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sehen. Er machte sich nahe an ihn heran, schaute
ihm auf der Böschung liegend ins Gesicht.
Da öffnete der andere die Augen, die sich wie
vor einer entsetzlichen Bision von Sekunde zu
Sekunde vergrößerten. Dann bewegte er i tc
Hände, als wollte er wie in einem Traume etwas
Furchtbares abwehren. und schloß dann wieder
die Lider. Er war offenbar sehr schwach.
it „Sie sind verwundet?" fragte Plessen m fran-
zösischer Sprache. , .
Der Andere konnte kein Wort Hervorbringen
und nichte nur mit deni Kopf. Dann deutete er
mit der Hand aus die rechte Brusthälfte.
„Lungenschuß?" fragte wieder Plessen.
Der Andere nickte. Er machte jetzt die Augen
wieder auf und starrte Plessen an, als ob er len-
sam erstaunt wäre, daß man mit ihm m >o
menschlichem Tone redete. ..
„Liegen Sie schon lange hier?" fragte Plessen.
„Seit heute früh," antwortete der Andere.
„Wo waren Sie postiert?" fragte Plessen
weiter.
Der Andere deutete nach oben: „Hier auf den
Bäumen." „ ...
Plessen dachte ganz mechanisch: „Biellelcht
hat mir gerade der ins Bein geschossen. Er lag
ihm lange ins Gesicht. Er konnte beim beiten
Willen keinen Groll gegen ihn aufbringen.
Drüben hob von Norden her das Feuer mn
regelmäßigem breiten Rauschen an. Die Wiele
bebte unter dem Krachen der krepierenden Ge-
schosse. Weißer Dampf strich am Waldrande ent-
lang, daraus lohte das brennende Gehöft, wie
eine große glühende Fackel auf. ,
Plessen dachte: „Wenn es sich hier herüber
zieht, werde ich gefangen genommen, oder es
platzt mir noch ein Schrappnell unserer eigenen
Batterie vor der Nase." Diese Möglichkeit kam
ihm doch sehr sonderbar vor.
Der Mann vor ihm hatte sich jetzt aufgerichtet.
Trotzdem er nicht aus deni Graben sehen konnte,
horchte er nach dem Gefecht mit angespanntem
Gesicht. Seine Augen wareii vom Fieber ganz
glasig und doch strahlte noch alle Hoffnung imb
alle Glut des Kampfes in ihnen. Er fragte:
„Wie steht das Gefecht?"
Plessen antwortete: „Ich glaube, die unsrigen
werden in einer halbeii Stunde den Wald stürmen."
Der Sergeant lächelte niild und ungläubig.
„Denken Sie doch an unsere Artillerie, unsere
75 Millimetergeschütze."
Plessen sagte ebenfalls lächelnd: „Wir können's
ja abwarten."
Der Aiidere seufzte auf.
„Haben Sie Schmerzen?" fragte Plessen.
„Weniger als vorher," antwortete er und ver-
suchte sich aufziirichten, was ihm auch gelang.
Bom Norden kam der Donner der Geschütze
jetzt viel näher. Es war Plessen, als ob er auf
ein paar hundert Meter Entfernuiig eine kaum
sichtbare Bewegung wahrnehme.
,Sie kommen/ dachte er, -endlich kommen
sie!‘ Die Erregung nahm ihm fast den Atem.
Das Herz hämmerte ihm gegen die Rippen.
Das Gehöft am Waldrand flackerte immer noch
lichterloh.
Als ob der Sergeant die Gedanken des An-
dern erraten hätte, sagte er: „Sie werden schwere
Arbeit haben, wir haben uns drüben gut ver-
schanzt."
Plessen zuckte mit den Achseln. Er drehte sich
herum und fühlte einen Stich durch den nnmbcn
halb verblutenden Leib.
„Sie werden stürmen," erklärte er bestimmt,
fast hart.
Kaum hatte er die Silbe aus dem Mund, als
ein Geschoß heulend über ihnen ins Geäst fuhr.
„Donnerwetter!" fluchte der Franzose.
Plessen drehte das Gesicht unwillkürlich nach
unten. Ein furchtbares Krachen, ein atemrau-
bender Dampf, ein weißes Feuer, das eine Se-
kunde lang zum Himmel zu steigen schien. Mit
schmetterndem Getöse kam eine Baumkrone her-
unter.
Plessen hatte den Andern auf die Seite ge-
rissen und sie krochen hastig weiter, während das
Gewirr der Äste in den Graben einbrach.
„Da hinten ist eine Schlucht," erklärte Plessen.
„Wir sind dort sicherer." Er dachte: -Ich kann
mich doch nicht von unseren eigenen Granateil
anschießen lassen/
Sie kamen aus dem Graben heraus und
schleppten sich nach hinten. Der Sergeant konnte
sich trotz seiner Luitgenblutung leichter bewegett
als Plessen, der auf dein rechten Knie kriecheitd
nur mühsam vorwärts Kant.
Sie saßen jetzt beide ant Abhang der Schlucht.
Boit Norden dröhnte der Schall des Gefechtes
von Augenblick zu Augenblick näher. Auf der
andern Seite schien der Wald vom Krachen der
Geschütze zu bersten. Plessen fühlte in allen
Nerven, daß jetzt die Schützenlinien vorgingen.
Da kam plötzlich etwas zwilchen den Bäumen
galoppiert. Mit aufgeriffeneit Augen starrten sie
hin. Es war die Kuh, die Plessen schon vorher
am Abhange gesehen hatte ilnd die jetzt, als sie
ihrer ansichtig wirrde, plötzlich stillstand und ihr
Euter gegen die Bäume rieb.
Der Sergeant sagte: „Das Tier hat Schmerzen,
es ist lange nicht mehr gemolken worden. Kommen
Sie, ich habe einen entsetzlichen Durst. Die Milch
wird uns gut tun ..."
Plessen sagte erstaunt: „Ich habe noch nie
eine Kuh gemolken."
„Aber ich," erwiderte der Andere. „Meine
Eltern sind Bauern." Er lockte das Tier heran
und sie setzten sich beide neben die Kuh. Plessen
hielt beide Hände auf, uiäl)renb ihm die warme
Milch hineinfloß. Wie etwas Wunderbares
schlürfte er sie ein.
Draußen tönten die Signale zum Sturm.
Gleich einer tobenden brüllenden Welle kam es
von Norden her.
Plessen schaute in des Andern Gesicht, der
mit starrem Blick vor sich hinsah, während er
die Milch aus seiner linken hohlen Hand trank.
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf dio Münclmer »JUGEND** Bezug zu nelimen.
sehen. Er machte sich nahe an ihn heran, schaute
ihm auf der Böschung liegend ins Gesicht.
Da öffnete der andere die Augen, die sich wie
vor einer entsetzlichen Bision von Sekunde zu
Sekunde vergrößerten. Dann bewegte er i tc
Hände, als wollte er wie in einem Traume etwas
Furchtbares abwehren. und schloß dann wieder
die Lider. Er war offenbar sehr schwach.
it „Sie sind verwundet?" fragte Plessen m fran-
zösischer Sprache. , .
Der Andere konnte kein Wort Hervorbringen
und nichte nur mit deni Kopf. Dann deutete er
mit der Hand aus die rechte Brusthälfte.
„Lungenschuß?" fragte wieder Plessen.
Der Andere nickte. Er machte jetzt die Augen
wieder auf und starrte Plessen an, als ob er len-
sam erstaunt wäre, daß man mit ihm m >o
menschlichem Tone redete. ..
„Liegen Sie schon lange hier?" fragte Plessen.
„Seit heute früh," antwortete der Andere.
„Wo waren Sie postiert?" fragte Plessen
weiter.
Der Andere deutete nach oben: „Hier auf den
Bäumen." „ ...
Plessen dachte ganz mechanisch: „Biellelcht
hat mir gerade der ins Bein geschossen. Er lag
ihm lange ins Gesicht. Er konnte beim beiten
Willen keinen Groll gegen ihn aufbringen.
Drüben hob von Norden her das Feuer mn
regelmäßigem breiten Rauschen an. Die Wiele
bebte unter dem Krachen der krepierenden Ge-
schosse. Weißer Dampf strich am Waldrande ent-
lang, daraus lohte das brennende Gehöft, wie
eine große glühende Fackel auf. ,
Plessen dachte: „Wenn es sich hier herüber
zieht, werde ich gefangen genommen, oder es
platzt mir noch ein Schrappnell unserer eigenen
Batterie vor der Nase." Diese Möglichkeit kam
ihm doch sehr sonderbar vor.
Der Mann vor ihm hatte sich jetzt aufgerichtet.
Trotzdem er nicht aus deni Graben sehen konnte,
horchte er nach dem Gefecht mit angespanntem
Gesicht. Seine Augen wareii vom Fieber ganz
glasig und doch strahlte noch alle Hoffnung imb
alle Glut des Kampfes in ihnen. Er fragte:
„Wie steht das Gefecht?"
Plessen antwortete: „Ich glaube, die unsrigen
werden in einer halbeii Stunde den Wald stürmen."
Der Sergeant lächelte niild und ungläubig.
„Denken Sie doch an unsere Artillerie, unsere
75 Millimetergeschütze."
Plessen sagte ebenfalls lächelnd: „Wir können's
ja abwarten."
Der Aiidere seufzte auf.
„Haben Sie Schmerzen?" fragte Plessen.
„Weniger als vorher," antwortete er und ver-
suchte sich aufziirichten, was ihm auch gelang.
Bom Norden kam der Donner der Geschütze
jetzt viel näher. Es war Plessen, als ob er auf
ein paar hundert Meter Entfernuiig eine kaum
sichtbare Bewegung wahrnehme.
,Sie kommen/ dachte er, -endlich kommen
sie!‘ Die Erregung nahm ihm fast den Atem.
Das Herz hämmerte ihm gegen die Rippen.
Das Gehöft am Waldrand flackerte immer noch
lichterloh.
Als ob der Sergeant die Gedanken des An-
dern erraten hätte, sagte er: „Sie werden schwere
Arbeit haben, wir haben uns drüben gut ver-
schanzt."
Plessen zuckte mit den Achseln. Er drehte sich
herum und fühlte einen Stich durch den nnmbcn
halb verblutenden Leib.
„Sie werden stürmen," erklärte er bestimmt,
fast hart.
Kaum hatte er die Silbe aus dem Mund, als
ein Geschoß heulend über ihnen ins Geäst fuhr.
„Donnerwetter!" fluchte der Franzose.
Plessen drehte das Gesicht unwillkürlich nach
unten. Ein furchtbares Krachen, ein atemrau-
bender Dampf, ein weißes Feuer, das eine Se-
kunde lang zum Himmel zu steigen schien. Mit
schmetterndem Getöse kam eine Baumkrone her-
unter.
Plessen hatte den Andern auf die Seite ge-
rissen und sie krochen hastig weiter, während das
Gewirr der Äste in den Graben einbrach.
„Da hinten ist eine Schlucht," erklärte Plessen.
„Wir sind dort sicherer." Er dachte: -Ich kann
mich doch nicht von unseren eigenen Granateil
anschießen lassen/
Sie kamen aus dem Graben heraus und
schleppten sich nach hinten. Der Sergeant konnte
sich trotz seiner Luitgenblutung leichter bewegett
als Plessen, der auf dein rechten Knie kriecheitd
nur mühsam vorwärts Kant.
Sie saßen jetzt beide ant Abhang der Schlucht.
Boit Norden dröhnte der Schall des Gefechtes
von Augenblick zu Augenblick näher. Auf der
andern Seite schien der Wald vom Krachen der
Geschütze zu bersten. Plessen fühlte in allen
Nerven, daß jetzt die Schützenlinien vorgingen.
Da kam plötzlich etwas zwilchen den Bäumen
galoppiert. Mit aufgeriffeneit Augen starrten sie
hin. Es war die Kuh, die Plessen schon vorher
am Abhange gesehen hatte ilnd die jetzt, als sie
ihrer ansichtig wirrde, plötzlich stillstand und ihr
Euter gegen die Bäume rieb.
Der Sergeant sagte: „Das Tier hat Schmerzen,
es ist lange nicht mehr gemolken worden. Kommen
Sie, ich habe einen entsetzlichen Durst. Die Milch
wird uns gut tun ..."
Plessen sagte erstaunt: „Ich habe noch nie
eine Kuh gemolken."
„Aber ich," erwiderte der Andere. „Meine
Eltern sind Bauern." Er lockte das Tier heran
und sie setzten sich beide neben die Kuh. Plessen
hielt beide Hände auf, uiäl)renb ihm die warme
Milch hineinfloß. Wie etwas Wunderbares
schlürfte er sie ein.
Draußen tönten die Signale zum Sturm.
Gleich einer tobenden brüllenden Welle kam es
von Norden her.
Plessen schaute in des Andern Gesicht, der
mit starrem Blick vor sich hinsah, während er
die Milch aus seiner linken hohlen Hand trank.
Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf dio Münclmer »JUGEND** Bezug zu nelimen.