Bcrgdahl (lächelnd): Sie hätten es wirklich so cinrichten
sollen, dass Sie meiner Frau vor zwei Jahren vorgestellt worden
wären, Herr Marcus.
Marcus: Warum denn?
Bergdahl: Ja, da hätten Sie vielleicht eine andere Auf-
fassung von „der nahezu asiatischen Indolenz ihres Wesens" be-
kommen.
Frau Bcrgdahl: Ja, denn ich bin nie stundenlang dagesessen
und habe init einem unaufgeschnittenen Roman in der Hand
über das Meer gestarrt. Gott behüte!
Marcus: Ich habe einen gewissen gleitenden, verträunüen,
unbewußten Frauentypus schildern wollen.
Bcrgdahl: Vergiß nicht, Minna, von nun ab bist du
gleitend, verträumt und unbewußt.
Marcus (ärgerlich): Könnte es jetzt nicht genug sein! Was
wollen Sie eigentlich? Leute, die so naiv rücksichtslos und
herausfordernd aufgetreten sind wie die Herrschaften vor zwei
Jahren, bei denen wäre Arger über eine vermeintliche Indis-
kretion nur lächerlich. Sie sollten dankbar sein, daß ich dem,
was sonst nur zu allerlei Klatsch Anlaß gab, eine vertiefte,
poetische Deutung geliehen habe. Sie hätten nur hören sollen,
was auf der Dampfschiffbrücke und in der Seufzerallee alles
gesprochen wurde. Was ich in all dein sah, was mich inspirierte,
das war das plötzliche, widerstandslose Aufgehen zweier Menschen
ineinander — ganz wie zwei Wellen, die zu einer zusammen-
schlagen. . . Wenn Sie sich dann ernüchtert und eine Art
bürgerlicher Idylle arrangiert haben, so ist das mir vollkonnnen
gleichgültig.
Bergdahl: Ja, hören Sie nur, Herr Marcus, diese Ver-
liebtheit auf den ersten Blick! Weil wir gerade davon sprechen,
kann ich Ihnen erzählen, daß ich Minna Hartniann bei einer
Verlassenschaftsauktion nach einem alten Börsensensalen zum
ersten Mal sah. Wir boten auf dasselbe Trumeau. Sie kaperte
es, wenn ich es auch später so einzurichten wußte, daß ich auch
meine Freude daran hatte. Aber ich kann Ihnen versichern, daß
es recht lange dauerte, bis sie meine Braut wurde. Als sie hier
herauszog, uni die Tanten mal los zu werden, hatte sie schon
ihre Ausstattung fertig genäht. Aber es amüsierte uns, uns einen
kleinen Spaß zu niachen, denn in unsrer bescheidenen Weise
hassen wir das Banale. Darum hatten wir vereinbart, so zu
tun, als wenn wir uns noch gar nicht kennen würden. Wenn
Sie ein wirklicher Beobachter gewesen wären, hätten Sie dieses
kleine Komplott natürlich sofort durchschaut, denn wir führten
es recht plump durch. Am ersten Abend zum Beispiel, als
ich durch den schwarzen Gewitterregen gesegelt kam und bei
deni plötzlichen, violetten Schein eines Blitzes wie eine Erschei-
nung in den Gesellschastssalon trat, wo eben getanzt wurde,
und dann ohne einen Augenblick zu zögern, wie an einem
unsichtbaren Bande gezogen, gerade auf Hermine Hartmanns-
dorf zuging und sie in meine Arme nahm und mit ihr in einem
Walzer dahinwirbelte, da hätten Sie merken sollen, daß ein
Exemplar der „Post- und Amtszeitung" aus meiner Brusltasche
guckte. Ich erinnere mich so genau daran, weil Minna mir
zuflüsterle, die Zeitung doch einzustecken. Das paßte gar nicht
zu meiner dämonischen Rolle. Und darin, finde ich, hatte sie
Recht. Ein junger, ehemaliger Seeoffizier mit meergrünen Augen,
der einmal in einem erotischen Hafen, von einer Frau verleitet,
die Bande der Disziplin zerreißt und darum seinen Abschied
bekommt und seither wie ein Bruder der Frau vonl Meere
friedlos auf seiner Jacht umherirrt, der liest wohl kaum die
„Post- und Amtszeitung". Das tut schon eher ein Amanuensis
im Marinedepartement, der vierzehn Tage Ferien hat.
Marcus (niedergeschlagen): Können Sie mich nicht mit
Ihrem Marinedepartement verschonen?
Frau Bergdahl: Und, lieber Herr Marcus, in was für
einem Kleide Sie mich tanzen lassen! Die oerise-farbene Seide,
die den Glanz des feinen und etwas schwindsüchtigen Teints
erhöht, geht ja noch an. Aber dieser Einsatz aus traumblassem
lVlauve und die Volants aus orangegelb flammendem Crepe
de Chine! Nie in meinem Leben würde ich mich so aus-
staffieren. So fein sind höchstens die Damen in den Modc-
spalten der Zeitungen . . . Und wie können Sie es sich einfallen
lassen, in dieser Weise über meinen Ausschnitt zu reden?
Marcus: Sie meinen wohl, ich hätte Ihnen Ihre Haus-
industriebluse und den Sporlrock lassen sollen? Und so spricht
eine Frau!
Frau Bcrgdahl: Ja, und daran ist auch kein wahres
Wort, daß man schon am selben Abend unsre dunklen Silhouetten
oben auf dem Lotscnberg sehen konnte, wie zwei unwirkliche
Schattenwese», die sich vor deni Hintergrund des blaßgrünen,
unendlichen Nachthimmels küßten.
Bcrgdahl: Nein, so dumm waren wir doch nicht, uns auf
den Aussichtsbcrg hinzustellen, wenn dahinter der Wald war.
Frau Bcrgdahl: Aber Malte!
Marcus: Nun und die Entführung? Oder ist das viel-
leicht auch eine Lüge, daß die Herrschaften eines schönen Morgens
ins Meer hinaussegelten und nie wiederkamen!
Bcrgdabl: Aber ja, das Wetter war schön, wir hatten
eine Menge Konserven an Bord...
Richard Pietzsch (München)
sollen, dass Sie meiner Frau vor zwei Jahren vorgestellt worden
wären, Herr Marcus.
Marcus: Warum denn?
Bergdahl: Ja, da hätten Sie vielleicht eine andere Auf-
fassung von „der nahezu asiatischen Indolenz ihres Wesens" be-
kommen.
Frau Bcrgdahl: Ja, denn ich bin nie stundenlang dagesessen
und habe init einem unaufgeschnittenen Roman in der Hand
über das Meer gestarrt. Gott behüte!
Marcus: Ich habe einen gewissen gleitenden, verträunüen,
unbewußten Frauentypus schildern wollen.
Bcrgdahl: Vergiß nicht, Minna, von nun ab bist du
gleitend, verträumt und unbewußt.
Marcus (ärgerlich): Könnte es jetzt nicht genug sein! Was
wollen Sie eigentlich? Leute, die so naiv rücksichtslos und
herausfordernd aufgetreten sind wie die Herrschaften vor zwei
Jahren, bei denen wäre Arger über eine vermeintliche Indis-
kretion nur lächerlich. Sie sollten dankbar sein, daß ich dem,
was sonst nur zu allerlei Klatsch Anlaß gab, eine vertiefte,
poetische Deutung geliehen habe. Sie hätten nur hören sollen,
was auf der Dampfschiffbrücke und in der Seufzerallee alles
gesprochen wurde. Was ich in all dein sah, was mich inspirierte,
das war das plötzliche, widerstandslose Aufgehen zweier Menschen
ineinander — ganz wie zwei Wellen, die zu einer zusammen-
schlagen. . . Wenn Sie sich dann ernüchtert und eine Art
bürgerlicher Idylle arrangiert haben, so ist das mir vollkonnnen
gleichgültig.
Bergdahl: Ja, hören Sie nur, Herr Marcus, diese Ver-
liebtheit auf den ersten Blick! Weil wir gerade davon sprechen,
kann ich Ihnen erzählen, daß ich Minna Hartniann bei einer
Verlassenschaftsauktion nach einem alten Börsensensalen zum
ersten Mal sah. Wir boten auf dasselbe Trumeau. Sie kaperte
es, wenn ich es auch später so einzurichten wußte, daß ich auch
meine Freude daran hatte. Aber ich kann Ihnen versichern, daß
es recht lange dauerte, bis sie meine Braut wurde. Als sie hier
herauszog, uni die Tanten mal los zu werden, hatte sie schon
ihre Ausstattung fertig genäht. Aber es amüsierte uns, uns einen
kleinen Spaß zu niachen, denn in unsrer bescheidenen Weise
hassen wir das Banale. Darum hatten wir vereinbart, so zu
tun, als wenn wir uns noch gar nicht kennen würden. Wenn
Sie ein wirklicher Beobachter gewesen wären, hätten Sie dieses
kleine Komplott natürlich sofort durchschaut, denn wir führten
es recht plump durch. Am ersten Abend zum Beispiel, als
ich durch den schwarzen Gewitterregen gesegelt kam und bei
deni plötzlichen, violetten Schein eines Blitzes wie eine Erschei-
nung in den Gesellschastssalon trat, wo eben getanzt wurde,
und dann ohne einen Augenblick zu zögern, wie an einem
unsichtbaren Bande gezogen, gerade auf Hermine Hartmanns-
dorf zuging und sie in meine Arme nahm und mit ihr in einem
Walzer dahinwirbelte, da hätten Sie merken sollen, daß ein
Exemplar der „Post- und Amtszeitung" aus meiner Brusltasche
guckte. Ich erinnere mich so genau daran, weil Minna mir
zuflüsterle, die Zeitung doch einzustecken. Das paßte gar nicht
zu meiner dämonischen Rolle. Und darin, finde ich, hatte sie
Recht. Ein junger, ehemaliger Seeoffizier mit meergrünen Augen,
der einmal in einem erotischen Hafen, von einer Frau verleitet,
die Bande der Disziplin zerreißt und darum seinen Abschied
bekommt und seither wie ein Bruder der Frau vonl Meere
friedlos auf seiner Jacht umherirrt, der liest wohl kaum die
„Post- und Amtszeitung". Das tut schon eher ein Amanuensis
im Marinedepartement, der vierzehn Tage Ferien hat.
Marcus (niedergeschlagen): Können Sie mich nicht mit
Ihrem Marinedepartement verschonen?
Frau Bergdahl: Und, lieber Herr Marcus, in was für
einem Kleide Sie mich tanzen lassen! Die oerise-farbene Seide,
die den Glanz des feinen und etwas schwindsüchtigen Teints
erhöht, geht ja noch an. Aber dieser Einsatz aus traumblassem
lVlauve und die Volants aus orangegelb flammendem Crepe
de Chine! Nie in meinem Leben würde ich mich so aus-
staffieren. So fein sind höchstens die Damen in den Modc-
spalten der Zeitungen . . . Und wie können Sie es sich einfallen
lassen, in dieser Weise über meinen Ausschnitt zu reden?
Marcus: Sie meinen wohl, ich hätte Ihnen Ihre Haus-
industriebluse und den Sporlrock lassen sollen? Und so spricht
eine Frau!
Frau Bcrgdahl: Ja, und daran ist auch kein wahres
Wort, daß man schon am selben Abend unsre dunklen Silhouetten
oben auf dem Lotscnberg sehen konnte, wie zwei unwirkliche
Schattenwese», die sich vor deni Hintergrund des blaßgrünen,
unendlichen Nachthimmels küßten.
Bcrgdahl: Nein, so dumm waren wir doch nicht, uns auf
den Aussichtsbcrg hinzustellen, wenn dahinter der Wald war.
Frau Bcrgdahl: Aber Malte!
Marcus: Nun und die Entführung? Oder ist das viel-
leicht auch eine Lüge, daß die Herrschaften eines schönen Morgens
ins Meer hinaussegelten und nie wiederkamen!
Bcrgdabl: Aber ja, das Wetter war schön, wir hatten
eine Menge Konserven an Bord...
Richard Pietzsch (München)