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gar nicht mehr von der Falte und ließ sich sogar,
als dem Rezsö eines Abends die Zigaretten aus-
gegangen waren, Hinreißen, für ihn welche von
einem Kameraden zu stibitze,i.

An, nächsten Tage saßen sie unten im Sonnen-
schein in einem kleinen Vorgärtchen der Anstalt.

„Was machst du Maul nicht auf, hait den
ganzen Tag?"

„Weil ich halt denk."

„Dummer Gerl, kannst gar nicht denken."

„Ei woll!"

„Nu was denkst du?"

„Dösch mecht i d'r scho sag'n, wenn isch nur
kennt."

Aber nach einer Weile zog der Hias eine
alte, vergriffene Brieftasche heraus und entfaltete
einen Zehnkronenschein.

„Dösch hob i heit geschickt kriagt von der
Tant', und — so werd' ich's dir auch fag'n
kennen."

Der Zehnkronenfchcin erweckte Rezfös beson-
dere Aufmerksamkeit; er wurde entschieden liebens-
würdiger und zugänglicher, rückte näher zum
Freunde und redete ihn, zu, sich doch zu eröffnen.
Nun und so kam es endlich dazu, daß Hias
feine Seele eröffnete: Geigenspielcn wollte er
lernen: es wäre fein einziger Wünsch, auch ein
paar Lieder auf der Geige spielen zu können,
und wenn es ihm Rezfö beibringe, so will er es
gut bezahlen.

Hierauf verschwand der Zchnkronenschein in
der Hand des Rezfö.

Es begann ein furchtbares Exerzitiuni.

3m Krankenzimmer duldete man natürlich
Meister und Schüler nicht lange; ja es kam sogar
zu militärisch recht unliebsamen Verwarnungen
für Hias, auch für Rezsö, der sogar merkbar in
der Beliebtheit bei seinen Kameraden Abbruch
erlitt. Glücklicherweise fand sich im Hause ein
entlegenes Verließ, wo sie nur vorübergehend
gestört wurden, und wo nun die Erweckung der
musikalischen Gaben des Hias versucht wurde.

Rezsö ging gleich auf die Wirkung los. Wie
er selbst ein Naturtalent war, das nicht Noten
und nicht Fingersatz kannte, das eines Tages
die Geige in die Hand bekommen hatte und da-
rauf spielte, so unternahm er auch als Meister,
dem Hias gleich ein Lied einzulernen. Das
schöne Lied: „Ich hatt' einen Kameraden."

.... Es muß greulich gewesen sein. Wenn
die arme Geige weinen könnte oder sich zu wehren
vermocht hätte; den, Hias wäre es übel ergangen.
Rezsö spielte, sang, pfiff,, trommelte den, Sohn
der Berge die Melodie, den Rhtzthnius, den Takt
vom frühen Morgen bis zum späten Abend vor:
es nützte nichts. Er zeigte in Güte, mit Hin-
gebung, Geduld, Strenge, endlich mit heller Wut
die Geigenhaltung. Das Instrument war hundert-
mal in Lebensgefahr von Hias' unförmigen, mit
Mammutleder überzogenen Händen, worauf noch
mächtige Hautbeulen wucherten, zermalmt und
zerpreßt zu werden. Rezfös musikalisches Ge-
wissen litt schließlich Folterqualen der Reue, einen
Verrat um schnöden Mammon verübt zu haben.
Aber Hias blieb unerbittlich von einer barba-
rischen Strenge gegen sich. Bon dem tiefen
Glauben einer Art Erlösung erfüllt, stöhnte, plagte
und schwitzte er sich ab, um das Lied zu erlernen.
Endlich kam der Tag, wo der Selbstbetrug reif
war; er wähnte, das Lied spielen zu können.

Rezsö war wieder einmal aufgefordert worden,
vor Besuchern des Spitals zu spielen: die schöne
Pflegerin von der Kunst war auch zugegen, und
nun schien Hias der große Augenblick gekommen.
Rezsö hatte noch nicht völlig geendigt, als ihn
ein kräftiger Rippenstoß traf. Es war zwischen
den Freunden ausgemacht worden, daß Rezsö
ihn als seinen Schüler vorstellen werde und die
Herrschaften um ihr Gehör bitten solle. Es ge-
schah. Der Hias tappte nach der Geige: diese tat
noch einen tiefen, unerhörbaren Seufzer, schmiegte
sich so gut es ging in den Schraubstock, der sich

nun zwischen einem Eichenbrett, harteni Schulter-
blatt und einer Hand, die nach ihrem Hals griff,
als wollte sie eine Gurgel zuschnüren, auftat. Und
Hias spielte nun angeblich „Ich hatt' einen Ka-
meraden".

Die Heldenkollegen schienen im vorhinein kein
Vertrauen zu seiner Kunst gehabt zu haben, denn
so weit sie nicht bettlägerig waren, hatten sie sich
schon bevor er begann, getrollt, nur ein paar
liebenswürdige Gäste waren geblieben. Auch die
schöne Pflegerin.

Hias war mit seinem Spiele zufrieden: indes
er fiedelte, lachte und jubelte sein Herz. Nun
hatte er den schlauen Rezsö in der Schlinge! Nun
hatte dieser nichts mehr vor ihm voraus. Für
zehn Kronen war der Zigeuner so dumm, den
Zauber zu verkaufen! Wann er jetzt fertig sei»
wird mit den, Lied, ist der Rezsö nimmer der Erste
und der Liebling. Wenn er jetzt die Geige weg-
legen wird, werden die Pflegerinnen, die Ärzte,
die Gäste, und vor allem aber die schöne Danie
von der Kunst ihn genau so lobe» und genau so
gerne haben wie den Rezsö. Und Hias freut sich
mit der ganzen Schläue seines Bauerngehirns,
wie es ihm gelungen ist, den „Hendelfanger"
„abi z'drucken".

„Ich halt' einen Kameraden," erreichte endlich
sein Ende: so lange es manchem auch erschienen
sein mag!

Mit einem Siegerlächeln, wenn es auch nicht
geistreich war, legte der Hias die Geige weg.
Und richtig sagte jetzt ein alter Herr mit einem
langen Bart, dem die Güte des heiligen Nikolaus
aus allen Zügen lächelte: „Nun ja, Sie spielen
ganz hübsch. Ihr Spiel ist vom folkloristischen
Standpunkte sehr interessant."

Der alte Herr, Professor der Musikwissenschaft,
strich durch seine silberweiße Lockenmähnc und
erklärte, ähnliche Klangkombinationen vollführten
auch die Südseeinsulaner unter dem Begriffe
Musik.

Die anderen Gäste hatten sich verloren.

„Was war denn das, was Sie spielten?"
fragte die schöne, junge, blonde Dame.

„Hascht es nöt g'hört? Du bischt wohl tör-
risch? Du willst von der Oper sein?" sprach
Hias, schoß einen bösen Blick auf die Dame und
dann 'auf seinen Rezsö. Sollten sich seine stolzen
Hoffnungen nicht erfüllen? Sollte er weiterhin
der Niemand bleiben?

In schwarzen Augenblicken des Mißtrauens
kam Hias nun der Gedanke, daß ihm der „Hendel-
fanger" nicht den echten „Kameraden" eingeübt
habe, um weiter der Günstling zu bleiben. Sollte
er betrogen worden sein? Keine zehn Kronen —
und keinen „guten Kameraden" ? . . . Hias sing
an, die Welt außerhalb des Zillertales sehr zu
verachten.

In den zwei oder drei Wochen, die er noch
im Spital zu verbringen hatte, sprach er mit
Rezsö kein Wort mehr. Mit der Freundschaft
war's aus!

* » -l-

Das kleine Geschichtchen will sich nicht über
den wackeren Hias und nicht über den glücklichen
Rezsö lustig machen. Es ist ein kleines, der
Menschennatur wahrhaft nachgezeichnetes Bild-
chen. Unserer irrenden, einfältigen Mcnschenart,
die Heldentaten und Schwachheiten verübt, abge-
lauscht. Uber die Brücke des Humors führt der
Weg zum Verstehen.

Tartarin Der Große

Ioffre hat einem Berichterstatter gegenüber ge-
äußert, das Wesen seiner Offensive gründe sich ans
der Wirkung einer Zange, mit der er im Norden
und Süden den deutschen Nagel anzupackcn gedenke.

Nachdem Ioffre im Aigle d’or von Crcpq
still vor sich hinbrütend zwei Pullen Bordeaux
hinter die Binde gegossen hatte, tat er den Mund
weit auf und sagte zu den Umhersitzenden:

„Meinen Glückwunsch, Franzosen! Das Schick-
sal hat Euch ausersehen, Zeugen einer jener Taten
zu sein, die Klio mit zitterndem Griffel verzeichnet.
Mes amis! La gloire est en marche! Ich
habe die Absicht, die Offensive zu ergreifen!"

„Vive Joffre!“ schrieen die Umhersitzenden
begeistert.

„Ich bin keilt Großsprecher, Freunde!" fuhr
der General fort, „aber soviel darf ich sagen, daß
Napoleons strategische Phantasie iticht reicher als
die eines Aufgußtierchens erscheint, gemessen an
dem Gedankenschatz, aus dem meine neuen Ab-
sichten entspringen."

„Pah, Napoleon!" machten die Umhersitzeitdcn
geringschätzig.

„Wie Ihr wißt, beschränkte ich mich bisher
darauf, die Deutschen zu zerknabbern. Mes amis!
Das war gewiß eine geniale Sache, und ich brauche
kaum daran zu erinnern, daß feit Alexander dem
Großen kein Feldherr etwas zerknabbert hat, das
die Bedeutung voit Fingernägeln oder Feder-
haltern überschritte."

„Es lebe die Zerknabberungsidee!" sagten die
Umhersitzendcn achtungsvoll.

„Sie hat gelebt! Jetzt macht sie Größercnt
Platz. Freunde, Ihr alle wißt, was cs bedeutet,
einen langen Nagel im Fleisch zu haben."

„Eine ganz verdalnmte Geschichte!" murmelte»
die Umhersitzenden schaudernd.

„Eh bien! Solch ein Nagel ist die deutsche
Armee auf Frankreichs heiligem Boden. Ventrs
Saint Gris! Den Bart wollte ich mir zerraufen
und meine Verzweiflung in ein Trappistenkloster
tragen, wenn mir der Himmel die Fähigkeit vor-
enthalten hätte, ein Mittel gegen Nägel zu finden,
die im Fleisch sitzen. Dieses Mittel — Jean,
noch eine Pulle! — Dieses Mittel, meine Freunde,
ist die Zange!"

„Hoch die Zange!" brüllten die Umhersitzenden
bewundernd.

„Ihr habt die militärische Situation vor Augen,
meine Teuern! Oben in Flandern, bei Nieuport
und Ypern, da packt die nördliche Schneide meiner
Zange an. Und zwischen Barennes und Suippes
beißt sich die südliche Schneide in den deutschen
Nagel. Seht auf mich, Franzosen, hier sitze ich,
ich, Euer Ioffre, hier in Crepy, im Aigle d'or und
halte die Hebel dieser Riesenzange in den histo-

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Register
Hans J. Philipp: Aus Dresden
Georg Mühlen-Schulte: Tartarin der Große
 
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