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Abschiev

Langes Schweigen, stilles Schaun,

Hand in Hand die nächtige Fahrt,
Stummes endlich Anvertraun,

Was kein Wort noch offenbart.

Junge Herzen, knospenscheu,

Brechen auf im Abschiedsweh.

Nicht ein Laut von Lieb' und Treu',

Nur: daß ich dich wiederseh'!

Marschgesänge, windesleis,

Tritte näher, Neih' um Reih' —

Jedes von den Beiden weiß:

Trifft die Kugel, fallen Zwei.

Ernst Rosmer

Aalblur

Eine Geschichte von der Waterkant
Von Hanns chechner

Der alte Kapitän Wrag ging in feierlichem
Sonntagsstaat die Gaffe „am Strom" hinauf:
in dem bedächtigen Wankschritt, den der See-
mann bis zu seinem Ende nicht aufgibt. Gele-
gentlich erwiderte er die freundlichen Zurufe von
den Häusern her; blitzblanke Häuser, geputzt und
gescheuert, wie zur Ausfahrt bereitliegende Schiffe.
Trotz des ernsten feiertägigen Gewandes lagen
allerhand listige und spottfröhliche Fältchen um
den Mund des Kapitäns, und feine Augen blin-
zelten zeitweise so vergnügt, daß einer seiner alten
Freunde ihn durchaus mit einem lustigen „Schiff
ahoi" für ein paar Minuten aus der Fahrt
bringe» muhte.

„Kieck," sagte er, „wie kommst du mich vor,
mein ollen Jung? An 'n hellen lichten Alltag
mit 'n Kirchenhut bei Wege? Und obendrein noch
gar mit 'n Spazierstock?"

„Spazierstock —" wiederholte Wrag gedehnt.
„Hast du woll je und jemals ein Seeniann mit
'n Spazierstock angetroffen? Dies is ein abge-
takelten Regenschirm. Kannst du das nich sehen?"

„Nee," sagte Iensen. „Aber wo willst du da
mit hin? Sonntag is heute nich und eine Leiche
auch nich."

„Bein Bogt," antwortet Wrag feierlich.

„Otza." Iensen setzte sich fester in seinem
Stuhl zurecht „Was is passiert? In '» Dienst
was? Ich bin je man bloß froh, daß ich da »ich
mehr mit bei bin. Pen—st—oniert is fein. Ich
Hab nu alle Arbeit gänzlich enffagt und fitz bloß
noch vor mein Türe und kuck mich die jungen
hübschen Frugenslüd an. Und wenn ein von
meine alten Freunde da vorbeikreuzt, denn befrag
ich mich, was er woll vorhat. Aber Sorge mach
ich mir da nich um. Was willst du in die
Bogtei?"

„Dienstlich is es nich. Aber reden kann ich
da auch nost nich über." Wrag jao lehr feier-
lich aus: auch ein bißchen ungemütlich, denn der
Eingeborne geht unter keinen Umständen gern
auf d-e Bogtei zur Gerichtsbarkeit.

„Hast du Em umgeb.acht?" fragte Icnfen
vergnügt und zwinkerte mit leinen kleinen hellen
Augen.

„Nee. Dies nu nich grade. Aber ein büschen
was Mörder iches s da doch mit bei, das kannst
du m.ch zuglauben."

Iensen strahlte. „Gott du bewahre, wo kann
das woll zugehen? Na, denn komm du man
eins bei mich vor auf die Heimfahrt und leg
hier eti büschen an und erzähl mich dein feine
Mordgelchichte."

„Das will ich woll; denn nachher is es irich
mehr-amtlich. Nu muß ich aber weiter, sonst
verpaß ich meine Reih."

Grade als der Alte auf der Bogtei einlraf,
fuhr das zweite Lotsenboot aus. Wrag kon-

DER PIONIER RICH. ROST

statierte es mit Genugtuung; denn er gehörte zur
dritten Reihe und bis er „drankam", war die
Verhandlung da drinne wohl zu Ende und er
kam nicht um lein Lotsengeld.

Im Vorzimmer oben saßen ein paar Fraueii.
Die eine weinte unterdrückt und bearbeitete das
verheulte und verfchwollene Gesicht krampfhaft
mit dem Schnupftuch. Der Bogt erschien, die
Parteien wurden aufgerufen, und es begann die
Ausschreibung der Personalien.

„Kapitän Friedrich Franz Wrag. Das sindSie?"

„Wird woll stimmen, Herr Bogt."

„Ehemaliger Kapitän des Kauffahrteischiffes
,Iduna* von der Reederei R. Marx und Söhne
in Bremen?"

„Vollständig richtig."

„Geboren zu Rostock in Mecklenburg am
3. August 1842. Stimmt das auch?"

„St.mmt auch."

„Sie baben die verwitwete Seemannsfrau
Ifabella Winkelmann zur Anzeige gebracht, weil
sie angeblich einen Vergiftungsversuch aus Sie
unternommen haben soll."

„Das wird woll auch so stimmen."

„Ist die beschuldigte Ifabella Winkelmann an-
wesend?"

„Iawoll," kam es leise von dem Stuhl her,
wo die Alte saß.

„Dann kommen Sie mal hier ran."

Langsam und mit entsetztem Gesicht näherte sie
sich dem Richtertisch. Lagen da nicht etwa schon
Ketten?

„Ifabella Winkelmann, verwitwete Gattin des
Steuermanns 'Ferdinand Winkelmann, geboren
hier in Warnemünde am 5. August 1846; ist das
richtig?"

„Iawoll —"

„Sie sind Wirtschafterin beim Kapitän Wrag?"

„Iawoll —"

„Angeklagte Ifabella Winkelmann, ich frage
Sie jetzt: was haben Sie dem Kapitän Wrag
am Sonntag zuni Frühstück in fein Glas Ma-
deira geschüttet? Allem An chein nach war es
irgend ein Gfft, sintemalen den Kapitän nach dem
Genüsse heftiges Uebelfein befiel, das merund-
zwanzig Stunden lang anhielt."

Wiag drehte sich um und besah sich seine
Wirtschafterin erwartungsvoll und mit fidelem
Augenzwinkern. Leise und immer noch weinerlich
begann die Angeklagte ihre Verteidigungsrede.

„Der Kaptein hat niemals nich über mir zu
klagen gehabt, das will ich Sie mal gleich vorn-
weg sagen, und ich Hab mich immer.os die größte
Mühe gegeben, gut für ihm zu >orgen, und sein
Haus Hab ich ihm auch immer gut instanüe ge-
halten, und vergiften wollt ich ihm gar und gar
nich, das is ein ganz ausverschämle Lüge." —
Sie holte einmal tief Atem und fuhr dann muti-
ger fort. — „Paffen Sie mal eins auf, Herr
Bogt, ich muß Sie das erklären. Wenn er
nu doch da» schöne Haus hat, und kein ein-

zigen Verwandten, der da auf lauert, und
wenn er mir doch nu versprochen hat, daß
ich das Haus kriegen soll wenn er mal tot
is, und wenn er nu noch nich mal ein Testa-
ment gemacht hat — — muß ich da »ich
bange werden, wenn er so scheußlich viel
trinken tut? Kann ihn da nich mal was pas-
sieren, und denn Hab ich nich mal was Schrift-
liches? Denn wie soll er woll sein Testament
aufschreiben, wenn er immerlos betrunken is?"
Der Bogt sah den Kapitän frage> d an.
„Haben Sie der Angeklagten Winkel-
mann versprochen, ihr das Haus testamenta-
risch zu vermachen?"

„I Gott du bewahre," antwortete Wrag
vergnügt, „ich Hab bloß gesagt, es könnt
vielleicht sein, daß ich mal so was tät,
wenn sie mich immer gut versorgen würd,
bis ich die Augen zumach."

Die Wirtschafterin schluchzte laut auf. „Wie
kann er denn merken, daß ich gut für ihn sorg,
der oll Suput, wenn er immer im Tran is!"

„Oho!" rief der jetzt, „das hört sich ja ganz
doll an. Das kann ich mir denn nu doch nich
bieten lassen. Wenn ein Bollschiff gut unter
Wind gehen soll, denn muß es sein richtigen
Ballast haben. Und mit das Trinken ist das
ebenso. Ich verstau nich mehr, als wie ich für
mein tägliche Fahrt brauch. Da darf mich Winkcl-
mannsch noch laug »ich Suput schimpfen. Bei
ihren Steuermann hält sie das je woll gekonnt.
Der hat nie gewußt in sein Leben, wieviel La-
dung daß er einnehmen darf. Sonst wür er
nich so früh aus die Welt rausgesegelt."

„Das is es ja grade," fiel die Alte ein, „daß
ich immer an mein sei'gen Mann denken muß,
wenn ich Ihr» scheußlichen Lebenswandel zukuck.
Akkurat so wie Winkelmnnn machen Sie das.
Und denn geht das nachher auch so wie bei den:
mit eins war er tot. Und denn? Was denn?
Denn sitz ich wieder da." Sie begann heftiger
zu schluchzen. — „Und mit das Gift hat es ein
ganz andre Bewandnis. Und Gift war es über-
haupts gar nich. Bloß e» büschen Aalblut."

„Aalblut?" fragte der Bogt mit etwas Entsetzen
und viel Interesse. „Was soll denn das heißen?"

Wrag schlug sich auf den Schenkel und gab
einen Ton von sich, als wenn er sich verschluckt
hätte. Mit einem Gesicht, das vor Erwartung
und Vergnügen strahlte. Hörle er dann der Er-
klärung zu, die die Alte abgab.

„Das is ja eben das alte Geheimnis, wie
man die Trunksucht vertreiben kann. Man nimmt
ein dicken Aal, — aber cs muß ein gestohlnen
Aal sein, — den ninunt man ganz heimlich vor,
in der Nacht, und denn ichneidt man ihn den
Hals auf, und denn läßt man von das Blut in
ein kleinen Topf laufen, und denn nimmt man
von das Getränk, das den ollen Suput gehört,
und da rein gießt man das Aalblut, aber das
muß auch heimlich gcnincht werden, und das
Getränk muß man ihn auch heiml-ch wegnehmen,
und denn is die allergrößte Hauptsache der Aal
muß noch so lange leben b.eiben, bis das aus-
getrunken is, und das Ganze is ein furchbar
schwere Geschichte, weil der Aal das nich will
und weil er sich so scheußlich bei anstellt und weil
man ihm beinah gar nich festhalten kann, und
mit das Stehlen is das auch nirfi io einfach,
weil doch Iedwerein auf fein Fischkasten anf-
paßt und ich mußt nach ganz gefährlich in Acht
nel.men, wie ich da an Lenz sein Stelle ging,
und der Mond schien nich mal, denn das is ver-
boten, Ulid nu is doch alles vergeblich, —" sie
brach wieder in Schluchzen aus.

„Was ist vergeblich?" fragte der Bogt, der
mit Wrag fröhliche Blicke getauscht hatte.

„Es kann nich helfen, denn von die galize
Geschichte darf kein Sterbenswort gesprochen
werden, und nu Hab ich alles erzählen müssen,
weil daß der verdamnitige Kierl da von Gift
geschtiackt hat."

„Na, Kaptän Wrag," sagte der Bogt nach
einer nachdenklichen und mit Räuspern ausge-

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Index
Richard Rost: Der Pionier
Ernst Rosmer: Abschied
Hanns Fechner: Aalblut
 
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