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Gefangene Russen C. Koch (Leipzig)

Surren und Sausen erfüllte sein Gehirn wie ein
Hagel van grimmigsten Bajonettspießen, Ber-
zehntfach erlebte er in jeder Minute die Schreck-
nisse der Sekunde, da er der Ewigkeit einen
Augenblick lang ins unveränderliche Antlitz ge-
sehen hatte. Erst nach seiner Heimkehr, bei der
Mutter, wurde er stiller. Totenstill nach der
jammervoll, entsetzensvollen Entdeckung. Ein
Auge war blind und starrte leer die Mutter an.
Verschlossen Mund uird Blick und Ohr, Ein-
äugig! Die Sprache verloren! Taub!

Die Mutter versuchte durch Beschäftigung mit
äußeren Dingen ihm das Bewußtsein seines wahren
Zustandes zu verdecken, Durch angestrengte und
leidenschaftliche Ablenkung sollte er dem Dämon
der Melancholie entrinnen, der unsichtbar und
tödlich wie ein geschliffenes Schwert jeden seiner
Atemzüge begleitete. Es galt Friedensarbeit zu
tun! Der Sotzn durfte nicht als niitleiderrcgender
Krüppel durchs Leben gehen, bedrückt und ab-
hängig von den seelischen Almosen der Gesunden,
Ein aufrechter, selbständiger, Werte schaffender
Mensch sollte ihr Bub sein. Er war begabt utib
intelligent; kräftig und hatte gerade Arme und
Beine, Nickt niedergedrückt und arbeitslos ver-
kümmern, Zweck und Sinn sollte fein Dasein
haben . .. Sie hatte etwas Geld. Aus gesetz-
lichen Ansprüchen würde der Sohn eine kleine
Zulage wohl erhalten... Da ging sie hin und
kaufte kurz entschlossen das kleine Geschäft.

„Er macht alles allein, ohne Hilfe versorgt
er ernsthaft, gewissenhaft einen großen Kunden-
kreis, Der früheste Morgen, wenn die blassen
Slerire sich noch im tiefen Bergsee spiegeln, sicht
ihn schon bei der Arbeit, und abends sinkt er
müde, mit einem Wohlgefühle ohnegleichen in
fein Bett, Haben Sie nicht gesehen, wie groß
und stark und sonnverbrannt er ist? Sehen Sie,

fügte die bewundernswerte Frau mit einem
Lächeln, das das Leid der tiefsten Nächte über-
strahlte, hinzu: „So habe ich ihn die unguten
Tage vergessen gelehrt. Aus einem Aknosen-
empfänger habe ich dem Vaterland einen Steuer-
zahler gerettet. . . Denn sein Geschäft geht
gut!" . . . Und auch ihre Augen, die beschattet
waren, wie Augen, die viel nach innen geweint
haben, lächelteit mir zu, und ich erkannte in ihnen
das grau wie Stahl irisierende Blau aus dem
Einauge ihres Sohnes wieder.

<2ln mein Gewehr

3d) bin ein forscher Geselle

Und fürchte den Feind einen Quark;

Ich liege bei Poel-Kapelle
Im Graben von Langemark.

Im Munde schief die Zigarre,

Bis an die Knie im Schlamm,

Im Arm meine treue Knarre,

So steh ich und bin auf dem Damm.

So steh ich seit Wochen und Monden,

So steht auch drüben der Feind;

Die Kugeln, die mich verschonten,

Die galten manch wackerem Freund.

Die Rohre speien Granaten
Und fordern manch junges Blut;

Doch hier fteh'n deutsche Soldaten,

Und ihre Nerven sind gut!

Atif jedeit Fall besser als Eure
Dort drüben, ihr Völkergemisch;

Und wen sieh auch England noch heu're,
Bald machen wir reinen Tisch!

Dann will ich Dich, Bräutchen, umfassen,
Will fest Dich halten und warm,

Und will Dich nicht locker lassen,

So lange noch markig mein Arm!

Dann Knarre, Du alte Scharteke,

Erstrahlst Dti wieder im Glanz
Der Tage von Westroosebeke,

Dann führ ich Dich wieder zum Tanz!

Daitn tanzen wir keine Mazurkas
Und Walzer, mein Bräutchen, o nein:

Wir laden die Welschen und Gurkhas
Zum letzten blutigen Reih'n.

Und tanzen, bis röchelnd am Boden
Der letzte der Feinde liegt,

Bis der letzte unserer Toten
Gerächt ist — und Eirgland besiegt!

Komm, Knarre, bu Frauenzimmer,

Jetzt putz Dich und mach Dich bereit;

Dies Leben im Loch währt nicht immer,
Meiit Bräutchen, bald kommt Deine Zeit!

Kriegsfreiwilliger 2llbcrt Arnold

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Index
C. Koch: Gefangene Russen
Albert Arnold: An mein Gewehr
 
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