Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stimmen des Sturms

Schlaflose Nacht. Der zwölfte Schlag verhallte.
Was pocht am Laden, raunt am Fensterspalte.
Wo halb erloschen Flackersternlein glimmen?
Mir ist, als hört ich Stimmen.

Heraus! Wie kannst Du ruhn?

Was willst Du tun?

Vorn Felde komm' ich, sah die

Kampfesgrimmen

Beim harten Tagwerk, sah die blonden

Knaben

Wie Männer harren, mit offner Wundenspalte,
Und Männer, dicht gereiht im Schützengraben,
Lebend'ge Mauern. Drüber streicht die kalte
Dezemberluft und Nabenschwärrne flattern —
Was suchen sie? Signal — Gewehre

knattern —

Pfeifen, wie Peitschenschlag und Surr'n

und Sausen.

Sie lernten's, friedlich mit dem Tod zu Hausen.
Und drunter hockt, wie Du. gar mancher Alte,
Grauer das Haar, tiefer die Sorgenfalte,
Weit vorn im Feindesland —

Heraus? Wie kannst Du ruhn?

Was willst Du tun?

Eisen ist Gold. Das Wort ist Tand.

Alls, las; Dein letztes Lebensstümpflein

glimmen,

Mag es vergeh'n. verweh'n im Opferbrand.
So ruft der Sturm. Ich lausche seinen

Stimmen.
<D. Crusius

ALT-RIGA

J. Großwald

Stegesflaggen

Die Fahnen haben Physiognomien. Line kleine
Fahne schwarz-weiß-rot am Gestänge der Straften*
babn. Noch sind die Däuser graue große Steine
in der Dämmerung, kalte Würfel, unwissend und
freudlos: Starre Ruhe und vornehme Gleich-
giltigkeit.

Aber die kleine Fahne an der Straßenbahn
rennt durch die Straßen: puiii — Sie ist wie
eine beredte Zunge, wie ein kleines Lachen im
Grau des Asphaltes und der Uäuser, wie ein
kleines Gekicher aus Mädchenmund: Wißt Ihr
schon, wißt Ihr schon, wißt Ihr schon, Uniii —
Über ihr sprüht der elektrische Funke. — Sie
wippt durch ein Tor und drüben lacht sie wieder
auf und plaudert die päuser an und die dunklen
Menschen, die sich schwerfällig drängeln: wißt
Ihr schon? Und einer bleibt stehen, eine Gruppe
stockt, hastige Finger überzittern das nächste Tele-
gramm. Lin Sieg? Und die Fahne flatternd,
wie an einem Ulanenspeer rennt weiter durch die
Straften. Aber da grüßt sie schon ihre Farbe von
einem Gebäude, und da links, eine Flagge weiß
blau. Sie wallen breit, satt und behaglich und
ein klein wenig vornehm, wie reife Frauen, die
<^eit haben zu langsamem Schreiten, die kleinen
hastigen Mädchen grüßen, wie die Ruhe den heißen
Impuls, gedämpfte würde das stürmende Leben
grüßt mit einem leise überlegenen Lächeln — wir
haben es ja lange schon gewußt.

Der wind hat eine Fahne gedreht, zum Strick
gedrechselt. Nur oben hat sie karge Entfaltung.
Aber sie bläht sich hoch, wirft sich iit hartem Ruck
in die Brust wie eine dürre pikierte Dame und
kreischt weit zuiückgebogen mit erdrosselter Stimme:

Sieg?' wer dürfte ibr den Rang streitig machen,
bitte wer? ? Sie hat cs als Lrste gewußt, sie, sie.

In dunklen schmalen Straßen wallt und wogt
cs. — Ls ist wie ein Fließen von schwerer dunkler
Gewandung — wie ein wissen um den Tod, um
das Blut, das dafür geflossen, daß sie sich aus-
breiten, ihre Farben entfalten, daß sie den grauen
rauhen Stein streicheln dürfen als wollten sie
sagen: Ls ist auch für dich! Daß sie die Men-
schen, die da unten sich drängen, jubeln machen
dürfen. — Sie sind wie eine frohe Zuversicht über
Gräbern.

Und das Mädchenkichern fliegt weiter und
weiter durch die Straßen: Fahnen heraus!

Hermann Schied er

Soköatenkied vor lKekfort

Wir schauen hoch vom Wasgenwald
Ins Frankenland hinein.

Von drüben wehr der Wind so kalt.
Schon sängt es an im Wasgenwald
Zu wintern und zu schnein.

Da macht ich bei dir sein.

Doch bin ich dir, mein bester Schatz,
Nicht ganz von Herzen treu.

Wir frein um eine wilde Katz,

Die hat derzeit den ersten Platz
— Das sag ich ohne Scheu —

In meiner Lieb und Treu.

Belfort, so heißt die edle Braut,

Die wollen wir ersrein.

Sie will noch nicht und sträubt sich laut

Und wird uns doch noch angetraut.
Es wird nicht lang mehr sein,

So gibt sie sich darein.

Wir schicken ihr inbrünstiglich
Der heißen Küsse Schwarm.

Tu auf, schön Kind, und füge dich!
Wir pressen dich, wir zwingen dich,
Bis dir wird heiß und warm
Und sinkst uns in den Arm.

Will Vesper

Die junge Exzellenz

Von Georg Hirschfeld

Die Frau Generalin von Hallersee, Ex-
zellenz, wurde nicht selten für ihre eigene
Tochter gehalten. Besonders als sie nach
dem Tode ihres Gatten in die Hauptstadt
übergesiedelt war, wo ihr stilles Leben sie
wenig bekannt machte. Hier war auch in den
blassen Ernst der jungen Witwe zuweilen ein
Lächeln gekommen, wenn man gar so bestürzt
war, sie Exzellenz betitelt zu hören und Detlev,
den kräftigen Buben, als ihr Eigentum zu
sehen. Auch wurde sie selbst immer wieder
durch die Überraschung der Menschen über-
rascht, denn sie glaubte sich viel älter, als sie
war. und mit wunderlichem Schrecken ent-
deckte sie. wie jung sie geblieben. Den Auf-
ruhr, den ihr solche Stunden brachten, ver-
barg sie sorglich vor der Welt. Personnen
stand sie am Fenster und dachte: Noch immer
nicht. Noch immer hast Du nichts von Dir
gelernt. Unartige „Tochter". Unvernünftige
„Mutter".

Gabriele von Gneist war mit neunzehn
Jahren des Generalmajors Joachim von
Hallersee Frau geworden. Das elternlose Sol-
datenkind hatte keinen unnatürlichen Weg be-
schritten. Diese Mädchenseele hatte die spröde Tiefe,
die sich nur dem Führer, dem Vorbild, dem Hel-
den auftun kann. Ihrem menschlichen Charakter
waren von Kindheit auf die Zügel der weib-
lichen Leidenschaft vertraut worden. Für Gabriele
war Joachim jung gewesen, obwohl er das fünf-
zigste Jahr überschritten. Sie sah die echte Jugend
in Frische, Reinheit und Ritterlichkeit. Sie hatte
gewußt, daß dieser rotwangige Graukopf wie
ein Jüngling empfand. Hohe Ehre auch um-
schimnierte das Soldatenkind, als es die Braut
des besten Reiteroffiziers der Armee geworden.
Während der sieben Jahre seiner Ehe ward
Joachim von Hallersee Generalleutnant und
kommandierender General. Der begabteste Korps-
führer, selbst eine junge Exzellenz. Daß aber
Gabriele durch ihn zur Exzellenz geworden, be-
wegte ihn so, daß er nur sein Lachen lachen
konnte, das dunkle und kurze, das wie Blut
aus dem Herzen kam.

Gabriele wurde immer ernst bei diesem Lachen.
Sie wußte, daß es das Verhaltenste durchschim-
niern ließ. Sie wußte, daß der männlichste Mann,
der stets sein Ziel gekannt, nüt sich selbst nicht
fertig wurde. Wenn die Menschen seine Tatkraft
bewunderten, kam sein Blick, der das ergreifende
Fragen eines schönen Hundeblicks hatte, zu ihr:
Bin ich denn nicht zu alt für Dich? Trotz allem?
Habe ich Dich nicht in eine falsche Welt versetzt?
Was wissen die, die den Soldaten loben? Sie
lachen vielleicht über den Mann.

Nichts fürchtete Gabriele für ihre Ehe so. wie
diese Stimmung, diesen Zweifel. Immer wieder
hatte sie überlegt, wie das Gift, das in die Adern
ihres Zusammenlebens dringen konnte, aufzuhalten
war. Es gelang ihr. aber es kostete sie schmerz-
liche Kümpfe. Der General sah nicht frei auf sie.
wenn sie mit seinen jungen Leutnants sprach. Er
wußte dann erst, was ihm das Leben geschenkt
hatte. Doch Jeder ehrte ihn, Niemand wagte
sein Glück zu berühren. Das wußte er auch, und
so richtete sich sein Zorn nur gegen ihn selbst.
Register
Otto Crusius: Stimmen ds Sturms
Hermann Schieder: Siegesflaggen
Georg Hirschfeld: Die junge Exzellenz
Will Vesper: Soldatenlied vor Belfort
J. Großwald: Alt-Riga
 
Annotationen