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In Unterstands-Bereitschaft

taten sich gleichfalls keinen Zwang an, »nd als
ein dünnes, keifendes Sümmchen ans einer halb-
offenen Türe Ruhe gebieten wollte, da riß der
glattrasierte Herr von Nummer fünfzehn den
großen Zettel mit der Aufschrift: „Ruhig Blut!"
mittendurch und rief mit leuchtenden Äugen und
schallender Stimme:

„Freund! Jetzt ift’s Zeit zu lärmen!"

Und er hatte warhaftig so Unrecht nicht, denn
der neuangeschlagene Zettel zeigte auf rötlich ge-
töntem Papier die Überschrift: Allgemeine Mo-
bilisierung . . .

* * *

Das war ein Tag!

Die aufgehende Sonne noch hatte die Berge
rings um die Talschale des jungen Eisack so fried-
lich wie immer gefunden, hatte sich in den sau-
senden Sensen der Heuer auf der Wechselalpe
gespiegelt und mit ihrem roten Golde vergeblich
die versonnenen Augen der einsamen Hirten hoch
an den Grashängen des Hühnerspiels zu blenden
versucht. Sie hatte die Brust des jungen Kletterers
oben in der blauschillernden Eisrinne des Tribu-
laun jäh von einem hellen Lustschrei befreit und
den Holzfällern drüben in Flanerwald zitternde
Lichter durch die spitzen Tannenwipfel in die ernsten
Gesichter geworfen.

Doch als sie allmählich so hoch gestiegen war,
daß es der alte Zwölferturm unten in Sterzing
an der Zeit fand, seinen langen Schatten endlich
vollends unter den Torbogen zurückzuziehen, da
stand all das friedliche, emsige und beschauliche
Leben auf den Bergen urplötzlich mit pochendem
Herzschlag still. Und dann Hub ein Wandern an,
nicht anders, als wenn nach einem Wolkenbruche
die Wildwasser ungestüm durch die Runzeln und
Falten der Berge zu Tal drängen: Das rieselte erst
kichernd in dünnen Fäden aus den Wäldern und
von den Almen, stnnmelte sich an den Gabelungen

der Bergsteige zu lärmenden Gießbüchen und zog
schließlich als mächtiger Bergstrom auf breiten,
weißen Straßen in die Talorte ein . ..

Die geräumige Schwemme im „Hirschen" war
schon in der dritten Nachmiltagsstunde voll beseht.
Als die freundliche alte Dame von Nummer Zehn
im Vorbeigehn an der offenen Türe stehen blieb,
verstummte der Lärm einigermaßen, sodaß ihre
Frage verständlich ward:

„Rücken die Herren alle ein?"

Der Rainer Hans, der der Türe zunächst saß,
bleckte die weißen Zähne: Jawohl, das täten sie,
die Herren. Und nit einmal ungern täten sie es.
Die Herren.

„Oh, Sie haben also alle keine Angst?"

Angst? O ja, die hätten manche. Grad der
Stoßer Toni zum Beispiel. Der da drüben unterm
Uhrkasten stehe mit deni Fahrplan in der Hand.
Der habe alleweil eine Höllenangst, das; er am
End zu spät komme und am End gar keinen
mehr zum Beutle» derwische. Weil er sich halt gar
so aus's Beutle» kaprizieren tat. Der Stoßer Toni.

Die Dame legte zwei Päckchen Virginier auf
den Tisch, „damit die Herren doch bis Brixen
was zu rauchen hätten," grüßte lächelnd und ging.

„Ja . . wenn feil ist . .." der Rainer Hans
tat einen verwunderten Blick auf die leere Tür-
schwelle, „nachher täten wir uns halt recht sngg-
risch bedanken. Alle miteinander . . . So, jetzt
kemmt's lei her, ös Herren, ös tamische! Da,
Herr Sagschneider Much, da hast eine! . . Und
die zwei da g'hörn dem Herrn Fütterer Stoßer.
Weil er gar so ein' Angst hat... Die Herren
Kohlbrenner mögen g'wiß lieber dunkle, nit? . .
Und die lichte da, die pack ih, der Herr Rainer
selber, verstanden! . . Jetzt kimmt der Herr Haus-
knecht dran . ."

„Haltaus, Hans!" rief der Egghofer Hies,
„der Hausknecht kriegt keine!"

Pani Segieth (Bayr. Inf.-Rgt., 7. Komp.)

„W'rum feil? Geht der Peter nit mit ins,
Malta machen?"

„Bist narret? Mit neun Finger! Ein' hat
der Tolm ja vorig's Jahr ins G'sott g'schnitt'n."

„Woll, Peter?"

Der Klotzner Peter nickte und hob verlegen
die rechte Hand, an deren Zeigefinger zwei Glie-
der fehlten. Der Rainer Hans zuckte bedauernd
die Schultern und steckte die übriggebliebene Zi-
garre kaltblütig in die Tasche. Der Egghofer
Hies aber gab sich noch nicht zufrieden. Warum
mußte ihm aber auch der Peter vorhin grad da-
zwischenkommen, wie er im Gang draußen von
der Zenzl Abschied nahm. Wo ihm doch das
g'schrickige Madl allemal durchging, sobald jemand
dazukam! Jetzt soll einer da wegen so ein' Plui-
wasch mit zwei ganze Bussle» ins Russische hinein-
fahren! Und am End gar drei volle Wochen
aus sein!

So Hub denn der Egghofer Hies zwischen
Spaß und Ernst an, aufzubegehren und zu fragen,
was denn ein Staatskrüppel heut überhaupt da
herinnen zu suchen hätt'. So einer sei heut lei
mehr ein Kittelschmecker und habe sich bei den
Weibsleuten zu verstecken, denn da herinnen seien
heut lauter Mander. Mander, für die so ein
Staatskrüppel sein Lebtag keine Arbeit tun könne.
Verstanden! Mander, die — der Hies schlug sich
an die Brust, daß es dröhnte — die zu Wasser
und zu Land, mit Pulver und mit Blei
verstanden!

Der Klotzner Peter war kein Spaßverderber
und während ihn die Burschen in gutmütiger
Balgerei lachend zur Türe drängten, lachte er
herzhaft mit und sträubte sich dagegen nicht mehr,
als gerade unbedingt erforderlich war, um aus des
Egghofers langer Zigarre zwei kurze zu machen.
Als ihn aber zuguterletzt ein ziemlich feldmäßiger
Tritt, über dessen Spender er sich keineswegs

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Paul Segieth: In Unterstands-Bereitschaft
 
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