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graben lag, und wenn dann eine Granate durch
das Stück Himmel flog wie ein zorniger Vogel
oder wenn er einen Flieger sah und den Nauch-
faden der Bombe, die er herunterwarf, dann bis;
er die Zähne zusammen und dachte wieder an sein
Gewehr und an die Patronen rmd an die Fran-
zosen auf der anderen Seite und an das herr-
liche, große Deutschland, das er verteidigen sollte.
Und nur manchmal, zwischen Schuß und Schuß,
blitzhaft, ungewollt, flog es durch fein Hirn, daß
er keinen Mensche» in der deutschen Heimat hatte,
den er bitten konnte:

„Schick mir eine große, gelbe Kerze für meine
blaue Grotte!"

Da geschah es, daß der Kamerad, mit den,
er über seine Sehnsucht gesprochen hatte, mit
einer Meldung in ein nahes, halbzerschosscnes
Dorf geschickt wurde, das die Deutschen besetzt
hatten. Als er seinen Auftrag erledigt hatte und
wieder zurück wollte, trat er für einen Augen-
blick neugierig in die kleine Kirche des Dorfes.
Darin sah es wüst aus. Granaten hatten die
Wände durchschossen, die gemalten Fenster waren
alle zerbrochen, Scherben, Schutt und Mauer-
steine und Balkensplitter lagen auf halbverbrannten
Bänken. Aber die Mutter Gottes überni Altar
war unversehrt. Sie trug ihren blauen Seiden-
mantel mit den blitzenden Goldsternen darauf wie
sonst, und aus ihrer goldenen Krone fehlte kein
bunter Stein. Aber zu ihren Füßen lag eine
Kerze, eine dicke, goldgelbe Wachskerze, die ein
verflogener Schuß oder ein stürzender Mauerstein
aus dem silbernen Leuchter herausgebrochen hatte.

„Sich da," dachte der Soldat, „eine gelbe
Kerze, gelb wie Honig. Die kann ich dem ver-
drehten Freiwilligen mitbringen!"

Lachte tind freute sich und nahm die Kerze mit.

Als er wieder in der Höhle war, fand er
den Kameraden nicht in der blauen Grotte. Er
war wohl noch im Schützengraben. Nun, um
so größer die Überraschung, wenn er kam.

Er zündete die Kerze an, ließ ein wenig Wachs
auf den Fußboden am Eingang der Grotte
tropfen, klebte die Kerze fest und löschte das Licht
wieder aus. Und dann wartete er.

Nach einer Stunde, am Abend, brachten sie
ihn. Eine Flintenkugel hatte seine junge weiße
Stirn getroffen. Hellrot und feucht vom Blut
war der Verband, den sie ihm um de» Kopf ge-
legt hatten.

„Er wollte durchaus in feine Grotte gebracht
werden," sagte der Sanitätssoldat. „Und warum
sollten wir s nicht tun," fügte er hinzu und sah
traurig i» das blasse, feine Gesicht mit den ge-
schlossenen Augen.

Schweigend nickte der Kamerad und zündete
die gelbe Kerze an._ Zn schönen, ruhigen Wellen
floß das Licht in die blauen Schatten .... alle
Wunder der Farbe erwachten und blühten in
sanfter Herrlichkeit.

Der Verwundete öffnete die Augen und lächelte.
Er war nicht überrascht.

, »Die gelbe Kerze," sagte er still, „oh ... das
schöne Licht ... die gelbe, stolze Kerze . .. und
die schönen, blauen Schatten . .. da . . . wie sie
spielen .. . wie sie spielen . . ."

Seltsame Schatten und Lichter .... Gebilde
von me gesehenen, phantastischen Formen
gesättigt von wunderbarsten Farben, glitten über
die Wände und merkwürdig gezackten Wölbungen
der Decke.

Die Augen des Verwundeten tranken glück-
selig das Wunderbare und wurden groß und
weit. Träume stiegen auf aus der Brunnentiefe
seiner Seele . . alle Hoffnungen seines jungen
Redens Hoven die Hände . . . winkten und lobten
. . . und verschwebten . ..

Nuhig und stolz brannte die Flamme der
gelben Kerze ....

Weit wurde der enge Raum ... die niedrigeit
Wölbungen wurden zum Himmel . .. zum un-

endlichen, blauen Himmel, in dem zehntausend
weiße Sterne brannten.

Seltsam wurde es den Soldaten zu Mute,
wenn sie in die Augen des todwunden Kame-
raden sahen.

Der lag die ganze Nacht wachend, träumend,
hindämmernd in einer Seligkeit, die fast schon
Verklärung war.

Noch ehe die gelbe Kerze erlosch, schlief er
für immer ein. Die Kerze brannte noch ein
Weilchen. Dann, als das Frührot des Tages
in die Höhle hineintropfte und die Schatten in
der blauen Grotte ganz violett wurden, streifte
der Windzug vom Mantel eines rasch oorüber-
gehcitden Kanoniers, der zu seinem Geschütz
mußte, die Flamme. Knisternd erlosch sie. Ein
feiner, opalfarbener Rauch, irisierend im Glanz
der scheu hereintropfenden Morgensonne, stieg
zur Decke hinauf.

lind es dauerte nicht lange Mehr, dann brüllten
draußen die Kanonen, die nachts geschwiegen
hatten, ihren schrecklichen Morgengesang von
Feind zu Feind, llnd viele neue Opfer sanken
auf die bluthungrige Erde.

Als sie den toten Freiwilligen begruben, ich
weiß iticht, ob er ein Dichter war, oder ein
Maler, oder nur ein kleiner, bescheidener Beamter,
legte der gute Kamerad ihm das letzte Stück der
gelben Kerze in die erstarrte Hand.

Der „Alte"

Iungens, Hab mich gar verfchrocken.
Draußen gehn die Weihnachtsglocken,
Und mich fröstelt. Ei der Daus!

Zog ich mich denn nackig aus?

Hab, seit ich zur Schul geweseir,

Keine Bibel mehr gelesen,

Ging auch mit den; schwarzen Buch
Nicht ztir Kirch, und nur für'n Fluch
Hab ich Gott ins Maul genommen.

Ja, wie ist denn das gekommen?

Was der Pfarrer uns gelehrt,

Wo siitd Himmel, Holl und Erd?
Schürt kein Teufel mehr die Essen,

Und sind nimmermehr gesessen
Auf den; alten Himmelsthron
Gott der Bater, rechts der Sohn?

Und wir Würmer mittendrin,

Gottglcich? Sagt, wo ist das hiit?

Und wir sind doch nie als Rangeir

Hans J. Philipp

Auf dem Dorf zu Tisch gegangen,

Daß nicht Jesus war dabei!

Ja, wie brach das nur entzwei?..

Fort dautit! Ich werd auf Erden
Niemals wieder anders werden,

Aber, kommt die Christkindmär,

Jungens, ist es mir, als war
In der warmen Weihnachtsstube
Wieder ich der dumme Bube,

Und ich sang mit Muttern sacht:

Stille Nacht, heilige Nacht.

Adolf Ey

*

feuertrlmken

Wagt ihr's heute mit der Neunten Sin-
fonie? Mit diesem rhapsodischen Ungestüm,
das sich aus dem Cantabile des Adagio
herausstürzt wie ein Felsenquell brausend,
schäumend, fortreißend! Wie dich auch ihre
ersten Sätze heben und tragen, fort vom
Irdischen, dir Allzunahen — schließlich
werfen sie dich doch in diesen letzten, feuer-
trunkenen Wirbel! Dich, deutsches zucken-
des Herz. Draußen ruft es dir von jeder
Straßenecke entgegen: Schlacht, Tod, Ver-
rat! Drin schreiten Verwundete vorbei zu
ihren Sitzen, in den jungen Augen die Er-
fahrungen eines Lebens. In dir noch die
Hochflut von Zorn, Schmerz, Hoffnung.
Da liest du auf dem Zettel: Dem König
von Preußen Friedrich Wilhelm III. ge-
widmet.

Und atmest auf. Schon einmal gab es
eine Zeit wie diese. Waren die Schrecken
von Dantes Hölle tausendfach überboten von
den Zeichen der Gewalt. Und doch entstand
gerade aus jener brausenden Unruhe heraus
ein Werk, das die Allgewalt unendlicher Mc-
lodieir bändigt und zwingt in die Anbetung
der Freude. Fühlst du, was das heißt?
Wie das Brausen einer chaotischen Welt sich
verdichtet, wie aus dem Schöpfungsnebcl
ein Götterfunken aufblitzt, wie — Menschen
zu Brüdern werden?

Du fühlst es, deutsches Herz! Du weißt,
wie niemals vorher, was es heißt, eine
Seele auf dein Erdenrund sein zu nennen.
Du gibst sie dem, dessen Sonnen froh durch
den weiten Plan fliegen, du empfindest schon
aus dem Rhythmus, der dich fortreißt, daß
deine Brüder, freudig wie Helden, nur zum
Siegen laufen können.

Freude! Du deutsches Herz, das sie
mit Füßen treten, hast doch nie zwei Geister
gesunde,;, die dich besser verstanden als
der Dichter dieser Freude und ihr tönender
Schöpfer. Sie wußten, warum nur du es
wagen kannst, Millionen zu umschlingen
und dich doch nicht zu verlieren.

Weil du dich über die Sterne erheben
kannst. Weil du imstande bist, deinen
Schöpfer zu ahnen. Du feuertrunkenes,
andächtiges deutsches Herz.

Agncs Harder
Register
Karl Julius Adolf Ey: Der "Alte"
Agnes Harder: Feuertrunken
Hans J. Philipp: Vignette
 
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