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füllten Panse, „ich denke, Sie geben zu, daß Ihr
Verdacht grundlos war, und ziehen Ihre An-
zeige zurück. Oder wollen Sie das Gesöff erst
noch mal untersuchen lassen? Ich mein', Sie
könnten es woll auch so glauben, was?"

„Das will ich woll, Herr Vogt. Ich bin je
da auch nich an gestorben, wie ich merke. Ich
freu mich bloß, daß sie sich mit ihr altes dummes
Weiberzeug bis auf die Knochen blamiert hat.
Aber —" nun wurde er ernst und nahm fein ver-
gnügtes Gesicht in strenge Falten — „darf sie
mir zu so ein eklichen Hokuspokus von mein
guten, feinen, alten Madeira mausen, den ich mich
zum Andenken an mein letzte Fahrt im Keller
aufheb? Das is ein ganz gemeinen Diebstahl,
und dafür muß sie in scl,were Strafe genommen
werden."

Der Vogt bedachte sich ein wenig. „Ja,
Winkelmannsch," sagte er alsdann zu der Ange-
klagten, die in hohen Ängsten wartete, was nun
noch konunen solle, „da kann ich Ihnen freilich
nicht helfen, eine kleine Buße muß ich Ihnen schon
auferlegen, denn Sie haben sich zu Ihrem Werk,
das Sie in gutem Glauben begingen, unerlaubter
Mittel bedient."

„Gottogott, Herr Vogt," rief sie entsetzt,
„stecken Sie mir man nich ins Loch, das könnt
ich nich überleben, ich will das je nie und nie-
mals wieder tun!"

„Das will ich hoffen. Und darum will das
Gericht Gnade vor Recht ergehen lassen und Sie
nur zu einer Mark Geldstrafe verurteilen, die Sie
in die Armenkasse zu zahlen baden. — Was ist
denn mit Ihnen los, Kaptein? Was kucken Sie da
so eifrig, und warum sehen Sie so wütend aus?"

Wrag drehte sich eben voni Fenster her unr.
„Gott verdammich," sagte er verdrießlich, „da geht
mein Boot raus, ich Hab meine Reih verpaßt,
der Taler is zum Henker, und das alles um das
alte Reff."

Die Mitteilung, daß Winkelmannsch ihre Mark
Strafe zu blecken habe, versöhnte ihn etwas mit
der gestörten Weltordnung. Rach umständlicher
Unterschreibung des Protokolles wurden die Bor-
geladenen entlassen und gingen verträglich zu-
sammen nach Hause.

Eine Stunde später saß Wrag bei Iensen vor
der Tür und stattete Rapport ab.

„Und nu kommt das Dollste, nu paß mal auf.
Kann sie nich zufrieden sein, daß sie so gut ab-
gekommen is? Könnt sie nich ganz anders auf-
laufen? Ree, was tut sie? Schleicht da so ko-
misch rum, niit was unter ihr Schürze. Ich denk:
hallo, was hat sie nu wieder vor? und krieg ihr
an Arni zri fassen, und zieh die Schürze weg, und
was hat sie drunter? Meine Buddel, mein Ma-
deira, wo sie schon das Glas von abgegossen halt,
was ich mit den Aalblut saufen mußt, das will
sie sich nu so ganz geniütlich als Strandgut auf
Seite bringe». Und wird auch noch grob 1111b
unverschämt und sagt, das hat sie sich mit ihre
Mark Strafe redlich verdient. Und sie hat nich
eher aufgehört mit Schimpfen und Heulen, bis
ich sagte, denn wollten wir man stracks wieder
auf die Vogte! wandern, rmd denn könnt sie sich
je man gleich ihr Nachtjack mitnehmen, da würd
sie denn wall fest eingespunnen werden. Da ließ
sie endlich los und ging wütend in ihr Kammer.
Und hier is nu die Buddel, und nu sollst du selbst
sagen, daß sie das wert is, daß man sich mit ein
altes Weibsbild düchtig in die Haare fährt. So,
Steward, Gläser her!"

Enttäuschung

Lin Kriegsfreiwilliger liegt im Schützengraben.
Eine Anzahl Briefe und etwa 2 Dutzend pufctc
mit Liebesgaben sind an ihn abgegangen. Be-
kommen hat er nichts als einen Brief. Und während
er sehnsüchtig auf Nachricht von zu pause wartet,
bringt man ihm — eine Steuerforderung der
Gemeinde X. mit der Mitteilung, daß die Steuer
trotz seiner im September erfolgten Reklamation
bezahlt werden müsse.

Auf Posten

Im Osten glimmt der junge Tag,

Kühl geht ein Hauch durchs stille Feld.
Noch schlaft das Heer
Traumlos und schwer.

Gott weiß, was heute kommen mag.

Am Wegrand ward im Abendschein
Manch kühle Lagerstatt bestellt.

Wo wird zur Nacht,

Nach Blut und Schlacht,

Für mich das nächste Bett wohl sein?

W. A. Renzing;

Jung (Ritter Georg

Die alte Nanni sitzt auf der Ofenbank und
schneidet Semmelbrocken in eine große Schüssel.
Sie dient seit fünfundvierzig Jahren dein, Ober-
hofer Bauern und hat die Medaille für Tugend
und Treue bekommen. Damit ist sie viel ge-
neckt worden, denn die heutigen Leute können
gar nimmer glauben, daß so ein altes Weibl auch
einmal keinen Kropf gehabt hat und hübsch war,
mit lustigen Augen und kirschfrischen Lippen und
heißes Blut gehabt hat, für das es Versuchungen
genug gab. lim sie herum sind sie ins Grab ge-
sunken und zum Leben erstanden, haben gehofft
oder verzweifelt und erreicht oder verloren, ihr
Leben aber ist Arbeit und Arbeit gewesen und
darüber ist sie alt und runzelig geworden und
kann nimmer recht sehen und nimmer recht schnau-
fen. Mit dem Hören geht's ja noch zur Not,
aber die Füße sind soviel umeinander gesprungen,
daß sie halt jetzt Feierabend haben wollen. So
ein altes Mensch ist halt ein rechtes Kreuz!

Und heut wird ihr selbst das Semmelbrocken-
schneiden zur harten Arbeit, denn den jungen
Großbauern vom Oberhof haben sie im Krieg
d'erschossen. — Die junge Bäuerin hat aufg'schrien
wie ein wundes Tier, als sie's gehört hat und
die alte Oberhoferi» hat mit wildem Blick zum
Herrgottswinkel gestarrt. Daß aber auch das
Schicksal gar so erfinderisch ist!

An der Nanni ihre Knie gelehnt, steht der
sechsjährige Oberhofer Peterl. Seine Leut' sind
in die Kirchen, ihn haben's bei der Alten gelassen.
Dieselben schwarzen Augen wie sein Vater hat
er imb auch seinen trotzigen Mund.

„Und da, Nanndl, und da?" — „Da? Ja,
mei' Bu', da hat der Himmelvater halt für ein'

Augenblick wo anderscht hing'schaut und da ist
so ein Franzos kommen nnd hat ihm eine Kugel
ins Herz 'geben." — „Und was tut der Vater
jetzt, Nanni?" — „Jetzt schlaft er." — „Tut er
das denn gern, wenn's doch Krieg haben?" —
„Da wird er halt nit lang g'fragt werden." —
„Und wacht er nimmer auf?" — „Nimmer." —
„Auch durch kein'» Büchsenschuß?" — „Nimmer."

— „Und ein'» Juchzer?" — „Ob einer früh oder
spät schlafen geht, vergönnt's ihm die ewige Ruh'."

— „Und was meinst, Nanni, kimmt der Vater
in 'n Himmel oder in d' Hüll'?" — „Bist stad,
du unguter Bu'! Die Höll' ist so was Grausig's,
daß mait gar nit dran denken derf."

Denr Peterl seine Augen strahlen und eng
schmiegt er sich an die Alte: „Geh', Nanni, schau,
tu' mir wieder ein bißl was von der Höll' ver-
zählen."

„Jetzt wart' nur, ich sag's schon noch dem
Herrn Geistlichen Rat, daß du so ein loses G'red'
hast und g'rad immer nur von der Höll' hören
willst. Die Höll' is so was Schaurig's, daß der
Mensch sich's gar nit a so furchtbar ausdenken
kann, als wie's in Wirklichkeit is. Da stecken's
dir die Füß' in kochendes Wass.-r und derweil'
zwicken's dich mit glühenden Zangen an den
Armen und zu essen kriegst nix und nix zu trinken
und nach'er peitschen sie dich auf den verbrennten
Füßen gleich so a paar Täg' immer im Kreis
'rum und wenn d' meinst, du kannst einmal ver-
schnaufen, dann kommen die Teufel und Drachen
und reißen dir bei lebendigem Leib das Herz aus."

„Oh—h— [)!!-Nanni, bist jetzt du schon

amal in der Höll' g'wesen?" — „Heilige Mutter
Gottes, die sündhafte Frag'!" — „Woher weißt
du denn nach'er, wie's dort ausschaut?" — „Hoch-
würden der Herr Pfarrer hat mir's verzählt." —
„Nach'er is also der Herr Pfarrer schon in der
Höll' g'wesen?" — „Jetzt halt aber 's Maul, du
Malesizbu', du miserablichter! Schaust, daß d'
weiter kimmst?"

Der Peterl dtickt sich vor der ausholenden
Hand der Alten. Er steht ganz in siä> verloren
da und stiert in den Semmelbrockenhafen, als ob
da drin die Klarheit für so viel Merkwürdiges
und Unklares auf dieser Welt zu finden wäre.
Dann scheint auch er zu keinem befriedigenden
Resultat gekommen zu sein. Ein rascher Seufzer
hebt seine Brust und im nächsten Augenblick ist
er bei der Tür' draußen und springt über die
Wiesen hinüber zum Wald. Bon da aus hat
man einen Ausblick weit übers Tal und die
Berge und die Landstraße und auch die Kirch-
turmspitze schaut durch die Tannen herüber. Und
da befindet sich ein Etwas aus zwei Holzpflöcken
mit einem Reisigzweig quer drüber und einer
Bretterkiste in der Mitten, und das ist dem Peterl
sein Haus. Dort ist er Herr, dort kann er schaffen
und graben, umstellen, dreinschlagen, fluchen. Ein
Scherben von einem Teller, ein leeres Tintenfaß,
ein alter Hut sind der Hausrat. Und d' erleben
kann man was in dem Häusl, fast nit zum
glauben is 's! Die Hirsche und Rehe, die aus
dem Wald heraus auf die Wiese treten, sind nix
B'sonderes, aber milde Viecher kommen auch:
Bären und Wölfe. Ein Glück, daß ein Sleckcn
im „Haus" is, der völlig so scharf is, wie ein
Säbel. Denn fürchten! uh Iegerl! Fürchten kennt
der Peterl nit. Fürchten tun sich nur solche Hader-
lumpen, wie der Klaus Sepp und dem Wiefer
sei Wastei.

Wie der Peterl heut bei sein'm Häusl an-
konnnen is, hat er z'erscht viel umeinander wirt-
schaften und fluchen müssen, wie's halt a so is,
wenn der Großhauer heimkimmt und auf die
Dienstboten halt so gar kein Verlaß is! „Faule
Bagasch, nixnutzige Malefizludersch, wart', enk
kenn ich!"

Endlich kann er sich im Tintenfaßl seine halbe
Maß aus dem Bach schöpfen und nun wird ge-
rastet. Lang nusgestreckt liegt er in der Mittags-
glut. Die Sonne beguckt sich den braunen Buben,
der spielend rechts und links Blumen greift und
damit nach bunten Schmetterlingen schlügt und

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Register
[nicht signierter Beitrag]: Enttäuschung
Ferdinand Staeger: Vignette
W. A. Renzing: Auf Posten
Johanna Gode: Jung Ritter Georg
 
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