Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
K> ■».;

er sich hinter die Betten, hinter denen ihn sein
Gegner schwer mehr fassen kann.

Seine Medizin trinkt er aus der Flasche, ob
die Dosis zu klein oder zu groß ist. ist ihm egal.
Ich mahne ihn, er mutz sie von mir nehmen aus
dem Löffel, er versichert mir aber, datz er mir nur
diese Mühe abuehmen ^ wolle. Man kann ihm
nicht zürnen. Einmal hielt er mir im Halbdunkel
die falsche Flasche hin, die zu einer Einspritzung
bestinnnt war, anstatt^ der zum Einnehmen, weil
er sich von diesem Spatz Vergnügen versprach.
Aber dann war ein großes Würgen und Spucken
und Husten — denn die Flüssigkeit schmeckte ab-
scheulich.

Mit Iänos gibt er keine Ruhe.

Wenn Iänos so gemütlich aus seinem Bette
lacht, steht Marian auf. geht zu ihm und pufft
ttitb reizt ihn. Ich höre eine Bewegung, sehe
zwei Menschen in mangelhafter Toilette sich balgen,
nackte Fütze fucl)teln herum und es regnet Püffe
und Tritte. Marian lacht und kichert aus vollem
Hals, aber Iänos sieht, datz ich zusehe, und hält
verlegen eiin Er hat ohnehin seinen Gegner schon
tüchtig dazwischengenommen; Marian ist unter-
legen. Und Iänos lacht gutmütig und begibt sich
in sein Bett zurück.

Manchmal sitzen sie beisammen nnb spielen
Karten. Marian beschwindelt immer. Er schaut
allen in die Karte und macht dabei Augen wie
der Falschspieler in der Dresdener Galerie. „Der
andere Peter" ist immer der Geprellte. Er ist
die Ehrlichkeit und Naivität selbst. Er spielt brav
und mit Überlegung und seine Karten wirst er
mit Schwung energisch von oben herab auf die
andern. Aber da hilft alles ehrliche Deiiken nichts
— Marian macht es zuschanden durch seine
Schwindeleien uiid „der andere Peter", gerät in
solche ehrliche Entrüstung, datz Iänos lachend auf
jciii Kissen zurückfällt. Der Mondkopf Peter
lacht gutmütig brumniend. Ich beruhige Peter und
streiche seine zwei Falten glatt. Er lächelt wieder
nnb versteht sich nochmals zum Spiel, freilich mit
demselben Ausgang.

Und doch ruft es überall: Marian l Marian!
Er ist wie der nötige Pfeffer auf der Speise.

Er hilft mir aber auch die Betten machen
und ist mein Dolmetsch. Durch ihn lerne ich ineine
Patienten näher kennen, kann ich mich etwas
mit ihnen unterhalten. Einige von ihnen haben
Frauen und Kinder zu Hause in Galizien, von
deren Schicksal sie nichts mehr wissen. Dort sind
die Russen. Leben die ihren nod) ? Und die
Familien ihrerseits wissen nichts vom Gatten und
Vater und können nichts von ihm erfahren.

Sie wissen alle auch nicht was tun, wenn der
Krieg beendet ist; denn vielleicht ist ihre Behausung
zerstört, ihr Hab und Gut verbrannt. —

Das Gefühlsleben meiner Soldaten offenbart
sich mir aber auch noch auf eine andere Art.
Nämlich durch ihre Kopfkissen, d. h. durch das,
was darunter ist. Wenn ich die Betten mache,
finde ich ein ganzes Lager von persönlichen
Dingen. Meistens ein altes abgegriffenes Gebet-
buch, Bildchen, abgenützte Brieftaschen mit alten
von Staub und Schweiß beschmutzten Papieren.
Ein paar Briefe oder Karten, Feldpost, halbzer-
rissene Photographien, Amulets, alte rostige Messer
und halbblinde kleine Spiegel. Meistens alles
sorgsam in ein Taschentuch eingewickelt oder in
ein Papier. Und sorgsam lege ich es immer
wieder unter die Kissen. In ein Eckchen des
Taschentuchs eingebunden die kleine Bar>chaft
von ein paar Kreuzern.

Iaidos hat einen eigenen Geldbeutel, und „Peter
der Mondkops" auch.

Dabei liegt Tabak und Brot. Alles, was
sie nicht aufessen können, kommt unter das
Kopfkissen.

Einige von ihnen trugen an beschmutzten
Bündchen Marienmedaillen um den Hals. Als
ich ihnen neue starke Seidenschnüre umknüpfte,
an die ich die-Medaillen hing, küßten sie erst

diese und dann meine Hand. Wie Kinder
freuten sie sich.

Sie sind überhaupt wie Kinder in ihrer Fröm-
migkeit, besonders die Polen. Den einen sehe
ich abends immer zum Nachthimmel gewandt
stehend sein Gebet verrichten.

Iänos scheint nicht so fromm. Nur einmal
sah ich ihn eifrig aus seinem Buche beten, als
der Priester dagewesen und ihm und den andern
die Beichte abgenommen hatte. Ich neckte sie,
was sie eigentlich zu beichten hätten. da sie hier
im Spital doch gar keine Gelegenheit zürn Sün-
digen hätten und so brav wären. Peter, der Mond-
kopf verdolmetscht mir seine und seiner jüngeren
Kaineraden Antwort. „Ja," sagt er, „hier im
Spital und and) int Feld haben wir nicht viel
Sünden, aber im Iwil, Schwester!" Und er zieht
die Unterlippe ein und zwinkert mit den Augen.
„Hmmm," sagt er und schttalzt mit den Fingern
und wiegt seinen großen Kopf. Er prahlt
ordentlich.

Ich mutz lachen. Es gefällt mir.

Vont Krieg erzählen sie mir viel, wie sie
Tag und Nacht im Schützengraben lagen, wie
sie tagelang marschierten, oft ohne Nahrung
bleiben mußten. Sie haben alle Furchtbares ge-
sehen und erlebt. Neben ihnen fielen die Kame-
raden, sie kamen in Bajonettkampf mit den
Kosaken und sind wie bnrd) ein Wunder dem
Tode entronnen.

Wieviel Russen sie töteten, erzählen sie auch.
„Peter der Mondkopf" hat deren zwei nachein-
ander tödlich getroffen. Ihn selbst traf eine Kugel
ins Bein, die aber durch vorheriges Durchdringen
eines andern Gegenstandes die Schutzkraft ver-
Irnen und ihm nur so tief ins Feisch drang, datz er sie
selbst gleich enlfernen konnte. Die Kugel hat er
bei sich. Der gute Kerl, der gewiß sonst keinem
Tiere etwas zu leid tut!

Dann ist da nod) Sändor, der Pole, mit dem
Heißhunger. Er bekomntt Brot zu seinem Mahl
und versteckt es unter dem Kopfkissen. Dann
läßt er sich nochmals geben. Anfaitgs gelang es
ihm immer, aber schließlich wurde er ertappt. Ich
auch, denn auch.ich halte geschwindelt nnb Brot
für ihn aus dem großen Korb im Austeilungs-
raume geholt. Der hungrige Sändor! Sogar
die andern geben ihm von ihrem Essen. Aber
er ist nicht zu sättigen. Wenn er mit allem fertig
ist, geht er mit hungrigen Augen umher und itzt
alle Reste auf. Sonst liegt er stumm und still
im Bett. Manchmal setze ich mid) zu ihm, aber
sprechen können wir nicht.

Dann ist da noch Andräs, der Krainer, ein
feiner, stiller, älterer Mann. Er spricht auch not-
dürftig Deutsch und sehnt sich nach Hause zu Frau
und Kindern. Er ist müde und fürchtet sich vor-
der Rückkehr in's Feld, denn er ist den Stra-
pazen iticht gewachseit.

Die andern, jüngern gehen mit neuem Mut
zurück in's Feld, aber der Kramer nur mit Bangen.

Und noch ein Iänos ist da, der schwerkrank
ankam. Eine böse Lungenentzündung. Elend,
schmutzig, blaß, mit Schwielen an Händen und
Füßeit, wie ich es «toch nie sah.

Langsaut gesmtdete er. Und eines Tages lag
er fieberfrei int Bett.

Die Wattgen begattnen siel) zu runden, die
Augen wurden hell, und int Bad löste sich die
schwielige Haut. Eines Tages wusch er sich sorg-
fältig, ich frisierte ihn mit dem Handtuch und er
drehte sein bloitdes Bürtchett fein in die Höhe.

..Was für ein hübscher Mensch er ist," sagte
der Professor, als er an feilt Bett trat, und zog
ihn scherzend am Bärtchen. Eine Antwort gab
der blottde Iänos nicht, denn er versteht nicht
Deutsch.

Und doch unterhalten wir uns oft miteinan-
der. Er spricht polnisch, ich deutsch und damt
nickett wir verstehend. Ungefähr verstehen wir

Gelände-Kampf

~ - .-V -
Register
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen