Morgenrot
Langsam wich die Nacht zurück, die sil-
berne Flut des erwachenden Tages trieb
alles Ungewisse und Wesenlose vor sich her,
überschäumte es mit funkelnden Lichtwellen
und zwang es in den Schoß der Erde zu-
rück. — — —
Der Atem der Großstadt braust daher
wie Orgelklang und unter ihren Herzschlägen
dröhnt die Erde. Lm Osten, über den ver-
schleierten Höhen Heidelbergs, leuchtet ein
Bild von grauser Schönheit: in den wuch-
tigen Mauern blauschwarzer Wolken lodert
ein Riesenbrand von unermeßlicher Größe
und Tiefe.
Wie wenn ein Königsschloß brennt oder
eine gottgeweihte Stätte.
Und all die Farben: blau, gelb, grün
und braun, sie werden umbrandet von einer
Glut, die so rot ist wie frisches Herzblut.
Morgenrot.
Der Neckar wälzt diese Rotglut talwärts,
an seinen dunklen Uferwänden entlang, unter-
hohen Brücken hindurch in den rauschenden
Rheinstrom. Schiffe, kleine und eilfertige,
große und schwerfällige, bewegen sich in
diesem Blutstrom, auf den sich dichte Rauch-
wolken legen wie Trauerfahnen.
Gesang schallt herüber: haltet aus, lasset
hoch das Banner wehn . . .
Banner wehn! fliegt es auf wie ein
Siegesschrei.
Eine graue Masse kommt näher, biegt
um eine massige Häuserecke und steht nun
(Urnwandkungen
Von Willibald Rrain
Im Sommer sah noch kein „Salon",
Der etwas hielt auf „chik“, „bon ton“,
Die Herrchen mit dem Härchenwald —
Weil das als schrecklich „shoking“ galt.
Und wo ein langer Bart geweht,
Hat man sich lächelnd umgedreht!
Auf einmal ging der "Osnt" — nach Gent
Und sah erst dort, wieviel ihn trennt
Von Englands Larve und Manier
Und wie man dessen Maul rasier'! —
Und sieh — wohl schüchtern erst und zart —
Wuchs bald— ein deutscher Heldenbart!
im Flammenschein des Frührotes. Soldateir
sind's, junge Knabengesichter, bärtige Männer:
Kriegsfreiwillige.
Das Lied ist aus, ohne Tritt geht es
auf die leise schwankende Brücke; alles
sieht nach rechts in den Siegesbrand des
Morgens. — — —
Wer begann es? Ein alter, ein junger
Kriegesmann?
Nun singen alle: Morgenrot, Morgenrot,
leuchtest mir zum frühen Tod ....
Und jeder blickt auf den, der vor ihm geht.
Damr klingt es aus: morgen in ein
kühles Grab. — — —
Da! aus dem Wogenmeer der Berge
blitzt es auf, Feuergarben schnellen gen
Himmel, die Sonne schiebt die schwarzen
Wolkenmauern auseinander und in ihrem
goldneir Schein marschiert die Kriegerschar
festeir Schrittes dem Übungsplätze zu, zur
letzten Besichtiguitg.
Fritz Segelkcn (Mannheim)
•
Rindermund
Llschen ist inzwischen 7 Jahre und sehr klug
geworden. Lines Tages wird sie von ihrem Vater
an das Bett des vor einigen Tagen gebornen
Schwesterchens geführt, das nur mit einem lhemd-
chen bedeckt ist.
„Vater," fragt Llschen, „hatte ich auch ein
lhemdchen an, als ich geboren wurde."
Als der Vater diese Frage verneint, sagt sie
ganz beschänit:
„Sag das aber nur ja keinein, sonst muß ich
inich ja schämen."
Bel etwaigen Bestellen gen t>ittet man auf die Münchner „JUGEND“ Bezug zu nehmen.
1381
Langsam wich die Nacht zurück, die sil-
berne Flut des erwachenden Tages trieb
alles Ungewisse und Wesenlose vor sich her,
überschäumte es mit funkelnden Lichtwellen
und zwang es in den Schoß der Erde zu-
rück. — — —
Der Atem der Großstadt braust daher
wie Orgelklang und unter ihren Herzschlägen
dröhnt die Erde. Lm Osten, über den ver-
schleierten Höhen Heidelbergs, leuchtet ein
Bild von grauser Schönheit: in den wuch-
tigen Mauern blauschwarzer Wolken lodert
ein Riesenbrand von unermeßlicher Größe
und Tiefe.
Wie wenn ein Königsschloß brennt oder
eine gottgeweihte Stätte.
Und all die Farben: blau, gelb, grün
und braun, sie werden umbrandet von einer
Glut, die so rot ist wie frisches Herzblut.
Morgenrot.
Der Neckar wälzt diese Rotglut talwärts,
an seinen dunklen Uferwänden entlang, unter-
hohen Brücken hindurch in den rauschenden
Rheinstrom. Schiffe, kleine und eilfertige,
große und schwerfällige, bewegen sich in
diesem Blutstrom, auf den sich dichte Rauch-
wolken legen wie Trauerfahnen.
Gesang schallt herüber: haltet aus, lasset
hoch das Banner wehn . . .
Banner wehn! fliegt es auf wie ein
Siegesschrei.
Eine graue Masse kommt näher, biegt
um eine massige Häuserecke und steht nun
(Urnwandkungen
Von Willibald Rrain
Im Sommer sah noch kein „Salon",
Der etwas hielt auf „chik“, „bon ton“,
Die Herrchen mit dem Härchenwald —
Weil das als schrecklich „shoking“ galt.
Und wo ein langer Bart geweht,
Hat man sich lächelnd umgedreht!
Auf einmal ging der "Osnt" — nach Gent
Und sah erst dort, wieviel ihn trennt
Von Englands Larve und Manier
Und wie man dessen Maul rasier'! —
Und sieh — wohl schüchtern erst und zart —
Wuchs bald— ein deutscher Heldenbart!
im Flammenschein des Frührotes. Soldateir
sind's, junge Knabengesichter, bärtige Männer:
Kriegsfreiwillige.
Das Lied ist aus, ohne Tritt geht es
auf die leise schwankende Brücke; alles
sieht nach rechts in den Siegesbrand des
Morgens. — — —
Wer begann es? Ein alter, ein junger
Kriegesmann?
Nun singen alle: Morgenrot, Morgenrot,
leuchtest mir zum frühen Tod ....
Und jeder blickt auf den, der vor ihm geht.
Damr klingt es aus: morgen in ein
kühles Grab. — — —
Da! aus dem Wogenmeer der Berge
blitzt es auf, Feuergarben schnellen gen
Himmel, die Sonne schiebt die schwarzen
Wolkenmauern auseinander und in ihrem
goldneir Schein marschiert die Kriegerschar
festeir Schrittes dem Übungsplätze zu, zur
letzten Besichtiguitg.
Fritz Segelkcn (Mannheim)
•
Rindermund
Llschen ist inzwischen 7 Jahre und sehr klug
geworden. Lines Tages wird sie von ihrem Vater
an das Bett des vor einigen Tagen gebornen
Schwesterchens geführt, das nur mit einem lhemd-
chen bedeckt ist.
„Vater," fragt Llschen, „hatte ich auch ein
lhemdchen an, als ich geboren wurde."
Als der Vater diese Frage verneint, sagt sie
ganz beschänit:
„Sag das aber nur ja keinein, sonst muß ich
inich ja schämen."
Bel etwaigen Bestellen gen t>ittet man auf die Münchner „JUGEND“ Bezug zu nehmen.
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