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„Aba oana muaß dobleim!" — „ . . . muafj
boblei’m!" — . doblei'm!"

„5)a Lenzl halt!" erklärte der Erste. Der
Lenzl aber lockte wider den Stachel: „Zwcng
was denn grad i??" — „Weil da Hartl Dir's
oschafft, Du Rimpfiech, Du gußeiserns!" stellte
der Loisl fest. Und der Hartl trumpfte auf: „Bin
i cppa da Patrullenfihra, oda bin i's eppa net,
Haan?" — „Nacha muaßt aba Du aa in Loifl
ofchaffa, daß a zu mir net Rimpfiech fag'n derf!"
brummte der Lenzl. „Bal Du oans bist, nacha
derf a's fag'n aa!" entschied der Höchstkomman-
dierende. Lenzl beschied sich und streckte sich fried-
sam im Grase nieder, die beiden Anderen schritten
bedächtig dem Walde zu.

Eine Kette, eine ununterbrochene Kette von
kalten Schauern war inzwischen über den Rücken
des Hilaire Despardoux hinabgerieselt. Das waren
sie nun, diese entsetzlichen Bayern, von denen man
fügte, sie machten sich nicht das Geringste daraus,
mit einer Kugel im Leibe noch 500 Meter über
ein Blachfeld zu laufen, um dem Versender der
Kugel den Schädel einzuschlagen. Oh, er —
Hilaire Despardoux — wird nicht schießen! Er
wird hier sitzen, wenn es sein muß, bis zum
Tage des jüngsten Gerichts. Dann aber wird er
aufftehen und wird sagen: „Wo ist Capitaine
Et. Costeau? Wo ist der Mann, der Hilaire
Despardoux auf einen Baum sitzen hieß, den die
Bayern zum Ziel ihrer Wege machten? War
nicht Privain da, der dicke Michel Privain, um
den kein Mensch geklagt hätte? Um mich, Hilaire
Despardoux, wird ein großes Wehklagen anheben
in der Heimat! Da sind Anette und Louison, die
Schönen, deren eine seine Frau und die andere
seine Geliebte werden sollte, da sind die ehrwür-
digen alten Despardoux, die ihren Hilaire nach
Recht und Sitte auferzogen hatten! Ah — Ihr
Armen! Euer Hilaire gehört bereits einer an-
deren Welt, denn zwischen ihm und dieser Welt
hält ein Bayer die Wacht!"

Der da die Wacht hielt zwischen Despardoux
und dieser Welt, der ehrengeachtete Jüngling
Lorenz Pötzlinger aus Widramskirch, hatte mit
einem Male die seltsame Eingebung, er müsse
seine Seele einem Wunder offenhalten. Die Erde
schickte sich an, schlafenzugehen, ein Abend von
stärkster Schönheit begann herabzudämmern —
hätte Gott nicht Krieg über die Welt gesandt, so
würde der Lorenz jetzt in Widramskirch an einem
Brunnen sitzen und die Dirnen necken. Aber —
Gott gab Krieg, und Lorenz lag im Schimmer
einer versinkenden Sonne auf französischer Erde,
Gewehr im Arm, und wartete auf Feinde. Wie
sollte da seine schlichte Seele nicht einem Wunder
offen stehen.

Uber ihm sprühte ein Geknister auf, schnell
heranwachsend zu einem scharfen Geprassel, etwas
Buntes, Schweres, Schreiendes sauste herab und
landete widerstrebend auf Pötzlingers Tabakspfeife.

„Oeha!" sagte der Pötzlinger erstaunt, aber
unerschrocken, denn er hatte ja in Erwartung ge-
ruht. „Oeha! So is recht! Itztn mög'n s' d'
Franzos'n in Himmi dro'm aa nimma! Schaug
nur glei, daß D' vo der meininga Pfeif'n owa-
kimmst, sinscht ...!"

Hilaire Despardoux rührte sich nicht. „Wozu
auch?" dachte er, und überließ es dem Lenzl,
ihn zur Seite zu rollen.

„De Pfeif'n is hi!" stellte Pötzlinger fest. Das
Wunder ließ ihn noch unbefriedigt. Hilaire lag
auf dem Bauche und dichtete Stoßgebete aus
dem Stegreif, dazwischen warf er von Minute
zu Minute scheue Blicke auf seinen unwirschen
Nachbar.

„De Pfeif'n is hi!" murrte der Lenzl aber-
mals. In Hilaire's angstdurchwühlter Brust
glimmte ein Hoffnungsfünklein auf. Er fuhr
mit der Rechten in den Hosensack und brachte
eine wunderschöne Pfeife hervor, die er dem
Murrenden mit einer verschämten Armbewegung
zuschob. Dann richtete er den Daumen weisend
aufwärts und flüsterte: „Le tabac est en haut!“

Als erstes erntete er einen mißtrauischen Blick.
„Moant der Zipf wirkst, i kunnt eahm sein Tabak
von Himmi owahol'n?" grollte Pötzlinger. Und
schielte nach oben. Zwischen den Zweigen des

Baumes, am Stumpf eines anscheinend vor recht
kurzer Zeit abgebrochenen Astes, schaukelte ein
süß gestrickter Tabaksbeutel.

In Lorenz Pötzlinger aus Widramskirch er-
stand eine gewaltige Erkenntnis.

„Bist Du da herob'n gesess'n?"

Hilaire nickte.

„Un bist owag'rumpelt?"

Hilaire nickte wieder. Was sollte er Besseres
tun — den Sinn der Frage verstand er ja.
„Pfeilgrad auf ntei Pfeif'n auffi?"

Diesmal hätte Hilaire nicht nicken dürfen.
Er tat's dennoch.

„O Du Herrgottsakermentsbazi!" fluchte der
Lenzl und hieb dem Hilaire Despardoux geschwind
und unbedenklich Fünf oder Sechs hinein. Aller-
bester Widramskircher Oualität !.. ..

Nachher haben sie ihn dann mitgenommen,
der Lenzl und der Hartl und der Loisl. Jetzt ist
Hilaire Despardoux schon seit sechs Wochen auf
einem großen Truppenübungsplatz unlergebracht,
als Gefangener. An seiner Wange kennt man ihn
mühelos unter dreitausend Mitgefangenen heraus.

Ein ekrlicber vieb

Der englische Schriftsteller Thomas Gibson Bowles
triumphiert in einer Abhandlung darüber, daß das
Haager Abkommen von 1907 unwirksam sei. Das eng-
lische Auswärtige Amt habe sich im Anfang des Krieges,
nur „um sein Gesicht zu wahren", auf den Stand-
punkt der Londoner Deklaration gestellt. Aber England
könne sich nicht durch ein Papier fesseln lassen.

Bravo, Thomas Gibson Bowles!

Eins muß man dir zugestehn:

Eines solchen Riesenmaules
Hat sich England nicht versöhn.

Ein Vertrag — so sagst du heiter
Und du lachst verführerisch —

Ein Vertrag, was ist das weiter?

Nichts als ein Papier, ein Wisch!

Ein Papier, das ntan zu Hause
Hält für Damen und für Herrn
Sorgsam in der stillen Klause,

Doch man spricht davon nicht gern.

Ein Papier mit viel Artikeln,

Das nian braucht auch, wie ihr wißt,

Um die Wurst drin einzuwickeln,

Was schon nicht so shocking ist. —

Durch ein kleines Hinterpförtchen
Schlüpft gewandt manch andrer Wicht,

Der dort kleine Ehrenwörtchcn
In dem Schutz des Dunkels bricht.

Bowles ist von andrem Schlage,

Er versteckt nicht, was er macht:

Gibson Bowles stiehlt am Tage,

Doch der andre in der Nacht.

Frido

F. Ileubner

Eondoner Siegesjubel

Die Dame

Die kurze Strecke vor einer Brücke geht ein
Militärposten auf und ab.

Halb regnet es, halb schneit es, dazwischen
bläst ein wütender Sturnl.

Den Posten geniert das wenig: er hat den
Kragen seines Mantels hochgeschlagen und seine
Füße stecken in dicken, wetterfesten Stiefeln.

In einiger Entfernung taucht eine elegante
Dame auf: mit kostbarem Hut, äitto Pelz, ältto
Schuhen, den Rock vorsichtig gerafft, wie besorgt,
der Wind könne sie packen und forttragen.

Man sieht es ihr geradezu an, daß sie aus
einem Auto verloren gegangen sein muß.

Mühsam kämpft sie sich näher.

Nanu, denkt der Posten, ein biederer Land-
stürnier, der für alles Weibliche kaunr noch ein
theoretisches Interesse übrig hat, was will denn
die hier?

Oh Gott, denkt die schlanke Dame, die ein
kleines Paket unterm Arm trägt, ob ich es ris-
kieren darf, ihn anzusprechen?

Denn sie, die noch nie in ihrem Leben einen
fremden Mann angesprochen hat, ist . fest ent-
schlossen, sich jetzt dieser Ungeheuerlichkeit schuldig
zu machen.

Sie tritt also näher.

„Verzeihung . .." stottert sie.

Der Posten, der ein Parfüm riecht, das er
in seinem Leben noch nie gerochen hat und das
er kaum jemals wieder riechen wird, steht auf
alle Fälle stramm.

„Bitte?" sagt er so weltmännisch als es ihm
nur irgend möglich ist.

„Ich hätte eine Bitte an Sie!" stottert die
Dame weiter. „Nämlich . . . Aber Sie sind doch
Soldat?"

„Iawoll!" antwortet der Posten.

„Natürlich... ich meinte auch nur. . . Sie
werden — nicht wahr? — auch ins Feld hinaus
kommen?"

„Machen wir!" bestätigt der Posten.

Die Dante atmet sichtlich erleichtert auf, zögert
noch eine Weile und hält dann dem Posten das
sauber verschnürte Paket hin.

„Da wollte ich Sie bitten," sagt sie, sehr rot
werdend, „dieses Paket von mir anzunehmen!
Es enthält Strümpfe, Pulswärmer und Zigar-
ren . . . Die Strümpfe und die Pulswärmer habe
ich selber gestrickt!"

Der Posten ist gerührt und maßlos geschmeichelt.

„Aber das kann ich doch," ziert er sich noch,
„nicht verlangen, meine Dame. .."

Dieses ,meine Dame° hat er, glaubt er, beson-
ders fein gesagt!

„Ach," strahlt die Dame, „Sie machten mir eine
große, sehr große Freude, wenn Sie die Sachen
nähmen. .."

Der Posten wischt sich den Schnurrbart, als
habe er soeben etwas sehr Gutes, wenn auch sehr
Fettes gegessen.

„Also dann," sagt er, wenn ich Ihnen damit
eine Freude machen kann .. ."

Und er greift zu.

Die Dame blickt ihn mit bestrickender Liebens-
würdigkeit an, denn sie ist nun endlich Herrin
der Situation.

Mit ihrer fein behandschuhten Rechten macht
sie eine Geste des Abschieds.

Sie sagt: „Nun, auf Wiedersehen, lieber
Freund! . .. und viel Glück!. . . und viel Ehre!"

Der Posten steht fest wie Eisen.

„Iawoll, meine Dame!"

Und während er ihr, die sich wieder durch den
Sturm zurückkämpft, nachblickt, denkt er bei sich:

„Donnerwetter! .lieber Freund' hat sie zu mir
gesagt!"

* * *

Daheim, in dem lichtgedänipften Raum ihres
mit intimen Kostbarkeiten geschmückten Zimmers,
erzählt die Dame einer Freundin:

„Du, ich sage dir, es war herrlich! Da haben
wir immer Liebesgaben in die Fremde geschickt
Index
Hermann Wagner: Die Dame
Friedrich (Fritz) Heubner: Londoner Siegesjubel
Frido: Ein ehrlicher Dieb
 
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