . .!"
Otto fühlte das versiegelte Päckchen heiß auf
der Weste. Da kam ihm ein trefflicher Einfall:
„Es ist eine wichtige diplomatische Mission,"
sagte er flüsternd. „Aber .... eine Sache von
feinster Diskretion."
„Sie Glücklicher! Durch solch Zutrauen zu
werden beehrt!"
„Beneiden Sie mich nicht, schönste Miß! Sehen
Sic: Hier in der Weste muß ich die Schriftstücke
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der Spanier
Eine lustige Erzählung aus der ersten Kriegszeit
Bon Richard Ricß (München)
Zwei Monate waren es, daß Otto Schmidt,
William Smiths einziger Sprößling, den
Sprung über die große Pfütze gemacht hatte
und in das väterliche Geschäft in New-Pork
eingetreten war, als jäh die Nachricht von dem
europäischen Riesenkriege in das friedliche
Komptoir blitzte und alles, was dort deutsch
empfand, in heillose Aufregung versetzte.
„Sofort pack' ich meine sieben Zwetschgen
zusammen," sagte Otto begeistert. „Ich niuß
zu meinem Regimente! Gib mir Deinen p. p.
Segen und fünfhundert Dollars."
Der Alte wurde ein wenig stutzig, aber er
konnte natürlich nicht nein sagen. Im stillen
empfand er sogar ein Leises an Befriedigung:
Gut so . . . gut so . . . Jetzt wird vielleicht
etwas abgetragen von der alten Schuld ....
Und während Otto den Panama auf den
Scheitel drückte und den Lift aus dem 21. Stock-
werk in das vierzehnte hinabbeorderle, flogen
die Gedanken des Vaters, von den plötzlich
aufgescheuchten Erinnerungen geleitet, in die
süddeutsche Residenzstadt, in der vor einund-
zwanzig Jahren ein Herr Wilhelm Schmidt,
der Prokurist eines großen Exportgeschäfts
war und .... aber das waren ja alte, längst
vergessene Dinge! Die alte Schuld.
Otto rüstete die Abreise. Der Vater, in allen
Dingen der Praxis erfahren, hegte zwar nianchen
Zweifel an der Möglichkeit einer erfolgreichen
Heimkehr, „die feindlichen Kreuzer würden schon
dafür sorgen, daß Kaiser Wilhelms Sergeanten,
die das Schicksal gerade in Amerika hielt, nicht
wieder in die alte Heimat zurückkämen ..." Aber
Otto war nicht umsonst zwei Monate in New-
Pork gewesen. Der schlanke, hübsche junge Mann,
selber lustig und an kecken Einfällen reich, hatte
in seiner Freude an abenteuerlichen Dingen gern
die Bekanntschaft jener Kreise gesucht, in denen
sich die Detektivgeschichten abzuspielen pflegen.
So kannte er auch die Hinterstube James Billys,
des Zigarrenhändlers. Die war nun das Ziel
seines ersten Weges. Er fand den alten Gauner
allein hinter deni Ladentisch und sagte, nachdem
er zur Begrüßung einen Mundvoll Tabakschleim
über den Kleinen hinweggespieen hatte: „Billy,
alter Verbrecher, willst du zwanzig Dollars ver-
dienen?" — „Wenn es auf ehrliche Weise ge-
schehen kann, so soll mich meine Urgroßmutter
in: Grabe verfluchen, wenn ich's nicht tät."
Es war eine ehrliche Sache. Und als Otto
Schmidt eine Stunde später zu seinem Vater
zurückkehrte, hatte er außer einem Passagierschein
des holländischen Schnelldampfers „Rosendaal"
den ausführlichen Reisepaß eines Herrn Anton
Vennli, Fabrikantensohn aus St. Gallen, in der
Tasche. Der Vater meinte: „Wenn nur man
alles gut geht" und gab ihm Segen, Abschieds-
kuß und fünf Hundertdollarnotcn. All die Papiere
aber, die den Reisenden als Herrn Otto Schmidt,
Kaufmann und Unteroffizier der Reserve aus-
wiesen, wurden zu eiitem artigen Päcklein ver-
schnürt, das man versiegelte und in die Weste
des neugebackenen schweren Fabrikantensohns
einnähte.
Andern Tags stach die „Rosendaal" in See,
niit dem Ziele: Amsterdam! —-Es war
ein herrlicher Augusttag, als sich Otto Schmidt
zum ersten Male zu einem kleinen Spaziergange
über das Promenadedeck des Dampfers entschloß.
Mit sich selbst zufrieden blickte er in das Wasser
hinab, über das die Sonne unzählige Glitzerchen,
winzigen Elfen gleich, tanzen ließ. An den beiden
ersten Tagen der Reise hatte sich sein Leben
zwischen Speisesaal, Rauchzimmer und seiner
kleinen Kabine abgespielt. Hier hatte er sich in
WINKERSIGNALE ant. SCHÖNMANN
einer eigenartigen Beschäftigung gefallen: vor sich
den Reisepaß Anton Bennlis, bedeckte er ein
großes Blatt Papieres mit Buchstaben: Anton
Vennli . . . Anton Vennli ... Er verglich. Nein,
was für raffinierte Schnörkel und Schlingen dieser
Anton Vennli in seiner Handschrift hatte! Uner-
müdlich wurde weiter geübt. Bald brachte er
das A ganz gut heraus. Er setzte eine Kolonne
von A's neben einander; dann das große V ...
Nach mehrtägigen Mühen lag ihm die Unterschrift
Anton Bennlis geläufig in der Hand. Nun sollte
einer kommen und sagen, er sei der Unteroffizier
Schmidt von den Stuttgarter Grenadieren! Hei,
welche Sicherheit fühlte er nun in sich! Der ganze
große Feldzug schien ihm plötzlich ein Kinderspiel.
Wenn er nur doch schon dabei wäre!
Der Deckoffizier begegnete ihm: „Wann werden
wir in Amsterdant sein?" fragte er auf Englisch.
„Wer weiß," gab der andere zurück, „jetzt, wo
auch England am Kriege beteiligt ist, kann man
nichts versprechen. Wenn uns ein Engländer ztl
Gesicht bekommt, werden wir unfehlbar einer
peinlichen Untersuchung unterzogen. Die Herr-
schaften sind scharf hinter den Dampfern' her.
Die Deutschen wollen alle zurück, um sich fürs
Vaterland erschießen zu lassen, und das neiden
ihnen eben ihre Herren Feinde." —
„Ich danke, guten Morgen." Otto Schmidt
ging weiter. Er fühlte sich sehr behaglich. Die
ganze Situation befriedigte ihn, denn die Span-
nung dieser Tage tat seiner Abenteuerfreude wohl.
Es tat ihm jetzt sogar fast leid, daß er sich zur
Erhöhung des Reizes nicht den Paß des Mister
Archibald O'Brien gekauft hatte. Er sprach fließend
englisch. Miß Dawso» hatte ihn heute erst beim
Lunch gefragt, ob er nicht ein Engländer sei.
Richtig, Miß Dawson! Wäre es nicht gut, den
Umgang mit ihr ein wenig zu forcieren?! Schmidt-
Bennli lächelte: die alte Scharteke! Spindeldürr
— und — brr! kneifertragend! Dieses knochige,
faltige Gesicht mit den glanzlosen Augen! Komisch,
daß ihr anderer Nachbar so darauf aus war,
mit ihr zu flirten! Sonst sind doch die Spanier,
wie es heißt, nur regeren Temperamenten ge-
wogen.
Otto Schmidt war jedenfalls sehr liebens-
würdig, als er der trefflichen Miß Dawson beim
Diner begegnete. Ihn lockte der Wettbewerb nüt
deni eifrigen Spanier und dann: wenn es wirk-
lich zu einem peinlichen Verhöre vor einem
englischen Inquisitor käme — der Vertraute
einer Miß Dawson hatte bessere Aussicht,
seinen Schwindel durchzusetzen, als ein Eigen-
brödler, der schon als solcher Verdacht erregt.
Er zog also die Miß eifrig in die Unterhal-
tung. Und auch sie war sehr liebenswürdig.
Denn sie war erneut von der Fertigkeit ent-
zückt, niit der er das Englische sprach. Die
unbeholfene Ausdrucksweise des Spaniers be-
leidigte sie geradezu. Denn sie fand es unfein
und ungebildet, daß jematid nicht fließend
englisch spräche. „Wenn nimi Sie sprechen
hört, unsere Sprak, glaubt man, Sie sind
ein enxliskmsn. Certainly . .."
Otto verbeugte sich. Die Unterhaltung ging
natürlich auch vom Kriege. „England wird
gewinnen," sagte die Miß. „Und es ist gut.
Denn ich habe nur englische Papiere.
40000 Pfund Sterling," fügte sie mit viel-
sagendem Lächeln hinzu.
„Sie werden gewinnen an Prozenten viel,
viel. Denn wir werden nehmen den Deutschen
das ganze Geschäft. O, es wird ein schöner
und nützlicher Krieg!"
Der Spanier wollte etwas entgegnen. Aber
er verkniff es sich, als er sah, daß Otto der
Miß beistininite und brumnite nur etwas in
seinen schwarzen Bart, der ihm martialisch
um die Lippen baumelte. Dann trank er,
was er recht häufig tat.
Als man nach Tisch gemeinsam auf Deck
spazieren ging, ward cs offenbar, daß der
Spanier seines Zeichens ein Zirkuskünstler
sei, und so unterhielt er denn die kleine Gesell-
schaft mit Kunststücken mancher Art. Er konnte
die Beine zu einer geraden Linie spreizen und
die Anne verdrehen, daß sie die Bewegung einer
Spirale vortäuschten. Als er schließlich dazu über-
ging, seinen Augapfel in der Augenhöhle ver-
schwinden zu lassen, fand sich Miß Dawson in
angenehmer Weise angegruselt und sagte lachend:
Er möge sich nicht so anstrengen. Der Spanier
aber versicherte ihr, in seinem Vaterlande wisse
man eine schöne Frau zu schätzen und märe für
sie zu allem fähig. Da sagte die Miß, wenn
dem so sei, dann möchte er doch mit nach Eng-
land kommen und ihr zu Liebe ins britische Heer
eintreten. „Wir sind kein Kriegsvolk," sagte sie,
„und lassen andere für uns Kümpfen. Aber wir
zahlen gut."
Der Spanier meinte, er habe dringende Ge-
schäfte in Holland, aber er werde vielleicht auf
Miß Dawsons Angebot zurückkommen. Man
merkte, daß ihn die Wendung, die das Gespräch
genommen hatte, unbehaglich stinrmte. Er suchte
auch bald einen Vorwand, um sich zu empfehlen.
Die anderen beiden ergingen sich noch ein
wenig auf Deck. Die Miß schwärmte von
der wunderbaren Meeresnacht und fragte dann
seufzend, ob auch Otto alles für sie tun würde.
Er solle mitkommen, sie habe die besten Be-
ziehungen und er werde sich sehr Wohlbehagen
in der britischen Armee.
Otto lächelte und sagte: „Mich treibt ein wich-
tiger und bedeutsamer Auftrag nach Hause. Aber
ich schwöre Ihnen, schönste Miß, daß ich nach
England hinüber kommen werde, sobald es mir
irgend möglich ist. Nach nichts Anderem sehne ich
mich. Und viele, viele meiner Landsleute auch."
Die Miß war begeistert: „Sie sind ein edles
Mensch! — Aber, was ist das für ein Auftrag,
der Sie von ein so schönes Ziel abhält? Ver-
trauen Sie sich mich an . . .!"
Otto fühlte das versiegelte Päckchen heiß auf
der Weste. Da kam ihm ein trefflicher Einfall:
„Es ist eine wichtige diplomatische Mission,"
sagte er flüsternd. „Aber .... eine Sache von
feinster Diskretion."
„Sie Glücklicher! Durch solch Zutrauen zu
werden beehrt!"
„Beneiden Sie mich nicht, schönste Miß! Sehen
Sic: Hier in der Weste muß ich die Schriftstücke
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