Sehnlich wünschte sie den nächsten Tag
herbei, der sie ganz zu Kurt brachte. Sie
ertrug es nicht, das kommende Geschenk
schon in diesen alten, nur sür den Sohn
besorgten Augen gespiegelt zu sehen. Wally
verstand sich besser mit dem Geheimen
Kommerzienrat. Sie lächelte ihn an, und
er duldete es. War Wally nicht viel
weniger, als Agnes je gewesen? ...
Endlich konnten sie zuni Bahnhof zurück-
kehren. Dann fuhren sie nach Berviers.
An der belgischen Grenze wurde auch der
Gehcimrat unruhig. Er kam zum ersten-
mal aus seiner goldenen Sicherheit heraus.
Bon täglichen Zeitungen kam er in ewiges
Feindesland. Während er den Militär-
beamten seinen Pah vorwies, sah Agnes
sich ängstlich um. Sie wußte nicht, daß
ihre Erscheinung finstere Augen besänf-
tigte. Die Sicgesglorie zcrflatterte ihr, —
Mitleid beschlich ihr Herz. Sie hatte selbst
die Not der Unterdrückten gekannt. So
kam ein Schimmer in ihre blauen, deut-
schen Augen, dem die schwarzen, gallischen
gierig nachhingen Eine Fürstin sahen die
belgische» Arbeiterfrauen in ihr. So hatten
sie sich eine deutsche Fürstin vorgestellt.
Man ließ sic demütig vorbei; Agnes aber
glaubte sich ducken zu müssen vor irgend
einem Attentat . ..
Jetzt mußte Kurt schon in der Stadt sein.
Der Geheimrat saß mit seiner Schwieger-
tochter an cinein Parterrefenster des Restau-
rants, das als Treffpunkt verabredet worden
war. Draußen eilten die Feldgrauen vor-
über. Wie glichen sie einander, die wetterhart
verwilderten Männer. Eine einzige, riesen-
große Mühe lastete auf ihnen - das machte sie
so gleich. Plötzlich — aus einer Reihe von
Offizieren löste sich einer .. salutierte, wandte
sich rmd winkte ins Fenster-„Kurt!“
Er war schon im Zimmer und hielt
sie in seinen Armen. Der Vater ging
diskret in den Nebenraum. Bald aber holle
ihn der Sohn und küßte und schüttelte ihn...
war er je so unmittelbar zärtlich zu seinem
Baler gewesen? Nun kam Agnes zum Be-
wußtsein und betrachtete den Wiederge-
schenkten. Jetzt erst sah sie, was sie schon
im ersten Augenblick empfunden halte: Kurt
war wie ein älterer Bruder seiner selbst zu
ihr getreten. Er war derselbe noch und doch
ein völlig anderer. Das „Kerlchen", wie
man ihn einst genannt, war fort. Der sonnig
gute, unbeschwerte Zunge der Friedenszeit
war wie eine Erinnerung, die der Mann
von ihm erzählte. Za, ein Mann — ein
harter, sehniger, etwas gebückter und trau-
riger Mann. Er wußte nicht, daß man
seine Traurigkeit auch im Glück dieser
Stunde sah. Er trug das Eiserne Kreuz
und zwei andere im Kriege erworbene
Orden. Heil war er noch und ganz —
das erkannte Agnes' suchender Blick, und
ihr Herz wurde ruhiger. Sie hatte seinen
Urlaub schon mit einem schweren Grunde
in Verbindung gebracht .. . Nein, bisher
war er durch gekommen, das erzählte
Kurt. Sein Blick flackerte dabei. Er wollte
möglichst wenig Worte darüber verlieren.
Nicht Zukunft, nicht Vergangenheit — Gegen-
wart suchte er. Doch cs war eine Gegenwart,
die Agnes ihm nicht mitbrachte. Verwirrt
begriff cs der Vater allmählich. Wohl ließen
die geröteten Augen in dem harten, braunen
Lilänis
Kart Bauer (München)
487
*'*■**»•
herbei, der sie ganz zu Kurt brachte. Sie
ertrug es nicht, das kommende Geschenk
schon in diesen alten, nur sür den Sohn
besorgten Augen gespiegelt zu sehen. Wally
verstand sich besser mit dem Geheimen
Kommerzienrat. Sie lächelte ihn an, und
er duldete es. War Wally nicht viel
weniger, als Agnes je gewesen? ...
Endlich konnten sie zuni Bahnhof zurück-
kehren. Dann fuhren sie nach Berviers.
An der belgischen Grenze wurde auch der
Gehcimrat unruhig. Er kam zum ersten-
mal aus seiner goldenen Sicherheit heraus.
Bon täglichen Zeitungen kam er in ewiges
Feindesland. Während er den Militär-
beamten seinen Pah vorwies, sah Agnes
sich ängstlich um. Sie wußte nicht, daß
ihre Erscheinung finstere Augen besänf-
tigte. Die Sicgesglorie zcrflatterte ihr, —
Mitleid beschlich ihr Herz. Sie hatte selbst
die Not der Unterdrückten gekannt. So
kam ein Schimmer in ihre blauen, deut-
schen Augen, dem die schwarzen, gallischen
gierig nachhingen Eine Fürstin sahen die
belgische» Arbeiterfrauen in ihr. So hatten
sie sich eine deutsche Fürstin vorgestellt.
Man ließ sic demütig vorbei; Agnes aber
glaubte sich ducken zu müssen vor irgend
einem Attentat . ..
Jetzt mußte Kurt schon in der Stadt sein.
Der Geheimrat saß mit seiner Schwieger-
tochter an cinein Parterrefenster des Restau-
rants, das als Treffpunkt verabredet worden
war. Draußen eilten die Feldgrauen vor-
über. Wie glichen sie einander, die wetterhart
verwilderten Männer. Eine einzige, riesen-
große Mühe lastete auf ihnen - das machte sie
so gleich. Plötzlich — aus einer Reihe von
Offizieren löste sich einer .. salutierte, wandte
sich rmd winkte ins Fenster-„Kurt!“
Er war schon im Zimmer und hielt
sie in seinen Armen. Der Vater ging
diskret in den Nebenraum. Bald aber holle
ihn der Sohn und küßte und schüttelte ihn...
war er je so unmittelbar zärtlich zu seinem
Baler gewesen? Nun kam Agnes zum Be-
wußtsein und betrachtete den Wiederge-
schenkten. Jetzt erst sah sie, was sie schon
im ersten Augenblick empfunden halte: Kurt
war wie ein älterer Bruder seiner selbst zu
ihr getreten. Er war derselbe noch und doch
ein völlig anderer. Das „Kerlchen", wie
man ihn einst genannt, war fort. Der sonnig
gute, unbeschwerte Zunge der Friedenszeit
war wie eine Erinnerung, die der Mann
von ihm erzählte. Za, ein Mann — ein
harter, sehniger, etwas gebückter und trau-
riger Mann. Er wußte nicht, daß man
seine Traurigkeit auch im Glück dieser
Stunde sah. Er trug das Eiserne Kreuz
und zwei andere im Kriege erworbene
Orden. Heil war er noch und ganz —
das erkannte Agnes' suchender Blick, und
ihr Herz wurde ruhiger. Sie hatte seinen
Urlaub schon mit einem schweren Grunde
in Verbindung gebracht .. . Nein, bisher
war er durch gekommen, das erzählte
Kurt. Sein Blick flackerte dabei. Er wollte
möglichst wenig Worte darüber verlieren.
Nicht Zukunft, nicht Vergangenheit — Gegen-
wart suchte er. Doch cs war eine Gegenwart,
die Agnes ihm nicht mitbrachte. Verwirrt
begriff cs der Vater allmählich. Wohl ließen
die geröteten Augen in dem harten, braunen
Lilänis
Kart Bauer (München)
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