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unserer Leiber heraus, als sie ihrem Landesvater
in die Augen schauen durften, die gütig sprachen:
„Brav habt Ihr's gemacht." Und diesnial gilt’s
nicht nur dem Parademarsch, diesmal gilt’s vor
allem der treu erfüllten Pflicht der letzten Monate.
Und das haben die Franzosen gemerkt; gelacht
hat keiner mehr über den deutschen Parademarsch,
wie vorher in Friedenszeiten.

Und der airdere Gedenktag: ein Wintersonn-
tagnachmittag. Da versammelten wir Kriegsleute
uns in der Kathedrale. Gedrängt ohne viel Unter-
schied saß da Mann und Offizier. Die Einen
grad aus dem Schützengraben kommend, die An-
deren bereit, in der nächsten Stunde hinauszu-
marschieren ins ungewisse Schicksal. Ernste» Ge-
sichtes lnuschtcir wir Gesang und Orgelspiel, das
Künstler im Waffenklcide uns boten. Und in,
heiligen Schauer erhoben mir uns, als die Orgel
in die Wacht am Rhein überging. Ein Ruf
wie Donnerhall durchbrauste da das französische
Gotteshaus.

Ein andermal wollen wir „Großer Gott Dich
loben wir" hier singen: heute gilt Schwert-
geklirc deutscher Waffen und Wogenprall feind-
licher Sturmreihen, der sich am Damm deutscher
Männer bricht.

Or. O. R.

<im Felde)

Sehnsucht

Wie schön war doch das halbe Jahr,

Das ich in Russisch-Polen war,

Wo ich so manche lange Tour
Auf fremden Straßen lief und fuhr
Im Dienst des Telegraphen;

Kein Wirtshaus lag an der Chaussee,

Zu trinken gab es höchstens Tee,

Die Wurst war schlecht und gar nicht groß,
Zu kaufen gab's oft Apfel bloß,

Stroh diente mir zum schlafen.

Vorüber ist das alles jetzt,

Ich bin zur Garnison versetzt,

Der Fernsprechdienst, die Lauferei
Sind nun für läng're Zeit vorbei
Mit Leiden und mit Freuden;

Entfernt von jeder Hungersnot
Esi" ich jetzt wieder Heimatsbrot,

Bekomme echtes deutsches Bier,

Und wohlgebeltet schlaf' ich hier
In heizbaren Gebäuden.

Und doch! Es macht ein' keinen Spaß,
So gut ich's Hab', mir fehlt etwas!

Ich weiß vom frühen Morgen an,

Wo ich am Mittag speisen kann
Und wo ich abends schlafe;

Ich kann, sobald der Dienst gescheh'n,

So viel ich will, spazieren geh'n:

Die Freiheit scheint zwar angenehm
Und ich empfinde sie trotzden.

Beinah' wie eine Strafe.

Mich inacht der ruh'ge Schlaf so matt,

Das feine Essen bin ich satt,

Die Sicherheit macht mich so bang,

Die schöne Zeit wird mir zu lang,

O wäre sie zu Ende!

Der Garnisonsdienst macht mir Pein,

Ich möcht' nach Rußland wieder 'rein,

Ich wollt' auch gegen Frankreich zieh',.

Und lieber noch im Zeppelin

Auf britisches Gelände. J. z.

Brotverteilung Colombo Max

in Nordfrankreich (Schwere Munit.-Kolonne)

Nocturne)

— Im Beobachtungsstande einer schweren
Batterie — durch den Sehschlitz flutet eine kalte,
regenschwere Dezembernacht. — Leise rieselt der
Regen — tropft durchs Deckengebälk in großen,
schweren Tropfen — bildet kleine Seen, tropft
auch auf die Beobachter, die sich fröstelnd tiefer
in ihre Mäntel wickeln. Es ist ganz still —
melancholsich tropft der Regen — — —. Der
Battericführer starrt angestrengt durchs Schceren-
fernrohr nach einen, fernen Gehölz, hinter dem
eine längst gesuchte feindliche Batterie vermutet
wird. — Drupp — drupp — niacht der Regen

— — — klack—klack—klack — einige Gewehr-
schüsse — dumpf rollt und murmelt das Echo
nach. —

Da —!!— ein vager Lichtschimmer drüben
hintern, Gehölz — — wuii — wui — saust es
herüber — — — Wumm! — kracht's auf —
dicht vor unseren, Schützengraben zackt eine
Feuerlohe hoch — — — prasselnd — wie
eiliges Pferdegetrappel fallen die Erdschollen und
Steine hernieder. — — Wumm — ertönt nun
dumpf der feindliche Schuß. — Und noch ein-
mal — Angestrengt bohren sich die Auge» in
die Finsternis —

„Heute müssen wir die Bande Kriegen" —
knirscht der Batterieführer. —

— Da —! — nun hat er den Lichtblitz des
dritten Schusses im Fadensystem des Fernrohrs
gesehen!! — — Rasches Hantieren am Batterie-
plan — rasche Kommandos durch den Fern-
sprecher hinunter zur entfernten Batterie — und
dann tönt es herauf aus der Batterie wie Geister-
stimme — „Salve fertig!" — — „Salve ab-
feuern!" geht das Kommando wieder hinunter

— und nun kommt er sechsstimmig durch die
Nacht geheult — der eiserne Tod — wuii —
wui — dann immer leiser und leiser — — und
nun loht es drüben auf — sechsmal — dumpf
krachend tönt der Donner der gewaltigen Deto-

nationen herüber — rollend poltert der Echo-
schall. — Und »och eine Salve — und noch eine

— ! — Die feindliche Batterie ist längst verstummt

— tiefes Schweigen lastet wieder im Raume —
drupp — drupp — macht der Regen. — „Die
haben genug!" sagt der Fernsprechunteroffizier
mit seltsam trockener, blecherner Stimme — drupp

— drupp — macht der Regen-und

plötzlich ist auch auf meinem Notizblock ein großer

Tropfen-wie eine Träne — denke ich —

wie eine große — schwere — bittre Muttertrüne

— — drupp—drupp macht der Regen-

G. Tiayclt
(im Felde)

Bayrischer Wunsch

Wenn bei uns erst dos Gemüse
Ein Juwel wird und ein Schntz,

Seien ollen Essern diese
Warm empfohlen als Ersatz:

Brennessel und Sauerampfer,

Nachtkerze und Löwenzahn!

Ach, da fehlt ja bloß noch Kämpfer,
Vitriol und Majoran!

Doch in unserm Magen fände
Schließlich auch noch dieses Platz,

Wenn man uns nur nicht am Ende
Bietet einen Bier-Ersatz.

Den Ersatzstoff möcht' ich kaufen,

Dieses Lebens schlimmstes Weh;

Und d u s o l l st ihn täglich saufen
Bis zu deinem Tode, Grey!

Frido

Der Staatskrüppel

Von Lael Zangcrlc (Meran)

„Da werd' ih mir jetzt völlig müssen den
Schurz um den Hammer wickeln," sagte der
Klotzncr Peter laut, als er mit dem großen,
weißen Plakat im Hnusgang stand, „damit ih
epper »it die Herrschaften aufweck', wenn ih da
frei Klock."

„Mit wem rcd'st denn schon wieder, Haus-
knecht?" kicherte die auf Filzsohlen hinter ihm
vorbeihuschcnde Zenzl.

Der Peter gab ihr keine Antwort. Wenn ihm
jemand zuhörte, sprach der Peter überhaupt nicht.
Ob diese seine Eigenschaft auf einem Mangel
oder auf einem Uberschuß an Selbstbewusstsein
beruhte, darüber ließ der Klotzncr Peter die Welt
getrost im Zweifel, denn wenn er es jemals für
angezeigt hielt, sich über die Beweggründe seiner
Schweigsamkeit laut auszulassen, so tat er dies
grundsätzlich nur unter zwei Augen.

Der Ausruf, den der Peter nun in möglichster
Lautlosigkeit neben der großen Schlüsseltafel fest-
zunageln begann, trug die Überschrift: „Ruhig
Blut!" und war vom Landesverkehrsrat für
Tirol gezeichnet. Da sich der Peter wieder allein
sah, las er noch laut die in der Mitte des Textes
mit fetten Lettern gedruckten Worte: „In Tirol
noch keine Mobilisierung angeordnet" . . . „Kein
Grund zur Beunruhigung," nickte befriedigt und
schlich auf den Zehenspitzen davon. Ganz leise,
denn es war um sieben Uhr früh, und die Hirschen-
wirtsgäste schliefen noch sämtlich . . .

Und zwei Tage später um dieselbe Zeit schlug
der Klotzner Peter abermals einen Zettel an. Er
unterließ cs diesmal, seine Hausknechtschürze
schalldämpfend um den Hammer z» wickeln und
scheute sich auch nicht im geringsten, mit seinen
Nagelschuhen kräftig aufzutreten. Die Hotelgäste
und Touristen, die sich alsbald um ihn scharten,

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Register
Colombo (Columbus Josef) Max: Brotverteilung in Nordfrankreich
G. Tatzelt: Nocturno
J. Z.: Sehnsucht
Carl Zangerle: Der Staatskrüppel
Frido: Bayrischer Wunsch
 
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