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Stille Nackt

Otto Hirtk (München)

gezackten Decken freilich mit grauem, kalten Licht
gefüllt. Vom Eingang her schimmerte der Tag
trüb oder silbern, wie das Wetter war, und die
Kerzen, die man nnfteckte, hatten gegen das ein-
drängende Licht zu kämpfen und so war tags-
über immer ein graues, gelb dunstendes Zwielicht.
Aber des Nachts, dann blühten zehntausend
Wunder auf. Wenn die Nacht schwarz vor dem
Eingang stand »nd nur die Glut irgend eines
Wachtfeuers wie ein schwaches gelbes Pünktchen
in der Ferne stand, dann jagten sich unter den
zackige» Wölbungen und an den regellos ge-
formten Wanden Licht und Schatten in merk-
würdigen, oft feierlichen, oft leichtfertigen, oft
schweren, oft lustigen Gestalten und Formen.
Es gab Schatten, die wuchteten wie tiefdunkel-
blaue Ungetüme unter der Decke her, sanken
schwerfällig die Wand herunter, liefen plump über
den Fußboden und über die schlafenden Soldaten
weg und stiegen drüben an den Wänden wieder
hoch . . . und gleich hinterher schossen wie schwir-
rende Pfeile ans den vielen flackernden Kerzen
glühende rote und gelbe Funkenblihe, irrlichterten
wie toll um die Leiber der Schattemmgetüme,
sprangen bebend über sie weg und wurden oft,
wenn irgendwo ein paar Kerzen erloschen, von
einem gewaltig über sie herfallenden, schwarz-
violetten Riesen alle auf einmal verschlungen.
So spielten tausend Lichter, tausend Schatten

.gelb, rot, violett und blau, oft giftig grün,

oft seltsam braun, spielten und tmizten über
den weißen Stein, sanken ineinander zu neuen
sprühenden Farben, kamen und starben, schweb-
ten und sangen in der Luft über den Schla-
fenden.

Die waren müd von Blut und Krieg, halteti
die Augen geschlossen und sahen das alles nicht.
Mal steckte einer eine Zigarre oder eine Pfeife
an der Kerze an . .. und das war alles, was
das Licht ihni war.

Aber da gab es einen, der erlebte das alles
mit entzückten Augen. Ein einfacher Soldat,
der als Freiwilliger mit hinausgezogen war. Ein
junger Dichter vielleicht oder ein Maler, viel-
leicht auch ein ganz bescheidener kleiner Beamter,
ich weiß es nicht.

Er lag im Schützengraben wie alle andern:
lauernd, mit fiebernden Augen, mit aufcinander-
gepreßten Lippen, das Gewehr schußbereit, alle
Sinne gespannt. Er sah die weißen Wölkchen
der Schrapnells wie alle andern und duckte sich
vor den heranheulenden Granaten wie seine
Kameraden. Aber wenn sie abgelöst wurden und
in die Höhle zum schlafen gingen, dann war er
ein anderer.

Sehnsüchtig wartete er auf die Nacht. Und
wenn sie da war, dann lag er stundenlang wach
und schaute den huschenden, tanzenden, schweben-
den, irrenden, singenden, buntbunten Lichtern und
Schatten zu . . . wie in Aladins Zauberhöhle war
das. Alle Pracht der tausend Edelsteine weckten
die flackernden Kerzen. Die fügten sich vor seinen
hingerissenen Augen zu überirdisch leuchtenden
Ketten, zu entzückenden Geschmeiden und die
weißen Wände der Höhle waren oft wie die
nackten blassen Schultern schöner Frauen, darauf
sangen perlmutterhaft irisierende Opale, Türkise,
blau und kühl wie der Himmel im Herbst, Al-
mandine, die waren wie durchsichtig erstarrte, von
innen heraus glühende Blutstropfen, Rubine,
flammend wie blühendes Morgenrot, Topase,
prangend und glutend wie weißes Sternenlicht,
und Smaragde wie gefrorne Wnsscrtropfen aus
dunkelgrünen Meerestiefen, Chriisolithe, die waren
wie grün geflammte, gelbklare Schwefelkristalle
und Turmaline, die glänzten rotbraun wie die
Schalen reifer Kastanien und gleich daneben zarte
Amethyste, süß wie Sommerveilchen. . . ach, alle
Juwelen aus den prangenden Ländern Indiens
und Persiens sangen auf den blassen Franen-

schultern ihre wundersamen Gesänge. .. sangen
ihn in den Schlaf. . . vergessen Krieg und Krie-
gesnot . . . nur Träume waren da . . . süß schwe-
bende Träume...

Einmal legte er sich an einer Stelle nieder,
da wogte» alle Schatten blau . . . vom strahlenden,
triumphierenden Königsblau bis zum tiefdunkel-
blauen, fast schwarzen Indigo.

Das war in einer kleinen Ausbuchtung der
Höhle, die vom Tageslicht fast ganz abgeschnitten
war. Ganz allein lag er da. Zart tropfte das
Licht der Kerzen in die blauen Schatten, die
glitten und schwebten so sanft und legten sich auf
die müde Haut wie weiche Hände. . .

Und er dachte, ehe er einschlief: wie wunder-
bar, wenn ich in diese blau wogende Nacht eine
große, gelbe Kerze hineinstellen könnte, eine große,
gelbe Kerze aus feinstem Wachs, goldgelb wie
Honig, mit einer stolz und ruhig aufsteigenden
goldgelben Flamme . . . wie wunderbar würde
die stolze gelbe Kerze in der blauen Luft stehen
. . . wie köstlich würde das ruhige gelbe Licht
hineinsinken in die bla» wogende Dämmerung...

So ein merkwürdiger Geselle war er, der
freiwillige Infanterist, der mit den anderen in
den Schützengräben lag und auf die Franzosen
schoß, sich hinduckte, wenn eine Granate geflogen
kam und immer bereit war, sein bißchen deutsches
Blut hineinlaufen zu lassen in den breiten, danip-
fenden, roten Strom dieses Krieges.

Manchmal, wenn sie nicht schossen, sprach er
im Schützengraben mit einem Kameraden über
die Farbenspiele in der Höhle.

„Denk dir nur. . . eine große, gelbe Kerze
mit einer ruhigen stolzen Flamme mitten in dieser
blauen Schattenkammer. . . Herrgott im Hinimel
.. . wür das schön!"

Und er hörte das leise Lachen des Kameraden
nicht, träumte ein Weilchen, in das Stückchen
vom Himmel hinein, das über ihrem Schützen-
Register
Otto Hirth: Stille Nacht
 
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