es schon cm diesem fortwährenden Stehenbleiben
des Zuges, der siech nur mehr ruckweise noch langen
Pausen des Wartens, vorwärts bewegte. Alles
fühlte es dumpf: dort vorne, irgendwo in der
Ferne, war-Etwas-.
Während ich schweigend zum Fenster hinaus-
sehe, kommt mir etwas entgegen: auf einem end-
los weiten, grau in grau verdämmernden Feld
ragte es in die Höhe, zündholzdünne, dürre
Stangen, kunstvoll in einander gefügt, von weit
ausgespannten Drähten gehalten und im Boden
verankert, ein unwahrscheinlich schlankes Gerüst
— eine Funkenstation.
Ich weiß nicht, wie es kam: aber während
mich in der beginnenden Nachlkülte ein leichtes
Frösteln überschlich, während ich auf das hauch-
dünne Eisengerüst hinausblickte, das nun grau in
der Dämmerung zerfloß, kroch mir ein bisher nie
gekanntes, nie gefühltes, lähmendes, ungeheures
Etwas über den Leib und plötzlich wußte ich und
erkannte ich es: das ist der — Krieg! — —
4-4-4-
Wir ziehen durch ein verlassenes Dorf. Alles
ist totenstill. Zwischen den kleinen, strohgedeckten
Häusern laufen die Hühner umher, die von den
Bauern nicht mehr mitgenommen werden konnten
Ich streife durch die kleinen zertretenen Gärten;
der Kohl ist aus der Erde gerissen, die Kukuruz-
stauden beim gierigen Suchen nach einem letzten
Kolben niedergestampft. Nur ein paar verspätete
brennrote Blumen blühen noch.
Die Stalltüren sind offen, leer stehen die Vieh-
stünde. Die Erdkeller sind ausgeräumt, nichts
ist geblieben. Nur die Haustüren haben sie vor
dem Weggehen gesperrt. Ich versuche durch die
kleinen schmutzigen Fenster in eine Stube zu
blicken. Der Fensterflügel ist schlecht geschlossen,
so daß ich ihn öffnen kann. Und da sehe ich
denn in diesen leeren Bauernwohnraum hinein:
das große breite Bett steht in der Ecke, am Tisch
liegen noch etliche Geräte, auf dem Herd steht
der eiserne Dreifuß in der verglimmenden Asche.
Daneben ein paar Kochtöpfe, aus denen noch
leichter Dunst steigt. Und mitten im Zimmer die
kleine Wiege, die Kissen darin zeigen noch, wie
das Kind gelegen ist. Bewegt sich nicht die Wiege
noch in leisem Schaukeln? ^-Nein, alles ist
totenstill, öde. Und doch nicht, jetzt erst höre ich
es: die Uhr an der Wand licht noch, geht gleich-
mütig ihren Gang fort. Wie festgebannt starre
ich in diese verlassene Stube. Und plötzlich Pacht
niich ein solches Grauen vor dieser Einsamkeit,
diesem Elend, in dem nur die kindleere Wiege
steht und diese entsetzliche Uhr die lähmende Stille
zerhackt mit ihren erbarmungslosen Pendelschlügen,
daß ich wie wahnsinnig das Fenster zuwerfe und
davonlaufe, hinaus auf die Straße.
* * *
Und immer weiter marschierten wir. Glühender
Sonnenbrand und dörrender Staub des Tags,
undurchdringlich lastende Finsternis in den endlosen
Nächten, immer weiter ohne Schlaf und Rast.
So war es in einer jener eisigkallen Nächte,
wie sie dort oben auf heiße Sommertage folgen.
Seit elf Uhr uaä>ls standen wir auf der Straße
und konnten nicht weiter. Vor uns viele Kilo-
meter weit eine endlose Kolonne hinter der anderen.
Links von uns dehnte sich eine waldige Anhöhe,
rechts weite Wiesen mit spärlichem Buschwerk.
Die Mitternacht war vorbei, die Sterne, die noch
vor kurzem hellsunkelnd am Himmel gestanden,
alle erloschen. Sargdunkle Nacht war nun um
uns, daß man auf drei Schritte den Nachbar
nicht mehr sah-
Wir hielten scharfe Wacht Kosaken waren
in der Nähe. Die brennenden Augen starrten in
undurchdringliche Finsternis.
Stunde um Stunde vergeht, längst ist es gegen
Morgen. Und da auf einmal, wie wenn in einem
unterirdischen Höhlensee aus unergründlichen Höl>e»
ein großer Wassertropfen fällt und ein Echo den
Schall wiederholt, so fiel in dieses undurchdring-
liche Dunkel von irgendwoher ein Schuß und
fein Widerhall hinein, dumpf glucksend. Keine»
anderen Vergleich weiß ich dafür, der zutreffender
wäre. — Das war der erste Schuß, be» ich in
diesem Feldzug hörte.
Stundenlang standen wir mit schußbereiter
Waffe, bis sich das erste müde Dämmern im Osten
aushob und der Tag langsam die Straße herauf-
gegangen kam.
Dann trugen sie im ersten fröstelnden Morgen-
licht einen Toten von der Waldhöhe herunter.
— Einen Selbstmörder.
Nie habe ich den Tod so herrlich, so prunkvoll
Hof halten sehen als damals bei Micholajow.
Das ist ein kleines Dorf östlich von Lemberg.
Ich kam gegen Abend hin. Mein Train wirbelte
gewaltige Staubwolken auf, die von der unter-
gehenden Sonne schwarz-blutrot in düsterer Glut
durchleuchtet wurden. Das Dorf, das bereits
voic allen Bewohnern verlassen war, liegt am
Rande einer Hochebene, die dort ziemlich steil zu
einem breiten Talkessel abfällt, der im Hintergrund
und zu beiden Seiten von bewaldeten Hügeln
einegeschlossen ist.
470
Verwundeten-Transport
Anton Schönmann (Schneeschuh Truppe)
des Zuges, der siech nur mehr ruckweise noch langen
Pausen des Wartens, vorwärts bewegte. Alles
fühlte es dumpf: dort vorne, irgendwo in der
Ferne, war-Etwas-.
Während ich schweigend zum Fenster hinaus-
sehe, kommt mir etwas entgegen: auf einem end-
los weiten, grau in grau verdämmernden Feld
ragte es in die Höhe, zündholzdünne, dürre
Stangen, kunstvoll in einander gefügt, von weit
ausgespannten Drähten gehalten und im Boden
verankert, ein unwahrscheinlich schlankes Gerüst
— eine Funkenstation.
Ich weiß nicht, wie es kam: aber während
mich in der beginnenden Nachlkülte ein leichtes
Frösteln überschlich, während ich auf das hauch-
dünne Eisengerüst hinausblickte, das nun grau in
der Dämmerung zerfloß, kroch mir ein bisher nie
gekanntes, nie gefühltes, lähmendes, ungeheures
Etwas über den Leib und plötzlich wußte ich und
erkannte ich es: das ist der — Krieg! — —
4-4-4-
Wir ziehen durch ein verlassenes Dorf. Alles
ist totenstill. Zwischen den kleinen, strohgedeckten
Häusern laufen die Hühner umher, die von den
Bauern nicht mehr mitgenommen werden konnten
Ich streife durch die kleinen zertretenen Gärten;
der Kohl ist aus der Erde gerissen, die Kukuruz-
stauden beim gierigen Suchen nach einem letzten
Kolben niedergestampft. Nur ein paar verspätete
brennrote Blumen blühen noch.
Die Stalltüren sind offen, leer stehen die Vieh-
stünde. Die Erdkeller sind ausgeräumt, nichts
ist geblieben. Nur die Haustüren haben sie vor
dem Weggehen gesperrt. Ich versuche durch die
kleinen schmutzigen Fenster in eine Stube zu
blicken. Der Fensterflügel ist schlecht geschlossen,
so daß ich ihn öffnen kann. Und da sehe ich
denn in diesen leeren Bauernwohnraum hinein:
das große breite Bett steht in der Ecke, am Tisch
liegen noch etliche Geräte, auf dem Herd steht
der eiserne Dreifuß in der verglimmenden Asche.
Daneben ein paar Kochtöpfe, aus denen noch
leichter Dunst steigt. Und mitten im Zimmer die
kleine Wiege, die Kissen darin zeigen noch, wie
das Kind gelegen ist. Bewegt sich nicht die Wiege
noch in leisem Schaukeln? ^-Nein, alles ist
totenstill, öde. Und doch nicht, jetzt erst höre ich
es: die Uhr an der Wand licht noch, geht gleich-
mütig ihren Gang fort. Wie festgebannt starre
ich in diese verlassene Stube. Und plötzlich Pacht
niich ein solches Grauen vor dieser Einsamkeit,
diesem Elend, in dem nur die kindleere Wiege
steht und diese entsetzliche Uhr die lähmende Stille
zerhackt mit ihren erbarmungslosen Pendelschlügen,
daß ich wie wahnsinnig das Fenster zuwerfe und
davonlaufe, hinaus auf die Straße.
* * *
Und immer weiter marschierten wir. Glühender
Sonnenbrand und dörrender Staub des Tags,
undurchdringlich lastende Finsternis in den endlosen
Nächten, immer weiter ohne Schlaf und Rast.
So war es in einer jener eisigkallen Nächte,
wie sie dort oben auf heiße Sommertage folgen.
Seit elf Uhr uaä>ls standen wir auf der Straße
und konnten nicht weiter. Vor uns viele Kilo-
meter weit eine endlose Kolonne hinter der anderen.
Links von uns dehnte sich eine waldige Anhöhe,
rechts weite Wiesen mit spärlichem Buschwerk.
Die Mitternacht war vorbei, die Sterne, die noch
vor kurzem hellsunkelnd am Himmel gestanden,
alle erloschen. Sargdunkle Nacht war nun um
uns, daß man auf drei Schritte den Nachbar
nicht mehr sah-
Wir hielten scharfe Wacht Kosaken waren
in der Nähe. Die brennenden Augen starrten in
undurchdringliche Finsternis.
Stunde um Stunde vergeht, längst ist es gegen
Morgen. Und da auf einmal, wie wenn in einem
unterirdischen Höhlensee aus unergründlichen Höl>e»
ein großer Wassertropfen fällt und ein Echo den
Schall wiederholt, so fiel in dieses undurchdring-
liche Dunkel von irgendwoher ein Schuß und
fein Widerhall hinein, dumpf glucksend. Keine»
anderen Vergleich weiß ich dafür, der zutreffender
wäre. — Das war der erste Schuß, be» ich in
diesem Feldzug hörte.
Stundenlang standen wir mit schußbereiter
Waffe, bis sich das erste müde Dämmern im Osten
aushob und der Tag langsam die Straße herauf-
gegangen kam.
Dann trugen sie im ersten fröstelnden Morgen-
licht einen Toten von der Waldhöhe herunter.
— Einen Selbstmörder.
Nie habe ich den Tod so herrlich, so prunkvoll
Hof halten sehen als damals bei Micholajow.
Das ist ein kleines Dorf östlich von Lemberg.
Ich kam gegen Abend hin. Mein Train wirbelte
gewaltige Staubwolken auf, die von der unter-
gehenden Sonne schwarz-blutrot in düsterer Glut
durchleuchtet wurden. Das Dorf, das bereits
voic allen Bewohnern verlassen war, liegt am
Rande einer Hochebene, die dort ziemlich steil zu
einem breiten Talkessel abfällt, der im Hintergrund
und zu beiden Seiten von bewaldeten Hügeln
einegeschlossen ist.
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Verwundeten-Transport
Anton Schönmann (Schneeschuh Truppe)