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Liebe Kriegskameraden Im Tclde!

Daß Euch die Gehirnverlausung der
Deutschenfresser (Nr. 16 der „Jugend") Spaß
gemacht hat, gereicht mir zu besonderer Freude,
da ich auf die Entdeckung der Gehirnlaus (ps-
äiculus csrsdr!) mir wirklich etwas einbilde. Die
verschiedenen Unterarten dieses ekelhasten Luders
sind zum Teil sehr gespaßig: die tollsten Kletter-
künste führt die psychische Diplomatenlaus
vor (bevorzugte Inhaber: Iswolsky, Grey, Poin-
care usw.), dann konimt aber gleich die Dichter-
laus (Maeterlinck, Ellen Key ec.), doch gravi-
tätisch schreitet die Gelehrtenlaus daher, deren
schönste Exemplare bei dem Chemiker Ramsay
zu finden sind.

Die Frage, wie wir nach dem Weltkriege uns
gegen alle diese Herrschaften verhalten sollen, ist
nicht uninteressant. Im allgemeinen glaube ich
nicht an die „psychische Entlausung", überhaupt
nicht an die Veränderung psychischer Eigenschaften
durch den Krieg. Der Einzelne wird vielleicht
besser, edler, freimütiger sein, wenn er schon vor-
her gut, edel und frei mar; — aber einen tief-
gehenden Gemüts- und Charakterumschwung an-
zunehmen, dazu liegt doch kein Anlaß vor. Weder
die Zahl der Idealisten, noch jene der Egoisten
und Flaumacher wird sich wesentlich erhöhen.
Was uns als bleibender Gewinn aus dieser
Riesenzeit erwachsen wird, das ist die feurige Er-
innerung an die wundervolle Begeisterung der
großen Massen unseres Volkes, die wie ein
gewaltiges Naturereignis die Zaghaftigkeit für
immer aus der deutschen Seele verbannt hat.

Und noch ein ganz Besonderes wird als dau-
ernde Frucht aus dieser gewaltigen Blutsaat her-
vorsprießen : das Gefühl der Scham bei dem
leisesten Gedanken, daß die kommenden
Geschlechter jemals dem Gelöbnis der
Dankbarkeit gegen Luch und Eure ge-
fallenen Waffenbrüder untreu werden
könnten!

Deß möge als rnonumsntum asrs psrennlu8
der B l u t- u n d T r e u e s ch w u r unseres Kaisers
Wilhelm II. am Bismarck-Tag dieses Jahres,
als heiliges Versprechen in jeder deutschen Hütte,
wo Tränen um Leben und Gesundheit geliebter
Kriegsopfer fließen, neben den stummen Bildern
der Gefallenen ewiges Zeugnis ablegen:

„Der Geist der Eintracht aber, der
unserBolkdaheimundaufdenKriegs-
schauplätzen über alles Trennende sieg-
haft erhoben hat, er wird, das hoffe
ich zuversichtlich, den Waffenlärm
überdauern und nach glücklich er-
kämpftem Frieden auch die Entwick-
lung des Reiches im Innern segens-
reich befruchten und fördern. Dann
wird uns als Siegespreis ein natio-
nales Leben erblühen, in dem sich
deutsches Volkstum frei und stark ent-
falten kann. Dann wird der stolze
Bau gekrönt, zu dem Bismarck einst
den Grund gelegt."

Mit diesem Schwur hat Wilhelm II. seinen
unsterblichen Verdiensten um die Rettung des
Vaterlandes den Anspruch auf die tiefste Dank-
barkeit aller Genossen und Freunde des deutschen
Volkes hinzugefügt!

München, 1. Mai 1915.

Georg I)ir1k

Osmanen-Liecl

Des Propheten grüne Fahne
Ist enthüllt zum heiligen Krieg,

Und nun braust vom Ozeane
Bis zum fernsten Hindostane
Das II Allah der Sultane,

Das seit tausend Jahren schwieg!

Wieder über Roßschweifhaaren
Blinkt der Halbmond in der Schlacht,

Und die unzersplitterbaren
Blauen Damaszener fahren
Wie zur Zeit der Ianitscharen
Aus der Scheide stumpfer Nacht.

Sind die Geister, die versanken,
Aufgewacht zu neuem Tanz?

Hier die Moslim! Dort die Franken!
Und des Russen Bärenpranken,

Und der Britenschiffe Planken
Vor den Toren von Byzanz ...!

Hei, das peitscht empor den alten
Türkenzorn, wie tief er schlief!

Allahruf und Schädelspalten —

Und die alten Mächte walten!

In der grünen Fahne Falten
Rauscht der Sieg! Der Sieg, Kalif!

Ad-en-Orah

*

Die Hungersnot in Deutschland

Nach den — bekanntlich absolut zuverlässigen —
Mitteilungen der Ententepresse wütet der Hunger
im Deutschen Reich, ganz besonders in Berlin
und München mit geradezu wütender Wut. In
den meisten Orlen läßt man das Frühstück fort,
streicht das Mittagessen und verzichtet dafür auf
die Abendmahlzeit. Leute, die überhaupt noch
einen Schatten werfen, sind im ausgehun-
gerten Deutschland so selten, daß sie sich nicht
mehr auf die Straße wagen, weil sie sonst von
ihren neidischen Mitbürgern insultiert würden.
Der „Temps" hat bereits gemeldet, daß die Re-
gierung die öffentlichen Personenwagen ent-
fernen ließ, damit das Volk die Abnahme seines
Körpergewichts nicht mehr feststellen kann — aber
was hilft's? Für die armseligen Hungerleider
genügt längst die — Briefwage. Während
das russische Volk im Überfluß und Frohsinn
schwelgt; während in Englano die Lebensmittel-
preise in einem Grade sinken, daß die Arbeiter
freiwillig Lohnverminderung verlangt haben und
England, das schon immer der Geldgeber der
Entente war, nun auch bei Ppern deren Fersen-

„Haben die Herren Ioffre und Frcnch am
Ende eine Ohrfeige bekommen?"

„Ach nein! Es tun ihnen nur die Zähne
weh vom — Zcrknabbcrn!"

geld-Geber geworden ist; während Frankreich
noch so reich an Geld und Vorräten ist, daß es
neben der Armee im Felde auch noch eine Armee
von Defraudanten ernähren kann, herrscht in
Deutschland eine Not, die jeder Beschreibung
spottet. In Berlin z. B. haben viele die Knochen
der früher geschlachteten Tiere auf Eis gelegt und
ein solches Bein mit altem, sauergewordenem
Kohl gilt heute als Leckerbissen und prangt unter
dem Namen „Eisbein mit Sauerkohl" auf den
Speisekarten. Leute, die früher ganz gut situiert
waren, haben seit Wochen kein warmes Glas
Sekt mehr in den Magen bekommen, auch die
Aermsten kaufen für schweres Geld keinen un-
gesalzenen Malossoll mehr, die besseren Sorten
Austern werden tatsächlich nur mehr von den
Wohlhabenden und selbst von diesen meist nur
dutzendweise gegessen. In München sind die
Würste aus dem Fleisch der unterernährten Tiere
so bleich geworden, daß man sie mit bitterem
Galgenhumor Weißwürste nennt. In Sachsen
ist der Kaffee heute das einzige Nahrungsmittel
des Volkes — er muß aber auf Regierungsbe-
fehl so dünn sein, daß man ein auf den Boden
der Tasse gemaltes Blümchen durchsieht. Furcht-
bar ist in ganz Deutschland der Mangel an Bier,
so daß sie vielfach nach anderen Getränken greifen,
wie Bock, Salvator und ähnlichen schaudererregen-
den Flüssigkeiten. Alles Trinkbare in den Apotheken
wird aufgekauft, glücklich, wer eine Flasche Agenta,
Hunyadi-Ianos, Rizinusöl oder Rhabarbertinktur
erwischt. Selbst das Trinkwasser, dem beim
herrschenden Biermangel unmäßig zugesprochen
wird, geht nächstens aus.

Ileberhaupt: Alles geht aus! Der letzte Ber-
liner Droschkengaul ist längst auf der kaiserlichen
Tafel gegessen worden. Jetzt kommen die Pneu-
matiks der Automobildroschken daran. Die Fa-
milie des Kaisers ißt meist reihum bei den besser
situierten Berliner Familien. Trostlos geht es
dem Reichskanzler. Als er neulich den zweiten
König von Potsdam, Liebknecht, um einen Teller
Suppe bat, wurde er unter Hinweis auf seine
Schuld am Weltkrieg schroff abgewiesen. Bloß
Tirpitz und Hindenburg geht es etwas besser. Der
Erstere angelt sich hin und wieder etwas aus der
Nordsee, der Letztere verspeist manchmal einen
russischen Heerwurm. Zu den meist beneideten
Leuten in Deutschland gehören jetzt diejenigen, die
in den Geschäften, Büro's rc. als Korresponden-
ten die Briefmarken und Kuverts ablecken dür-
fen; sie werden wenigstens einigermaßen satt.

Die Knappheit der Geldmittel streift ans Wun-
derbare. Milliardenweise tragen die Leute ihr
Geld auf die Reichsbank, weil sie es nur bei der
Kriegsanleihe sicher glauben. Die Geldnot ist so
groß, daß man nicht einmal ein solides Mora-
torium erlassen konnte. Das Papiergeld wird
demnächst durch ein billigeres Zahlungsmittel er-
setzt, weil das Papier zu teuer geworden ist.

Schlimm ist auch der Mangel an wichtigen
Artikeln, die vom Ausland eingeführt wurden.
Es gibt z. B. kein englisches Pflaster mehr, des-
halb sterben die Kranken katakombenweise! In
den Küchen fehlen die Russe» — man behilft sich
mit Schwaben! Entsetzlich sind die Leiden der
eleganten Frauen, die früher jeden Sonntag ihren
Pariser Hut im Topfe haben mußten. Man
sieht, wenn man durch die Straßen wandelt, aus
allen Fenstern Dutzende von Damen sich aus
Verzweiflung über die Bodenlosigkeit dieser Pa-
risermodenlosigkeit aufs Pflaster stürzen.

Eine Gefahr birgt die Hungersnot in Deutsch-
land freilich auch für die Entente: Auf unerklär-
liche Weise ist Deutschland nämlich in den Besitz
einer Million Gefangener von allen Hautfarben
des Dreiverbandes gelangt. Wenn nun, von
Verzweiflung getrieben, die deutschen Barbaren
auch noch zum Kannibalismus übergingen?
Ein bedenkliches Symptom liegt schon darin, daß
jene Gefangenen gut genährt werden!

Der Gedanke ist entsetzlich, aber nicht von der
Hand zu weisen!

Pips

362
Register
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Pips: Die Hungersnot in Deutschland
Ad-en-Orah: Osmanen-Lied
Georg Hirth: Liebe Kriegskameraden im Felde!
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
 
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