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Brot an die Feinde Ludwig Putz (München)

uns ja auch. Nie sah ich einen treuem, ergebe-
neren Blick in Menschenaugen. „Gut," sagt er
immer, „gut". Das bezeichnet alles. Es geht
ihm gut. — Aber alle sind mehr oder weniger
gedrückt. Nur Iänos, der Ruthene, bleibt sich
gleich.

Iänos ist das Leben selbst. Er lebt und das
scheint ihm vorläufig genug. Er dreht sich Zi-
garetten und sein Bett ist der reinste Tabakladen.
Ich must seine Laken immer besonders kräftig
ausschütteln.

Die beiden Pster helfen ihm und dann rauchen
sie. Als ich neulich eine Zigarette erbat, wollte
Iänos mir gleich die ganze Schachtel voll schenken.
Ich nahm aber nur drei und stieg aus das flache
Dach des Riesenspitals, das zu einem Erholungs-
platz hergerichtet ist, wo ich sie rauchte, worüber
sich Iänos, stolz, daß fein Fabrikat mir zusagt,
innigst freut.

Im Saal ist das Rauchen verboten. Die
Kranken, die ausstehen können, müssen sich in
den „Rauchsalon" begeben, einen Glasverschlag
innerhalb des weiten Krankensaales. Die in den
Betten sollen verzichten. Aber auf einmal steigt
da und dort ein Rauchwölkchen auf aus einem
Bett. Die Oberschwester kommt und der Auf-
seher kommt und sie schnüffeln in der Luft herum.
„Wer raucht da?"

Ich suche mit strengem Gesicht in der ent-
gegengesetzten Richtung nach dein „angeblichen"

Rauch und versichere: ich sehe nichts! Oh, wir
verraten uns gegenseitig nicht! Die Oberschwester
patzt mir etwas auf, schon wegen dem Leinen-
schrank, denn sie ertappt mich immer, wenn ich
für meine Patienten die beste Wäsche aussuche.
Sie schilt. Ich soll auch die alte nehmen, selbst
wenn Löcher darin sind und keine Knöpfe und
Bänder daran.

Denn was für Liebesgaben sind gekommen!
Wenn die Soldaten kräftig hineinfahren, schaut
plötzlich irgendwo das nackte Fleisch hindurch.
Und Tränen haben wir schon gelacht über die
ausgefranzten, kurzen Unterhosen. Keiner will
sie anziehen, denn das ist ihre graste Toilette
außer einem Hemd und einem kurzen Mantel
aus Waschstoff. —

Iänos lacht. Sein tiefes Lachen. Und seine
Zähne blitzen, obgleich er keine Zahnbürste im
Gebrauch hat. Das Handtuch ersetzt hier Bürste
und Kamnt.

Er erinnert mich immer an Björnson's „frohen
Burschen". Er ist die Kraft und Gesundheit selbst,
denn seine vorübergehende Erkrankung ist nahezu
gehoben.

Ein paar Tage noch — und er liegt wieder
im Schützengraben.

Auch ich must gehen, bin abgerufen worden.
Heute.

Ich setze mich auf Iänos' Bett und sage es
ihm und den zwei Peter. Der Mondkopf über-
setzt ihnen, das; ich weggehe.

„Morgen — jüdro," sagt er den beiden. Und
Iänos wiederholt „jüdro“. Ganz entsetzt schaut
er mich an.

Und die drei machen so traurige Gesichter,
dast ich schnell aufstehe, damit man die Tränen
nicht sieht, die mir aufsteigen.

Und gleich darauf wissen es alle zwanzig.
Und alle machen traurige Gesichter.

Icl) gehe am nächsten Tage nur noch kurz an
jedes Bett. Ich must mit Gewalt meine Bewe-
gung unterdrücken.

Ein schneller Abschluß ist das beste, da es
doch sein must.

Wiedersehen werde ich wohl keinen von ihnen
mehr. Eilt weder sie bleiben im Krieg oder sie
kehren in ihre Heimat zurück, wohin ich nie komme.

Sie küssen mir alle die Hände. Ich sehe
Tränen und mir selber stehen sie in den Augen.
Air der Türe wende ich mich noch einmal um,
sie winken mir mit der Hand, llnb dann bin
ich draußen.

Ich werde sie nie vergessen!

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