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Crevettenfischer in Coxyde bei Nieuport

Heinrich Kley (München)

In flandern

(Winter 1914)

Der Lchneewind blaft
Durch flandrisches Land,

Lr weint in den Bäumen
Am Ackerrand.

Lr streichelt lind
Den erschossenen Gaul,

Der im Graben liegt,

Blutschaum vor dem Maul.

Lr weht um das Kreuz
Am Soldatengrab —

Lin Helm und ein Schwert
Und ein dürrer Stab.

Lr pfeift durch die Risse
Im toten Haus
Und fährt mit Winseln
Zum Schornstein hinaus.

Am Abend steht immer
Am Himmelsrand
Irgendwo eine Mühle
Zn Rauch und Brand.

Georg Britting
Kriegsfreiwilliger, Gefreiter

Menn die trommeln wirbeln...

Kriegszeilen von Max Jungnickel

In der alten, lieben Bibel des Herrn Dorf-
schullehrers Gotihold Hesselbacher steht hinterm
Titelblatt mit großen Buchstaben geschrieben:
„Dein Sohn Johannes wird auf einem Throne
sterben." Wer das geweissagi hat und wer das
hineingeschrieben hat, das weih nur der Dorf-
R>ullehrer selber.

Aber diese.Worte über seinen Johannes, über
den Schuljohannes singen durch seine sauren

Kantortage; diese Worte machen ihn stolz und
glücklich:

„Dein Sohn Johannes wird auf einem Throne
sterben."

Dorfsommersonntage sind wie übermütige
Ritter.

Keck und heiter schreiben sie ihren roten Namen
in den Kalender, zerren übermütig an der Kirch-
glocke, klimpern mit dem Gelde in den Taschen,
wiegen dralle Mädchen beim Tanze, sitzen beim
Kartenspiel und saufen die wetterhartesten Bauern
unter den Tisch.

Um Mitternacht kriechen sie wi-'der in ihre
Siebenmeilenstiefeln, ititd wenn auf Treppenstufen
ein Bündel Mondschein liegt, stolpern sie davon:
bunte Erinnerungen flattern ihnen nach.

Das sind die Dorfiommersonntage.

Wie graue Tratschweiber im Nachmittags-
sonnnenlichte stehen die Häuser da.

Im Gasthaus quieken und schluchzen die
Geigen.

©leid) einem Narren im bunten Kittel tanzt
das Gasthaus „Jur Krone" einher: „Ei, bin ich
nicht modern?!"

Da rücken die alten Häuser zusammen und
tuscheln.

Auf der Tribüne, im Blumengewind, sitzen
die Musikanten. Der erste hat ein verwelktes
Geigergesicht.

Der zweite, hemdsärmelig, bartstopplig, schnupft
nach jedem Walzer.

Der jüngste, mit gemeiner, baumelnder Locke
auf der Stirn, hackt Klavier.

Unten im Saale tobt und tanzt das Bauernvolk.

Als die Vorhänge heruntergelassen sind, die
Wachskerzen müde flackern, als auf Tischen und
Stühlen leere und halbgefüllte Gläser stehen und
der Fußboden mit Schokoladensilberpapier übersät
ist, tritt der Schuljohannes in bcn Saal.

Den lustigen Gesellet' sieht man ihm an, den
Glücksjungen, durch dessen Iugendjahre Mädchen-
augen blitzen.

Bon zartem Leichtsinn ummobcn. so steht der
Schulfohannes im KronewlrtshaUsfaal.

Er schreitet auf die Tribüne.

Halblaut grüßen die Bauern.

Der mit dem verwelkten Geigergesicht gibt
ihm die Fiedel. Nun setzt sich der Schuljohannes
am einen Tisch, stimmt die Saiten und hebt
lüchehid die Geige ans Kinn.

Er spielt ein kurzes Wunder, ein Zauber-
stückchen von Franz Schubert.

So zart und heimlich spielt er, so schlummrig
und anmutig.

Mondensilber fließt über Kornähren.

Am Feldrain läute» die blauen Glocken.

Ängstlich schreit das Löwenmaul.

Die Maironenblume bauscht ihr weißes Mus-
selinkleidchen und lacht so kindlich.

Eine Karre schaukelt über den Wegrain.

Ein Soldat, die Militärmütze ins Genick
getrieben, deit Uniformrock aufgeknöpft, schiebt
stolpernd die Karre.

Ein Bauernmädchen, dunkelbraun gebrannt,
schlendert trällernd hinterdrein, den langen Säbel
umgeschnallt.

Wie die Geige singt!

Wie sie lacht und weint!

Wie sie plappert und betet, die zerkratzte,
verbeulte Dorfgeige.

Die Bauern stehen da mit offene» Mäulern,
andächtig lauschend. Die Mädchen sinnen in siä
hinein mit glühenden Backen tmb gesenkten Köpfen

Um das Haupt des Schuljohannes wächst eine
Rattenfängergloria.

Clemens Brentano gleicht er, der durch die
Rheinlands zog, eine kleine Laute auf deni Rücken
und verscholleiie Lieder sammelte von Bauernlippen
und mit leichter, glücklicher Poetenhand verliebte
Verse in sein Notizbuch schrieb.

Ja, ein stiller Dichterlehrling ist er.

Leise — schläft — die Geige — ein.

Nun ift’s Mitternacht.

Tanzpärchen schleichen »ach Hause.

Der Mond bummelt durch die Wolken wie
ein angesäuselter Bettelmönch.

Ein rosa, rosa, rosarotes Haarband liegt an
der Kronewirtshaustür.

*

Die Zeit schleppt sich durch das Dorf wie eine
märchenselige Großmutter am Wanderstabe.

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Register
Georg Britting: In Flandern
Heinrich Kley: Crevettenfischer in Coxyde bei Nieuport
Max Jungnickel: Wenn die Trommeln wirbeln
 
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