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Pogrome

Was glühen Deine Augen, Ahasver?

Du, dem der Tränen Wohltat fremd geworden,
Du weinst? Du schaust verirrten Blicks umher,
Als ahntest Du ein endlos Meuchelmorden?

Dich, den ein Fluch von Land zu Land getrieben,
Dich wundert noch, wie blind der

Wahnwitz haßt?
Du bist wohl lange Rußland ferngeblieben,
Daß solch' Entsetzen Deine Brust erfaßt?

Bestochne Zeugen und bestellte Kläger —
Aus Blutgier, Aberglaube ein Gebräu —
Und Pate stehen hohe Würdenträger —

Ist dies, o Ahasver, für Dich so neu?

Verstummen lasse, armer Greis, Dein Zetern!
Sei doch „modern" und still die Tränen gleich,
Besinn' Dich doch: gilt nicht „Kullurvertretern"
Dies Rußland als ein b ü n d n i s f ä h i g R e i ch?

Sie sehn verzückt den Russenbären schmatzen,
Als lieber Freund gilt ihnen der Gesell:
John Bull drückt ihm die

blutgetränkten Tatzen,
Mariannchen kraut sein blutbesudelt Fell.

Drum weine nicht und lass'

die Schmerzensschreie,
Rein, lache, daß es bis zum Himmel gellt:
Frankreich und England, Rußland —

diese Dreie

Beschirmen die „Kultur" auf dieser Welt . , .

Karl Sllllnger

*

Liebe Jugend!

Als die Engländer in Hamburg zuerst auf
Schiffen interniert wurden, fragte ein soeben An-
gekommener den wachtmann, wie lange sie hier
nun wohl eigentlich sitzen sollten.

Darauf erhielt er die Antwort: „Tjä, Äsquith
feggs, twentig Zohr."

Die Geste

Gar stolz steht in der Themis Saal
Und aufrecht der Franzose.

Zur Szene wird das Tribunal,

Gerechtigkeit zur Pose.

Rechtsprechung hin, Rechtsprechung her!

Das Wichtigste und Beste
Ist, daß gefällig sei und hehr
Die Geste!

Der Richter wirft sich in die Brust
Und schüttelt stolz die Mähne,

Der Zeuge redet selbstbewußt
Und weint dann eine Träne.

Der Advokat steckt hoheitsvoll
Die Hand in seine Weste,

Das Publikum beklatscht wie toll
Die Geste!

Am jiingften Tag tritt oben an
Ein Mann in roter Hose
Und spricht zu Gott: „Mein lieber Mann,
Hier steh' ich, ein Franzose!"

Der Herr ist vor Bewundrung stumm
Und denkt nur ganz modeste:

„Ach, wie beneide ich Sie um
Die Geste!

Frido

Vox populi

„Gcln S', da Lord Ritschinger sagt, da
Rricg fangat erscht mit'n Mai o."

„Ia, ja - mit'n Mäu'l" (Maul).

Theorie und Praxis

Die englische Rote, die auf die Beschwerde
der Vereinigten Staaten ergangen ist, betont,
England stehe im Prinzip auf dem Standpunkt,
die Rechte der Neutralen zu achten: aber in der
Praxis werde es sich nicht umgehen lassen, die
Schiffe der Neutralen in den nächsten Hafen ztt
schleppen und zu durchsuchen. —

Als der Vorsitzende der Strafkammer dem
wegen Rückfalldiebstahl angeklagten Eduard Kra-
wuschke aus Berlin. Pallifadenstraße 5, genannt
Pallisadenede, das Wort erteilte, sagte dieser:
„Hoher Herr Ierichtshof, ick bitte Ihnen, mir
freizusprechen. Ick bin nämlich im Prinzip ab-
solutemang sor Ehrlichkeit unn for Achtung der
Rechte von die andern: aber in die Praxis läßt
et sich nich umjehn, bet ick manchmal fremde
Taschen durchsuche. Unn wenn ick da bares
Ield fittde, bet erklär' ick for eene jute Prise."

Kliedive

Theo Waidenschlager

Der britische Löwe

„Mich bleibt immer noch eine Radikalmittel
gegen das deutsche Luftflotte: ich stelle ein-
fach ganz England unter die Schutz von das
Rote Nrcuz!"

Junge Helden

Der fünfzehnjährige Schüler Alfons Köberle aus
Kolmar erhielt das Eiserne Kreuz 2. und 1. Klasse
Köberle rettete zwei Offizieren das Leben, geriet in
französische Gefangenschaft, entwich ihr und erbeutete
dabei acht Gewehre.

Schaut ihn euch an, den Knaben,

Den das Eiserne Kreuz schon schmückt!
Seine Kinderaugen haben
Dem Tod in die Augen geblickt.

Uber seine knospende Seele,

Die noch einer Mutter gelauscht,

Sind schon die wilden Choräle
Voll Schlachtendonnern gerauscht,

Und ihn, der kaum der Wiege
Milchweißen Gesichts entrann.

Ihn schweißte der Gott der Kriege
Mit eineni Mal zum Mann.

Schaut ihn euch an, den Jungen!

So teuer hat Keiner mehr
Unter all den Großen errungen
Das Eiserne Kreuz wie der!

Denn Er hat drangegeben,

— Kind einer heldischen Zeit —

Sein ganzes Jünglings leben
Voll träumrischer Seligkeit!

Das wird ihm nie mehr schenken
Der Lorbeer, der ihn umlaubt!

Das läßt mich in Ehrfurcht senken
Vor ihm mein altes Haupt.

A. I>e \ora

*

Finis Poloniae

Auf dem 150. Slavendiner in Petersburg
kanzelte der Festredner Schtscheglowitow die Polen
ab und sagte, sie sollten sich nicht im Traum ein-
fallen lassen zu glauben, es werde ein neues Polen
ohne russische Konstitution zustande kommen.

Ein Pole war deshalb sehr niedergeschlagen
und wurde von einem Stammesgenossen getröstet.
„Bruderherz", sagte der Tröstende, „hast Du denn
wirklich geglaubt, daß die Versprechungen, die in
dem Aufruf des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch
den Polen gemacht worden sind, gehalten werden

würden?"-„Ia," erwiderte der Angeredete.

„das Hab ich freilich geglaubt. Warum sollte ich
auch nicht? Hatte er doch darauf nicht sein Ehren-
wort gegeben!"

Kliedive

*

Jiveiseekencheorie

Bald mag ich ihn, spricht Greg, als Bundsgenossen,
Bald fürcht' ich ihn als meine Konkurrenz,

Bald ruf' nach seinen Männern ich und Rossen,
Bald wünsche ich ihm Tod und Pestilenz.

Bald ist er mir ein unerwünschter Mahner,

Bald ist er wieder meine ganze Lust,

Bald liebe ich, bald haß' ich den Japaner, —
Zwei Seelen wohnen, ach,

in meiner Brust.

Bald mach' ich ihm die schönsten Komplimente,
Bald werf' ich einen Blick ihm zu voll Gift,
Bald zahle ich ihm reichliche Prozente,

Bald seife ich ihn ein, wie 's grade trifft.

Bald kann ich den Japaner nicht verknusen,
Bald liebe ich ihn wie ein frommer Christ.
Zwei Seelen wohnen, ach,

in meinem Busen.
O wüßt' ich, welche lukrativer ist!

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Register
A. De Nora: Junge Helden
Karl Ettlinger: Pogrome
Khedive: Finis poloniae
Anton Schönmann: Vox populi
Frido: Die Geste
Theo Waidenschlager: Der britische Löwe
Frido: Zweiseelentheorie
Khedive: Theorie und Praxis
 
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