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Mein jfreunö der schneidergeselle

(Ein vergeßner Heerestcil)

Allo jetzt hob ich's ganz genau: ich
sehe ihn deutlich vor mir, wie er das erste
Mal an meinen Tisch trat. Ich war an
einem friedlichen Sonntag Nachmittag im
Sommer hinausgewandert und belohnte
mich gerade durch eine Tasse Kaffee im
blühenden Garten einer bescheidenen länd-
lichen Wirtschaft. Nichtsahnend schmauchte
ich meine Zigarre, als plötzlich ein junger
Mann von etwa 30 Jahren auf mich zu-
kam. Breitschultrig, mit einem Tornister
auf dem Rücken und einem derben Stock
in der Hand: so pflanzte er sich vor mir
aus. Es berührte mich etwas sonderbar,
aber seine gutmütigen strahlenden Augen
versöhnten ntid) wieder.

„Ich habe gehört, daß Sie ein Dichter
sind." begann er.

Ich fiel beinahe vorn Stuhl. Sozu-
sagen kein Mensch in Deutschland wußte
um dies Geheimnis, aber er wußte es.
Seine Erscheinung bekam mit einem Mal
etwas Immaterielles und Überirdisches. Es
lief mir eiskalt den Rücken herunter. Eine
grabesfeuchte Gespensterhand strich über
meine Nerven. War das überhaupt ein
Wesen von dieser Welt?

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?"

Alles in mir wollte aufschreien: „Um
Gotteswilleu, nein! Glauben Sie, daß
ich mir den Hellen Sommertag durch allerlei
Hexenspuk verderben will?" Grade in dem
Augenblick aber sah er mich mit seinen
strahlenden sonnigen Altgen an. Und also
sagte ich ja.

Er sei seines Zeichens ein Schneider-
geselle erzählte er mir nun. Wenn er die
Woche über auf dem Tisch gehockt habe,
müsse er sich am Sonntag Bewegltttg
machen. Er wandre dann immer weit i,ts
Grüne hinaus. Er wisse draußen cm der
Elbe so ein prächtiges lauschiges Plätzchen.
Er nehme dann immer erst eilt Bad im
Stroni unb nachher lege er sich mit einem
Buch in die Sonne. Wem? dann der
Himmel so blau, das Buch so schön und
die Bögel so lustig wären: dann verlebe
er einen rechten Sonntag. Ohne Bücher
könne er überhaupt nid)t leben. Wenn
man ein Buch habe, könne man es auch
in der bescheidensten Dachkammer aus-
hallen. Alif der Waitderschaft habe er
immer einige Bücher mit sich geführt.
Auch jetzt enthalte sein Tornister seine
Sonntagslektüre wtd einen guten Posten
Blltterbrot. Es habe sich nun herumge-
sprocheit, daß ich in die Gegend gezogen
fei und da er noch keinen lebendigen
Schriftsteller gesehen habe, habe er be-
schlossen, vtich an einem seiner Sonntage
aufzupürschen.

Wie wurde mir plötzlich? Den Mann
kanttte ich doch? Den hatte ich doch ge-
sehen. wenn er morgens in seiner Dach-
kammer aufstand und im Waschgefäß

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F. Slaeger

belclengrab in 6ali)ien

(Meinem kruder 6uÜav zugeeignet)

Man schrieb, so ernst und eigen sei dein 6rab:

5üns hoheilroolle, Ttolzc Tannen neigen

Mit ihren großen, dunklen, schwanken Lweigen

5ich, stilles Kruderherr, zu dir herab.

weih: du, das Und, die leben, deine Kruder;

Air halten treu bei dir die letzte wacht,
kann ist nicht kalt und einsam deine Nacht;
Tagsüber aber klingen Kogellieder,

Eichkätzchen schwingt sich flink vom höchsten kaum.
Du kruder, dessen klares .Uuge lachte,
wie ott, wie oll ich schmerzlich dein gedachte,
Träum' wie dein Leben deinen letzten Traum.

Liegt auch dein 6rab in fernem, fremdem Land!
wo Tannen rauschen, ist's von dir ein 6rühen!

Doll

Ken

prustete? Dem war ich doch an einem
heileren Iulitag auf der Landstraße be-
gegnet? Hatte ich nicht sogar in einer
süddeutschen Herberge mit ihm abends
meinen Wein getrunken? Und hatte ich
mich nicht über seine fröhliche Genügsamkeit ge-
freut, wenn er sein Stück Käsebrot aß? Gewiß
hatte ich das! Auf einmal wurde es mir voll-
kommen klar: der Mann war ein poetischer
Sdineidergeselle, der unmittelbar aus Gottfried
Keller herausgesprungen war.

Bei einer so vortrefflichen Herkunft braucht
es nicht weiter Wunder zu nehmen, daß ich ihn?
von nun an oft und. gern begegnete. Er hatte
eine Art oberster Stellung in einer größeren Werk-

Undachl atme ich den herben, süßen,
lieben Kuli, den mir dein 6rab gesandt!

fiauptmann Wilhelm von Eemzer

statt und brachte seine Familie vortrefflich durch.
Wenn ich ihm gelegentlich lasterhaft schmeicheln
wollte, nannte ich ihn „Herr Geschäftsführer".
Er legte dann aber immer Wert darauf, daß er
ein Schneidergeselle sei. Das war in seinen Angen
viel fd)öner. Und in meinen auch.

Dann aber kam der große Krieg und weg
war mein Freund von der Nadel. Es darf nicht
verschwiegen werden, daß der Durst ihn gelegent-
lich am Abend in die Sä)enke trieb. Aber auch

da war er so gründlich verschwunden, als
habe ihn der Erdboden verschluckt.

„Er wird eingezogen sein," sagte ich
mir und beschloß, mir von seiner Familie
die Feldadresse zu besorgen

Wie das aber nun so geht: ich kam
nicht dazu. Das historische Interesse löste
das menschliche ab. Mein guter Schneider
geselle wurde von der Weltgeschichte ver-
schlungen und war selbst meinen? treulosen
Gedächtnis abhanden gekommen. Das
scheint ihm aber durdiaus nid)t gefallen
zu haben, denn plötzlich wuchs er ebenso
imvermutet aus der Erde, wie an jenen?
vommernachmittag draußen im Freien.

Es war in der Neujahrsnadit. Das
neue Jahr war bereits eingelüutet. Die
Lichter an? Ta????enbaun? hatte?? ihre zweite
Glanzperiode hinter sich und waren zu
du??klen Stü???pfdien herabgebrannt. Die
Kinder hatten Blei gegossen und schliefen
jetzt den Schlaf der Seligen. Id) wunderte
zwar nod) mit meiner Zigarre in? Wohn
zimmer auf und ab, aber die Uhr ging
auf zwei. Es sollte zu Bett gehen.

A??f einmal schrillte draußen unbarn?
herzig und laut die elektrische Türklingel
durch unser bereits halb schlafendes Dasein.

„Nanu." sagte meine Frau und guckte
durch die Tür zu mir Herei??, „was soll den,'
das? Das klingt ja beinahe geisterhaft."
Id) also in ben Borraun? hinaus.
„Wer ist den?? da?"

„Ein Hanseat!"

„Und wie heißt er?"

Es folgte ei?? Nan?e, den id? nicht ver-
ftanb. Aber schließlich: Hanseaten sind
keine Gespenster, also sd/loß ich die Haus-
tür auf.

Weiß Gott: draußen in der sternen-
fu??kelnden Frostnacht stand mein poetischer
Schneidergeselle. In strahlender Uniform
und zugleich strahlend vor Neujahrspunsch
und Freude.

„Ich ging gerade vorbei. Und da wollte
ich bod) Ihnen und Ihrer Familie ein
fröhliches neues Jahr wünsd)en."

,Zu etwas später Stunde/ dachte ich.
,Aber ??a —‘

Es kann nicht geleugnet werden, daß
der Neujahrspunsch sich ii? ei??en? merk-
würdigen Ha??g äußerte, mit Schrankecken
und anderen hervorspringenden Sachen i??
ganz unbegründete Konflikte zu geraten.
Als id) ihn aber dann i,? einen? bequemen
Polstersessel untergebracht halte, siegte die
militärische Haltu??g über alle irdischen An-
fechtungen.

Er fing an. n?ir voi? Feldpostbriefen
und .Kriegsskizzen zu erzähle??, die er ge-
lesen hatte. Da stünde viel Grauenhaftes
dri??. Aber aud) viel Schönes.

„Was machen Sie denn eigentlich?"
unterbrach ich ihn.

„Idi bi,? als Handwerker eingezoge??
und arbeite in? Bekleidungsamt ii? B."
„Warm?? sieht inan Sie denn nie?"
„Das ist unmöglich. Meine Arbeits-
zeit reid)t von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr
abends. Boi? hier bis B. ist eine sehr
stra?n?ne halbe Stu??de. Id). stehe also
um 5 Uhr morgens auf und komme um
8 Uhr abends nad) Hause. Dazwischen
zwei Stunden zun? Mittagessen. Der Dienst
at aber aud) fdjcm bis 10 Uhr abends gedauert,
's bleibt weder Kraft nod) Zeit übrig."

„Und in den Feiertagen?"

„Hatte idi jede,? Tag Appell."

„Und wie gefüllt Ihnen die Sache?"
„Darnach frage id) gar nid)t. Das inuß ja
sein. Unsere Iungens müssen dod? ovbenilidje
Uniformen haben. Da ist nur eins, das mir
etwas drückend ist."

..Und das wäre?"
Register
Erich Schlaikjer: Mein Freund der Schneidergeselle
Wilhelm v. Lunzer: Heldengrab in Galizien
Ferdinand Staeger: Zeichnung ohne Titel
 
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