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Sappe-Vortreiben im Chevalier-Walde
Paul Segieth (Bayr. Infant.-Regt.)
Eigentümliche über war, daß man keinen der
Kämpfenden sah, so daß dieses ganze Hollen-
konzert etwas Selbstständiges, unkörperlich-Wesen-
haftes gewann.
2m Hintergrund aber lohten a» siebe» bis
acht Stellen ungeheure Braitdwolken zum Himmel,
wie wenn ganze Wälder in Flammen stünden.
Als die Sonne völlig untergegangen, leuchteten
die Rauchschwaden glutrot, und gegen sie zeich-
neten sich die Hügel als schwarze Silhouetten
düster ab.
Manchmal schwiegen die Geschütze und Ge-
wehre für einige Sekunden, und dann lag eine
grauenhafte, lähmende Stille über dem Tal, nur
die glühenden Brandwolken stiegen als lohende
Festfackelu lautlos feierlich empor. Man glaubte
das Singen des brennenden Holzes zu hören,
— So schwieg die Schlacht einige Augenblicke,
Dann blitzten wieder die sechs Funken, irgendwo
in der nun völlig dunklen Tiefe auf, und das
Donnern begann aufs neu, bis das Tal nur
mehr ein brüllender, tobender Schlund war.
Dann wieder färbte sich der Himmel an einer
bisher dunklen Stelle schwach rot, rasch steigerte
sich der Lichtschein zu heller Glüh und plötzlich
sprangen auch dort die Flammen jubelnd, zügellos
zum Himmel, wie mit graufem Hohngelächter
eine» furibunden Wirbel tanzetid: wieder ein
Dorf in Brand geschossen!
2ch stand in ehrfürchtiger Stimmung vor
diesen, einzigst! Schauspiel. Aber ich muß be-
kennen, es war damals — und auch später in
solchen Lagen — nicht das geringste Mitgefühl
mit den Kämpfenden in mir. Es kam mir nicht
zu Bewußtsein, daß dort unten vor meinen Augen
Tausende stürmten, unter Todesqualen die ver-
zerrten Leiber sich in den Schützengräben zuckend
wanden. Nur reinstes ehrfürchtiges Staunen
und gespannteste Aufmerksamkeit beherrschten mich
in diesen Stunden und — Freude und Jubel
über diesen herrlichen Kampf, über unsere Hau-
bitzen mit ihrem herrlichen, metallen dröhnenden
Baß. Und wie lauerte man, wenn eine durch
Stellungswechsel entstandene Pause eintrat, auf
das Wiederaufblitzen der sechs Schüsse! Wie
zählte man die Sekunden, die zwischen Blitz und
Schall verstrichen, und wie jubelten wir, wenn
wir erkannten: wieder 1 km vor!
Und während es drunten donnerte und brüllte
und ratterte aus hunderttausend glühenden Feuer-
schlünden, während die wirbelnden Brandfackeln
zum Himmel lohten, ward es zur Gewißheit in mir:
Nie habe id) den Tod herrlicher, nie prunk-
voller, nie königlicher Hof halten sehen als da-
mals bei Micholajow.
2m Herbst wandert es sich so eigen schön in
Galizien. .Da ist das Land in träumende, weiche
Sehnsucht gehüllt wie eine schöne Frau, die sich
bei Sonnenuntergang einen duftzarten Schleier
um das Haar legt und langsam das Haupt senkt.
Aber in ihrem Auge stehen Tränen, die den lä-
chelnden Mund leise zittern lassen.
Uber den endlosen Ebenen liegt leichter Nebel
und vom tiefbraunen fruchtbaren Boden steigt
der geheimnisvolle Moderduft des Herbstes, An
den Straßen aber stehen gewaltige Birken, ihr
Laub leuchtet mit prächtigem Goldgelb von weit-
her imb ihre langherubhängenden Zweige streifen
mich, wie id) unter ihnen uorüberreite und streue»
ihr Gold mit lässigen Händen vor die Hufe
meines Pferdes.
Etwas abseits der Straßen sieht man dann
ab und zu ein kleines Schloß in einem weiten
Paik, einen jener so unendlich schlichten, ein-
fachen, fast verwahrloste» polnischen Landsitze,
die doch trotz ihrer Schindeldächer, trotz zerfal-
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Sappe-Vortreiben im Chevalier-Walde
Paul Segieth (Bayr. Infant.-Regt.)
Eigentümliche über war, daß man keinen der
Kämpfenden sah, so daß dieses ganze Hollen-
konzert etwas Selbstständiges, unkörperlich-Wesen-
haftes gewann.
2m Hintergrund aber lohten a» siebe» bis
acht Stellen ungeheure Braitdwolken zum Himmel,
wie wenn ganze Wälder in Flammen stünden.
Als die Sonne völlig untergegangen, leuchteten
die Rauchschwaden glutrot, und gegen sie zeich-
neten sich die Hügel als schwarze Silhouetten
düster ab.
Manchmal schwiegen die Geschütze und Ge-
wehre für einige Sekunden, und dann lag eine
grauenhafte, lähmende Stille über dem Tal, nur
die glühenden Brandwolken stiegen als lohende
Festfackelu lautlos feierlich empor. Man glaubte
das Singen des brennenden Holzes zu hören,
— So schwieg die Schlacht einige Augenblicke,
Dann blitzten wieder die sechs Funken, irgendwo
in der nun völlig dunklen Tiefe auf, und das
Donnern begann aufs neu, bis das Tal nur
mehr ein brüllender, tobender Schlund war.
Dann wieder färbte sich der Himmel an einer
bisher dunklen Stelle schwach rot, rasch steigerte
sich der Lichtschein zu heller Glüh und plötzlich
sprangen auch dort die Flammen jubelnd, zügellos
zum Himmel, wie mit graufem Hohngelächter
eine» furibunden Wirbel tanzetid: wieder ein
Dorf in Brand geschossen!
2ch stand in ehrfürchtiger Stimmung vor
diesen, einzigst! Schauspiel. Aber ich muß be-
kennen, es war damals — und auch später in
solchen Lagen — nicht das geringste Mitgefühl
mit den Kämpfenden in mir. Es kam mir nicht
zu Bewußtsein, daß dort unten vor meinen Augen
Tausende stürmten, unter Todesqualen die ver-
zerrten Leiber sich in den Schützengräben zuckend
wanden. Nur reinstes ehrfürchtiges Staunen
und gespannteste Aufmerksamkeit beherrschten mich
in diesen Stunden und — Freude und Jubel
über diesen herrlichen Kampf, über unsere Hau-
bitzen mit ihrem herrlichen, metallen dröhnenden
Baß. Und wie lauerte man, wenn eine durch
Stellungswechsel entstandene Pause eintrat, auf
das Wiederaufblitzen der sechs Schüsse! Wie
zählte man die Sekunden, die zwischen Blitz und
Schall verstrichen, und wie jubelten wir, wenn
wir erkannten: wieder 1 km vor!
Und während es drunten donnerte und brüllte
und ratterte aus hunderttausend glühenden Feuer-
schlünden, während die wirbelnden Brandfackeln
zum Himmel lohten, ward es zur Gewißheit in mir:
Nie habe id) den Tod herrlicher, nie prunk-
voller, nie königlicher Hof halten sehen als da-
mals bei Micholajow.
2m Herbst wandert es sich so eigen schön in
Galizien. .Da ist das Land in träumende, weiche
Sehnsucht gehüllt wie eine schöne Frau, die sich
bei Sonnenuntergang einen duftzarten Schleier
um das Haar legt und langsam das Haupt senkt.
Aber in ihrem Auge stehen Tränen, die den lä-
chelnden Mund leise zittern lassen.
Uber den endlosen Ebenen liegt leichter Nebel
und vom tiefbraunen fruchtbaren Boden steigt
der geheimnisvolle Moderduft des Herbstes, An
den Straßen aber stehen gewaltige Birken, ihr
Laub leuchtet mit prächtigem Goldgelb von weit-
her imb ihre langherubhängenden Zweige streifen
mich, wie id) unter ihnen uorüberreite und streue»
ihr Gold mit lässigen Händen vor die Hufe
meines Pferdes.
Etwas abseits der Straßen sieht man dann
ab und zu ein kleines Schloß in einem weiten
Paik, einen jener so unendlich schlichten, ein-
fachen, fast verwahrloste» polnischen Landsitze,
die doch trotz ihrer Schindeldächer, trotz zerfal-
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