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Winterbild

Vom Winterschweigeil übermannt,

Liegt rings das Land im Schlaf gebannt.
Ein Bächlein nur, als wie ein Kind,

Im Glücke für Gefahren blind,

Von seinem eigneil Sang betört,

Von niemand als sich selbst gehört,

Oie altgewohnten Gleise fließt,

In tiefe Milden sich ergießt;

Und plätschert hin nnd achtens kanm,
Wie glasiges Eis an seinem Saum
Sich kühl tit seine Tropfen drangt,

Als wie mit Armen es umfängt
Und dicht in seine Schleier hüllt,

Mir seinem Tod es ganz erfüllt.

Doch wie im Traume klingt sein Wort!
Noch unterm Eise sillgt es fort.

Das aber folgt ihm ans den Grund,
Verhält ihm trotzighart den Mund:

Ob es nun endlich schlafen will? —

Du meine Seele, schweige still!

Raul Stamm

Sin &ä$dn

Wir hatten sie aus den Dörfern hinausgejagt
mtb das weite Feld vor der Höhe bei hellem
Sonnenschein an uns gerissen.

Borne knallte, dröhnte es, und ab und zu
schossen wie die Pilze die Schützenlinien aus denn
Grün, gingen vor bis das grüne Kraut sie wieder
verbarg.

Wie beim Versteckenspielen.

Mancher stand auch nicht wieder auf.

Dem hatte ein kleines Geschoß den Rock
durchlöchert und das Soldntenherz dazu.

Aus den zerschossenen Gärten gehe ich vor
und suche nach Verwundeten.

Da lagen gleich zehn beinander, lauter Fran-
zosen. Sie winkten mir und baten um Hilfe.
Ich tröste sie und verweise auf den Abend, da
würden sie geholt, erst kämen die unseren dran.

Der eine dankt, der andere blickt stumpf vor
sich hin. Hatten alle die Gewehre noch neben
sich. Aber geschossen hat keiner.

Den Toten nehme ich die volleil Flaschen
ab, die Lebenden 511 erfrischen, und bald habe
ich ein ganzes Flaschenlager an meinem Gürtel
hängen.

Rufend durchstreife ich die Felder.

Gräßliche Bilder allerorten. Aber bavan ist
man gewöhnt. Lauter Tote, — bei denen kam
ich zu spät.

Allmählich Kain ich ins Feuerbereich.

Gurr, flatterten die Querschläger.

(Sin lustiges Scheibenschießen auf den unge-
deckten Mann. Aber man achtet auf die Dinger
nicht inehr. Schrapnells sind schon gröber. Dafür
waren aber die Strohhaufen da, hart am Wege,
wo ich deii lächelnden Toten fand.

Der lag behaglich in der warmen Oktober-
sonne auf der Seite wie zuiii Ausruhen.

Ich trete hin. Heh, Kanierad, wo fehlt's denn?

Aut. Schön mann

Voll sehe ich ihm ins Gesicht. Das lacht
mich an so freundlich, so gemütlich, daß ich mit-
lache.

Und ich spreche auf ihn ein, ermuntere il)n, bis
ich das kleine Loch über dem Herzen sehe.

Steif, kalt war der Mann, nur das Lächeln
hatte mir Leben vorgetäuscht.

Ich habe ihiii seine Flasche nicht abgenommen
und bin rasch gegangen. Habe immer gemeint,
ich höre ihn hinter mir lachen, den lustigen Toten
am Wege.

Beim nächsten Strohhaufen ist mir ein anderer
in den Armen gestorben. Mit schmerzverzerrten
Zügen, angsterfüllt.

So sterben die meisten. So sehe ich es ohne
Schartdern.

Aber der Tote dort am Wege, mit dem ich
Zwiesprach hielt — —

Ich sehe ihir innner troch lächeln.

So freundlich, so genrütlich.

Ich kann das Gesicht nicht los werden.

Dr. pengoldr, Feldunterarzt.

Tröstlicher Kermon

So Dein Schicksal Dich bestürzt,

Werde klug, ihm zu entkommen.

Jedem wird sein Leiden frommen,

Der es mit Erkenntnis würzt.

Fläche finbeft Du statt Raum,

Willst Du ein Erlebnis greifen:

Hurtig wandern Flimmerstreifen,

Unb ihr Trugbild ist Dein Traum.

Suche nicht mit dummer List
Die Gestalten zu verwirren —

Lächelnd laß sie weiterschwirren,

Der Du selbst nur Schatten bist.

Ernst Angel

Der alte tüolff

Die Dämmerung lag über dem breit ein-
gesenkten Stallerbergpaß. Ob dem Gipfel
des Wängahorns verglomm der Morgenstern.
Eigentümlich warnt floß der Frühwind dttrchs
Tal und wirbelte an beit Bergkämmen den
Staubschnee ins Mattblaue. Da trat der alte
Wolfs, den grauen Kopf vorschiebend, aus
seinem niedrigen Hause. Er zog die schwere
Arvenholztüre am eisernen Ring hinter sich
zu. Das ungelenke Schloß krachte und wieder
lag die Morgenstille in der engen Gasse. Der
Alte blinzelte mit müden, etwas tränenden
Augen ins Tal hinein, brummelte ein Sützlein,
und stapfte dann die ausgetretenen drei Stufen
hinunter auf die Straße.

Er war nicht froh gestimmt, gar nicht.
Hatte auch wenig Grtmd daztl. Letzten Früh-
litrg waren die Steine vom Band herunter-
gekotnmen, hatten seine Hütte, drüben am
Eck, zerschlagen und die zwei Sorgenkühe ge-
tötet. Seitdem brachte der Wolfs vier Ziegen
mühselig geitug durchs Dasein und mit deren
Hilfe sich selbst, seine Fratt und das Kind,
die Ursula. Gestern hatte ihm das Schicksal
noch seine stärkste Hofftttmg verteufelt, die
auf seinen Tod, der weiß Gott tticht mehr
allzufern sein konnte. Er war einmal, im
Zettel stand's, wann's gewesen, in eine Lebens-
versicherung eingetreten. Am Geben hatte er
sich's abgespart, damit der Tod später den Seinen
eitt Erntefeld sein möchte. Gestern war die Mah-
nung gekommen, daß auf den ersten April die
Einzahlung zu machen sei. Heute war Montag
und die letzte Märzwoche schritt ins Land. Nichts
zu machen. Der alte Wolff war nid)t wie die
Talmenschen, die grübeln und sorgen. Er wußte
ganz einfad), daß nichts zu machen war. Die
Tatsache stand so fest, wie droben der Weißberg.
Das war nun mal so. Auch der feinfte Seelen-
riecher der Stadt würde an ihm keine sorgenvolle
Miene oder eine stille Verzweiflung oder sowas
Romantaugliches gesehen haben. Er war kaputt
und die Ziegen mußten ihr Fressen haben und
dann mußte er in den Cappettawald. Gemeinde-
holz fällen gehen. Das alles war nun mal so.
Das alles waren Tatsachen; da war gar kein
Grund, zu grübeln und zu kümmern. Das war
nun mal so. Und was geschehen mußte, war
auch klar. Und der liebe Gott würde wohl auch
nicht viel anders fein, als alle Bauern, und sich
abfinden mit den Tatsachen, wenn sie Klipp und
klar vor ihn traten in voller, runder, selbstver-
ständlicher Gewalt.

Die Schneewehen am Wegrand waren hoch.
Man mußte ordentlich fluchen und stampfen, bis
man sie durchgebahnt. Der Wolff legte Strick
und Axt auf den Holzstock vor dem Stallgatter,
ging in das braune Balkengebäude, das voin
schweren Steiitplattendach und dem Alter darauf
ganz schief gedrückt war, kam mit einem Arm
voll Heu wieder und brachte ihn den Ziegen.
„Heu könnt ihr fressen; aber Milch geben, Milch
neben wollt ihr nicht!" Die Ziegen meckerten
vergnügte Antwort. Es war so schön warnt im
Stall. Fast schwer fiel's dem Alten, hinauszu-
treten in den Schnee. Vom Weg herab aber
Klangs vott zusantmettschlagendett Eisen. Das
waren die Nachbarn, die mit den Äxten zum
Wald aufbrachen. Wolff bückte sich ins Freie,
schloß die Tür und stieß das Schließholz sorglich
in die Ose. So. jetzt konnte die kalte Luft lange
um den Stall lauern. Die Ziegen waren geschützt.

Am Schulhaus. wo der Wind immer am
fd)limmften durchpfiff, waren die Läden noch ge-
schlossen. Nur der Lehrershund war wach, reckte
fid) und gähnte dampfend in die Winterfrische.
„Der Schulmeister sdiläft nodi," klöhnte der Alte,
bind) den Hoheit Schnee arbeitettd. „He, Christian,
wart!" rief er zunt tief ausgefurchten Weg hinauf.
Daitit gingen die gleichmäßigen, langfamett Schritte
der Nachbarn lalauswärts.

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Register
Dr. Pengoldt: Ein Lächeln
Karl Stamm: Winterbild
Anton Schönmann: Vignette
Adolf Attenhofer: Der alte Wolff
Ernst Angel: Tröstlicher Sermon
 
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