Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
500 Meter vom Feind

(Bor Reims, den 29. XI. 14)

Wir liegen im Schützengraben,

In fröhlichem Kreise vereint,

Vier lust'ge deutsche Knaben
500 Meter vom Feind.

Wir liegen hier dräust auf der Lauer,

Der Vollmond bleich dazu scheint,

Eine trutzige deutsche Mauer
500 Meter vom Feind.

Ob auch die Granaten krachen,

Ob man's noch so schlimm mit uns meint,
Wir rauchen, wir trinken, wir lachen
500 Meter vom Feind.

Doch manchmal, da denkt man an einen
Herzlieben, lustigen Freund,

Dann möcht man am liebsteil gar weinen
500 Meter vom Feind.

Mit Wünschen, Lieben und Hoffen
War so oft er mit uns hier vereint;

Dann hat ihn die Kugel getroffen
500 Meter vom Feind.

In ferner Heimat, da haben
Zwei Äuglein sich rot geweint,

Und wir haben still ihn begraben
500 Meter vom Feind!

Alfred Bauer

Das Opfer

Zwei überqueren den Marienplatz. Rockkragen
hochgestülpt. Der eine Mundwinkel herabgezogen.
Gewohnheitsskeptiker. Auch freunblid)cre Re-
gungen rinnen in dieses Bett, das der Hohn ge-
graben. Er denkt schnell wie der blaue Blitz am
Rädchenkontakt der elektrischen Bahn, der eben
versprüht: „80 Pfennige" (die er sich für das
Abendessen reserviert hat) „dividiert durch zwei
gibt einen doppelten Genus;. Ein frugales Abend-
mahl. gewiß, aber eine unbezahlbare Kaffeestunde."
Er wischt sachte, wie zärtlich visitierend, mit dem
Arm an seiner Brusttasche vorbei. „Es ist direkt
Pflicht, in das Cafä zu gehen, um dem Genuß
dieser seltenen Zigarre" (die ihm ein Freund ge-
schenkt) „ein Milieu zu schaffen, das ihrer wert
ist." Er denkt es, während der andere auf ihn ein-
spricht, lebhaft, sodaß seine Zwickergläser funkeln,
was den Worten Nachdruck gibt, Leuchtkraft.

„Nein," erwidert der Skeptiker, „Sie irren
sich. Die meisten dieser Leute zeichnen diese
enormen Summen, um genannt zu werden. Was
Sie Patriotismus nennen, ist ganz gewöhnliche
Eigensucht, von dem feineren Egoismus ganz zu
schweigen, der sie geben heißt, nicht um wahrhaft
zu helfen, sondern um auch etwas zu tun; um
sich mit einer größeren Summe ein für allemal
von quälenden Gefühlsverpflichtungen den Feld-
grauen gegenüber loszukaufen."

„Auf das Motiv kommt es hier weniger an,"
lachte der andere, „Hauptsache ist wohl doch der
Riesenerfolg des Noten Kreuzes."

Sie betreten das Cafe, machen es sich ge-
mütlich.

Der Skeptiker genießt mit den Fingern die
braune herbe Haut der Zigarre schwelgerisch vor —,
dreht sie zwischen den Fingern und greift rasch
in die Hosentasche, nach seinem Taschenmesser,
mit spitzen Schultern und Ellbogen, wie ein nach
Beute hackender gieriger Kranich.

F. Staeger

(Blättertotentan.3

7lun zog es nebelkalt durchs Land,

Hat doch die Wälder braun gebrannt.

Wie Blatt auf Blatt hernieder schwebt,

Als ob's nach meinen Armen strebt,

Und Hände mir entgegen streckt —

Gold-Ahornblatt, seltsam geflecktI
Auf gelber Haut fünf Punkte schwarz —
da liegt es still, als fragt 's und harrt's
Auf gute Antwort. Homm herein,

Tllcin Büchlein sei dir Schutz und Schrein!
Fünf Punkte schwarz am Zackenrand —

£in Jodesmal. . . Ich seh' die Hand,
die nach dir griff, im falben Schein,

Fünf Hnochenfinger brannte sie ein . . .
da saust der Föhn — das Blatt verschwand:
Wer tanzt und pfeift durchs bange Land?

0. Cr.

Da steht es aber schon schwarz neben ihm.
Mit einer weichen anbietenden Gebärde hält ihm
die Kellnerin den Zigarrensannnelknsten hin, der
das rote Kreuz trügt.

Gespräche lockern sich für einen Moment an
den Nebentischen, Gesichter drehen sich, gehen
plötzlich auf. Viele Blicke folgen dem Kasten,
messen den Abstand der Zigarre i,t seiner Hand
von dem Kastenschlitz. Die Blicke werden er-
staunt, erstarren in befremdeten Gesichtern. Die
Blicke ziehen an seiner Hand.

Einen Augenblick krampst er seine Hand fest
um die Zigarre, wie um sie zu schützen, zurück-
zureißen. Dann aber sagt er nachlässig, wie jetzt
erst verstehend: „Ach so!", wird rot und läßt
die Zigarre in den Kasten fallen.

Der Zwicker ihm gegenüber blitzt auf.

„Ich muß doch die Kapitalisten gegen Ihren
Vorwurf in Schutz nehmen."

„Nein," ruft der Skeptiker. „Sie dürfen mir
glauben, es ist eine Bande. Sie schenken inrmer
nur der Leute, ihres Ansehens wegen, nie, nie-
mals aus innerstenl Bedürfnis."

Der andere hat viel dagegen einzuwenden.

Der Skeptiker hört nur noch zerstreut zu. Er
ärgert sich zu sehr über den Verlust seiner Zigarre.

Hermann Schieber

Dao Gespensterbaue

Eine gemütliche Geistergeschichte
Von Rarl Ettlinger

Wenn man das Wort ..Gespensterhaus" hört,
so denkt man als belesener Mensch an ein un-
heimliches, halb verfallenes Haus, in einer engen
Gasse, irgendwo draußen in der Vorstadt. Die
Fensterläden finb geschlossen, seit dort der fürchter-
liche Mord geschah, die Nachbarn eilen sich, wenn
sie an den! Halls vorüber müssen, und jeder
Fremde wird von einem uralten, zittrigen Männ-
lein gewarnt, eine Nacht in dem Hallse zuzu-
bringen, da es darin spuke. Ein verrückter Eng-
länder habe zwar vor Jahren einmal infolge einer
Wette dennoch das Wagnis unternommen, aber

— und so weiter, siehe unzählige Gespenster-
geschichten.

Das Gespensterhaus, von dem ich erzähleil
will, steht nicht in der Vorstadt, sondern in dem
vornehmsten Viertel der Residenzstadt V. Es ist
llicht zerfallen, es ist vielmehr eine prächtige,
moderne Villa, und ein Mord ist schon dank der
vortrefflichen Polizei in V. vollkommen ausge-
schlossen. Dennoch ist es das unheimlichste Haus,
das ich jemals zu sehen verdammt war.

Drückt man auf einen kleinen Knopf, der sich
neben dem Portal befindet, so öffnet ein un-
heimlicher Mann, der ein völlig unsinniges Kostüin
mit silbernen Knöpfen trägt. Ich habe mir oft
den Kopf darüber zerbrochen, was für einen
Zweck wohl diese großen silbernen Knöpfe und
Schnüre auf dem Kostüin dieses Mannes haben
mögen, — ich habe es nie herausgebracht. Es
ist eines der unheimlichen Rätsel des Gespenster-
hauses.

Obwohl der Pförtner etwa vierzig Jahre alt
sein mag, zeigt sein Gesicht nicht die Spur eines
Bartes. Und obwohl er zwei Sprachen beherrscht,
ist er stumm wie ein Fisch. Hat er ein Gelübde
getan, nie mehr zu sprechen? Bewahrt sein
Schweigen ein furchtbares Geheimnis? Zum Bei-
spiel die Höhe seines Gehalts? — Niemand weiß
es. Ich gestehe, ich kann diesen Mann nicht
sehen, ohne daß mir ein Gruseln über den Rücken
läuft. Ich habe beobachtet, daß er kurzsichtig ist,

— aber weshalb trägt er weder einen Zwicker,
noch eine Brille? — Es ist eben ein Gespensterhaus.

Wenn der Eindringling nun glaubt, ohne
weiteres die Treppe hinaufgehen zu dürfen, so
irrt er sich gewaltig. Ob jung oder alt, er muß
ein Stück weißes Papier hervorziehen (es muß
sehr wertvoll sein, da es in der Brieftasche aus-
bewahrt wird), ein viereckiges Stück weißes Papier,
in beffen Mitte schwarze Buchstaben aufgedruckt
finb. Man nennt dieses Geheimdokument ge-
wöhnlich Visitenkarte.

Es muß wiederholt vorgekommen sein, daß
dieses Papier vergiftet war. denn keine Macht
des Himmels und der Hölle könnte den Pförtner
bewegen, es mit der Hand anzufassen. Du mußt
es vielmehr auf eine silberne Schale legen, die
der Pförtner über die Bediententreppe in den
ersten Stock trägt, während du auf einem vier-
beinigen Gerät Platz nehmen kannst. Ich würde
dieses Gerät gerne als Stuhl bezeichnen, wenn
man darauf sitzen könnte. Wahrscheinlich ist es
ein mit Saint überzogenes mittelalterliches Folter-
inftrument, denn noch niemand ist nach minuten-
langem Sitzen aufgestanden, ohne daß ihm, dank
der sinnreichen Konstruktion, sämtliche Glieder
eingeschlafen gewesen wären. Es ist der richtige
Gespensterstuhl.

Du vermutest nun vielleicht, bu dürftest endlich
die Herrschaftstreppe hinaufpehen, — Narr, hast
du vergessen, daß du dich in einem Gespenster-
Haus befindest? Ich wette, diese Treppe ist mit
Fliegenlei,n bestrichen oder sie enthält heiinliche
Klappen, durch die man in unterirdische Gewölbe
stürzt, denn jeder Besucher wird an, Betreten
verhindert E'' wird vielmehr in einen seitlich
angebrachten, großen Kasten genötigt, der plötzlich
zu schweben beginnt und eine Art Seekrankheit
Register
Alfred Bauer: 500 Meter vom Feind
Ferdinand Staeger: Zeichnung ohne Titel
Karl Ettlinger: Das Gespensterhaus
Hermann Schieder: Das Opfer
O. Cr.: Blättertotentanz
 
Annotationen