Erneuerung
Wieder frei, geliebte Seele,
Und die Schatten abgetan?
Hebst mit reingestimmter Kehle
Dieses Morgens Loblied an ?
Sankst du doch am Abend nieder.
Wie sieh welke Blume neigt —
Und nun quillt's im Busen wieder.
Wie das Lied der Lerche steigt?
Liebe streifte mir die V?ange
Wie ein Schmetterling im Flug,
Was mich müd gemacht und bange.
War ein Schemen, war ein Trug.
Stand mir doch der Himmel offen.
Als ich noch in Träumen lag —
Unermess'nes Glück erhoffen
Lässt mich dieser blaue Tag!
ERIKA RHEINSCH
Am ersten Mai
Durch frische Birkwaldfahnen,
Darein das Frührot brennt,
Reiten zwei blonde Ulanen
Zurück zum Regiment.
Sie waren patrouillieren
Am Feinde die lange Nacht,
Bis die Amseln musizieren
Und bis der Tag erwacht.
Und wie vom jungen Scheine
Die Erde dampft und wallt.
Im Sattel reckt der eine
Die sehnige Gestalt,
Und fragt, als wie erwachend.
Was für ein Tag heut sei —
Da spricht der andre lachend:
„Es ist der erste Mai!“
Jäh mit dem Worte steigen
Fluren der Heimat empor.
Aus grünen Maienzweigen
Ein Welten-Brüderchor.
Doch haben die zwei Ulanen
Im Heimwärtsreiten gedacht:
Wie versanken die roten Fahnen
Im Donner der Völkerschlacht!
Viel andere Sterne blinken.
Sie leuchten dem Vaterland,
Und eh soll der Pallasch nicht sinken
Und eher nicht rasten die Hand,
Bis seine letzten Grenzen
Vom letzten Feinde frei.
Ihre Augen und Waffen glänzen
Im Frührot des ersten Mai.
FRANZ LANGHEINRICH
Die Schloßherrin
Paul Segieth
(Bayr. Inf.-Regiment)
Von Sigfrid Siwcry
Es ist ein schöner Zunitag draußen in den
Schären, mit Sonnenwind und funkelndem, tief-
blauem Wasser, das an rote Felsplalten schlägt.
Unter einem grüngestrichenen Badehotel wiegen
sich weiße Kutter wie eine Schar Möven, die
Schnäbel im Winde.
Der Schriftsteller Marcus sitzt allein auf
einer Bank an der Strandpromenade. Er ist
jung, aber der Ernst seines Berufes ist seinen
Zügen tief ausgeprägt, 1111b man könnte ihn aus
einiger Entfernung sehr gut für den Pastor einer
Methodistengemeinde halten. Er klappt eben ein
größeres psychologisches Werk eines Wiener Pro-
fessors zu, und zeichnet mit seinem Stock das
Siegel Salomonis in den Sand.
Da kommt ein Herr in gestreiftem Anzug mit
einer Anemone im Knopfloch über den Weg
spaziert. Das ist Malte Bergdahl, Beamter
im Marinedepartement. Er geht mit den Händen
in den Hosentaschen, pfeift und raucht eine leichte
Zigarre. Alles an ihm spricht von einem leichten
Gewissen und einem vierzehntügigen Urlaub. Aber
als er den Schriftsteller erblickt, bleibt er mit einer
Miene der Überraschung und des gutmütigen
Ärgers plötzlich stehen. Der Schriftsteller sieht
dabei aus, so wie wenn man einem die Rechnung
über einen schon abgetragenen Anzug präsentiert.
Bcrgdahl: Hm, ist das ein Zusammentreffen!
Sie erkennen nnch doch, wie?
Marcus: Za .... ich glaube ....
Bergdahl: Das Gegenteil würde mich auch
wundern.
Marcus: Sie spielen vermutlich auf mein
letztes Buch an.
Bcrgdahl: Za, allerdings.
Marcus: Run, und wenn ich Sie auch nicht
wiedcrerkannt hätte, so wäre das vielleicht nicht
so lächerlich, als Sie zu meinen scheinen. Man
schreibt ein Gedicht über einen Sonnenuntergang,
das Gedicht lebt, aber wo zum Teufel ist der
Sonnenuntergang hingekommen?
Bcrgdahl: Ach, so ist das gemeint! Aber
vielleicht kann eine gewisse Namensähnlichkeit
Zhrem Gedächtnis nachhelfen: Malte Berg-
dahl, Amanuensis im Marinedepartement —
alias Malkoluivon Bergendahl, Seeoffizier a. D.
Marcus: Bagatellen! Sagen Sie lieber,
wie Ihnen das Buch gefallen hat!
Bergdahl: Kann Sie das interessieren?
Das ist ja so, als wollte man eine Henne
fragen, wie ihr das Bouillon gefallen hat, das
aus ihr gekocht wurde.
Marcus: Sie müssen zugeben, daß ich
aus dem verhältnismäßig einfachen Borwurf
viel herausgeholt habe, das Sie nie ahnten.
Bcrgdahl: Ungeheuer viel.
Marcus: Zch sah in Zhnen ein Wesen,
von dem Sie vermutlich selbst nicht viel wissen.
Sie sind ein unbewußter Instinktmensch.
Bcrgdahl: Wirklich?
Marcus: Zch habe viel Sympathie für
Sie! Aber haben Sie nun die Güte und
kommen Sie mir nicht etwa mit Änderungen!
Bcrgdahl: Za, es ist mir aber doch recht
peinlich, daß ich im Hotel Phönix in Berlin
durch Selbstmord endigen muß.
Marcus: Aber warum denn? Das ist
das einzig Richtige! Sie sind von Hermine
verlassen worden, die plötzlich von einer neuen,
verhängnisvollen Leidenschaft für den brutalen
Kapitän gepackt ist. Was Ihnen droht, ist
das tiefste Elend. Ihr Wille hatte von An-
fang an gewisse heimlich fressende Wunden und
brauchte die Stimulanz des Abenteuers, um
nicht in Lethargie zu versinken. Rein, nein,
es bleibt Zhnen absolut nichts andres übrig
als der Selbstmord.
Bcrgdahl: Za, aber ist es nicht ein wenig
komisch, mich so leibhaftig mit einer Zigarre im
Munde vor sich zu sehen?
Marcus (zuckt die Achseln): Zch habe Sie mit
dem Recht der Phantasie umgebracht. Ich kann
nichts dafür, wenn Sie im Leben die Sache
verschlampt haben, psychologisch war cs das
einzig Richtige. Und übrigens ist es ja noch
nicht zu spät.
Bcrgdahl: So? Na ja, dann muß ich mir
die Sache wohl noch überlegen . .. Das Recht
der Phantasie, sagen Sie! Ich möchte nur wissen,
ob das, was Sic Phantasie nennen, nicht eigent-
lich eher Mangel an Phantasie ist. Die tausend-
lebendigen kleinen Züge versagen, und darum
schlagen Sie mit dem Blitz drein. Zch habe den
Verdacht, daß Malkolm den Selbstmord begeht,
weil Sie gegen Ende des Romans schon etwas
überanstrengt waren. Rein, werden Sie nur nicht
böse! Sie haben vielleicht ganz recht. Aber be-
vor ich den verhängnisvollen Schritt tue, muß
ich Sie doch mit meiner Frau bekannt machen.
(Weist auf eine weißgekleidete Dame, die ihnen
mit einem Badetuch unter dem Arm cntgcgcn-
kommt.) Za, ich war wirklich unverschämt ge-
nug, Minna Hartmann — alias Hermine Hart-
mannsdorf — zu heiraten. (Stellt vor.) Meine
Frau, Herr Marcus! Der Verfasser von „Zwei
Wellen".
Frau Bcrgdahl (sieht zuerst sehr verlegen aus
und wirft einen fragenden Blick auf ihren Manu.
Aber sic faßt sich rasch, steckt ihre Hand unter seinen
Arm und lacht): Lieber Herr Marcus, wie sind
Sie nur auf die Idee gekommen, Malte meer-
grüne Augen zu geben!
Marcus (etwas befangen): Weil das Ganze
gebieterisch ein Paar meergrüne Augen verlangt
hat. Es ist ja bedauerlich, daß Ihr Mann das
nicht aufbringen kann.
Frau Bcrgdahl: Mir ist mein Mann recht,
wie er ist! Und im übrigen finde ich Ihre Ge-
schichte ziemlich indiskret.
Marcus: Indiskret? Das ist ein zu banaler
Gesichtspunkt, Frau Bergdahl.
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Wieder frei, geliebte Seele,
Und die Schatten abgetan?
Hebst mit reingestimmter Kehle
Dieses Morgens Loblied an ?
Sankst du doch am Abend nieder.
Wie sieh welke Blume neigt —
Und nun quillt's im Busen wieder.
Wie das Lied der Lerche steigt?
Liebe streifte mir die V?ange
Wie ein Schmetterling im Flug,
Was mich müd gemacht und bange.
War ein Schemen, war ein Trug.
Stand mir doch der Himmel offen.
Als ich noch in Träumen lag —
Unermess'nes Glück erhoffen
Lässt mich dieser blaue Tag!
ERIKA RHEINSCH
Am ersten Mai
Durch frische Birkwaldfahnen,
Darein das Frührot brennt,
Reiten zwei blonde Ulanen
Zurück zum Regiment.
Sie waren patrouillieren
Am Feinde die lange Nacht,
Bis die Amseln musizieren
Und bis der Tag erwacht.
Und wie vom jungen Scheine
Die Erde dampft und wallt.
Im Sattel reckt der eine
Die sehnige Gestalt,
Und fragt, als wie erwachend.
Was für ein Tag heut sei —
Da spricht der andre lachend:
„Es ist der erste Mai!“
Jäh mit dem Worte steigen
Fluren der Heimat empor.
Aus grünen Maienzweigen
Ein Welten-Brüderchor.
Doch haben die zwei Ulanen
Im Heimwärtsreiten gedacht:
Wie versanken die roten Fahnen
Im Donner der Völkerschlacht!
Viel andere Sterne blinken.
Sie leuchten dem Vaterland,
Und eh soll der Pallasch nicht sinken
Und eher nicht rasten die Hand,
Bis seine letzten Grenzen
Vom letzten Feinde frei.
Ihre Augen und Waffen glänzen
Im Frührot des ersten Mai.
FRANZ LANGHEINRICH
Die Schloßherrin
Paul Segieth
(Bayr. Inf.-Regiment)
Von Sigfrid Siwcry
Es ist ein schöner Zunitag draußen in den
Schären, mit Sonnenwind und funkelndem, tief-
blauem Wasser, das an rote Felsplalten schlägt.
Unter einem grüngestrichenen Badehotel wiegen
sich weiße Kutter wie eine Schar Möven, die
Schnäbel im Winde.
Der Schriftsteller Marcus sitzt allein auf
einer Bank an der Strandpromenade. Er ist
jung, aber der Ernst seines Berufes ist seinen
Zügen tief ausgeprägt, 1111b man könnte ihn aus
einiger Entfernung sehr gut für den Pastor einer
Methodistengemeinde halten. Er klappt eben ein
größeres psychologisches Werk eines Wiener Pro-
fessors zu, und zeichnet mit seinem Stock das
Siegel Salomonis in den Sand.
Da kommt ein Herr in gestreiftem Anzug mit
einer Anemone im Knopfloch über den Weg
spaziert. Das ist Malte Bergdahl, Beamter
im Marinedepartement. Er geht mit den Händen
in den Hosentaschen, pfeift und raucht eine leichte
Zigarre. Alles an ihm spricht von einem leichten
Gewissen und einem vierzehntügigen Urlaub. Aber
als er den Schriftsteller erblickt, bleibt er mit einer
Miene der Überraschung und des gutmütigen
Ärgers plötzlich stehen. Der Schriftsteller sieht
dabei aus, so wie wenn man einem die Rechnung
über einen schon abgetragenen Anzug präsentiert.
Bcrgdahl: Hm, ist das ein Zusammentreffen!
Sie erkennen nnch doch, wie?
Marcus: Za .... ich glaube ....
Bergdahl: Das Gegenteil würde mich auch
wundern.
Marcus: Sie spielen vermutlich auf mein
letztes Buch an.
Bcrgdahl: Za, allerdings.
Marcus: Run, und wenn ich Sie auch nicht
wiedcrerkannt hätte, so wäre das vielleicht nicht
so lächerlich, als Sie zu meinen scheinen. Man
schreibt ein Gedicht über einen Sonnenuntergang,
das Gedicht lebt, aber wo zum Teufel ist der
Sonnenuntergang hingekommen?
Bcrgdahl: Ach, so ist das gemeint! Aber
vielleicht kann eine gewisse Namensähnlichkeit
Zhrem Gedächtnis nachhelfen: Malte Berg-
dahl, Amanuensis im Marinedepartement —
alias Malkoluivon Bergendahl, Seeoffizier a. D.
Marcus: Bagatellen! Sagen Sie lieber,
wie Ihnen das Buch gefallen hat!
Bergdahl: Kann Sie das interessieren?
Das ist ja so, als wollte man eine Henne
fragen, wie ihr das Bouillon gefallen hat, das
aus ihr gekocht wurde.
Marcus: Sie müssen zugeben, daß ich
aus dem verhältnismäßig einfachen Borwurf
viel herausgeholt habe, das Sie nie ahnten.
Bcrgdahl: Ungeheuer viel.
Marcus: Zch sah in Zhnen ein Wesen,
von dem Sie vermutlich selbst nicht viel wissen.
Sie sind ein unbewußter Instinktmensch.
Bcrgdahl: Wirklich?
Marcus: Zch habe viel Sympathie für
Sie! Aber haben Sie nun die Güte und
kommen Sie mir nicht etwa mit Änderungen!
Bcrgdahl: Za, es ist mir aber doch recht
peinlich, daß ich im Hotel Phönix in Berlin
durch Selbstmord endigen muß.
Marcus: Aber warum denn? Das ist
das einzig Richtige! Sie sind von Hermine
verlassen worden, die plötzlich von einer neuen,
verhängnisvollen Leidenschaft für den brutalen
Kapitän gepackt ist. Was Ihnen droht, ist
das tiefste Elend. Ihr Wille hatte von An-
fang an gewisse heimlich fressende Wunden und
brauchte die Stimulanz des Abenteuers, um
nicht in Lethargie zu versinken. Rein, nein,
es bleibt Zhnen absolut nichts andres übrig
als der Selbstmord.
Bcrgdahl: Za, aber ist es nicht ein wenig
komisch, mich so leibhaftig mit einer Zigarre im
Munde vor sich zu sehen?
Marcus (zuckt die Achseln): Zch habe Sie mit
dem Recht der Phantasie umgebracht. Ich kann
nichts dafür, wenn Sie im Leben die Sache
verschlampt haben, psychologisch war cs das
einzig Richtige. Und übrigens ist es ja noch
nicht zu spät.
Bcrgdahl: So? Na ja, dann muß ich mir
die Sache wohl noch überlegen . .. Das Recht
der Phantasie, sagen Sie! Ich möchte nur wissen,
ob das, was Sic Phantasie nennen, nicht eigent-
lich eher Mangel an Phantasie ist. Die tausend-
lebendigen kleinen Züge versagen, und darum
schlagen Sie mit dem Blitz drein. Zch habe den
Verdacht, daß Malkolm den Selbstmord begeht,
weil Sie gegen Ende des Romans schon etwas
überanstrengt waren. Rein, werden Sie nur nicht
böse! Sie haben vielleicht ganz recht. Aber be-
vor ich den verhängnisvollen Schritt tue, muß
ich Sie doch mit meiner Frau bekannt machen.
(Weist auf eine weißgekleidete Dame, die ihnen
mit einem Badetuch unter dem Arm cntgcgcn-
kommt.) Za, ich war wirklich unverschämt ge-
nug, Minna Hartmann — alias Hermine Hart-
mannsdorf — zu heiraten. (Stellt vor.) Meine
Frau, Herr Marcus! Der Verfasser von „Zwei
Wellen".
Frau Bcrgdahl (sieht zuerst sehr verlegen aus
und wirft einen fragenden Blick auf ihren Manu.
Aber sic faßt sich rasch, steckt ihre Hand unter seinen
Arm und lacht): Lieber Herr Marcus, wie sind
Sie nur auf die Idee gekommen, Malte meer-
grüne Augen zu geben!
Marcus (etwas befangen): Weil das Ganze
gebieterisch ein Paar meergrüne Augen verlangt
hat. Es ist ja bedauerlich, daß Ihr Mann das
nicht aufbringen kann.
Frau Bcrgdahl: Mir ist mein Mann recht,
wie er ist! Und im übrigen finde ich Ihre Ge-
schichte ziemlich indiskret.
Marcus: Indiskret? Das ist ein zu banaler
Gesichtspunkt, Frau Bergdahl.
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