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Auf einen Vorsprung der gesiegelten Wand setzte
er die Fracht, lockerte die Gurte und holte tief
Atem. Der Mond stand hinter rosa Gewölk und
dunkelte stärker. Vedetten huschten wie plastische
Schatten vorüder. Niemand bemerkte ihn. Er
wartete noch etwas und richtete sich wieder auf.
Humpelte guer über die Straße wie gerädert.

Hinter einer gekruppten Tannenböschung blitz-
ten die silberzwirnigen Striche der Schienen. Ganz
hinten druckte die massive Schwärze des Tunnels
aus dem Felsen.

Leutnant Marsen hinkte über den schmalen
Steg längs des Geleises. Er spähte aus den
tiefsten Winkeln seiner Atigen über den Damm —:
noch fünf- oder sechshundert Meter.

Er überlegte: sollte es nicht ratsamer sein,
über den steilen Patz zu kriechen und von der
anderen Seite in den Tunnel brechen? JDer
ganzen Lage nach mußte die Gefahr da drüben
minder nahe sein denn hier.

Sein Gehirn arbeitete heftig. Das Blut stand
ihm starr in den Wangen. Kein Laut tönte.
Der Mond war ausgelöscht.

Da warf sich Marsen empor. Knirschte mit
den Zähnen und tappte vorwärts, mutgeschwellt.

Letzt war er dem Tunnel auf hundert Meter
nahe. Hinten blafften wieder die Geschütze und
zerrissen den Himmel mit dem gefräßigen Schnalzen
der Geschosse.

Aus dem Rachen des Tunnels schaukelten
Lichter. Eine kurze gelbe Schnur. Und Gepfiff
von vielerlei Stimmen.

Marsen rückte von dem schmalen Pfad a»f
den Acker hinüber und suchte die Chaussee, die
am Fuß der Kuppe lief, zu gewinnen. Diese
Wendung bemerkten die Soldaten. Zwei lösten
sich aus dem Haufen mtd kamen auf das Feld.

Leutnant Marsen blieb mitten auf dem Kar-
toffelacker stehn. Er fühlte miteins, daß er das
Klopfen des Herzens, das ihm bis in die Kehle
aufschwoll, irgendwie herunterwürgen müsse, um
die Stimmbänder frei zu bekommen. Er strich
sich mit der flachen Hand über die Strähnen
der Perücke.

Jetzt stand ein hünenhafter Offizier vor ihm.
Gab dem anschlagenden Hund einen Stoß, tastete
nach der Kiepe und kniff ihm in die Backe. Strich
schließlich mit geiler Hand die Hüften herab.

Da drehte sich Leutnant Marsen blitzschnell
herum, markierte einen tänzelnden Schritt und
lispelte in langsamem Fliehen: „An revoir, mes-
sieurs, au rendez-vous des bons amis!“

Die Kerle waren schon außer Sehweite. Auf
allen Bieren krodi Marsen zurück, sah, daß die
Strafte frei war und schlüpfte mit kurzem Rudi
in den Tunnel.

Die Lust kam ihm wie schweres Haar ent-
gegen. Die Poren seiner Haut vergrößerten sid).
Schweiß floß ihm in bitteren Laugen von der Stirn.

Fünfzig Meter war er jetzt in der Höhle.
Setzte die Kiepe ab. Spähte noch einmal in die
diesseitige Öffnung des Schachtes, die wie ein
behauchtes rundes Brillenglas vor seinen Augen
flimmerte. Dann setzte er die Kilopatronen ein,
nahm die beiden dünnen Drahtenden zwischen die
Zähne und zog die Schnüre an. Mit der leeren
Kiepe auf dem Rücken kroch er wieder zurück.

Zn denr Moment, als er um die Ecke ins
Freie biegen wollte, näherte sich ein Wachtposten.

Leutnant Marsen klemmte sid) ädizend in eine
Lücke der Verzimmerung, zog ben Hund zurück
und hielt die Pistole vor. Auf halbem Wege
kehrte die Wad)e um und versd)wand, irgendwo
fern trällernd:

„As-tu vu

As-lu vu la casquette
Du pere Bugeaud?“

Nun war Marsen seiner Sad)e fidjer. Huschte
aus dem Verstedi und legte die dünnen Sdinüre
fest auf die Erde, zog sie um eine» Pfosten, dann
um einen Baum, wieder zehn Meter über die
Erde, dann nodimal um eine» Baum, legte Steine
darüber und hielt enblid) hundert Schritt weit in
einem offenen Obstgarten.

Zwei Feldpost-Karten

Von Paul Segieth, 8. bayr. Inf.-Rg., 7. Komp.

Selbst-Bildnis

Eine Pumpe stand da in einem wurmigen
Holzgestell. Hier setzte er den Zündapparat ein
und richtete sid) steil auf. Fuhr sid) mit dem
frostigen 5>inbnidien über den Mund und mur-
melte : „So, Freunde, jetzt wird es für Tage mit
euren verfluchten Verstärkungen vorbei fein. Letzt
geb' id) das Signal!"

Ganz ruhig ging sein Herz. Die Luft um ihn
her zärtelte wie Flaum. Der Duft des trockenen

Kamerad Hans Kersten von der 8. Komp.

Laubes schmeckte nach Wein und dem Arom
prad)tvoller Apfel.

Der Hund sd)nupperte auf dem Boden einer
Katzenspur nad). Marsen zerrte ihn zurück.
Streid>elte das stachlige Fell und vergaß beinah
den Zwedr seines Hierseins. War so wundervoll
umwärmt und wollte nun sd)nell die Kurbel drehen.

Da hörte er das dunipfe Gedonner eines Zuges
durd) den Tunnel. Ein neuer Gedanke klopfte
durd) seine Schläfen. Das Ohr straff hinaus,
die Hand an der Zündung, zählte er langsam die
Sekunden. Mit jedem Fall einer Zeitschwingung
sd)woll das stampfende Geräusih. Er zählte ruhig
bis hundert. Rechnete —: jetzt muß die Loko-
motive die Sprengladung passiert haben. Klatsd,te
sid) auf die Schenkel und kurbelte die Drähte zu-
sammen. War für Minuten taub auf beiden
Ohren. Der Boden unter ihm sd)wankte. Fels-
stücke kamen wie Hagel gesdiütlet, rissen ihm
tiefe Sd)rammen und prasselten fegend über das
dürre Geäst.

Aus dem Widerhall, der durch die Waldungen
rollte, ermaß er den gewaltigen 6d)lag der Spren-
gung. Eine undurchdringlidie Staubwolke trieb
breitarmig über das Feld. Sd>on jagte vom Dorf
her das Gebrüll erregter Stimmen.

Gewehrfd)üfse hallten von allen Seiten.

Mit einem Satz erhob sid) Leutnant Marsen,
rannte querfeldein in großem Bogen um das
Dorf herum. Verlor die Perüdre im Lauf, verlor
die Kiepe, trat Fetzen vom Rodr und sdilng
dutzendmal lang in die Lehmfurchen. Stürmte
durd) zackiges Dorngebüsch, kletterte über Stein-
brüche und rollte wie ein Igel einen steilen Hang
herunter.

Er spürte die kalte Sdmauze des Hundes am
Kinn, sprang auf und rannte weiter. Hatte die
Empfindung, wie wenn ihn ein Karussell rasend
drehte. Berstchwunden war ihm aller Raum.
Das Herz ftuftle kreischend wie eine Säge, die
durd) Knod)en knirsd)!. Dan» klirrte eine Kette
neuer Fühlungen dazw!sd)en. Er meinte, mit
einem hastenden Train zusammenzusd)lagen und
prallte auf seinen Burschen.

Er lieh sid) in den Wagen heben. Hatte keine
Vorstellungen mehr. Landete nad, einer Stunde
bei den Pionieren, die ihn bewußtlos aus dem
Auto trugen. Sie konnte» ihm diese Nad)t nidjt
mehr sagen, daß sie das Signal gehört hatten
mit entblößten Häuptern.

Unbeweglid) lag er auf dem gefd)id)teten Stroh.
Sein zerschrammtes Gesicht lendjtete und über
dem leisen Hand) seiner Lippen sthwebte singend:
„Süße Mareile..."

Und ist nid)t mehr ausgemacht.

Gem Trost

„Was jubelt ihr unter den Blumen rot,

Die wir zum Abschied euch gaben?

Und wißt doch, draußen wartet der Tod —
Der will euch haben!

Was singt ihr voin Kampf fürs Vaterland?
Wollt Ehr' und Ruhm euch erwerben!

Und ist doch so bitter, im blutigen Sand
Auf fremder Erde zu sterben."

„Das Sterben, Mädel, ist nicht schwer.

Es kostet nur das Leben.

Du und die Heimat, ihr geltet mir mehr —
Und leicht ist's, euch alles zu geben!"

Luise weißbart

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Paul Segieth: Zwei Feldpostkarten
 
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