Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hund nicht aus den Augen. Dann, als
er den Soldaten nicht mehr sehen konnte,
stand mit einem Male sein Schweif still.

Sein Blick erstarrte: er bewachte das Tor.

Da erst hatten ihn die anderen Soldaten
bemerkt, und da sie zufällig in guter Stim-
mung waren, begannen sie ihn anzureden,
als wäre er ein Mensch. Sie fragten,
was denn der Herr wolle. Woher denn
der Herr käme. Wie es den: Herrn ergehe.
Freilich, wer den Hund teilnahmsvoll an-
fah, hätte sich die letzte Frage ersparen
können: er sah elend aus. Er war klein
und unbeschreiblich häßlich. Sein Fell war
verwahrlost, klebrig von Schmutz und Unge-
ziefer! seine Augen triefrig, malt und derart
unglücklich, daß ihr Anblick weh tat. Unter
der dünnen Haut der Brust und der Beine
konnte man die spitzigen Knochen zählen:
er schien halb verhungert.

Während die Soldaten noch ihren Spaß
trieben, kam Bartl wieder. Die eine Hand
trug er nach wie vor in einer schwarzen
Binde, in der andern aber hielt er ein
großes Stück Brot, — und wenn der
Hund sich nicht irrte, — ein großes Bein
mit dicken, braunen, saftigen Fleischfetzcn
Nein, der Hund irrte sich keineswegs. Und
nun geriet er außerhalb jeder vernünftigen
Überlegung. Er begann, um sich selbst zu
tanzen, zu springen, die Erde zu scharren,
und ein langgezogcnes Geheul anzustim-
men. Aber trotzdem wagte er sich nicht
näher.

Nun begann Bartl sein Experiment,
das die andern sehr interessierte. Es galt
zu erproben, was in dem Hunde stärker
war: die Feigheit oder der Hunger. Bartl
saß also wieder auf der Bank, stützte sich
wieder auf die beiden Oberschenkel und
streckte Brot und Fleisch nach dem Hunde
aus. Dieser warf den Kopf in die Lust,
als müsse er nach Atem schnappen, und
wenn er schließlich auf die Hinterbeine
hochschnellte und mit den vorderen Tatzen
zu bitten versuchte, strömte aus seinem weit-
aufgerissenen Maul ein ununterbrochenes
Gelärm, das ein Winseln, Röcheln, Brüllen
zu gleicher Zeit war. Dann aber, als ihn,

Bartl ernsthaft zuzusprechen begann, siegte
der Hunger, langsam, zögernd, Schritt für
Schritt. Das Tier legte sich auf den Bauch und
schob sich, während es die Verlockung nicht aus
den Augen ließ, näher. Manchmal hielt es für
einige Zeit inne, wedelte nur den Staub hinter
sich auf! dann genügte ein Wort des Soldaten,
ein leichter freundlicher Wink mit dem Kopfe,
und cs faßte neuen Mut.

Bon dieser Stunde an war der Hund allen
Soldaten bedingungslos ergeben. Zn den ersten
Tagen, wenn sie um zwei Uhr in das Haus
mußten, war er wieder fortgelaufen, unbestimmt
wohin, und war erst am nächsten Morgen zu-
rückgekommen. Später aber verließ er den Hof
überhaupt nicht mehr. Er war froher Dinge und
zu allen Späßen gern bereit. War der Hof leer,
so schlich er umher, beschnupperte jede Stelle, be-
ehrte jede Ecke, wühlte die Erde auf, bellte nach
den Sperlingen und winselte von Zeit zu Zeit
vergeblich um Einlaß. Nachts schlief er unter
einem Holzdach, das ihn, ein paar Infanteristen
in der Eile gezimmert und mit ein paar Fetzen
austapeziert hatten. Seine Dankbarkeit kannte
keine Grenzen. Es brauchte einer nur den Kopf
aus dem Fenster zu stecken, es brauchte einer
hinter den Scheiben nur ein wenig auszulachen,
so geriet er schon in eine Besessenheit des Wedelns,
welche seinen schwachen Leib umzuwerfen drohte.
Wenn aber erst Bartl ihm nahe kam, dann hatte
er nur mehr einen Wunsch: sich der Erde gleich
zu machen. Dann legte er sich so platt hin, als
er konnte, und blieb, während ihm sein Gönner
durch das Fell streichelte, regungslos, atemlos
liegen.

Woher er gekommen war, wußte niemand.
Das Persona! des Spitals war selbst ortsfremd,

Und als der erste Transport mit den
schwerer Verwundeten abging, waren diese
wie erlöst. Die noch Zurückbleibenden aber
warteten schon ungeduldig ihrer Abfahrt:
denn es.schien ihnen, daß sie anderswo
froher atmen könnten. Hier erdrückte sie
nur Traurigkeit und Öde, so weit sie
schauten.

Nur Bartl Ennemoser schien der neueste
Erlaß wenig zu freuen. Auf seinem Feld-
bett kauernd, steckte er melancholisch einen
Bissen Brot nach dem andern in den breiten
Mund, kaute langsam, schluckte langsam,
dachte langsam. Seine Stirn über den
spärlichen, beinahe weißen Augenbrauen
zeigte tiefe Runzeln. Manchmal preßte er
schmerzlich die Augen zusammen, verharrte
so für eine Weile, und ächzte enbltdi lernt
auf. Man konnte es von [einem Gesicht
ablesen, wie sschwcre Dinge in ihn, vor-
gingcn, und wie er sie mühselig von der
einen auf die andere Seite rollte. Manch-
mal schaute er auf, blickte sein Gegenüber,
das erwartungsvoll vor sich hinpfiff, an,
als wollte er etwas fragen, und versank
dann doch wieder in sich selbst.

Bartl Ennemoser stand auf, ging iir
den Hof hinab, der Hund stürzte ihm so-
gleich entgegen, sprang ihm an die Brust
empor, beleckte warm seine Hände. Bartl
streifte ihn schroff ab, und als der Hund
dennoch nicht nachließ, schrie er wütend:
„Kusch!" Nun wurde der Hund zwar
gemäßigter, lief aber dennoch, gefällig we-
delnd, neben ihm einher. Den Soldaten
kümmerte es nicht. Er blickte nicht hinab,
er machte große Schritte, er starrte vor
sich hin. Einmal wagte es der Hund, sich
an seinen Fuß zu drücken. Der Soldat
schleuderte ihn im Schritt beiseite. Der
Hund muckste nicht, verlor seine Liebe für
keinen Augenblick, lies freundlich neben deui
Mann einher. Nachdem Bartl eine Zeit-
lang auf diese Weise umhergewandcrt
war, blieb er endlich vor einem Kamera-
den stehn, und weil er nicht gleich mit
seiner Frage Herausrücken wollte, grinste
er ihn bloß an, wobei sich sein Mund von
einem Ohr zuni andern zog. Der andre
paffte gerade an seiner Pfeife und es war
nicht recht zu erkennen, ob er etwas be-
dachte oder ob fein Hirn wieder einmal in einer
angenehmen Weise stillstand. Bis endlich Bartl
fragte:

„Wann wölln wir denn weggahn?"

Der andre zuckte die Achseln und zog den
Rauch tief an.

Bartl schaute ihm für eine Weile zu. Der
Rauch kam aus denr Blechdeckel durch vier runde
Öffnungen und war schmutzigblau. Nachdenr das
festgestellt war, fragte Bartl die zweite Frage:

„Und der Hund?"

Der andre blies den Rauch langsam aus,
blickte gedankenvoll vor sich hin und zuckte aber-
mals die Achseln.

Aber schon fragte ihn Bartl wieder, schnell,
überstürzt:

„Z denk, dös Hundele wird halt krepieren . . .
wird derhungern halt . . ."

Da blickte ihm der Kamerad groß, beinahe
spöttisch in die Augen, und lächelte. Dieser über-
legenen Ruhe gegenüber war Bartl einfach ohn-
mächtig. Sie beengte ihn gleichsam, wollte ihn
festhallen, wollte ihm alles Blut in die Stirn
treiben, als hätte er sich zu schämen, — und so
wandte er sich schnell ab. Für einen Augenblick
fühlte er instinktiv, daß man ihn belacht hatte,
daß er vielleicht beleidigt worden war — und
stahl sich scheu davon.

Während der Hund ihn nicht verließ, schritt
er, gesenkten Hauptes, auf der andern Seite des
Hofes hin rnrd her. Er konnte das Lächeln
seines Kameraden nicht vergessen. Er mußte es
fortwährend vor sich sehn. Er verstand es gut!
Dieses Lächeln sollte ungefähr heißen: Wir haben
(Schluß aui Seite 333

F. Heubner

Dilemma

„'jfctjt weiss ick nickt — soll ich zuerst 'ne neue
,Dampfwalze' für Oeutscklrrnä — oäer 'ne neue .Säug-
pumpe' für frsnkreick — ocler 'n .Dackscklüssel' für
äie Dardanellen konstruieren?."

die Bewohner waren aus Furcht vor einer Zn-
vasion der Russen größtenteils geflohn. Da hatte
ihn wahrscheinlich eine Familie zurückgelassen, —
wer denkt auch in der Eile an einen so kleinen,
häßlichen Hund? Daß er häßlich war, das konnte
nian nicht vergessen. Die Soldaten gewannen ihn
zwar lieb. Aber wenn man tausend Jahre lang
gelebt hätte, er konnte nicht schöner erscheinen.
Er war so häßlich, daß er schon komisch war.
So machte es unter anderem den Soldaten viel
Spaß, über seine Rasse zu streiten. Dieser Streit
lohnte sich immer wieder, denn er war nicht zu
lösen. Er gab zu den verschiedensten Kombina-
tionen Anlaß. Er ließ Hypothesen erstehn, über
deren Kühnheit selbst der Erfinder erschrak. Das
Tier ließ sich alles freudig gefallen. Es bot willig
seinen Körper zur Schau, cs ließ sich an allen
Gliedern abtasten, und wenn man endlich unter
lautem Gelächter festgestellt hatte, daß sein Vater
ein Dackel, seine Mutter eine Bernhardinerin,
sein Großvater ein Bulldogg und sein anderer
Großvater ein Windhund gewesen, dann schien
er, lustig aufspringend, am Gipfel des Glückes
zu sein.

Da traf eines Tages eine Nachricht ein, welche
auch auf das Schicksal des Hundes einen Einfluß
üben mußte. Das Spital mußte geräumt werden.
Der Befehl war erlassen worden, ohne daß man
einen Grund dafür angegeben hätte: vielleicht daß
sich die beiden Gebäude als zu feucht herausge-
stellt hatten — denn einen Rheumatismus konnte
man sich hier gerade nicht vertreiben, — vielleicht
daß der Einfall der Feinde über die Karpathen
auch diese» traurigen Fleck bedrohte. Man wußte
cs nicht und man künimerte sich auch nicht darum.

33 l
Index
Friedrich (Fritz) Heubner: Dilemma
 
Annotationen