Und schwingt ihm nnt triumphieren-
der Miene einen blanken Thermometer
entgegen:
„Neununddreißig Grad bei Nacht,
und keine Luft zu Kriegen!" . . .
Dem jungen Schauspieler zieht es
würgend die Kehle zusaniniein
Hilflos hat er im Dunkel gelegen,
Verlassenheit und Sterne über ihm.
Als diese schnialen Hände zum ersten
Male an sein Leben rührten. Ein be-
drohtes Stückchen Dasein, — gemar-
tert, zerschossen und verrissen. Und
hatten ihn ausgenommen, diese schwa-
chen Hände, waren wie Eisenmauern
gewesen zwischen ihm und dem stür-
menden Feind, — Schutz und Wall,
Hort und Rettung zugleich.
Urban — in der Erinnerung —
versucht nun schüchtern, ihr ein wenig
über die Stirne zu streichen.
Aber Libuscha sieht nur kalt und
starr vor sich hin und flüstert:
„Etwas weiter, mein Freund! Nicht
so nah! Die Tuberkelchen lassen nicht
mit sich spassen!"
Und, als er entmutigt sich abwendet:
„Öffnen Sie lieber die Fenster und zünden
Sie eine Zigarette an! Das beste Gegengift gegen
mich!" ....
Urban blickt in den Wintertag hinaus.
Zwei Wochen waren dann hingegangen, Be-
wußtlosigkeit, Operation, die stumpfe Ruhe des
Lazarettes ....
Und immer wieder ihre sorgende Mühe zu
fühlen! Dies Kissenglätten, Durstlöschen, Stirn-
kühlen !
Wenn er, in Qualen ringend, nach der Mutter
schrie, wenn beim Heilen das wunde Fleisch un-
erträglich zu brennen begann, wenn wirre Fieber-
träume ihm die Schrecken der Schlacht in wüsten
Bildern vorspiegelten, — stets war dies blasse
Antlitz über ihm. Stets leuchtete der goldrote
Scheitel, — bald im Sonnenglanz der Hellen Ge-
nesungsstunden, bald im weichen Laternenschimnier
der Nacht — —
„Schwester!", hebt Urban an vom Fenster
aus zu fragen, „haben Sie Nachricht von Ihrem
Stiefvater erhalten?"
Libuscha kramt ein zerknittertes Zettelchen
heftig hervor, wortlos.
„Du, — Dunkelster von Allen!
Eins hast Du mich gelehrt, —
Die Faust in der Tasche zu ballen!" . . .
Uber die Bettlehne gebeugt, liest der Freund
ihre Zeilen. Und erkennt nnt Schaudern, wie
das Leid diese ohnedies herbe Jungfräulichkeit
umzuwandeln vermochte, wie intelligente Lebens-
nüchternheit — die „eiserne Wehr" des „Nord-
deutschen" — hier Oberhand bekamen, dadurch,
daß ein scheues Gemüt an seinem ersten Empfinden
verbluten mußte.
„Wache Nächte!" sieht er dann weiter unter
die Verse geschrieben, „Qual, Qual, Qual!" Und
ein von Schlangen umzüngeltes Herz ....
Soll sich Urban dem schweren Gesetz der
Stunde fügen?
Diesem jungen, todgetrofsenen Weibe verbergen,
daß hier am weltvergessenen Lager alle Reichtümer
strahlen, die das Schicksal ihm zu vergeben hatte?
„Libuscha," sagt er schanihnft, und versucht
mit ihren rotflammenden Zöpfen ein kleines Spiel
uni seine Handgelenke, — „hier ist etwas, das
nichts verspricht und alles halten wird
Im Lebutr äer Katbeärale
B. Eggert (München)
Die blasse Kranke schweigt. Maiblumenhauch
weht durchs Zimmer. Uber ein zartes Antlitz ist
schwinnnendc Seligkeit gebreitet ....
Dann, als er an der Türe ist, mit bestricken-
dem Lächeln:
„Meine Großmutter pflegte uns beim Fort-
gehn einen Apfel in jede Tasche zu stecken, —
zur Versüßung des Abschiedes, gleichsam . .. ."
„Also, — herrliche Schwester??"
„Ohne Hoffnung, ohne Reu!" sagt das goldene
Haupt und verschwindet in den Kiffen ....
„Was halten Sie von Schwester Libuschas
Krankheilsverlauf, Herr Doktor?"
„Mib welchem Recht?" —
Der junge Schauspieler hält den Blick aus.
Gejagt von so drängender Angst, erfüllt von
solch zwangvollcr Kühnheit, daß der Arzt be-
greifen muß.
„Ihre Lunge war nie die beste." — —
„Und sie hat Verwundete auf ihren Armen
aus dem Schlachtfelde getragen —"
„Regen und Sturm, Eis und Schnee haben
an ihren schwachen Kräften gezehrt — —"
Der Doktor erhebt sich.
Dann schreitet er zögernd an Urban Serenus
vorbei.
Beethovens Todesmelodie auf den leise flöten-
den Lippen — —
„Wenn man sich nur seelisch die Nägel schnei-
den könnte!" lacht Libuscha, und fuchtelt dabei
nachdenklich mit der Schere herum. „Da liegt so
ein Halbmöndchen! Hat Vieles mit uns durch-
gemacht, und plötzlich haben wir gar nichts mehr
mit ihm zu schaffen. Es ist losgelöst, fällt ab,
- Adieu!" -
Ein schmaler Morgenrock umschließt heute ihre
schlanke, unschuldige Fidusgestalt. Weiße, blasse
Brüste erheben sich kaum über einen mit beschei-
dener Krause verzierten Ausschnitt. Aus rieseln-
den Tüllmanschettcn sicht es fein und kränklich,
dltrchsichtig und verstohlen hervor.
Urban erscheint sich fast plebeisch dieser schwe-
benden Grazie gegenüber. „Fädchcn" hat er sie
genannt, „dünnes, wehendes, glitzerndes
Seidenfädchen, an das man nicht rühren
darf!"
Und sie ihn „Porphyrmensch", -
seiner südtirolischen Heimat wegen, deren
Sonne Erde, Felsen und Menschen
in jenem purpurnen Schein erglühen
läßt, den man im Rot funkeln des Mus-
katellers als lockenden Niederschlag fröh-
lich begrüßen darf.
Eben nippt sie an einem honig-
farbcnen Gläschen:
„Von mir fort, ins Ganze Hab'
ich landen wollen! Nun bin ich Glück
und Tod erlegen! . ."
„Und mich hast Du gelehrt, — nach
dem Bangen um sich selbst, in einer
dumpfen, maßlos verträumten Werdc-
zcit, — mich nach dem Heile Anderer
zu sehnen! Noch im Elsässer Lazarett
— obwohl schon unter der Macht Deines
ins Weite spürenden Wesens, habe ich
die Einsamkeit noch um ,eine kleine,
lebendige Freude' bitten können."
„Lebendig!" sagt Libuscha und lieb-
kost seinen steifen Arnt in ihrem Schoß.
„Lebendig! Da sieht's bös aus! Aber,
man muß verstehen zur rechten Zeit
Adieu zu sagen .... Sei cs! Frieden Hab' ich
von Dir bekommen, .... Frieden, .... das letzte
Geschenk, was mir Liebe noch zu geben hatte — — "
Uhrenschlag.
Aus den Gängen leiert der Nonnen düsterer
Abendsegen.
„Hochgeehrter Herr Professor!
Meine Familie bringt es nicht über sich, für
meine Person im Krankenhause die zweite Klaffe
zu zahlen. Obwohl ich bloß kurze sechs Wochen
noch zu leben haben werde.
,Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!' ent-
schied mein Stiefvater, als ich mich vom Eltern-
hause löste.
Gefühl also ist keines da, und für „mytho-
logische Figuren" habe ich sonst wenig Interesse.
Begräbnis, Sarg, übliche Rührung und
Trauergcläut gönne ich Jenen nicht, die mir in,
Leben das Notwendigste vorenthalten konnten.
Demnach möchte ich Sie heute schon bitten,
meinen Körper für die Anatomie mit Beschlag
belegen zu wollen!
Schadenfreude. — Ein letzter Dummermädel-
streich, — wenn Sie ihn verstehen. Und dazu
noch die Freude — s ch e n k e n zu dürfen! . . . .
Allerdings, — mit Muskeln, Organen, Nerven
wird ja nicht mehr viel los sein. — Aber das
Skelett ist noch ideal, — glauben Sie mir!
Eine Kleinigkeit: Der junge Schauspieler Se-
renus soll meine Haare haben, — fürs Theater.
Solch rote Perücke wirkt immer interessant; und
ich sehe ihn schon als Franz Moor, Mephisto,
Orest ....
Nun habe ich nichts mehr zu wünschen! Auf
meine Haare bin ich stets sehr stolz gewesen, und
die lebe» ja hiermit weiter — —
Ich empfehle mich Ihnen, Herr Professor, und
danke Ihnen im voraus. Bei Ihnen regnet es
wohl nicht Pech und Schwefel?
Schwester Libuscha."
Crokus prahlt in eingefaßten Rabatten.
Gegenüber haben sie Wüsche aufgehängt, die
sich wohlgemut im Frühlingsmindc blüht.
351)
der Miene einen blanken Thermometer
entgegen:
„Neununddreißig Grad bei Nacht,
und keine Luft zu Kriegen!" . . .
Dem jungen Schauspieler zieht es
würgend die Kehle zusaniniein
Hilflos hat er im Dunkel gelegen,
Verlassenheit und Sterne über ihm.
Als diese schnialen Hände zum ersten
Male an sein Leben rührten. Ein be-
drohtes Stückchen Dasein, — gemar-
tert, zerschossen und verrissen. Und
hatten ihn ausgenommen, diese schwa-
chen Hände, waren wie Eisenmauern
gewesen zwischen ihm und dem stür-
menden Feind, — Schutz und Wall,
Hort und Rettung zugleich.
Urban — in der Erinnerung —
versucht nun schüchtern, ihr ein wenig
über die Stirne zu streichen.
Aber Libuscha sieht nur kalt und
starr vor sich hin und flüstert:
„Etwas weiter, mein Freund! Nicht
so nah! Die Tuberkelchen lassen nicht
mit sich spassen!"
Und, als er entmutigt sich abwendet:
„Öffnen Sie lieber die Fenster und zünden
Sie eine Zigarette an! Das beste Gegengift gegen
mich!" ....
Urban blickt in den Wintertag hinaus.
Zwei Wochen waren dann hingegangen, Be-
wußtlosigkeit, Operation, die stumpfe Ruhe des
Lazarettes ....
Und immer wieder ihre sorgende Mühe zu
fühlen! Dies Kissenglätten, Durstlöschen, Stirn-
kühlen !
Wenn er, in Qualen ringend, nach der Mutter
schrie, wenn beim Heilen das wunde Fleisch un-
erträglich zu brennen begann, wenn wirre Fieber-
träume ihm die Schrecken der Schlacht in wüsten
Bildern vorspiegelten, — stets war dies blasse
Antlitz über ihm. Stets leuchtete der goldrote
Scheitel, — bald im Sonnenglanz der Hellen Ge-
nesungsstunden, bald im weichen Laternenschimnier
der Nacht — —
„Schwester!", hebt Urban an vom Fenster
aus zu fragen, „haben Sie Nachricht von Ihrem
Stiefvater erhalten?"
Libuscha kramt ein zerknittertes Zettelchen
heftig hervor, wortlos.
„Du, — Dunkelster von Allen!
Eins hast Du mich gelehrt, —
Die Faust in der Tasche zu ballen!" . . .
Uber die Bettlehne gebeugt, liest der Freund
ihre Zeilen. Und erkennt nnt Schaudern, wie
das Leid diese ohnedies herbe Jungfräulichkeit
umzuwandeln vermochte, wie intelligente Lebens-
nüchternheit — die „eiserne Wehr" des „Nord-
deutschen" — hier Oberhand bekamen, dadurch,
daß ein scheues Gemüt an seinem ersten Empfinden
verbluten mußte.
„Wache Nächte!" sieht er dann weiter unter
die Verse geschrieben, „Qual, Qual, Qual!" Und
ein von Schlangen umzüngeltes Herz ....
Soll sich Urban dem schweren Gesetz der
Stunde fügen?
Diesem jungen, todgetrofsenen Weibe verbergen,
daß hier am weltvergessenen Lager alle Reichtümer
strahlen, die das Schicksal ihm zu vergeben hatte?
„Libuscha," sagt er schanihnft, und versucht
mit ihren rotflammenden Zöpfen ein kleines Spiel
uni seine Handgelenke, — „hier ist etwas, das
nichts verspricht und alles halten wird
Im Lebutr äer Katbeärale
B. Eggert (München)
Die blasse Kranke schweigt. Maiblumenhauch
weht durchs Zimmer. Uber ein zartes Antlitz ist
schwinnnendc Seligkeit gebreitet ....
Dann, als er an der Türe ist, mit bestricken-
dem Lächeln:
„Meine Großmutter pflegte uns beim Fort-
gehn einen Apfel in jede Tasche zu stecken, —
zur Versüßung des Abschiedes, gleichsam . .. ."
„Also, — herrliche Schwester??"
„Ohne Hoffnung, ohne Reu!" sagt das goldene
Haupt und verschwindet in den Kiffen ....
„Was halten Sie von Schwester Libuschas
Krankheilsverlauf, Herr Doktor?"
„Mib welchem Recht?" —
Der junge Schauspieler hält den Blick aus.
Gejagt von so drängender Angst, erfüllt von
solch zwangvollcr Kühnheit, daß der Arzt be-
greifen muß.
„Ihre Lunge war nie die beste." — —
„Und sie hat Verwundete auf ihren Armen
aus dem Schlachtfelde getragen —"
„Regen und Sturm, Eis und Schnee haben
an ihren schwachen Kräften gezehrt — —"
Der Doktor erhebt sich.
Dann schreitet er zögernd an Urban Serenus
vorbei.
Beethovens Todesmelodie auf den leise flöten-
den Lippen — —
„Wenn man sich nur seelisch die Nägel schnei-
den könnte!" lacht Libuscha, und fuchtelt dabei
nachdenklich mit der Schere herum. „Da liegt so
ein Halbmöndchen! Hat Vieles mit uns durch-
gemacht, und plötzlich haben wir gar nichts mehr
mit ihm zu schaffen. Es ist losgelöst, fällt ab,
- Adieu!" -
Ein schmaler Morgenrock umschließt heute ihre
schlanke, unschuldige Fidusgestalt. Weiße, blasse
Brüste erheben sich kaum über einen mit beschei-
dener Krause verzierten Ausschnitt. Aus rieseln-
den Tüllmanschettcn sicht es fein und kränklich,
dltrchsichtig und verstohlen hervor.
Urban erscheint sich fast plebeisch dieser schwe-
benden Grazie gegenüber. „Fädchcn" hat er sie
genannt, „dünnes, wehendes, glitzerndes
Seidenfädchen, an das man nicht rühren
darf!"
Und sie ihn „Porphyrmensch", -
seiner südtirolischen Heimat wegen, deren
Sonne Erde, Felsen und Menschen
in jenem purpurnen Schein erglühen
läßt, den man im Rot funkeln des Mus-
katellers als lockenden Niederschlag fröh-
lich begrüßen darf.
Eben nippt sie an einem honig-
farbcnen Gläschen:
„Von mir fort, ins Ganze Hab'
ich landen wollen! Nun bin ich Glück
und Tod erlegen! . ."
„Und mich hast Du gelehrt, — nach
dem Bangen um sich selbst, in einer
dumpfen, maßlos verträumten Werdc-
zcit, — mich nach dem Heile Anderer
zu sehnen! Noch im Elsässer Lazarett
— obwohl schon unter der Macht Deines
ins Weite spürenden Wesens, habe ich
die Einsamkeit noch um ,eine kleine,
lebendige Freude' bitten können."
„Lebendig!" sagt Libuscha und lieb-
kost seinen steifen Arnt in ihrem Schoß.
„Lebendig! Da sieht's bös aus! Aber,
man muß verstehen zur rechten Zeit
Adieu zu sagen .... Sei cs! Frieden Hab' ich
von Dir bekommen, .... Frieden, .... das letzte
Geschenk, was mir Liebe noch zu geben hatte — — "
Uhrenschlag.
Aus den Gängen leiert der Nonnen düsterer
Abendsegen.
„Hochgeehrter Herr Professor!
Meine Familie bringt es nicht über sich, für
meine Person im Krankenhause die zweite Klaffe
zu zahlen. Obwohl ich bloß kurze sechs Wochen
noch zu leben haben werde.
,Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!' ent-
schied mein Stiefvater, als ich mich vom Eltern-
hause löste.
Gefühl also ist keines da, und für „mytho-
logische Figuren" habe ich sonst wenig Interesse.
Begräbnis, Sarg, übliche Rührung und
Trauergcläut gönne ich Jenen nicht, die mir in,
Leben das Notwendigste vorenthalten konnten.
Demnach möchte ich Sie heute schon bitten,
meinen Körper für die Anatomie mit Beschlag
belegen zu wollen!
Schadenfreude. — Ein letzter Dummermädel-
streich, — wenn Sie ihn verstehen. Und dazu
noch die Freude — s ch e n k e n zu dürfen! . . . .
Allerdings, — mit Muskeln, Organen, Nerven
wird ja nicht mehr viel los sein. — Aber das
Skelett ist noch ideal, — glauben Sie mir!
Eine Kleinigkeit: Der junge Schauspieler Se-
renus soll meine Haare haben, — fürs Theater.
Solch rote Perücke wirkt immer interessant; und
ich sehe ihn schon als Franz Moor, Mephisto,
Orest ....
Nun habe ich nichts mehr zu wünschen! Auf
meine Haare bin ich stets sehr stolz gewesen, und
die lebe» ja hiermit weiter — —
Ich empfehle mich Ihnen, Herr Professor, und
danke Ihnen im voraus. Bei Ihnen regnet es
wohl nicht Pech und Schwefel?
Schwester Libuscha."
Crokus prahlt in eingefaßten Rabatten.
Gegenüber haben sie Wüsche aufgehängt, die
sich wohlgemut im Frühlingsmindc blüht.
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