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In der Pürt, wenigen Häusern, die sich grad unterm Weißberg hingelagert,
kauernd, wie müde Tiere, kam der junge Pedrotti, fertig zum Waldwerk, und
schloß sich den beiden an. Gegen Cresta hin stieg der Weg. So verstummte das
Gespräch. Auch war der Wolfs sowieso einsilbiger geworden. Er schuldete dem
Pedrotti fünfzig Franken und liebte die Unterhaltung über diesen naheliegenden
Gegenstand nicht. Die Kirche kaut herauf und hinter ihr das Pfarrhaus. Tief
unten gluckste der Rhein zwischen klarem Eis und angewehtem schmutzigem Schnee.

„Ich muß noch zum Pfarrer."

Pedrotti und Christian setzten sich auf den Holzschlitten. Bald wirbelte Schnee-
staub in die Hohe. Sie fuhren zur Rheinbrücke hinunter.

Wolfs schlug den Schnee von den Hosen, kratzte umständlich die Eisstollen
von den Schuheil und knarrte die Holztreppe hinauf in den dunklen Flur vor der
Pfarrerstube. — Der Pfarrer nahm ihn hinüber in das Studierzimmer. Um die
Ursula ging das Gespräch. Wolffs Tochter. Der Pfarrer sagte, sie sei die beste
Schülerin und er werde sich ihrer immer nach Möglichkeit annehmen. Daß die
Holzerei jetzt recht bös sei, redeten sie auch und als der Bauer fortging, wollte er
noch wissen, wie lange wohl ein Geldbrief von der Stadt hier herauf brauche bei
den schlimmen Wegen; er meine nur so.

Der Schnaps des Pfarrers hatte schön gewärmt; auch drückte es sonst fast
wie Schwiile über den Bergen; den Wolfs fror gar nicht. Der matte Föhnhimmel
mit feinen, weißen Streifen lag über den Spitzen. Oben an den Gräten trieb der
Wind sein Schleierspiel. Drüben am Hang stachen die Arven und Lärchen ganz
schwarz aus dem glitzernden Schnee. Auf dem äußersteil Kopf des Bergzugs über
dem Cappettawald stand ein Steinmännchen. Mit einem Katzensprung wäre man
oben gewesen, so schien's. Grad unterm Signal, wo im Sommer die Schafe
weideten, auf dem Ramsen hieß es dort, waren im Herbst noch die Talherren
herumgestiegen, allskundschaftend, wie man die Lawine am besten verbauen könnte,
die dort ihre Wurzen hatte. Die brüllte immer herunter im Frühjahr, wenn der
Föhn stieß. Der Rhein nahm sie auf und mit seinem Wasser suchte sie die tiefen
Länder. Eine verfluchte Laue! Sie halten Bäume in ihren Weg gepflanzt. Waren
die Stämmchen niedrig, pfiff die Schneewut über sie hinweg; Gras hätte ihr nicht
mehr gewehrt. War aber das Iungholz so hoch geworden, daß Ulan sagen konnte:
„Nächstes Iahr hült's," eines Morgens oder in der Nacht kanl der alte Sturm,
den die Lawine zum Herold vorausschickt, herabgefaucht, und der weiße Berg-
schreck schleppte Aste, Stämme, Wurzelwerk zutll Rhein. Die Stümpfe starrten wie
gebrochene Knochen. Man konnte das ewige Spiel von neuem beginnen.

„Eine teure Geschichte," sagte der Wolfs, „wird die Genleinde ein Heiden-
geld kosten."

Uber die kunstvollen Stege, von den Bauern angelegt in die Schlucht hinein,
voll der steinernen Rheiilbrücke aus, kam Wolff auf den Schlagplatz. Da und dort
ragten wohl ein paar Schieferklippen aus denl Schnee. Das spärliche Unterholz
war bedeckt. Wunderliche Kuppen im glatten Hang offenbarten die Stellen, wo
eill Baumkind auf den Frühling wartete. Die alten, erfahrenen Bäume standen
weit auseinander. Sie wiegten weise mit den schweren Asten. Der Föhn schläferte
sie ein. Nur mailchillal fuhren sie erschrocken auf, wenn ein Schneepfühl sich löste
und schwer plumpsend in die nasse Decke fiel.

Es war ein hartes Arbeiten heute. Klebrig lastete die feuchte Masse. In
Klumpen leimte sie sich an die Schuhe und hemmte jeden Schritt. Die Schläge der
Axt verpufften in der drückenden Luft; sie hallten nicht vom Weißberg zurück.

Die Leute waren still. Große Sprecher waren sie ja nie. Heute aber lag
etwas in der Luft, das die Zunge hemmte. „Der Gemeindeammann meint, wir
gingen am besten heim," sagte der Christian zum Wolff, „es fei zu gefährlich mit
der Ramsenlaue heut."

„So?" knurrte der Wolff erstaunt und blickte wie erschrocken zu der Rinne,
dicht am Platz, wo kein Baum stand, wo das Weiße ungehindert zum Rhein hinab-
glitt. Es war ihm, als wollte es sich regen dort drüben, als wäre Leben in dem
ftilleu Hang. Man konnte ihn leicht wecken.

Die andern hatten die Werkzeuge zusammengenommen, die Seile und Hacken
und alles auf die Schlitten geworfen uttb traten den Rückzug an. Nur der Wolff
stand itoch. Er drückte ininter wieder seinen Filzhut fest, den der mächtiger gewor-
dene Föhn durchaus haben wollte.

„Komm doch!" schrie der Christian.

„Ja, ja, gleich!" Aber er blieb, er überlegte. Die Versicherung mußte
zahlen, wenn ein Unglück geschah; der Pfarrer hatte es auch gesagt. Für zwei
Kühe und die Pedrottischuld reichte es und für die Ursula später blieb auch
noch ein kleiner Rest. Ia, aber, der liebe Gott? Ia, ja, schon gut. Wird
sich schon abfinden müssen. Ia, aber, wenn sie 's merken? Wenn sie nicht
bezahlen? — Da lachte der alte Wolff laut auf über die dummen Herren im
Tal. Mit einer stillen Bauernfreude, daß er der Klügere sei, drückte er den
Hut ganz fest und schritt langsam, Stapfe um Stapfe, in den tückischen, mörde-
rischeil Schneestrich. —

Der Christian war ein paar Schritte zurückgekehrt, weil er den Wolff nicht
kommen sah. „Bist Du verrückt?" wollte er entsetzt rufen. Da löste sich's drüben,
zischte erst feilt, wie durch Raubtierzühne, wurde dann lebendig, heulte, kollerte,
stürzte. Steine krachten zusammen; Baumstämme schrieen brechend auf und in
Schneenacht gehüllt schoß es wie Weltuntergang vorüber.

Wie's wieder still ward, kamen die Holzer zur Stätte. Unten staute sich der
Rhein am Schneekeil. Der obere Hang glänzte von schwarzer, feuchter, zerwühlter
Erde. — Da war nichts zu machen. Das war nun eben mal so. Die Bauern
zogen die Hüte ab und sagten ein stilles Gebet für den alten Wolff, der irgendwo
dadrin lag, bis der Sommer seinen Leib erlöste.

H. Httenbofer




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MAX OBERMAYER (MÜNCHEN)

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