Hinter den Schützengräben
Paul Segieth, 8. bayr. Inf.-Reg., 7. Komp.
<A6enLsegen
Nun tont daheim der Feierglocke Klang.
Von müden Schultern sinkt des Tages Last,
Und jede Hand, die sich im Felde regt,
Laßt Pflug und Spaten ruhn zur Abendrast.
Euch Tapfre mahnt kein Glockenschlag zur Ruh.
Ein ander Feld, ein blutig Ehreufeld,
Das eurer Saat einst reiche Ernte tragt,
Habt ihr in hartem Tagewerk bestellt.
Kein Dammerträumen führt euch sanft nach Haus.
Im Schützengraben liegt ihr auf der Wacht,
Und der Geschosse Eisenhagel pfeift
Zu Haupten euch den letzten Gruß zur Nacht.
Doch alle Glocken rings im deutschen Land,
Sie einen sich zum vollen Abendchor,
Und mit ihm steigt ans tiefstem Herzensgrund
Ein Nachtgebet für euch zu Gott empor.
Thusnelda wolff-Rcttneo
AeKerffüssige (Menschen
Von Dr. Ernst Franck (München)
Der Moralist ging von Scl>aufenster zu Schau-
fenster und betrachtete kopfschüttelnd und mist-
vergnügt die dort ausgestellten Ansichtskarten,
unter denen er trotz sorgfältigster Prüfung keine
frivolen Akte, keine unsittlichen Bilder von Rubens
oder Correggio zu entdecken vermochte, sondern
fast nur Darstellungen von Mannhaftigkeit, Helden-
mut, Bundestreue und Samaritertum gewahrte.
Vergeblich suchte er sodann die Auslagen der
Buchhändler nach pikanter Lektüre und verwerf-
lichen Neuausgaben ab: unmöglich, auch nur das
kleinste Boccaccio'chen zu entdecken! Oft freilich
zuckte er zusammen: auf großen Plakaten glaubte
er das Wort „Liebe" gelesen zu haben! Aber
wenn er genauer hinsah, handelte es sich immer
um „Liebesgaben", die sittlich beim besten Willen
nicht zu beanstanden waren. Als er schließlich
auch auf den Theaterzetteln kein französisches
Ehebruchsstück niehr angezeigt fand und kein
hochgeschlihter Rock ihn ein reizend bestrumpftes
Mädchenbein mehr eräugeln ließ, verzerrte sich
sein Gesicht schmerzhaft, und er stöhnte:
„Wenn ich bloß wüßte, wie ich am schnellste»
nach England komme, um mich wenig st ens
dort über die Deutschen sittlich ent-
rüsten zu können!"
Auf dem Schwabiuger Friedhof war cs, wo
ich meinen Freutid, den Pazifisten, traf. Es war
Allerseelentag. Im Strom der Friedhofsbesucher
irrte er friedlos umher.
„Reden Sie, bitte, nichts," begann er nervös,
als er mich erblickte, „ich weiß schon, was Sie
sagen wollen. Sie sind schon der dritte Mensch
hier, den ich verhindere, niir zu erklären: ,Ra,
Sie können sich auch begraben lassen/ Einer
hat mich sogar ,Bazifist' geschimpft! Es ist schreck-
lich. Ich finde auch hier keinen Frieden. Denn
wenn die Leute, die hier ihre Gräber schmücken,
reden, dann reden sie vom Krieg. Unter uns:
es war schon früher kein Vergnügen, Pazifist zu
sein, aber gegenwärtig ist es ein Verhängnis."
Er schwieg erschöpft. Dann erhellte sich sei»
vergrämtes Antlitz, und er sagte: „Kommen Sie,
lassen Sie uns ins Cafe gehn. Da sitzt der
ganze ungediente Landsturni, lauter entschieden
friedliche Leute, beisammen. Und wenn die vom
Krieg reden, dann flöten sie im schlimmsten Falle:
,Der Krieg ist eine wundervolle Expression ...‘ “
* * *
Im Cafe fanden wir, unter anderen über-
flüssigen Menschen, auch den Lizriker Rieder-
Maier sitzen. So schreibt er sich nämlich, um
die pstzchoanaliztische Spaltung seiner Persönlich-
keit, die er sich neuerdings zugelegt hat, „adäquat"
zu symbolisieren.
Rieder-Maier saß beim siebenten Glase Wasser
und dichtete wie ein gereizter Stier. Er schrieb
— warum soll man ihn schonen!? — ein pa-
triotisches Gedicht. Die andern waren erst beim
dritten Glase Wasser >uid machten auch nichts-
sagende Redensarten. Utid dann las Rieder-
Maier uns leider sein Gedicht vor. Wir hörten
etwas von heiliger Heimaterde, klirrendem Mus-
ketenfeuer, Botschaft der Granaten und darauf
reimte er natürlich Soldaten.
Ich bestellte mir einen Kognak, der Pazifist zwei.
„Also, was meint ihr dazu?" forschte Rieder-
Maier.
„Es hat keinen Marktwert," sagte einer vor-
sichtig. Er mar Rieder-Maier siebzig Pfennig
schuldig.
„Es ist keine Mark wert," sagte ein andrer.
Rieder-Maier mar ihm zwei Mark schuldig.
Rieder-Maier warf uns einen durchbohrenden
Blick zu, riß Hut und Mantel vom Stapel und
ging hinaus. Durch den Billardsaal: weil an
der vorderen Türe grade der Oberkellner stand.
„Will jemand nicht telephonisch die Redaktion
warnen?" fragte der Pazifist.
Dann kam der Oberkellner: „Ist der Herr
Rieder-Maier schon furt?"
„Wieso? Geht er Ihnen ab?"
Josef lächelte. „O mei, der Herr Rieder-
Maier. Der geht mir net ab. Aber mei Blei-
stiftl, das wo i ihm gelieh'n Hab', möcht' i wieder
hab'n — dös kann i net entbehr'»!"
Die Barbaren
„Diese verd ... Lerrnans! Selbst Gottes-
häuser sind vor ihrer Wut nicht sicher. Soeben
richten sie ihre Kanone» auf Dünkirchen!"
1344
Paul Segieth, 8. bayr. Inf.-Reg., 7. Komp.
<A6enLsegen
Nun tont daheim der Feierglocke Klang.
Von müden Schultern sinkt des Tages Last,
Und jede Hand, die sich im Felde regt,
Laßt Pflug und Spaten ruhn zur Abendrast.
Euch Tapfre mahnt kein Glockenschlag zur Ruh.
Ein ander Feld, ein blutig Ehreufeld,
Das eurer Saat einst reiche Ernte tragt,
Habt ihr in hartem Tagewerk bestellt.
Kein Dammerträumen führt euch sanft nach Haus.
Im Schützengraben liegt ihr auf der Wacht,
Und der Geschosse Eisenhagel pfeift
Zu Haupten euch den letzten Gruß zur Nacht.
Doch alle Glocken rings im deutschen Land,
Sie einen sich zum vollen Abendchor,
Und mit ihm steigt ans tiefstem Herzensgrund
Ein Nachtgebet für euch zu Gott empor.
Thusnelda wolff-Rcttneo
AeKerffüssige (Menschen
Von Dr. Ernst Franck (München)
Der Moralist ging von Scl>aufenster zu Schau-
fenster und betrachtete kopfschüttelnd und mist-
vergnügt die dort ausgestellten Ansichtskarten,
unter denen er trotz sorgfältigster Prüfung keine
frivolen Akte, keine unsittlichen Bilder von Rubens
oder Correggio zu entdecken vermochte, sondern
fast nur Darstellungen von Mannhaftigkeit, Helden-
mut, Bundestreue und Samaritertum gewahrte.
Vergeblich suchte er sodann die Auslagen der
Buchhändler nach pikanter Lektüre und verwerf-
lichen Neuausgaben ab: unmöglich, auch nur das
kleinste Boccaccio'chen zu entdecken! Oft freilich
zuckte er zusammen: auf großen Plakaten glaubte
er das Wort „Liebe" gelesen zu haben! Aber
wenn er genauer hinsah, handelte es sich immer
um „Liebesgaben", die sittlich beim besten Willen
nicht zu beanstanden waren. Als er schließlich
auch auf den Theaterzetteln kein französisches
Ehebruchsstück niehr angezeigt fand und kein
hochgeschlihter Rock ihn ein reizend bestrumpftes
Mädchenbein mehr eräugeln ließ, verzerrte sich
sein Gesicht schmerzhaft, und er stöhnte:
„Wenn ich bloß wüßte, wie ich am schnellste»
nach England komme, um mich wenig st ens
dort über die Deutschen sittlich ent-
rüsten zu können!"
Auf dem Schwabiuger Friedhof war cs, wo
ich meinen Freutid, den Pazifisten, traf. Es war
Allerseelentag. Im Strom der Friedhofsbesucher
irrte er friedlos umher.
„Reden Sie, bitte, nichts," begann er nervös,
als er mich erblickte, „ich weiß schon, was Sie
sagen wollen. Sie sind schon der dritte Mensch
hier, den ich verhindere, niir zu erklären: ,Ra,
Sie können sich auch begraben lassen/ Einer
hat mich sogar ,Bazifist' geschimpft! Es ist schreck-
lich. Ich finde auch hier keinen Frieden. Denn
wenn die Leute, die hier ihre Gräber schmücken,
reden, dann reden sie vom Krieg. Unter uns:
es war schon früher kein Vergnügen, Pazifist zu
sein, aber gegenwärtig ist es ein Verhängnis."
Er schwieg erschöpft. Dann erhellte sich sei»
vergrämtes Antlitz, und er sagte: „Kommen Sie,
lassen Sie uns ins Cafe gehn. Da sitzt der
ganze ungediente Landsturni, lauter entschieden
friedliche Leute, beisammen. Und wenn die vom
Krieg reden, dann flöten sie im schlimmsten Falle:
,Der Krieg ist eine wundervolle Expression ...‘ “
* * *
Im Cafe fanden wir, unter anderen über-
flüssigen Menschen, auch den Lizriker Rieder-
Maier sitzen. So schreibt er sich nämlich, um
die pstzchoanaliztische Spaltung seiner Persönlich-
keit, die er sich neuerdings zugelegt hat, „adäquat"
zu symbolisieren.
Rieder-Maier saß beim siebenten Glase Wasser
und dichtete wie ein gereizter Stier. Er schrieb
— warum soll man ihn schonen!? — ein pa-
triotisches Gedicht. Die andern waren erst beim
dritten Glase Wasser >uid machten auch nichts-
sagende Redensarten. Utid dann las Rieder-
Maier uns leider sein Gedicht vor. Wir hörten
etwas von heiliger Heimaterde, klirrendem Mus-
ketenfeuer, Botschaft der Granaten und darauf
reimte er natürlich Soldaten.
Ich bestellte mir einen Kognak, der Pazifist zwei.
„Also, was meint ihr dazu?" forschte Rieder-
Maier.
„Es hat keinen Marktwert," sagte einer vor-
sichtig. Er mar Rieder-Maier siebzig Pfennig
schuldig.
„Es ist keine Mark wert," sagte ein andrer.
Rieder-Maier mar ihm zwei Mark schuldig.
Rieder-Maier warf uns einen durchbohrenden
Blick zu, riß Hut und Mantel vom Stapel und
ging hinaus. Durch den Billardsaal: weil an
der vorderen Türe grade der Oberkellner stand.
„Will jemand nicht telephonisch die Redaktion
warnen?" fragte der Pazifist.
Dann kam der Oberkellner: „Ist der Herr
Rieder-Maier schon furt?"
„Wieso? Geht er Ihnen ab?"
Josef lächelte. „O mei, der Herr Rieder-
Maier. Der geht mir net ab. Aber mei Blei-
stiftl, das wo i ihm gelieh'n Hab', möcht' i wieder
hab'n — dös kann i net entbehr'»!"
Die Barbaren
„Diese verd ... Lerrnans! Selbst Gottes-
häuser sind vor ihrer Wut nicht sicher. Soeben
richten sie ihre Kanone» auf Dünkirchen!"
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