doch — glaube ich — Ärgeres mitangesehn als
einen krepierenden Hund. Oh, Bartl Ennenioser
verstand nur allzu gut, was der andre meinte.
Er war freilich nur ein Bauernbursch, mar nur
aus einem kleinen Dorf, das mit fünf Hütten
auf einer wolkennahen Senne lag, — aber so-
viel konnte ein jeder begreifen. Flüchtig dachte
er an vergangene Bilder: an abendliche Steppen,
wenn man sich in seinen Mantel cingcmickelt hatte
und noch ein paar letzte Minuten wach verbrachte:
wie rings umher die Verwundeten gestöhnt und
aufgeschrieen hatten, wie hier und dort einer ver-
schmachtet mar, hilflos, hilflos —: in solch einer
Umgebung schlief man ruhig ein. Er dachte
an fremde Dörfer, die man erstürmt hatte, an
schmutzige, kotige, steinige Gassen: wo man hin-
trat, war ein Kamerad gelegen und hatte mit
letzten Kräften die Hände erhoben, mit einem
Blick, der Steine hätte erweichen müssen: — aber
man war dazwischen hindurchgegangen, eine Zi-
garette im Mund, man hatte zwischen den Körpern
sich den Weg, vielleicht zu einem Wirtshaus,
gesucht.
Flüchtig erschienen die Erinnerungen wieder
vor Ennenioser, und er begriff in einem tiefen
Winkel des Herzens, daß fein Kamerad nicht
mit Unrecht über ihn gelächelt hatte. Aber nun
lief dieser kleine, häßliche zärtliche Hund neben
ihm einher, — und dagegen verblaßten alle Bil-
der menschlichen Elends, welche er jemals erlebt
hatte. Farblos sanken sie zurück: wenn auch
Menschen verschmachtet, verhungert waren, —
aber was hatte er denn mit ihnen zu schaffen ge-
habt? Er hatte sie nicht gekannt, er hatte sie
nicht geliebt, sie hatten sich niemals um ihn ge-
kümmert. Aber dieses Tier, das man verlassen
hatte, das ihm zugelaufen war, dieses Tier liebte
ihn. Als Bartl bei diesem letzten Gedanken an-
langte, blickte er schnell zu dem Hunde nieder.
Freudig sprang der an ihm auf, mit einem solchen
Blick, daß sich der Soldat schnell wieder, fast er-
„Hat sich erst nie gebissen, wie alles war
voll Laus, — juckt sich jetzt überall, weil Laus
sind fort!"
schrocken, abwairdte. Er eilte dem Tor zu. Er
wußte nur, daß der Hund nicht verhungern durfte:
dieser Entschluß, von dessen Ausführung er noch
keine Vorstellung hatte, beruhigte ihn mit einem-
mal. Das Blut sank von den Schläfen zurück,
er atmete ruhig. Er schritt in das Tor, wollte
es hinter sich schließen: da drängte sich der Hund
zwischen seine Füße, um mit hineinzukommen.
Er stieß ihn unbarmherzig zurück.
Oben im Schlafsaal war es leer: wahrscheinlich
hatten sich schon alle in der Menage versammelt;
denn es war nahe am Mittag. Die Sonne kam
milde zu den Fenstern herein, sie lag auf den
Betten, auf der uinherliegendcn Wäsche, sie spielte
oben auf der grauen, spinnwebigen Decke. Bartl
Ennenioser schritt in dem schmalen Gang zwischen
den zwei Beltreihen zweinial auf und nieder.
Beim erstenmal sagte er sich: „Ich werde 311111
Hauptmann gehn. Ich werde zum Oberstabs-
arzt gehn. Ich werde mit ihnen sprechen. Sic
werden mir die Erlaubnis geben, den Hund mit-
zunehmen." Diese wenigen Sätze sagte er sich
wohl an die zwanzigmal vor. Als er wieder
zur Wand gelangt war, drehte er sich »in und
machte für einige Augenblicke halt. Dann begann
er die Wanderung zum zweitenmal, aber nun
erschien ihm alles ganz anders. Er hielt die
Finger zwischen den Zähnen, biß sich die Nägel
vor Erregung ab, murmelte vor sich hin: „Sie
werden mich natürlich auslachen. Hnb schon gar
nicht werden sie mir die Erlaubnis geben. Es
ist aussichtslos, Bartl. Man ist jetzt nur für die
Soldaten zu haben."
Entmutigt, nein, vollständig verzweifelt, wußte
er endlich, daß ihm nur ein einziger Ausweg
blieb. Wenn das Tier nicht leiden, nicht vor
einem geschloffenen Tor liegen und durch viele
Tage verrecken durfte, wenn er selbst aber nicht
den Mut fand, seine Bitte bei den Vorgesetzten
auszusprechen, und wenn er auch auf keine Er-
hörung dieser Bitte hoffen durfte, — danii gab
cs eben nur eines. Und so ergriff Bartl Enne-
moscr sein Gewehr, lud es, schritt zum Fenster,
öffnete es schnell, kauerte hiiiter dein Fensterbrett,
wie er es oftmals in der Deckung getan hatte,
— und als ihn der Hund jählings bemerkte und
von unten glücklich aufbellte, drückte er auch
schon los. Er sah ihn noch fallen. Dann schritt
er iii das Zimmer zurück. Er stellte das Ge-
wehr dorthin, wo es gestanden war. Dann legte
er sich auf das Bett, verschränkte die Arme unter
dem Kopf, glotzte die Decke an und wünschte sich
zu sterben.
Bul etwaigen liestellumfou bittet man auf die XX ünclmur „JUGEND“ Bezug zu neluuen#
333
einen krepierenden Hund. Oh, Bartl Ennenioser
verstand nur allzu gut, was der andre meinte.
Er war freilich nur ein Bauernbursch, mar nur
aus einem kleinen Dorf, das mit fünf Hütten
auf einer wolkennahen Senne lag, — aber so-
viel konnte ein jeder begreifen. Flüchtig dachte
er an vergangene Bilder: an abendliche Steppen,
wenn man sich in seinen Mantel cingcmickelt hatte
und noch ein paar letzte Minuten wach verbrachte:
wie rings umher die Verwundeten gestöhnt und
aufgeschrieen hatten, wie hier und dort einer ver-
schmachtet mar, hilflos, hilflos —: in solch einer
Umgebung schlief man ruhig ein. Er dachte
an fremde Dörfer, die man erstürmt hatte, an
schmutzige, kotige, steinige Gassen: wo man hin-
trat, war ein Kamerad gelegen und hatte mit
letzten Kräften die Hände erhoben, mit einem
Blick, der Steine hätte erweichen müssen: — aber
man war dazwischen hindurchgegangen, eine Zi-
garette im Mund, man hatte zwischen den Körpern
sich den Weg, vielleicht zu einem Wirtshaus,
gesucht.
Flüchtig erschienen die Erinnerungen wieder
vor Ennenioser, und er begriff in einem tiefen
Winkel des Herzens, daß fein Kamerad nicht
mit Unrecht über ihn gelächelt hatte. Aber nun
lief dieser kleine, häßliche zärtliche Hund neben
ihm einher, — und dagegen verblaßten alle Bil-
der menschlichen Elends, welche er jemals erlebt
hatte. Farblos sanken sie zurück: wenn auch
Menschen verschmachtet, verhungert waren, —
aber was hatte er denn mit ihnen zu schaffen ge-
habt? Er hatte sie nicht gekannt, er hatte sie
nicht geliebt, sie hatten sich niemals um ihn ge-
kümmert. Aber dieses Tier, das man verlassen
hatte, das ihm zugelaufen war, dieses Tier liebte
ihn. Als Bartl bei diesem letzten Gedanken an-
langte, blickte er schnell zu dem Hunde nieder.
Freudig sprang der an ihm auf, mit einem solchen
Blick, daß sich der Soldat schnell wieder, fast er-
„Hat sich erst nie gebissen, wie alles war
voll Laus, — juckt sich jetzt überall, weil Laus
sind fort!"
schrocken, abwairdte. Er eilte dem Tor zu. Er
wußte nur, daß der Hund nicht verhungern durfte:
dieser Entschluß, von dessen Ausführung er noch
keine Vorstellung hatte, beruhigte ihn mit einem-
mal. Das Blut sank von den Schläfen zurück,
er atmete ruhig. Er schritt in das Tor, wollte
es hinter sich schließen: da drängte sich der Hund
zwischen seine Füße, um mit hineinzukommen.
Er stieß ihn unbarmherzig zurück.
Oben im Schlafsaal war es leer: wahrscheinlich
hatten sich schon alle in der Menage versammelt;
denn es war nahe am Mittag. Die Sonne kam
milde zu den Fenstern herein, sie lag auf den
Betten, auf der uinherliegendcn Wäsche, sie spielte
oben auf der grauen, spinnwebigen Decke. Bartl
Ennenioser schritt in dem schmalen Gang zwischen
den zwei Beltreihen zweinial auf und nieder.
Beim erstenmal sagte er sich: „Ich werde 311111
Hauptmann gehn. Ich werde zum Oberstabs-
arzt gehn. Ich werde mit ihnen sprechen. Sic
werden mir die Erlaubnis geben, den Hund mit-
zunehmen." Diese wenigen Sätze sagte er sich
wohl an die zwanzigmal vor. Als er wieder
zur Wand gelangt war, drehte er sich »in und
machte für einige Augenblicke halt. Dann begann
er die Wanderung zum zweitenmal, aber nun
erschien ihm alles ganz anders. Er hielt die
Finger zwischen den Zähnen, biß sich die Nägel
vor Erregung ab, murmelte vor sich hin: „Sie
werden mich natürlich auslachen. Hnb schon gar
nicht werden sie mir die Erlaubnis geben. Es
ist aussichtslos, Bartl. Man ist jetzt nur für die
Soldaten zu haben."
Entmutigt, nein, vollständig verzweifelt, wußte
er endlich, daß ihm nur ein einziger Ausweg
blieb. Wenn das Tier nicht leiden, nicht vor
einem geschloffenen Tor liegen und durch viele
Tage verrecken durfte, wenn er selbst aber nicht
den Mut fand, seine Bitte bei den Vorgesetzten
auszusprechen, und wenn er auch auf keine Er-
hörung dieser Bitte hoffen durfte, — danii gab
cs eben nur eines. Und so ergriff Bartl Enne-
moscr sein Gewehr, lud es, schritt zum Fenster,
öffnete es schnell, kauerte hiiiter dein Fensterbrett,
wie er es oftmals in der Deckung getan hatte,
— und als ihn der Hund jählings bemerkte und
von unten glücklich aufbellte, drückte er auch
schon los. Er sah ihn noch fallen. Dann schritt
er iii das Zimmer zurück. Er stellte das Ge-
wehr dorthin, wo es gestanden war. Dann legte
er sich auf das Bett, verschränkte die Arme unter
dem Kopf, glotzte die Decke an und wünschte sich
zu sterben.
Bul etwaigen liestellumfou bittet man auf die XX ünclmur „JUGEND“ Bezug zu neluuen#
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