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Zrühling 1915

Dun nal)t der Frühling als ein fremder 6aff,
Lim uns mit bittrem Glücke zu beglücken,

Die Hand, die an den Degen fahl,

Dari keine Blumen pflücken.

•Hus tausendfach vergohnern Blut
Spricht junges Grün an Weiden und an

Gberefche».

Wie wild auch Mars und Mors fich tut:

Die Jlamme, die in uns beruht,

Wird nimmermehr verlöschen . . .

Zucundus Gröblich

(Nsröseemorgen 1915

„Wung! Wring!" bellen ferne Kanonen.

Auf der Brücke des kleinen Vorpostenbootes,
das in der glanzlosen bjellc knapp vor Sonnen-
aufgang vor Anker bin und her schwenk, lehnt
gegen das Ruderhaus ein dicker steifer Wacht
inantel. Klobige Fausthandschuhe ragen aus ihm
heraus und auffallend selbständige Stiefel und ein
rotes uebelfeuchtes Matrosengesicht. Abgesehen
von den beiden Augen in diesem Gesicht schläft
der Wachtmantei samt Drum und Dran innerhalb
der Grenzen seiner Dienstpflicht nach bestem Ver-
mögen. Aber eben diese Augen! Rastlos und
unermüdlich kreisen ihre Blicke, den Strahlen der
Leuchtboje gleich, welche dort draußen ihr treues
Einsiedlerleben vertratst.

Die ruhige Stunde entfaltet ihre eigene Pracht.
Des Meeres mattgraues Gewand bewegt sich in
sanften Tälern und Hügeln, als atmeten darunter
tausend Lungen. Und die Strömung führt stetig
unterschiedliche, fremde Dinge auf Reisen links
oder rechts an dem Dampfer vorbei, der wie ein
angekettetes Ungetüm mißtrauisch und schwerfällig
an seiner Fessel ruckt: Reisigstücke, verworfen und
mißachtet, niemand mag sich erinnern, daß sie einst
so viel duftige Schönheit getragen haben; eine
offene Blechdose voll Spuren von Putzpomade,
immer wieder kippt sich das winzige Ding über
die drohenden Kämme der Dünung hinweg. Den
gleichen Weg wandert eine hölzerne Bank, die ihre
vier Beine naiv gen Gimmel streckt; und ein un-
erkennbarer Gegenstand; einmal auch eine Marine-
mütze, in ihr Band ist der Name eines berühmten
Generals aus dem Befreiungskriege gestickt, und
Korkbrocken und Kombüseuabfälle. Möwe» um-
flattern spähend diese Speisereste, umkreisen sie viel-
mals, ehe sie in anmutigen Kurven hernieder-
gleiten und, dickst ganz dicht über der hüpfenden
Melle mit den weichen Schwingen ihren Flug
hemmend, sich einen Bissen erschnappen.

Geute nach tagelangem, gigantischem Wüten
gibt sich die See wieder mild und gütig. Sie setzt
einen erschöpften Papierstreifen barmherzig auf die
Ankerkette des Wachtbootes ab. Und der müde
Zettel klammert sich um die kalten Kettenglieder
und weint in blauen Strähnen Morte einer Mutter
ins Wasser: „ — dieser großen, grausamen Zeit.
Ich . . . Nacht, daß Gott unserem tapferen und
. . . terlande beistehen und dich . . . letzten Sohn
erhalten möge. Sei . . . und innig umar . . .
alten schwerbesorgten — —."

Gleichmütig streifen die Blicke des Postens das
Meer und sein Treiben, gleichmütig den ernsten
Gimmel, wo schon sacht die Morgenröte erblüht.
Sie haften wohl einen Moment fragend au einem
Maste, der hinter dem weiten Kugelstück aus der

Friedrich der Große
nach der letzten Schlacht des sieben-
jährigen Krieges

Bon Wilhelm Speyer

(Ermattet von dem Liebreiz seiner Flöte,
War er im Jette lächelnd eingeschlafen.

Er träumt von einem Dorf, von sanften

Schafen,

Bekränzten Hirten in der Abendröte.

Glorreicher Tag! O Tod und Sturmesnöte,
Wie schwandet ihr dahin im sichern Hafen!
Die Winde, die von West und Ost mich trafen,
Jetzt zu vergessen, gab mir Gott die Flöte.

Doch weh! Ein fürchterliches Angesichte
Drängt sich durch die zufriedenen Gestalten,
Und vor dem Sohne steht der Bater da —

Bleich tritt das Kind zum zweiten

Kriegsgerichte,

Es muß die Hände wieder flehend falten:
„Hab ich mich gut gehalten, Vater? — 3a!"

Nordsee auftaudit, bis ein buntes Tuch ihnen zu-
ruft: „Wir sind es, Landsleute!" Daun irren sie
mit beftiedigtem, ans Eifer nahezu verachtungs-
vollem Ausdruck weiter Sie bleiben ein andermal
vor einem verankerten Panzerkreuzer stehen dessen
Scheinwerfer zu zwinkern anfängt, und lauschen
ein Weilchen den Neuigkeiten, welche ein unsicht-
barer Lote durch die Luft aus dem Bsteu gebracht
hat. Viertausend Russen gefangen. Schützengraben
gestürmt. Luftgefecht zwischen Fliegern. — Lauter
Nachrichten, die auf den Brückenaiisgnck nur flüch-
tigen Eindruck machen. !Vas dessen Augen suchen,

harnäckig. mit grimmer Sehnsucht suchen, sind
Lichter und Flaggen von besonderer Farbe oder
Zusammenstellung, sind bestimmte Gegenstände und
Zeichen im Wasser, in der Luft und an dem mehr
und mehr zurückweichenden Horizont, sind unter
anderem jene inzwischen verstummten, fernen Ka-
nonen. England, wo bleibst du?

Bis in die Stille, welche die Brücke umträumt,
reicht das verhallen von Zithermusik. Unten, vor
der dienstbereiten Maschine spielt ein Heizer ein
Lied seiner Heimat, ein schwermütiges Lied aus
den bayrischen Bergen.

Nun richtet sich der (Qualm überm Schornstein
zu einer schwarzen, wirbelnden Säule in die Höhe
und streut feine warme Afcheteilcheu über die
Brücke und den Posten, der sich alsbald in schweren,
schurrenden Tritten zu rühren beginnt. Im Vor-
derschiff unter Deck melden schrille Pfeifensignale
eine schleppende, brutale Kommaudostimme an,
die nach verschiedenen Richtungen drei-, viermal
wiederholt: „Reise! Reise! tt—berall zurrt Hänge-
matten!" Dann erwachen andere Töne und Ge-
räusche : langes Gähnen in den unanständigsten
Variationen, mürrisches Brummen und Schelten,
das sich verdichtet zu einem undeutlichen Durch-
einanderreden. Etwas später öffnet sich eine Luke
und läßt einen nackten Mann und einen Schwall
vielartigen Gelächters au Deck schlüpfen. Der
Nackte schwingt ein Messer in der Faust, sein Ge-
sicht ist bis an die buschigen Stirnhaare mit Wolken
von Seifenschaum bedeckt, außerdem trägt er eine
Briefmarke auf dem Hinterteil. Fröstelnd läuft er
auf Holzpantoffeln klapp klapp über die Eiseuplatten,
um mit dem Fluche: „Gott strafe England!" im
Geizraum zu verschwinden. Nach ihm steigen an-
dere, nur mit Hosen und Schuhwerk bekleidete
Männer, Seife und Handtuch in Händen aus der
Versenkung und schaffen schleunigst Holzpützen her-
bei. Der Pumpschwengel kreischt und quietscht.
Die Seeleute beugen sich prustend über die Eimer
und ziehen sich bald wieder zurück, unter Deck.
Dort, in dem tabakdunstigen Raume, zwischen See-
stiefeln, Blechtellern, (vlröcken und Hängematten,
welche ausgestopsten Seehunden ähneln, hebt jetzt
Taruso, der weltgefeierte Taruso, einen Gesang an.
Kaffeekessel überklappern sei» „Lache, Bajazzo!"
Die Schiffsglocke schlägt. Eine allseitig abgeblen-
dete Laterne schnurrt am Maste herab. Vor der
Küche tanzt der Koch mit einem Tiegel einen salou
berechtigten Tango und gröhlt: „Hurra, Iungens,
morgen geht's auf Urlaub!"

Auch die See regt sich munterer, trägt ihr
Strandgut rascher dahin und stößt es gelegentlich
im Vorbei heftig gegen den Bug oder die Bord-
wände des Dampfers. Jetzt schleppt sie etwas
Rundes, Graues daher. Etwas Rundes, Graues.
— Die Blicke von der Brücke spießen es auf und
lassen es nur unwillig noch einmal los, um ein
in ziemlicher Entfernung passierendes Unterseeboot
zu fixieren, auf den: jemand mit roten Fähnchen
herüberwinkt. Der plumpe Wachtmantel wird ei
staunlich behend Wie denn auch Elefanten über-
raschend stink sein können. Also der Posten er-
greift ebenfalls zwei Fähnchen, klettert geschwind
auf das Ruderhaus und gibt seinerseits Zeichen
nach dem N-Boote hin. In der Sprache der rote»
Fähnchen entwickelt sich ein kurzer Dialog. Ein
hinzugerufener Maat setzt ein Doppelglas an und
kontrolliert.

„Vorpostenboot! Vorposteuboot! hör zu!" ruft
das Tauchboot.

„Ich bin ganz Vhr!" erwidert das Wachtboot.

„Wir haben," berichtet das vorbeifahrende
Schiff, „einen Kohlendampfer gekapert —"

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Register
Jucundus Fröhlich: Frühling 1915
Wilhelm Speyer: Friedrich der Große nach der letzten Schlacht des Siebenjährigen Krieges
Ferdinand Staeger: Vignette
Hans Bötticher: Nordseemorgen 1915
 
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