3n jeder Gesellschaft suchte Gabriele ihn voll
ursachloser Reue auf. Dann sah er sie an.
Dann fühlte er, warum sie Kain, und sein rat-
loser Blick sprach: Das ist es ja eben. Du
bist mein makelloser, guter Geist. Ja. wenn
ich für Dich Kämpfen könnte! Wenn's noch
Krieg gäbe!! So muß ich uns beide sehen!
Dich und mich! Aber ich schicke Dich nicht
fort! Ich lasse Dich nicht tanzen! Ich kann's
nicht!-
Der letzte Frühlingssturm des alten Adels-
baumes gab Gabriele noch ein Kind. Das war
die größte, unbeneidete Freude für Joachim
von Hallersee. Gabrieles Kind! Diese Worte
bargen eine Welt von Glück. Aber er sprach
sie anders aus, als er wollte. Er sagte: „Der
Junge wird Soldat! Wir Hallerseens sind
alle Soldaten gewesen!" Gabriele nickte. Heute
überlistete sie ihn. Sie verbarg dem stolzen
Vater einen Gedanken, der sie oft gequält:
Ihr, der 'Frau des erfolgreichsten, war der
Beruf des Soldaten zweifelhaft geworden. Das
tat der lange, waffenstarre Friede, in dem sie
aufgewachsen war. Auf allen Gebieten sah sie
Entwicklung, Blüte, Ziel, nur nicht hier, wo
sie die besten Männer wußte, noch immer die
besten. Es brachte nicht Erlösung, wie Kunst
und Wissenschaft. Es verschlang nur Kräfte
um Kräfte. Was hatte Joachim ihr einmal
gestanden? Ein einziges Mal? „Ich bin als
Mensch verpfuscht, Gabriele. Für den Dienst
reicht mein Tag — und Abends bin ich abge-
trieben, ein alter Mann für Dich." Rach Krieg
sehnte er sich. Der aber war ein schönes Mär-
chen für alte Kinder geworden. Trotzdem sollte
sein Detlev Soldat werden. Auch Detlev, wie
nach ehernem Gesetz.
Eines Morgens hatten die jungen Leutnants
ihren General als Sterbenden in sein Haus ge-
tragen. Die Attacke, die er noch mitgeritten, war
ihm zum Todesritt geworden. Nicht im Feindes-
land, auf herbstlicher Heimaterde war er gestürzt.
Sterbend küßte er Gabriele. Auf Detlev sah er
nicht mehr.
Seine Witwe aber nahm ihn nun erst in ihr
Gefühl auf, unwandelbar, als den ewig Jungen.
Das Leben hatte sie nicht verwöhnt, bevor sie
ihrem Helden begegnet. So war es der selbst-
verständlichste Weg für sie, im Schatten seines
Verlustes ihre Daseinsspanne zu durchmessen. Das
war die große und herbe Gabe der Gneist: sie
konnten sich entflammen, und sie konnten ver-
zichten. Unter diesem Gesetz entfaltete sich erst
die Schönheit Gabrieles. Sie ließ sie erblühen,
wie ihre Blumen, keusch und nur für ihr stilles
Haus. Mit ernster Sorgfalt pflegte sie sie. Für-
Gott geschah es, der sie zum Ebenbild ihrer Mutter-
gemacht hatte. Auch sie wurde nichts anderes
mehr, nur Mutter. Das war sie ganz, iir tiefer,
rastloser Glut.
Detlev zeigte ihr zunr Dank den unbewußt
jungen Joachim, nicht den tragisch bewußten. Sie
ließ ihn Soldat werden, wie der Vater es gewollt.
Sie gab ihn an die prächtige Hoffnungslosigkeit
hin und zwang ihren alten Zweifel nieder. Über-
tragen konnte Detlev als Soldat erfüllen, was
sie ihrem Sohne wünschte: ein höherer Mensch
zu sein, ein Schützer der Schwachen und ein
Starker in Demut vor Gott. Sie lebte sich in
seine Seele ein, wie in das einzige Streben und
Wissen. Ihr Kind wollte sie besitzen bis in das
letzte Blutatom. Ihr Kind sollte eine Huldigung
an den Vater sein und der Inhalt ihrer Tage.
Sie sah ein Unendliches, das Gott zugleich ver-
suchte und pries. Sie sah es ruhig an. Sie
wußte, daß sie nur ihr Kind hatte.
Bald mußte Detlev in das Kadettenkorps ein-
treten, und die Mutter zog mit ihm in die Haupt-
stadt. Alte Verwandte waren hier ihr einziger
Verkehr. Sonst lebte sie in ihren hohen, reinen
Raunten, wo immer Blumen standen, und baute
unter den Bildern ihres allen Helden das Leben
des Sohiles aus. Sonntags besuchte Detlev die
Mutter. An diesen Festtagen ritten sie miteinan-
J ul ins Kitsche
der weit in den Stadtwald hinaus, und Gabriele
lauschte in lächelndem Glück, was Detlev ihr ver-
traute. Immer stärker erkannte sie, was sie einst
verkannt: Der Soldatenberuf, Joachims Beruf,
war doch der erlösende. Auch in waffenstarrer,
langer Friedenszeit. .Übertragen!' dachte Gabriele
wieder mit sinnendem Lächeln. ,Er weiß es nicht.
Er ist ganz Tatkraft, männliches Glück. Es be-
fähigt ihn, zu meiden, was er meiden soll: Hof-
fahrt, Geburtsdünkel, flachen Iunkersinn. Es be-
fähigt ihn, zu erreichen, was er erreichen soll: ein
Goethemenschentum, ein christliches Ritterwesen.
Welcher Segen, das; ich ihn Soldat werden ließ? —
Als Detlev, ein Achtzehnjähriger, in der Se-
lekta war, brach der Weltkrieg aus. Mit großen
starren Augen lauschte Gabriele auf diese Kunde.
Das hatte sie nicht gewußt . . . Wirklichkeit!
gellte es in ihren Kriegertraum. Sie weinte zum
erstenmal — sie weinte durch eine schlaflose Rächt.
Niemand ahnte es. Am Morgen trat sie auf-
recht und heiter zu Detlev. Er umarmte die
Mutter. Der Kaiser — sie solle es denken! —
Der Kaiser habe befohlen, daß die Selekta des
Kadettenkorps eine Notprüfung ablege! Sofort
werde er Offizier! Sofort! Und sofort, Mutter
-es muß doch sein . . . Sofort! — —
Sie blickten sich eine Weile stumm in die
Augen. Dann war es gut. Dann hatte auch
Gabriele ihre Notprüfung bestanden. „Es ist
das Größte, was für Dich kommen kann, mein
Junge," sagte sie. Die sanften Worte der Mutter
gaben ihm eherne Wahrheit. „Du erlebst, was
Dein Vater nur erträumt hat." — „Ach, wenn
doch Vater mit mir ginge!" — „Vater sieht Dich.
Glaube mir, nicht nur die Erde ist in Bewegung
— oben im Himmel ringt es — unabsehbar —
ich fühl's." —
Sie sah ihn ziehen, nach wenigen Tagen schon.
Der hübscheste Leutnant, eine Morgenblüte am
Hallerseescheu Baum. Sie sah ihn ziehen und
weinte nicht. ,Soldatenleben/ sann sie. ,Nicht
mehr übertragen. Dein Kind zeigt jetzt den Ernst
— Dir ist es nur Spiel gewesen, alter, toter Held.
Herrlich Unzufriedener. Lerne jetzt von Deinem
Sohn. Ich bete für ihn auf Erden — tu Du
es im Himmel. Wer von uns beiden mag größere
Kraft für ihn haben?‘ —
Sie war nun ganz allein. Kein Sonntag
mehr brachte ihr den lieben Kadetten. Aber sie
weinte nicht. Sie lebte in dem stolzen Fieber
des Vaterlandes mit, die junge Exzellenz. Sie
hatte alles hergegeben, was sie besaß. Das wußte
sie mit blütenreinent Gewissen. Ins vorderste
Treffen kam Detlev, der „Muttersohn". Immer
an die Front, der alte Reiterheldengeist. Das
Schwerste waren Gabrieles einsame Träume.
Sie sah ihren Lebensschatz in jeder Vernichtung.
Sie glaubte oft, wenn das Morgengrauen durch
ihr Fenster schien, ganz fest, ganz eisig fest:
Nun ist er tot.
Aber Briefe kamen — drei wunderbare
Briefe. Goethemenschentum, christliches Ritter-
wesen. Immer wieder trank die einsame
Mutter den Born dieser Briese. Was besitze
ich doch! Was durfte ich hergeben! Was wird
mir einst wiederkommen! — Diese Gedanken
hielt sie in sich wach, durch Tage und Nächte.
Sie klammerte sich daran, als keine Briefe
mehr kamen, als eine fürchterlich lange, öde
Wartezeit hereinbrach. Da noch lächelte sie
über den drei Briefen, die sie hatte. Sie las,
was sie auswendig wußte, sie las es, als ein
Telegramm des Obersten kam ....
Tot.-Nun war er wirklich tot. —
Detlev lebte nicht mehr. Beim Sturm gefallen.
Dieser dämonisch lockende, väterliche Geist! Er
nahm ihr, was er gegeben hatte. Aber Gab-
riele sah auf das Leben, wie es war und zu
Ende gehen mußte Soldatenmutter, Soldaten-
kind. Sie lernte mechanisch von Stunde zu
Stunde, was das Telegramm sagte: Detlev
tot. Dann hatte sie die Worte als Worte
verstanden. Nicht bitter und empört. Ein
kühler, herber Stolz, Herbstsonnenlicht erfüllte
sie bei diesem Bewußtsein. Sie strich mit ihren
schmalen, weißen Händen über die drei Briefe
hin und küßte sein Bild. Die Berührung mit
der kalten Glasplatte brachte ihr einen namenlosen
Schauder. Aber sie weinte nicht. Ohne Hilfe han-
delte die junge Exzellenz. Sie telegraphierte an
den Obersten, daß man ihr die eine Gunst noch
schenken möge, ihres Mannes wegen: Detlevs
Leiche solle man ihr schicken. Nicht in Frankreich
dürfe sie liegen — im Vaterlande sei ihr Platz.
Man schickte ihr den Toten. Von der Grenze
holte sie ihn ab, unter Mühe und Gefahr, fast
verzagend. Aber sie weinte nicht. Sie sah ihn
noch, bevor sie ihn in seinem edlen Sarg legte,
und küßte das eiserne Kreuz auf seiner Brust.
Aber sie weinte nicht. Endlich kam sie mit ihm
unter den alten Linden des Herrensitzes an. Hier
war Friede. Hier wartete der Vater, der nach
langem Spiel den Ernst gesehen hatte. Hier be-
grub sie Detlev. Aber sie weinte nicht.
HerLstakend im Feld
Der Herbstwald glüht im Himmelsblau
Wie Rost auf blankem Stahl,
Wie Schwertstreich zuckt aus Wolkengrau
Der Sonne letzter Strahl.
Dort drüben liegt der Feind am Hang,
Ich steh auf stiller Wacht.
Noch summt ein letzter banger Klang
Und leise kommt die Nacht.
Ein Flieger zieht in weitem Rund,
Wachtfeuer lodern fern.
Der Nebel steigt aus feuchtem Grund,
Schon blinkt der Abendstern.
Grüßt er wie mich, mein Weib und Kind
Weit, weit im deutschen Land?
Fort mit dem Traum; — ein kühler Wind
Streift schauernd mir die Hand.
Vom Baum fällt müde Blatt um Blatt
Und deckt die Scholle sacht —
Wer weiß, ob man nicht morgen hat
Auch mich zur Ruh gebracht.
Heinrich Gilardonc,
im Feld beim I bayer. Landw.-Jnf.-Reg.
78
ursachloser Reue auf. Dann sah er sie an.
Dann fühlte er, warum sie Kain, und sein rat-
loser Blick sprach: Das ist es ja eben. Du
bist mein makelloser, guter Geist. Ja. wenn
ich für Dich Kämpfen könnte! Wenn's noch
Krieg gäbe!! So muß ich uns beide sehen!
Dich und mich! Aber ich schicke Dich nicht
fort! Ich lasse Dich nicht tanzen! Ich kann's
nicht!-
Der letzte Frühlingssturm des alten Adels-
baumes gab Gabriele noch ein Kind. Das war
die größte, unbeneidete Freude für Joachim
von Hallersee. Gabrieles Kind! Diese Worte
bargen eine Welt von Glück. Aber er sprach
sie anders aus, als er wollte. Er sagte: „Der
Junge wird Soldat! Wir Hallerseens sind
alle Soldaten gewesen!" Gabriele nickte. Heute
überlistete sie ihn. Sie verbarg dem stolzen
Vater einen Gedanken, der sie oft gequält:
Ihr, der 'Frau des erfolgreichsten, war der
Beruf des Soldaten zweifelhaft geworden. Das
tat der lange, waffenstarre Friede, in dem sie
aufgewachsen war. Auf allen Gebieten sah sie
Entwicklung, Blüte, Ziel, nur nicht hier, wo
sie die besten Männer wußte, noch immer die
besten. Es brachte nicht Erlösung, wie Kunst
und Wissenschaft. Es verschlang nur Kräfte
um Kräfte. Was hatte Joachim ihr einmal
gestanden? Ein einziges Mal? „Ich bin als
Mensch verpfuscht, Gabriele. Für den Dienst
reicht mein Tag — und Abends bin ich abge-
trieben, ein alter Mann für Dich." Rach Krieg
sehnte er sich. Der aber war ein schönes Mär-
chen für alte Kinder geworden. Trotzdem sollte
sein Detlev Soldat werden. Auch Detlev, wie
nach ehernem Gesetz.
Eines Morgens hatten die jungen Leutnants
ihren General als Sterbenden in sein Haus ge-
tragen. Die Attacke, die er noch mitgeritten, war
ihm zum Todesritt geworden. Nicht im Feindes-
land, auf herbstlicher Heimaterde war er gestürzt.
Sterbend küßte er Gabriele. Auf Detlev sah er
nicht mehr.
Seine Witwe aber nahm ihn nun erst in ihr
Gefühl auf, unwandelbar, als den ewig Jungen.
Das Leben hatte sie nicht verwöhnt, bevor sie
ihrem Helden begegnet. So war es der selbst-
verständlichste Weg für sie, im Schatten seines
Verlustes ihre Daseinsspanne zu durchmessen. Das
war die große und herbe Gabe der Gneist: sie
konnten sich entflammen, und sie konnten ver-
zichten. Unter diesem Gesetz entfaltete sich erst
die Schönheit Gabrieles. Sie ließ sie erblühen,
wie ihre Blumen, keusch und nur für ihr stilles
Haus. Mit ernster Sorgfalt pflegte sie sie. Für-
Gott geschah es, der sie zum Ebenbild ihrer Mutter-
gemacht hatte. Auch sie wurde nichts anderes
mehr, nur Mutter. Das war sie ganz, iir tiefer,
rastloser Glut.
Detlev zeigte ihr zunr Dank den unbewußt
jungen Joachim, nicht den tragisch bewußten. Sie
ließ ihn Soldat werden, wie der Vater es gewollt.
Sie gab ihn an die prächtige Hoffnungslosigkeit
hin und zwang ihren alten Zweifel nieder. Über-
tragen konnte Detlev als Soldat erfüllen, was
sie ihrem Sohne wünschte: ein höherer Mensch
zu sein, ein Schützer der Schwachen und ein
Starker in Demut vor Gott. Sie lebte sich in
seine Seele ein, wie in das einzige Streben und
Wissen. Ihr Kind wollte sie besitzen bis in das
letzte Blutatom. Ihr Kind sollte eine Huldigung
an den Vater sein und der Inhalt ihrer Tage.
Sie sah ein Unendliches, das Gott zugleich ver-
suchte und pries. Sie sah es ruhig an. Sie
wußte, daß sie nur ihr Kind hatte.
Bald mußte Detlev in das Kadettenkorps ein-
treten, und die Mutter zog mit ihm in die Haupt-
stadt. Alte Verwandte waren hier ihr einziger
Verkehr. Sonst lebte sie in ihren hohen, reinen
Raunten, wo immer Blumen standen, und baute
unter den Bildern ihres allen Helden das Leben
des Sohiles aus. Sonntags besuchte Detlev die
Mutter. An diesen Festtagen ritten sie miteinan-
J ul ins Kitsche
der weit in den Stadtwald hinaus, und Gabriele
lauschte in lächelndem Glück, was Detlev ihr ver-
traute. Immer stärker erkannte sie, was sie einst
verkannt: Der Soldatenberuf, Joachims Beruf,
war doch der erlösende. Auch in waffenstarrer,
langer Friedenszeit. .Übertragen!' dachte Gabriele
wieder mit sinnendem Lächeln. ,Er weiß es nicht.
Er ist ganz Tatkraft, männliches Glück. Es be-
fähigt ihn, zu meiden, was er meiden soll: Hof-
fahrt, Geburtsdünkel, flachen Iunkersinn. Es be-
fähigt ihn, zu erreichen, was er erreichen soll: ein
Goethemenschentum, ein christliches Ritterwesen.
Welcher Segen, das; ich ihn Soldat werden ließ? —
Als Detlev, ein Achtzehnjähriger, in der Se-
lekta war, brach der Weltkrieg aus. Mit großen
starren Augen lauschte Gabriele auf diese Kunde.
Das hatte sie nicht gewußt . . . Wirklichkeit!
gellte es in ihren Kriegertraum. Sie weinte zum
erstenmal — sie weinte durch eine schlaflose Rächt.
Niemand ahnte es. Am Morgen trat sie auf-
recht und heiter zu Detlev. Er umarmte die
Mutter. Der Kaiser — sie solle es denken! —
Der Kaiser habe befohlen, daß die Selekta des
Kadettenkorps eine Notprüfung ablege! Sofort
werde er Offizier! Sofort! Und sofort, Mutter
-es muß doch sein . . . Sofort! — —
Sie blickten sich eine Weile stumm in die
Augen. Dann war es gut. Dann hatte auch
Gabriele ihre Notprüfung bestanden. „Es ist
das Größte, was für Dich kommen kann, mein
Junge," sagte sie. Die sanften Worte der Mutter
gaben ihm eherne Wahrheit. „Du erlebst, was
Dein Vater nur erträumt hat." — „Ach, wenn
doch Vater mit mir ginge!" — „Vater sieht Dich.
Glaube mir, nicht nur die Erde ist in Bewegung
— oben im Himmel ringt es — unabsehbar —
ich fühl's." —
Sie sah ihn ziehen, nach wenigen Tagen schon.
Der hübscheste Leutnant, eine Morgenblüte am
Hallerseescheu Baum. Sie sah ihn ziehen und
weinte nicht. ,Soldatenleben/ sann sie. ,Nicht
mehr übertragen. Dein Kind zeigt jetzt den Ernst
— Dir ist es nur Spiel gewesen, alter, toter Held.
Herrlich Unzufriedener. Lerne jetzt von Deinem
Sohn. Ich bete für ihn auf Erden — tu Du
es im Himmel. Wer von uns beiden mag größere
Kraft für ihn haben?‘ —
Sie war nun ganz allein. Kein Sonntag
mehr brachte ihr den lieben Kadetten. Aber sie
weinte nicht. Sie lebte in dem stolzen Fieber
des Vaterlandes mit, die junge Exzellenz. Sie
hatte alles hergegeben, was sie besaß. Das wußte
sie mit blütenreinent Gewissen. Ins vorderste
Treffen kam Detlev, der „Muttersohn". Immer
an die Front, der alte Reiterheldengeist. Das
Schwerste waren Gabrieles einsame Träume.
Sie sah ihren Lebensschatz in jeder Vernichtung.
Sie glaubte oft, wenn das Morgengrauen durch
ihr Fenster schien, ganz fest, ganz eisig fest:
Nun ist er tot.
Aber Briefe kamen — drei wunderbare
Briefe. Goethemenschentum, christliches Ritter-
wesen. Immer wieder trank die einsame
Mutter den Born dieser Briese. Was besitze
ich doch! Was durfte ich hergeben! Was wird
mir einst wiederkommen! — Diese Gedanken
hielt sie in sich wach, durch Tage und Nächte.
Sie klammerte sich daran, als keine Briefe
mehr kamen, als eine fürchterlich lange, öde
Wartezeit hereinbrach. Da noch lächelte sie
über den drei Briefen, die sie hatte. Sie las,
was sie auswendig wußte, sie las es, als ein
Telegramm des Obersten kam ....
Tot.-Nun war er wirklich tot. —
Detlev lebte nicht mehr. Beim Sturm gefallen.
Dieser dämonisch lockende, väterliche Geist! Er
nahm ihr, was er gegeben hatte. Aber Gab-
riele sah auf das Leben, wie es war und zu
Ende gehen mußte Soldatenmutter, Soldaten-
kind. Sie lernte mechanisch von Stunde zu
Stunde, was das Telegramm sagte: Detlev
tot. Dann hatte sie die Worte als Worte
verstanden. Nicht bitter und empört. Ein
kühler, herber Stolz, Herbstsonnenlicht erfüllte
sie bei diesem Bewußtsein. Sie strich mit ihren
schmalen, weißen Händen über die drei Briefe
hin und küßte sein Bild. Die Berührung mit
der kalten Glasplatte brachte ihr einen namenlosen
Schauder. Aber sie weinte nicht. Ohne Hilfe han-
delte die junge Exzellenz. Sie telegraphierte an
den Obersten, daß man ihr die eine Gunst noch
schenken möge, ihres Mannes wegen: Detlevs
Leiche solle man ihr schicken. Nicht in Frankreich
dürfe sie liegen — im Vaterlande sei ihr Platz.
Man schickte ihr den Toten. Von der Grenze
holte sie ihn ab, unter Mühe und Gefahr, fast
verzagend. Aber sie weinte nicht. Sie sah ihn
noch, bevor sie ihn in seinem edlen Sarg legte,
und küßte das eiserne Kreuz auf seiner Brust.
Aber sie weinte nicht. Endlich kam sie mit ihm
unter den alten Linden des Herrensitzes an. Hier
war Friede. Hier wartete der Vater, der nach
langem Spiel den Ernst gesehen hatte. Hier be-
grub sie Detlev. Aber sie weinte nicht.
HerLstakend im Feld
Der Herbstwald glüht im Himmelsblau
Wie Rost auf blankem Stahl,
Wie Schwertstreich zuckt aus Wolkengrau
Der Sonne letzter Strahl.
Dort drüben liegt der Feind am Hang,
Ich steh auf stiller Wacht.
Noch summt ein letzter banger Klang
Und leise kommt die Nacht.
Ein Flieger zieht in weitem Rund,
Wachtfeuer lodern fern.
Der Nebel steigt aus feuchtem Grund,
Schon blinkt der Abendstern.
Grüßt er wie mich, mein Weib und Kind
Weit, weit im deutschen Land?
Fort mit dem Traum; — ein kühler Wind
Streift schauernd mir die Hand.
Vom Baum fällt müde Blatt um Blatt
Und deckt die Scholle sacht —
Wer weiß, ob man nicht morgen hat
Auch mich zur Ruh gebracht.
Heinrich Gilardonc,
im Feld beim I bayer. Landw.-Jnf.-Reg.
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