Li'
Kriegslazarett im Justizgebäude zu St. Quentin
Ernst Vollbehr (Kriegszeichner im Felde)
„Sich Dich vor, Gnston-die Liebe stört
die Verdauung!"
Darüber näherten sie sich dem Kanal und zu
der ohnehin ernsten Stimmung an Bord gesellte
sich eine steigende Nervosität. Sie waren jetzt in
der Kricgszone. Bisher, auf dem offenen Meere,
halten sie von Krieg nichts gemerkt. Jetzt konnten
sie aufregende Geschehnisse erwarten, vielleicht eine
Seeschlacht oder gar einen Zusammenstoß mit einer
Mine? Bereits hatte der Kapitän die Rettungs-
boote ausschwingen lassen, sodaß sie jeden Augen-
blick zu Wasser gelassen werden konnten. Das
war gerade kein sehr angenehmer Anblick, all
diese „memento mori!“ rings herum. Und was
dann, wenn eine Katastrophe in der Nacht sich er-
eignete? An Schlafen war nicht mehr zu denken.
Jeder hatte sein Rettungsjakett fertig neben sich
am Bette oder am Fußende liegen. Gaston hatte
Linda einige Minuten am Morgen in dem Ka-
binen-Gang gesprochen und ihr gesagt, daß sie
und Frau von Dihna auf ihn rechnen könnten,
falls sie gegen eine Mine liefen. Linda hatte
ihm mit Herzlidcheit gedankt und dazu gelacht.
Gaston verspürte es als eine glückliche Fügung
des Himniels, daß seine Kabine gleich denen von
Linda uitd Frau von Dihna auf Backbord lag,
nur daß Gaston ein Deck tiefer hauste. Fast
hätte er einen Zusammenstoß gewünscht, um sich
als Held und Retter zu zeigen. Wenn er in
seinem Dampferstuhl lag oder nachts im Bett,
so malte er im Geiste verwegene Bilder seiner
Heldenhaftigkeit. Er sprach mit Nieuwenhuis von
dieser Möglichkeit. Nieuwenhuis wurde wütend.
_ „Der Deubel auch! Daniit Du Dich als Held
aufspielen kannst, sollen wir andern in Lebens-
gefahr geraten. Ich danke ganz entschieden!"
Dann war da noch eine andere Aufregung
zu erwarten: die Begegnung mit einem franzö-
sischen oder englischen Kriegsschiff, das den
Holländer aithalten und nach Kriegs-Konter-
bande oder deutschen Militärpflichtigen durch-
suchen würde.
Diese Aufregung war ihnen sicher. Und richtig
•-an einem stürmischen grauen Vormittag,
auf der Höhe von Boulogne, tauchte ein finsterer,
kanonengespickter, englischer Kreuzer vor ihnen
auf und gebot dem Holländer Halt. Ein wohl-
genährter, rosenwangigcr Offizier kam mit Marine-
soldaten an Bord, sah die Schiffspapiere ein,
schnüffelte allenthalben herum und ließ sich die
Passagiere vorführen. Zum Glück war der Offi-
zier ein liebenswürdiger Irländer, der ohne alle
Rigorosität verfuhr. Besonders gegen die Damen,
die seekrank in ihren Kabinen lagen, war er die
Zartheit selber. Auch Frau voit Dihna suchte er
in ihrer Kabine auf. Sie war nicht zu Bett,
sondern saß auf ihrem Sofa. Die Tür zum
Nebenzimmer, das Linda bewohnte, war offen.
Das arme Ding litt sehr unter der Seekrankheit,
hatte ein Tuch um den Kopf und lag im Bett.
Der Offizier, der mit tausend Entschuldigungen
bei Frau von Dihna eingetrcten war, warf einen
hastigen Blick in Lindas Kabine und verschwand
diskret mit neuen Entschuldigungen.
Das Schiff durfte weitcrfahrcn. Es war alles
in Ordnung gewesen. Keine Konterbande! Keine
deutschen Militärpflichtigen!
Und dann, nach noch einer schlaflosen Nacht
mit Reltungs-Iaketts, liefen sie in den Hafen
von Rotlerdam ein — — im herrlichsten goldigste»
August-Sonnenschein. Gaston hatte Linda an
dem Morgen der Landung noch einmal int Lese-
zimmer allein gesprochen und ihr das Versprechen
abgenommen, daß er an sie aus dem Felde nach
Wiesbaden schreiben durfte. Zu seiner unaus-
sprechlichen Freude hatte sie seine Bitte gewährt.
Aber seine weitere Bitte, sie noch im Hotel auf-
suchen zu dürfen, hatte sie nicht gewähren können,
da Frau von Dihnas Bruder sie erwarte, um
sofort mit ihnen weiterzureisen.
„Und nun leben Sie wohl!" sagte sie und
reichte ihm die Hand, auf die er einen glühenden
Kuß drückte, „und der Himmel lasse Sie gesund
aus dem Kriege zurückkehren."
„Und noch eins!" sagte Gaston zärtlich.
„Würden Sie mir eine unbeschreibliche Freude
bereiten, indem Sie mir Ihr Bild aus Wies-
baden schicken? Wenn Sie mir 's sofort schicken,
bekomme ich es noch in Antwerpen. Ich ntöchte
cs mit ins Feld nehmen. Es soll auf meinem
Herzen ruhen — — als mein Talisman!"
Hier tauchte Nieuwenhuis' fettes Gesicht in
der Tür auf. Sein Gesicht verzog sich, als ob
er sich irgendwo schmerzhaft gestoßen hätte, und
er verschwand wieder.
„Sie Schwärmer!" erwiderte Linda mit ihrem
sanften Augenaufschlag. „Aber ich schicke es
Ihnen — — selbstverständlich! Und Sie — —
Sie müssen mir das Ihre schicken, nicht wahr?"
Darauf halte er nur gewartet. Er bedankte
sich überschwenglich und gab ihr seine Karle,
während sie ihn bat, sich ihre Adresse zu notie-
ren. Dann schieden sie. — — —
Gaston war im Elternhause. Er hatte den
Eltern sein Erlebnis nnvertraut, und sie hatten
lächelnd zugehört. Biel Wichtigkeit maßen sie
ihm nicht bei. Es handelte sich jetzt um Größeres,
Ernsteres. Wußte doch Niemand, was kommen
würde. Immerhin waren sie gespannt auf das
Bild der jungen Dame, die auf ihren Gaston
einen solchen Eindruck gemacht hatte. Gaston
selber vermochte seine Ungeduld kaum zu zügeln.
Bereits hatte er seine Uniform erhalten und sich
darin photographieren lassen, um das Bild Linda
zu schicken, sobald das ihre gekommen war. War-
um kam es nicht? Seine Unruhe wuchs von
einer Postablieserung zur andern. Und er halte
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Kriegslazarett im Justizgebäude zu St. Quentin
Ernst Vollbehr (Kriegszeichner im Felde)
„Sich Dich vor, Gnston-die Liebe stört
die Verdauung!"
Darüber näherten sie sich dem Kanal und zu
der ohnehin ernsten Stimmung an Bord gesellte
sich eine steigende Nervosität. Sie waren jetzt in
der Kricgszone. Bisher, auf dem offenen Meere,
halten sie von Krieg nichts gemerkt. Jetzt konnten
sie aufregende Geschehnisse erwarten, vielleicht eine
Seeschlacht oder gar einen Zusammenstoß mit einer
Mine? Bereits hatte der Kapitän die Rettungs-
boote ausschwingen lassen, sodaß sie jeden Augen-
blick zu Wasser gelassen werden konnten. Das
war gerade kein sehr angenehmer Anblick, all
diese „memento mori!“ rings herum. Und was
dann, wenn eine Katastrophe in der Nacht sich er-
eignete? An Schlafen war nicht mehr zu denken.
Jeder hatte sein Rettungsjakett fertig neben sich
am Bette oder am Fußende liegen. Gaston hatte
Linda einige Minuten am Morgen in dem Ka-
binen-Gang gesprochen und ihr gesagt, daß sie
und Frau von Dihna auf ihn rechnen könnten,
falls sie gegen eine Mine liefen. Linda hatte
ihm mit Herzlidcheit gedankt und dazu gelacht.
Gaston verspürte es als eine glückliche Fügung
des Himniels, daß seine Kabine gleich denen von
Linda uitd Frau von Dihna auf Backbord lag,
nur daß Gaston ein Deck tiefer hauste. Fast
hätte er einen Zusammenstoß gewünscht, um sich
als Held und Retter zu zeigen. Wenn er in
seinem Dampferstuhl lag oder nachts im Bett,
so malte er im Geiste verwegene Bilder seiner
Heldenhaftigkeit. Er sprach mit Nieuwenhuis von
dieser Möglichkeit. Nieuwenhuis wurde wütend.
_ „Der Deubel auch! Daniit Du Dich als Held
aufspielen kannst, sollen wir andern in Lebens-
gefahr geraten. Ich danke ganz entschieden!"
Dann war da noch eine andere Aufregung
zu erwarten: die Begegnung mit einem franzö-
sischen oder englischen Kriegsschiff, das den
Holländer aithalten und nach Kriegs-Konter-
bande oder deutschen Militärpflichtigen durch-
suchen würde.
Diese Aufregung war ihnen sicher. Und richtig
•-an einem stürmischen grauen Vormittag,
auf der Höhe von Boulogne, tauchte ein finsterer,
kanonengespickter, englischer Kreuzer vor ihnen
auf und gebot dem Holländer Halt. Ein wohl-
genährter, rosenwangigcr Offizier kam mit Marine-
soldaten an Bord, sah die Schiffspapiere ein,
schnüffelte allenthalben herum und ließ sich die
Passagiere vorführen. Zum Glück war der Offi-
zier ein liebenswürdiger Irländer, der ohne alle
Rigorosität verfuhr. Besonders gegen die Damen,
die seekrank in ihren Kabinen lagen, war er die
Zartheit selber. Auch Frau voit Dihna suchte er
in ihrer Kabine auf. Sie war nicht zu Bett,
sondern saß auf ihrem Sofa. Die Tür zum
Nebenzimmer, das Linda bewohnte, war offen.
Das arme Ding litt sehr unter der Seekrankheit,
hatte ein Tuch um den Kopf und lag im Bett.
Der Offizier, der mit tausend Entschuldigungen
bei Frau von Dihna eingetrcten war, warf einen
hastigen Blick in Lindas Kabine und verschwand
diskret mit neuen Entschuldigungen.
Das Schiff durfte weitcrfahrcn. Es war alles
in Ordnung gewesen. Keine Konterbande! Keine
deutschen Militärpflichtigen!
Und dann, nach noch einer schlaflosen Nacht
mit Reltungs-Iaketts, liefen sie in den Hafen
von Rotlerdam ein — — im herrlichsten goldigste»
August-Sonnenschein. Gaston hatte Linda an
dem Morgen der Landung noch einmal int Lese-
zimmer allein gesprochen und ihr das Versprechen
abgenommen, daß er an sie aus dem Felde nach
Wiesbaden schreiben durfte. Zu seiner unaus-
sprechlichen Freude hatte sie seine Bitte gewährt.
Aber seine weitere Bitte, sie noch im Hotel auf-
suchen zu dürfen, hatte sie nicht gewähren können,
da Frau von Dihnas Bruder sie erwarte, um
sofort mit ihnen weiterzureisen.
„Und nun leben Sie wohl!" sagte sie und
reichte ihm die Hand, auf die er einen glühenden
Kuß drückte, „und der Himmel lasse Sie gesund
aus dem Kriege zurückkehren."
„Und noch eins!" sagte Gaston zärtlich.
„Würden Sie mir eine unbeschreibliche Freude
bereiten, indem Sie mir Ihr Bild aus Wies-
baden schicken? Wenn Sie mir 's sofort schicken,
bekomme ich es noch in Antwerpen. Ich ntöchte
cs mit ins Feld nehmen. Es soll auf meinem
Herzen ruhen — — als mein Talisman!"
Hier tauchte Nieuwenhuis' fettes Gesicht in
der Tür auf. Sein Gesicht verzog sich, als ob
er sich irgendwo schmerzhaft gestoßen hätte, und
er verschwand wieder.
„Sie Schwärmer!" erwiderte Linda mit ihrem
sanften Augenaufschlag. „Aber ich schicke es
Ihnen — — selbstverständlich! Und Sie — —
Sie müssen mir das Ihre schicken, nicht wahr?"
Darauf halte er nur gewartet. Er bedankte
sich überschwenglich und gab ihr seine Karle,
während sie ihn bat, sich ihre Adresse zu notie-
ren. Dann schieden sie. — — —
Gaston war im Elternhause. Er hatte den
Eltern sein Erlebnis nnvertraut, und sie hatten
lächelnd zugehört. Biel Wichtigkeit maßen sie
ihm nicht bei. Es handelte sich jetzt um Größeres,
Ernsteres. Wußte doch Niemand, was kommen
würde. Immerhin waren sie gespannt auf das
Bild der jungen Dame, die auf ihren Gaston
einen solchen Eindruck gemacht hatte. Gaston
selber vermochte seine Ungeduld kaum zu zügeln.
Bereits hatte er seine Uniform erhalten und sich
darin photographieren lassen, um das Bild Linda
zu schicken, sobald das ihre gekommen war. War-
um kam es nicht? Seine Unruhe wuchs von
einer Postablieserung zur andern. Und er halte
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